»
Spanien »
»
»
Spanien »
»
»
Spanien »
»

Wenn die Lebensbedingungen der MigrantInnen in Andalusiens Landwirtschaft verbessert werden sollen: Braucht es (auch) eine Agrar-Reform

Nach den Brandanschlägen gegen afrikanische ErntehelferInnen in Spanien werden Protestaktionen organisiert„… Vieles von dem, was wir sehen würden, hatten wir bereits geahnt. Und dennoch war es dann schlimmer als erwartet. Es ist momentan gängige Praxis, dass die Landarbeiter nach Kilogramm geernteten Obsts und Gemüses bezahlt werden. Das ist aber in Spanien aus gutem Grund illegal. Mit zehn, elf oder gar zwölf Stunden Arbeit am Tag kommen viele nicht mal auf 25 bis 30 Euro am Tag. Das ist reine Barbarei, erinnert an sklavereiähnliche Zustände. Das Gesetz schreibt fest, dass man für nicht weniger als 48 Euro maximal sechs Stunden plus 15 Minuten Pause arbeiten darf. Das wird nicht eingehalten, obwohl diese Regelung nur für Andalusien gültig ist und in anderen Regionen wie Katalonien sogar mehr bezahlt werden muss. (…) Wir haben viel zu wenige Inspekteure, und sie haben sehr begrenzte Ressourcen. Sie kommen nicht hinterher und kennen die Bedingungen der Landarbeit auch nicht so gut. Wir haben in den vergangenen drei Jahren Tagebuch geführt und auf allen Plantagen, die wir besucht haben, die Arbeiter anonym befragt. Diese Daten haben wir der Aufsicht und der Arbeitsministerin im Februar überreicht. Daraufhin haben die Inspekteure begonnen, die Agrarfirmen zu besuchen und zu kontrollieren, aber das geschieht noch viel zu sporadisch. Die meisten Landarbeiter sind Migranten, kommen vor allem aus Rumänien und aus verschiedenen afrikanischen Ländern, Marokko, Kamerun, Senegal. Wir unterstützen ihre Forderung nach einem legalen Aufenthalt. Viele leben hier seit etlichen Jahren und haben trotzdem keine Aufenthaltserlaubnis. Wir sagen: Ob einheimisch oder aus dem Ausland, das macht keinen Unterschied, sie sind alle Teil der Arbeiterklasse. Hier sehen wir die Widersprüche, die sich aus der falschen Linie des sozialdemokratischen PSOE ergeben. Jemand, der in Spanien seit fünf Jahren oder länger arbeitet, konsumiert und Steuern zahlt, dem muss ein legaler Status gewährt werden. Diese Arbeiter sind nicht verantwortlich dafür, wenn sie in eine Rolle der Konkurrenz zur einheimischen Arbeiterklasse gedrängt werden, bloß weil sie sich gezwungen sehen, schlechtere Konditionen anzunehmen. Das muss sich sofort ändern…“ – aus dem Beitrag „»Andalusien braucht eine Agrarreform«“ am 15. August 2020 in der jungen welt externer Link – ein Gespräch von Carmela Negrete mit dem Sprecher der andalusischen Gewerkschaft SAT, Oscar Reina über die Branche und gewerkschaftliche Alternativen. Siehe dazu zwei weitere Beiträge und den Hinweis auf unseren ersten Überblick über den sich entwickelnden Widerstand in Andalusien:

  • „Abgebrannt im Erdbeerland“ von Jan Marot am 06. August 2020 in der jungle world externer Link (Ausgabe 32/2020) zu den Bränden in den Camps der LandarbeiterInnen unter anderem: „… Das Ende der Erntesaison, der aufgrund der Covid-19-Pandemie geringere Absatz der für den Export bestimmten Erdbeeren, die Ängste, die die Pandemie auslöst, und das Erstarken der rechtsextremen Partei Vox, die in der Region Andalusien die rechte Minderheits­regierung toleriert, sorgen in Lepe für ein angespanntes Klima. Ein Dutzend Lokalpolizisten beobachtet die Migranten stetig. Auch Einheiten der para­militärischen Guardia Civil und der Nationalpolizei haben ein Auge auf sie. In den Eckcafés und Tapas-Bars am Platz sind Spanier unter sich. Lamine Diakite kommt aus Mali und arbeitet seit zwölf Jahren in der Landwirtschaft in Lepe. Der 32jährige sagt, es gebe keinen politischen Willen, die Arbeiter an einem angemessenen Ort unterzubringen: »Lösungsmöglichkeiten wären indes zahlreiche vorhanden: Hunderte Wohnungen stehen in Lepe leer. Seit der Immobilienkrise vor mehr als einer Dekade sind sie in der Hand von Banken. Man könnte uns in Pensionen und Hotels unterbringen oder auch auf einem Campingplatz.« Neben der Landwirtschaft ist der Tourismus an der Atlantikküste wirtschaftlich bedeutsam für die Gemeinde. Dieser hatte aufgrund der Pandemie zuletzt herbe Einbußen zu verzeichnen. Erst am Wochenende kamen wieder vermehrt Inlandstouristen und Gäste aus der andalusischen Hauptstadt Sevilla. Diakite zufolge leben rund um die Erdbeerplantagen in Lepe mehrere Hundert Migrantinnen und Migranten. 250 seien in den abgebrannten Siedlungen untergebracht gewesen. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner verloren ihren spärlichen Besitz, darunter bar ausgezahlte Tagelöhne und Ausweisdokumente. Rund 40 bis 50 Euro pro Tag verdienen die Arbeiterinnen und Arbeiter, die von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in der Sommerhitze unter Plastikplanen schuften. Da sie kein Bleiberecht haben, wollen sie ihre Arbeitgeber nicht bei der Polizei anzeigen, wenn sie um ihren Lohn geprellt werden oder diese Gewalt gegen sie anwenden. In Huelva kam es in den vergangenen Jahren wiederholt zu sexueller Gewalt gegen Ernte­helferinnen aus Marokko. Diakite sagt, die Folge eines Besuchs im Kommissa­riat sei Abschiebehaft. Nichtregierungsorganisationen schätzen, dass in Spanien rund 800 000 Menschen ohne Bleiberecht leben. Die meisten Erntearbeiter überweisen einen großen Teil der Tagelöhne an ihre ­Familien in ihren Herkunftsländern. Mit der Pandemie sind die für die ­Subsahara-Staaten so wichtigen Rücküberweisungen deutlich geringer ausgefallen…“
  • „Der Aufstand der unsichtbaren Hände“ von Marian Henn am 09. August 2020 im taz-Blog externer Link unter anderem zur Rolle bundesdeutscher Handelsketten bei den Bedingungen der Branche und zu den Reaktionen der Betroffenen: „… Und die wichtigsten Glieder dieser Kette sind gleichzeitig ihre schwächsten Glieder.“, verweist die andalusische Arbeiter*innengewerkschaft im Hinblick auf die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen. „Das ist moderne Sklaverei. Die Arbeiter*innen tragen heutzutage keine Ketten mehr. Die Ketten, die die Arbeiter*innen tragen, ist die Not.  Die Überlebensnotwendigkeit zu arbeiten peitscht die Menschen an und es sind die Chefs, die Firmenleitungen die diese Bedürftigkeit gnadenlos ausnehmen.“ Insbesondere unter den subsaharischen Arbeiter*innen leben viele Menschen ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, ein nicht zu unterschätzender Faktor, der die potenzielle Ausbeutbarkeit um ein Vielfaches multipliziert.  Neben den prekären und informalisierten Arbeitsbedingungen charakterisiert sich der agrarindustrielle Komplex in Huelva durch eine rassistische Wohnraumsegmentierung, die tausende Arbeiter*innen in die sogenannten Chabola-Siedlungen zwingt. Bei den Chabolas handelt es sich um selbstgebaute Baracken aus Paletten, Plastikplanen und Schilfrohr. In der ganzen Provinz gibt es je nach zählweise etwa 40 Siedlungen. Allein in der Stadt Lepe, dem Agrarzentrum der Provinz, existieren laut der Migrant*innenorganisation Asnuci (Asociación Nuevos Ciuidadanos por la Interculturalidad) 13 Siedlungen. Bewohner*innen beklagen seit 20 Jahren die unwürdigen Wohnbedingungen ohne Wasser, Strom, sanitäre Anlagen und ein System zur Müllentsorgung. Am 14. März diesen Jahres sollte der permanente Ausnahmezustand, in dem die Landarbeiter*innen in der Provinz leben, durch ein königliches Dekret zusätzlich verschärft werden, als in ganz Spanien aufgrund der Corona-Pandemie der ‚Alarmzustand‘ ausgerufen wurde. Erinnert sei an die mediale Kampagne #quedateencasa (#bleib zuhause), welche an die Eigenverantwortung der Bürger*innen appellierte. Die Menschen vor Ort wurden Zeug*innen eines falschen Universalismus, der davon ausgeht, alle Menschen hätten gleichermaßen die Möglichkeit zu Quarantäne und Home-Office. Wie sollen Menschen zuhause bleiben, wenn sie kein Zuhause haben? Wie sollen Menschen den Sicherheitsabstand einhalten, wenn sie sich nur wenige Quadratmeter Wohnfläche teilen? Wie sollen Menschen sich regelmäßig die Hände waschen, wenn sie keinen Zugang zu fließendem Wasser haben? Vom Zugang zu anderen staatlich finanzierten Maßnahmen wie Kurzarbeit oder dem kürzlich eingeführten Grundeinkommen ganz zu schweigen. „Nun, als der Staat sagte, dass man zu Hause bleiben muss, da wusste ich, dass es für die Leute, die hier leben, sehr schwierig ist, zu Hause zu bleiben. Denn in einer Chabola zu leben bedeutet, in Not zu leben. Du musst die Siedlung verlassen, denn es gibt kein Wasser, kein Strom, kein Bad, nichts. In den Baracken zu bleiben, um sich zu schützen, ist unmöglich.“, kritisiert ein senegalesischer Aktivist der Organisation Asnuci den mangelnden Schutz der Landarbeiter*innen in Zeiten der Pandemie…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=176902
nach oben