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Massenproteste in Serbien nach dem erneuten „Lockdown“: Wer wogegen?

Demonstration und Polizeigewalt in Belgrad am 9.7.2020Bei den neuerlichen Massenprotesten in Serbien sind – so möchte es ausgerechnet der rechte Präsident darstellen – vor allem Nazis, Fremdenhasser und Anhänger der Theorie, dass „die Erde eine Scheibe“ sei, aktiv. Nun sind ohne Zweifel rechtsradikale Kräfte und Gruppen dabei aktiv, aber eben – wieder einmal – längst nicht nur. Seriöse Beobachter der Entwicklung in zahlreichen Städten Serbiens gehen davon aus, dass die spontane Ursache für die massenhafte Beteiligung an den Protesten die Empörung vieler Menschen darüber ist, dass die Regierung faktisch die Bevölkerung für den erneuten „Lockdown“ (den sie zunächst verhängt hatte) verantwortlich gemacht hat – die Menschen hätten sich beim ersten Mal nicht an die Auflagen gehalten. Diese Schuldzuweisung nachdem dieselbe Regierung für ihren Wahlkampf alle Beschränkungen aufgehoben hatte, habe eben Empörung erzeugt – und nun versuchen, wie so oft, verschiedene politische Kräfte, dies für sich auszunutzen. So jedenfalls die Darstellung der Sachlage in dem Beitrag „Protests in Serbia: “People are sick and tired of such injustice”“ am 09. Juli 2020 bei Masina externer Link, worin auch das Wirken der eben verschiedenen politischen Kräfte Serbiens dargestellt wird, sowohl demokratischer, als auch rechtsradikaler Strömungen und Organisationen. Siehe dazu auch zwei weitere aktuelle Beiträge zu den Protesten und einen Hintergrundbeitrag zur Wahl im Juni 2020:

  • „Aufstand gegen die Willkür“ von Roland Zschächner am 09. Juli 2020 bei neues deutschland online externer Link unter anderem zur Geschichte der Regierungs-Provokationen: „… Serbien hatte im März mit einem der restriktivsten Regimes auf die Ausbreitung des Coronavirus reagiert. Bereits damals zeigte sich der undemokratische und autoritäre Charakter der Exekutive. Der Notstand wurde rechtswidrig nicht vom Parlament beschlossen, sondern von Vučić und dessen Premierministerin Ana Brnabić ausgerufen. Vor allem alte Menschen wurden fast vollständig von Straßen und Plätzen verbannt, zudem sorgten tagelange Sperrstunden dafür, dass das öffentliche Leben zum Erliegen kam. Wirtschaftlich bedeuteten die Maßnahmen eine Katastrophe: Zehntausende, vor allem geringfügig Beschäftigte, Freiberufler und Arbeiter im informellen Sektor, verloren ihr Einkommen. Wie willkürlich die Entscheidungen in der Coronakrise waren, zeigte sich am Osterwochenende: Während Armee und Gendarmerie durch die Straßen patrouillierten, um die Ausgangsverbote durchzusetzen, war es den Anhängern der eng mit der regierenden Fortschrittspartei (SNS) von Vučić verbandelten serbisch-orthodoxen Kirche gestattet, ihre oft stundenlangen Gottesdienste zu feiern. (…) Die Forderung der Demonstranten lautet nun: Der staatliche Krisenstab muss entpolitisiert werden. Die Vertrauten von Vučić, die hier – wie überall in öffentlichen Ämtern – platziert sind, sollen ihre Posten räumen. Außerdem wird verlangt, dass die gefangen genommenen Demonstranten freigelassen und die Verantwortlichen für die Polizeigewalt abgesetzt werden. Inzwischen distanzierten sich alle politischen Lager von den Gewaltausbrüchen – und gaben sich gegenseitig die Schuld daran...“
  • „Blutige Krawalle in Serbien: „Belgrad steht in Flammen““ von Thomas Roser am 10. Juli 2020 in der FR online externer Link zu politischen Reaktionen unter anderem: „… „Ausländische Geheimdienste und Kriminelle setzen Belgrad in Flammen!“, titelte nach der zweiten Krawallnacht in Folge das regierungsnahe Boulevardblatt „Alo!“. Vom „Versuch eines Staatsstreichs“ sprach Verteidigungsminister Aleksandar Vulin. Und der nach Paris gereiste Präsident Alexander Vucic versicherte seinen Landsleuten: „Trotz der Attacken krimineller Gewalttäter werden wir den Frieden bewahren. Serbien wird siegen.“ Die Opposition wittert hingegen nicht nur hinter den harten Knüppel- und Tränengaseinsätzen der Polizei, sondern auch hinter den Gewaltexzessen rechtsextremer Hooligans die Geheimdienste. Gezielt seien bei den Protesten „Trupps von Hooligans“ auf Oppositionspolitiker angesetzt worden, sagte SSP-Chef Dragan Djilas. Er sei von mehreren Mitgliedern der rechtsextremen „Leviathan“-Bewegung attackiert worden, berichtete der PSG-Vorsitzende Sergej Trifunovic. Die Regierung habe die Hooligans geschickt, um in den Reihen der Demonstranten für „Chaos und Konflikte“ zu sorgen, sagte der Narodna Stranka-Parteichef und frühere Außenminister Vuk Jeremic: „Sie wollen uns gegeneinander aufhetzen.“ Tatsächlich scheinen die heftigen Proteste in Serbien bislang eher spontan, aber ohne klare Zielrichtung zu sein. Die Demonstranten seien überwiegend „sehr junge Leute, voller Energie und Zorn“, sagte der Sicherheitsexperte und frühere Studentenaktivist Strahinja Brajuskovic im Gespräch mit der FR. „Sie sind wütend auf Vucic, wütend über seine Corona-Propaganda, wütend über die Lügen vom goldenen Zeitalter, wütend auf die Opposition, wütend auf alles.“...“
  • „Ein Ein-Parteien-Staat geführt von einer Ein-Mann-Partei?“ von Ana Veselinović am 07. Juli 2020 bei der Rosa Luxemburg Stiftung externer Link zur Wahl Vucics in Serbien: „… Eine Woche nach den Wahlen bleiben indes viele Fragen weiterhin unbeantwortet. Es ist immer noch nicht klar, ob die Wahlbeteiligung wenigstens bei 50 Prozent lag, und zu den lokalen und regionalen Ergebnissen liegen nur spärliche Informationen vor. Andererseits wurden massive Beschwerden wegen Unregelmäßigkeiten bei der staatlichen Wahlkommission eingereicht. Infolgedessen sollen die Wahlen in 234 Wahllokalen mit mehr als 200.000 Wählerinnen und Wählern wiederholt werden. Diese Neuauszählungen im zweiten Wahlgang könnten die Zusammensetzung der zukünftigen Nationalversammlung verändern, da zwei weitere Rechtsparteien nur knapp den Einzug ins Parlament verpasst hatten – die monarchistische «Bewegung für die Wiederherstellung des Königreichs Serbien» (POKS) und die durch den ehemaligen Wirtschaftsminister (2012-2014) Saša Radulović angeführten «Souveränisten». Obwohl die Wahlbeteiligung von 47,9 Prozent die bisher niedrigste war, scheint selbst diese durch verschiedene Druckmittel der SNS erzwungen worden zu sein. Wie die CRTA, eine unabhängige Beobachtermission, berichtet, war der Wahltag durch zahlreiche Verfahrensverstöße gekennzeichnet. Die Zahl der Wahlunregelmäßigkeiten war im Vergleich zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2016 und 2017 höher, wobei mehr als 5 Prozent aller Wahllokale von Unregelmäßigkeiten berichteten…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=175373
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