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„An euren Händen klebt Blut!“: Studentische Proteste gegen tödliche Korruption weiten sich in Serbien zu Streiks gegen die neoliberale Regierung aus

Dossier

„An euren Händen klebt Blut!“ Aufruf der unabhängigen Lehrergewerkschaft Serbiens zum Generalstreik im Januar 2025In Serbien finden derzeit die größten Straßenproteste seit Jahrzehnten statt. Der Anlass: Anfang November stürzte in der nordserbischen Stadt Novi Sad das Vordach des Bahnhofs ein. Bei dem Unglück kamen 15 Menschen ums Leben. Studierende organisieren seit dem Vorfall Proteste und fordern von der Regierung, Verantwortung zu übernehmen und den Fall aufzuklären. Die Demonstrierenden sehen die tief verwurzelte Korruption im Land als Ursache für den Einsturz. (…) Die Proteste weiteten sich über das ganze Land aus. Den Protesten haben sich Oppositionelle, Schüler und Schülerinnen, Professorinnen, Künstler und Bauern angeschlossen. Im Dezember wurde ein weiterer Skandal öffentlich, der das Vertrauen in die Regierung erschütterte: Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtete, dass die serbische Polizei und Geheimdienste die Handys von Aktivisten und Journalisten mit einer israelischen Spionagesoftware infiziert haben...“ Umfangreicher Beitrag vom 26.12.2024 im Deutschlandfunk externer Link („Jugend vereint sich gegen Korruption“), siehe die weitere Entwicklung:

  • Mit Kundgebungen, Besetzungen und Bockaden brachten StudentInnen Ministerpräsident Vučević zum Rücktritt – erzwingt die wachsende Streikbewegung in Serbien auch Neuwahlen? New
    • Vučić will in zehn Tagen über Neuwahlen in Serbien entscheiden
      Hunderttausende demonstrieren seit Wochen wegen Korruptionsvorwürfen gegen die Regierung. Ministerpräsident Miloš Vučević ist bereits zurückgetreten
      In Serbien könnte es nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Miloš Vučević schon bald zu Neuwahlen kommen. Präsident Aleksandar Vučić sagte in einer Fernsehansprache am Dienstagabend, seine Partei werde sich zehn Tage Zeit nehmen, um zu entscheiden, ob sie eine Mehrheitsregierung bilden oder eine vorgezogene Parlamentswahl abhalten wolle. Neuwahlen könnte es im April geben, sagte Vučić. Eine Übergangsregierung aus Experten, wie sie Teile der Opposition fordern, komme nicht in Frage. Ministerpräsident Vučević hatte zuvor am Dienstag als Reaktion auf anhaltende Proteste gegen die Regierung seinen Rücktritt angekündigt. Er wolle damit Spannungen abbauen, hatte er erklärt
      …“ APA-Meldung vom 29. Jänner 2025 externer Link
    • Proteste in Serbien: Der Premier geht, die Wut bleibt
      Monatelang gingen serbische Studierende gegen den autoritären Präsidenten Vučić auf die Straße. Nun tritt sein Ministerpräsident Vučević zurück.
      Keine drei Monate brauchten serbische Studenten, um Ministerpräsident Miloš Vučević zum Rücktritt zu zwingen. Unermüdlich demonstrierten sie täglich, besetzten ihre Fakultäten, blockierten alle Universitäten. Andere Gruppierungen schlossen sich an: Schüler, Lehrer, Professoren und Ärzte ging auf die Straßen. Theater traten in Generalstreik, Anwälte legten ihre Arbeit für eine Woche nieder. (…)
      Die Forderung der Studenten ist einfach: Sie wollen einen funktionierenden Rechtsstaat, keinen Parteistaat, in dem Vučić und seine Gefolgsmannschaft über Gesetz und Verfassung stehen. Sie verlangen unter anderem, dass Verantwortliche für die Tragödie in Novi Sad und Angreifer auf Studenten bestraft werden.
      Protestierende blockieren Autobahnknoten
      Der Höhepunkt der Proteste war eine 24-stündige Blockade am Montagmorgen. Die Protestierenden blockierten die Autokomanda, einer der verkehrsreichsten Kreuzungen in Belgrad. Zehntausende Bürger schlossen sich an, um die Studenten zu unterstützen – Lehrer, Ärzte, Beamte, Veteranen der 63. Fallschirmjägerbrigade, Motorradfahrer. Die Biker waren da, um die Studenten vor Überfällen zu schützen. Denn sie wurden überfahren, geschlagen, beschimpft, einige von ihnen landeten mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Die Angreifer waren entweder aus den Reihen der SNS, oder ihre überhitzen Anhänger. (…)
      In der Nacht auf Dienstag, als Studenten in Belgrad eine Art Aufstandsparty feierten, passierte es wieder in Novi Sad: Mit Baseballschlägern ausgerüstete Männer verprügelten Studenten, die Zettel mit dem Aufruf auf Proteste verteilten, eine Medizinstudentin kam mit gebrochenem Kiefer ins Krankenhaus. Die Angreifer sollen, laut Zeugenberichten, aus Büroräumen der SNS gekommen sein. (…)
      Er versuchte es mit Drohungen, mit Bestechung, mit „ausgestreckter Hand“ und bekam immer die gleiche Antwort: Der Staatspräsident hat laut serbischer Verfassung fast nur zeremonielle Befugnisse, also kann den Studenten gestohlen bleiben, was er sagt. Serbische Oppositionsparteien sind dabei völlig marginalisiert, sie haben nichts zum Rücktritt des Regierungschefs beigetragen. Sowohl aus Washington als auch Moskau gab es Kritik an den Protesten
      …“ Artikel von Andrej Ivanji vom 28.1.2025 in der taz online externer Link
    • Zurückgetretener Premier in Serbien: Wo ist die Alternative?
      Machthaber Aleksandar Vučić lässt seinen Premier fallen, um von sich selbst abzulenken. Das Problem im Land ist die zersplitterte Opposition. (…) Die seit Jahren andauernden Proteste von Progressiven konnte Vučić aussitzen, weil sie in der Minderheit sind. Wenn die Kritik aber von links und rechts – von Đoković und den Bauern – kommt, dann wird es eng. Nun hat er seinen Ministerpräsidenten geopfert und einen Regierungsumbau angekündigt, um dem Protest den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Studierenden machen sich derweil mit keiner der zahlreichen kleinen Oppositionsparteien gemein – aktuell ist das eine Stärke. Es ist aber auch eine Schwäche, weil keine Alternative zum System Vučić erkennbar ist…“ Kommentar von Krsto Lazarević vom 28.1.2025 in der taz online externer Link
    • Serbien: Die Macht liegt auf der Strasse
      Der serbische Ministerpräsident Miloš Vučević von der regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS) ist heute Morgen nach neunzig Tagen andauernden Student:innenprotesten zurückgetreten. Vučevićs Rücktritt ist der jüngste Beweis dafür, welche Kraft die Proteste in Serbien inzwischen entwickelt haben. (…) Der Staat wurde in den vergangenen zwölf Jahren von der SNS gekapert, die Opposition unterdrückt und marginalisiert. Es gibt viele Oppositionelle, aber nicht die eine Partei, das Bündnis, die Personen, die eine realistische Alternative mit Machtanspruch darstellen. Das System ist entlarvt, die Macht liegt auf der Strasse. Doch wird sich jemand finden, der sie aufhebt? Falls nicht, droht ein Szenario, in dem der Autokrat Aleksandar Vučić lediglich einen neuen Befehlsempfänger an die Spitze der Regierung setzt und alles unverändert weiterläuft.“ Artikel von Krsto Lazarević vom 28. Januar 2025 in der WoZ online externer Link
  • Der Druck auf die serbische Regierung durch den Generalstreik am Freitag, 24. Januar erhöht: Jurist:innen streiken drei Tage länger, Lehrkräfte bis zur Entlassung der Bildungsministerin
    • Heute haben übrigens seit 10:00 Uhr die Student*innen mit einer 24-stündigen Blockade des Verkehrsknotens Autokomanda in Belgrad begonnen. Weil in der Tagesschau die landesweiten Proteste (die von der breiten Bevölkerung unterstützt werden) nicht vorkommen, hatte Krsto diese Arbeit hier geleistet:“ Post von Dejan Mihajlović vom 27.1.25 auf bsky externer Link samt Foto zu:
      Wollt ihr zur Abwechslung mal Neuigkeiten aus einem Land, in dem etwas in die richtige Richtung geht? Dann habe ich ein Update von den landesweiten Protesten in Serbien im Angebot. Für vergangenen Freitag riefen Studierende zum Generalstreik auf.
      Die Mehrheit der serbischen Bevölkerung steht hinter den Protesten. Am Freitag wurde die Straße zwischen den beiden größten serbischen Städten Novi Sad und Belgrad besetzt.  Wir haben es mit der größten Protestbewegung seit dem Sturz des Milošević-Regimes zu tun.
      Der serbische Präsident Vučić zog es vor den Freitag nicht in Belgrad oder Novi Sad zu verbringen, sondern ließ im zentralserbischen Jagodina rund Zehntausend „Anhänger“ aus dem ganzen Land ankarren. Mit Bussen, die aus Steuermitteln finanziert wurden.
      Die regierungsnahen Medien machten daraus bis zu 100.000 Teilnehmer, was so absurd übertrieben ist, dass es in der öffentlichen Debatte vor allem zur Belustigung dient. Kaum jemand geht aus Überzeugung für Vučić auf die Straße.
      Laut unabhängigen serbischen Medien dürften einige „Vučić-Fans“ dadurch motiviert gewesen sein, dass die regierende Serbische Fortschrittspartei (SNS) Staatsbediensteten mit Kündigung drohte, wenn sie nicht hingehen. Es gibt viele Parteien, aber de facto herrscht eine und die hat immer Recht.
      Wer sich weigert die SNS zu unterstützen kann in vielen Berufsfeldern Probleme bekommen, denn Jobs werden nach Parteibuch und Kontakten vergeben, nicht nach Qualifikation. Die SNS heute hat deutlich mehr Mitglieder in Serbien als die Kommunisten zu Zeiten Jugoslawiens. (…)
      Die Universitäten im Land sind fast alle besetzt. Auslöser ist der Einsturz des Bahnhofsvordachs in Novi Sad am 1.11. Da der Einsturz um 11.52 Uhr geschah, werden seither regelmäßig Straßen, um diese Zeit für 15 Minuten besetzt – für jede Tote und jeden Toten eine Schweigeminute. Es kam dabei inzwischen zu mehreren Fällen, bei denen Autofahrer einfach in die Demonstrierenden reingefahren sind. Große Aufmerksamkeit erregte der Fall der Fall der 20-jährigen Jurastudentin Sonja Ponjavić, die am 16.Januar mitten in Belgrad angefahren und mehrere Meter mitgeschleift wurde. Ihr geht es wieder gut. Der Täter könnte sich dadurch ermutigt gefühlt haben, dass der serbische Präsident nach einem ähnlichen Vorfall am 1.12 in Požarevac erklärte, der Fahrer solle nicht festgenommen werden, weil die Demonstranten im Weg rumstanden und er doch nur durchfahren wollte. Das sorgte für große Empörung und selbst Novak Đoković solidarisierte sich aus Australien mit den Studierenden – und Đoković ist der Nationalheld. Die Proteste der letzten Jahre konnte Vučić aussitzen, weil er viel Rückhalt in der Bevölkerung hatte und „das Andere Serbien“ nie in der Mehrheit war. Das ist jetzt anders. Laut Crta unterstützen 61 Prozent der Serbinnen und Serben die Proteste, nur 35 Prozent sind dagegen. Und es ist nicht die erste Protestbewegung, in der die Regierung die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat. Schon bei den Protesten gegen den Lithiumabbau im Jadartal war eine klare Mehrheit gegen den Abbau. Und diesmal nicht nur die Linksliberalen. Auch von rechts kam Druck. So sind sich inzwischen fast alle einig, dass in Serbien kein Lithium abgebaut werden soll. (…)
      ‪Auch die Rechten sind gegen den Lithiumabbau und argumentieren mit Blut und Boden Ideologie. Sie wollen den serbischen Boden serbischer Bauern nicht für die deutsche Autoindustrie an Rio Tinto verhökern. (…) Es passiert auch immer wieder, dass Studierende von Unbekannten in Vans verschleppt und mehrere Stunden befragt werden. Wenn sie dann zur Polizei gehen, kriegen sie nur die Information, dass die von nichts wisse…“ Thread von Krsto Lazarević am 27.1.25 auf Bluesky externer Link

    • Serbien: Protestbewegung gegen Korruption, Neoliberalismus und Autoritarismus
      Die serbische Zivilbevölkerung hat am Freitag, 24. Januar 2025 zum Generalstreik aufgerufen. Mehrere zehntausend Menschen legten ihr Studium oder ihre Arbeit nieder. Die Demokratieproteste stellen sich mutig und solidarisch der zunehmenden Autoritarisierung der serbischen Regierung von Aleksander Vučić und der korrupten neoliberalen Wirtschaftselite entgegen.
      Dem Generalstreik, der von Studierenden am 24. Januar 2025 ausgerufen wurde, schloss sich auch eine Vielzahl von kleinen Unternehmen und Geschäften wie Bäckereien an. Selbst einige der Restaurants, die gegen den Streik waren, sollen gratis Kaffee und Tee offeriert haben. Lehrpersonen nahmen im grossen Stil teil und der Unterricht in vielen Volkschulen und Gymnasien wurde ausgesetzt. Das Historisches Archiv von Belgrad stellte die Arbeit ein, die Gewerkschaft für Kultur liess die kulturellen Institutionen geschlossen, Büchergeschäfte taten es ihnen gleich. Eine Gruppe von Informationstechnolog:innen blockierte die Kreuzung in Neubelgrad und schloss sich danach den Studierenden an. Die Media Freedom Coalition, einer NGO mit 51-Mitgliedorganisationen auf sechs Kontinenten, rief serbische Medienschaffende dazu auf, am Freitag nur noch vom Streik zu berichten. Einige wenige kleine Medienorganisationen folgten dem Aufruf. Serbische Jurist:innen haben ihren Streik um drei weitere Tage ausgedehnt und erstmalig haben sogar einige Richter:innen des Obersten Gerichtshofs die Proteste öffentlich unterstützt, indem sie ihre Solidarität an die Streikenden richteten. (…)
      Die anfänglichen Mahnwachen aus Studierenden und Gmynasiast:innen sammelten sich unter der Losung:«An euren Händen klebt Blut!», zu einer ausgewachsenen Bewegung, die mittlerweile Lehrkräfte, Studierende, Arbeiter:innen, Beamt:innen, illustre Persönlichkeiten und auch Landwirt:innen mobilisiert. Viele Gewerkschaften verhalten sich leider sehr ambivalent und wollen mit den kontroversen Entwicklungen nicht assoziiert werden. Aber einige kleine Gewerkschaften wie diejenige der Lastwagenfahrer:innen oder die Gewerkschaft für Kultur unterstützen den Generalstreik aktiv
      …“ Bericht von João Woyzeck (BFS Zürich) vom 27. Januar 2025 in sozialismus.ch externer Link mit umfangreichen Hintergründen
    • [Unabhängige Lehrergewerkschaft Serbiens (NSPRS)] Fortsetzung des Generalstreiks, Register der Direktoren, die Druck ausüben
      Der Vorstand der Unabhängigen Lehrergewerkschaft Serbiens (NSPRS) hat heute beschlossen, dass die vollständige Arbeitsniederlegung – ein Generalstreik an den Schulen – so lange fortgesetzt wird, bis die Forderungen erfüllt sind. Wir erinnern daran, dass neben der Unterstützung der Forderungen der Studierenden auch die Entlassung von Slavica Đukić Dejanović aus dem Amt der Bildungsministerin gefordert wird.
      Das Bildungsministerium hat kein Recht, Gehaltskürzungen für Schulbedienstete anzuordnen. Über eine Gehaltskürzung kann ausschließlich die Schulleitung mit einem begründeten Beschluss entscheiden. NSPRS fordert Schulangestellte auf, sich ohne die Unterstützung der Rechtsabteilung der Gewerkschaft oder ihres Anwalts nicht auf Disziplinarverfahren aufgrund von Arbeitsunterbrechungen einzulassen.
      Die Gewerkschaft wird ein Register der Schuldirektoren erstellen, die Druck auf ihre Angestellten ausüben, damit diese sich an der Arbeitsniederlegung nicht beteiligen. Das Register wird eine wichtige Datenquelle für die unvermeidliche Lustration innerhalb des serbischen Bildungssystems sein. Mitglieder der NSPRS werden dem Aufruf der Studierenden folgen und am 27. Januar 2025 an der Blockade der Autokomanda in Belgrad teilnehmen
      .“ serb. Pressemitteilung vom 26.1.25 bei der NSPRS externer Link (maschinenübersetzt)
    • Serbiens Präsident steckt in der Sackgasse: Generalstreik gegen die Regierung erhöht den Druck
      „»Nehmen wir unsere Freiheit selbst in die Hand!« So hieß es in einem Aufruf von Serbiens Studierenden für den Generalstreik am vergangenen Freitag. Es war ein deutliches Zeichen des zivilen Ungehorsams. Nicht nur Universitäten und Schulen blieben geschlossen, auch Anwälte, Künstler und Journalisten beteiligten sich an dem Ausstand, Geschäfte, Kinos und Bars blieben geschlossen. Landesweit fanden Proteste statt, zudem wurden Straßen blockiert; in der Hauptstadt Belgrad zogen die jungen Menschen vor den Sitz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks RTS. (…) Seit mehr als zwei Monaten protestieren die Studierenden, nachdem in der nordserbischen Stadt Novi Sad das Vordach des Hauptbahnhofs eingestürzt war. 15 Menschen verloren dabei ihr Leben. Für 15 Minuten blockierten anschließend landesweit Studierende immer wieder die Straßen und Plätze, um Aufklärung darüber zu fordern, wie es zu dem Unglück kommen konnte. In Belgrad wurde eine solche Kundgebung angegriffen – von Anhängern der regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS) des Präsidenten Aleksandar Vučić, wie sich später herausstellte. Es war der buchstäbliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Seitdem wurde Fakultät um Fakultät besetzt. Die Studierenden fordern nun nicht nur, dass die Dokumente der Bauarbeiten am Novi Sader Bahnhof offengelegt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, sowie die Repression gegen ihre Kommilitonen ein Ende hat. Es geht um mehr: die Korruption im Land, die Übernahme des Staats durch die SNS, die fehlende Zukunft und den Wunsch nach einem »normalen Leben«. Die Studierenden haben dabei die Unterstützung der Bevölkerung. 61 Prozent der Befragten sagten gegenüber dem Meinungsforschungsinstitut CRTA, dass sie die jungen Menschen unterstützen. 57 Prozent denken, dass Serbien sich in die falsche Richtung entwickelt. So ist es nicht verwunderlich, dass sich weitere Teile der Bevölkerung den Protesten angeschlossen haben. Das zeigte sich etwa am 22. Dezember. Bei einer Demonstration in Belgrad kamen mehr als 100 000 Menschen zusammen; es war die größte Kundgebung in der jüngeren Geschichte Serbiens. Auch andere Berufsgruppen haben ihre Arbeit niedergelegt – als Zeichen der Solidarität. Darunter sind Anwälte, aber auch Lehrer. So konnte das neue Schulhalbjahr nicht wie geplant in der vergangenen Woche beginnen. Auch Bauern, die von der Regierung im Stich gelassen werden, stellten sich auf die Seite der jungen Akademiker. Sie kommen mit ihren Traktoren zu den Kundgebungen, wie am vergangenen Samstag in Novi Sad, wo sie eine Blockade unterstützten. Auch bei den Gewerkschaften bewegt sich etwas. Eine rief ihre Mitglieder beim Energieversorger EPS am Donnerstag zu einer Kundgebung auf, um die Studierenden und ihre Forderungen zu unterstützen. (…) Die Machtbasis der Fortschrittspartei bröckelt. Diese reagiert darauf mit Repression und Einschüchterung. SNS-Politiker drohen, dass Studenten ihre Stipendien verlieren und das Studienjahr ein verlorenes ist. Auch tauchen immer wieder Provokateure auf, die Studierende angreifen – etwa indem sie mit Autos in die Kundgebungen fahren. Das passierte auch wieder am Freitag. Bereits am 16. Januar wurde die Jurastudentin Sonja von einem Auto erfasst. Sie musste im Krankenhaus behandelt werde. Mit ihr solidarisierten sich zwei Schwergewichte der serbischen Gesellschaft: der Tennisstar Novak Djoković und Patriarch Porfirije, Oberhaupt der Serbisch-Orthodoxen Kirche…“ Artikel von Roland Zschächner vom 26. Januar 2025 in Neues Deutschland online externer Link
    • „Tag des zivilen Ungehorsams“: Mit Trillerpfeifen durch Serbiens Städte
      „Bereits am Vormittag wurde die Autobahn zwischen Belgrad und Novi Sad von Demonstranten blockiert. Nur ein Krankenwagen durfte passieren. Ansonsten galt den ganzen Freitag über in Serbien: keine Arbeit, kein Unterricht, keine Pflichten. Dafür wurde es richtig laut. Zehntausende marschierten zu Mittag mit Trillerpfeifen durch die großen Städte. Der Generalstreik war von den Studierenden organisiert worden, die seit zwei Monaten ihre Fakultäten besetzen. Viele Bürgerinnen und Bürger solidarisieren sich mit den Anliegen der jungen Leute. Seit am 1. November vergangenen Jahres das Dach des Bahnhofs in Novi Sad einstürzte und 15 Menschen dabei getötet wurden, regt sich in dem südosteuropäischen Staat massiver Widerstand gegen die autoritär agierende Regierung. (…) Sogar Medien wie die Agentur Beta solidarisierten sich, auch das staatliche Fernsehen RTS. Journalistenvertreter von RTS forderten, sachlich über die Demonstrationen berichten zu können – was sie offenbar jetzt nicht dürfen, weil sie unter der Kontrolle der Regierungspartei SNS stehen. Diese hat indes große Mühe, ihr Narrativ durchzuhalten. Denn der Protest hat längst alle Alters- und Berufsgrenzen überschritten. Am Freitag organisierte die SNS eine Gegenveranstaltung zum Generalstreik in der Stadt Jagodina und ließ dort Tausende hinkarren. In sozialen Medien war zu lesen, dass Leute, die zu der Parteiveranstaltung kamen, bis zu 15.000 Dinar (etwa 130 Euro) dafür erhalten. (…)
      Andere Medien berichteten, Mitarbeiter von städtischen Versorgungsbetrieben im Land seien in Busse gesetzt worden, um nach Jagodina zu fahren, wo am Freitag um 17 Uhr auch Präsident Vučić sprechen sollte. Diesen Mitarbeitern sei mit der Entlassung gedroht worden, falls sie nicht mitkommen sollten. Die öffentlichen Institutionen werden in Serbien seit Jahren von SNS-Leuten kontrolliert. Es handelt sich um eine Form von „state capture“. Die Gewaltenteilung wurde unterlaufen, weil Institutionen wie die Justiz, das Parlament oder Medien durch die Fortschrittspartei in ihrer Freiheit und Kontrollfunktion massiv eingeschränkt wurden. Eine tragende Rolle spielt der Geheimdienst, die BIA. Kritiker und Kritikerinnen der Regierung, aber auch deren Familienmitglieder werden immer wieder von Geheimdienstlern „befragt“, bloß weil sie ihrem Demonstrationsrecht nachkommen. In der Nacht vom 22. auf den 23. Jänner wurden sogar 13 Aktivisten und Aktivistinnen aus Kroatien, Albanien, Österreich, Slowenien, Tschechien, Rumänien, der Republik Moldau und Nordmazedonien, die bei einer Veranstaltung in Belgrad waren, von der Polizei einvernommen. (…) Danach wurden sie als „Sicherheitsrisiko“ eingestuft und aufgefordert, Serbien innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Sie dürfen für ein Jahr nicht mehr nach Serbien einreisen. Sie waren Teil einer Konferenz, die von der österreichischen Erste Stiftung und der Wirtschaftsuniversität Wien unterstützt wurde. Die serbische Polizei kam – wie so oft – in Zivilkleidung und holte sie im Hotel ab. Die Aktivistinnen und Aktivisten wussten nicht, weshalb sie stundenlang befragt wurden.
      In den vergangenen Wochen verbreitete das Regime Verschwörungserzählungen, wonach der Staat Kroatien hinter den Protesten in Serbien stecke. Protestteilnehmer aus Kroatien wurden in Regimemedien namentlich genannt und als „Spione“ bezeichnet. Ein Regierungswechsel ist in Serbien nicht in Sicht, weil die Opposition zurzeit zu schwach und zu zersplittert ist, um bei Wahlen gewinnen zu können.“ Bericht von Adelheid Wölfl aus Sarajevo vom 25. Januar 2025 in derstandard.de externer Link
    • Protestkundgebungen in ganz Serbien
      Bildungsmitarbeiter, die vollständig von ihrer Arbeit suspendiert wurden, versammelten sich heute auf den Plätzen der Stadt, um der Opfer des Einsturzes des Bahnhofsdachs von Novi Sad zu gedenken. Pädagogen schlossen sich den versammelten Studenten, Schülern und Bürgern an, indem sie an deren Protesten teilnahmen oder eigenständig eine „Lektion zur Bürgerwürde“ hielten, indem sie ihre eigene Proklamation vorlasen.
      Proklamation der serbischen Pädagogen am 24. Januar 2025:
      1) Die serbischen Lehrkräfte unterstützen die Studierenden, denen der Besuch ihrer Fakultäten untersagt ist, voll und ganz und vorbehaltlos und unterstützen alle ihre Forderungen!
      2) Serbische Pädagogen fordern, dass alle verbalen und physischen Angriffe auf Bürger, die ihr verfassungsmäßiges und gesetzliches Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit ausüben, streng geahndet werden!
      3) Serbische Pädagogen sind der Ansicht, dass es für alle Bürger äußerst wichtig ist, dass der Rechtsstaat funktioniert und die Institutionen im Einklang mit dem Gesetz und nicht nach dem Willen der Behörden agieren.
      5) Serbische Pädagogen weisen den Versuch der Regierung, sie durch materielle Vorteile von der Front des Kampfes für eine geordnete Gesellschaft fernzuhalten, als beleidigend zurück.
      6) Serbische Pädagogen fordern die Entlassung von Bildungsministerin Slavica Đukić Dejanović.
      7) Serbische Pädagogen appellieren an die Medien und insbesondere an die öffentlich-rechtlichen Mediendienste, unverzüglich mit einer objektiven, zeitnahen und vollständigen Berichterstattung über gesellschaftliche Ereignisse zu beginnen.
      9) Serbische Pädagogen rufen alle Bürger Serbiens dazu auf, sich geschlossen den Forderungen der Schüler anzuschließen. Ihre Erfüllung wäre der wahre Beginn des Kampfes gegen die systemische Korruption, die mittlerweile so weit fortgeschritten ist, dass sie Menschenleben kostet.
      8) Serbische Pädagogen werden den Kampf für Freiheit und Würde in Solidarität und Seite an Seite mit ihren gegenwärtigen und ehemaligen Schülern und deren Eltern fortsetzen, bis ihre Forderungen erfüllt sind.
      10) Mit der heutigen Aussetzung des Unterrichts, den Protestkundgebungen und der Verlesung dieser Proklamation auf Dutzenden von Stadtplätzen erteilen serbische Pädagogen eine ihrer wichtigsten Lektionen – eine Lektion in bürgerlicher Würde
      .“ serb. Pressemitteilung vom 24.1.25 bei der NSPRS externer Link (maschinenübersetzt, die Nummierierung im Original)
  • Proteste der Studierenden in Serbien werden zur Gefahr für Vučićs Regime
    Der Einsturz eines Bahnhofsvordachs in Novi Sad sorgt seit Wochen für Massenproteste – eine Situation, die die Regierung nicht mehr ignorieren kann…“ Artikel von Adelheid Wölfl aus Novi Sad am 20. Jänner 2025 in derstandard.at externer Link
  • „In #Serbien ist gerade ein Aufstand junger Menschen – vor allem Studierender und Schüler*innen – gegen das autoritäre Regime von Aleksandar #Vučić uns seiner Partei SNS im Gange. Am 01 November stürzte das Vordach am Bahnhof in der Stadt Novi Sad ein. 15 Menschen starben, zwei wurden schwer verletzt. Der Bahnhof wurde zuvor renoviert und mehrmals von der Staatsspitze eröffnet. Vieles deutet darauf hin, dass es sich um eines der vielen Korruptionsprojekte der Regierung handelt und dass Sicherheitswarnungen in den Wind geschlagen wurden. Als Reaktion darauf versammelten sich Bürger*innen um 11.52 (Zeitpunkt des Einsturzes) und 15 Minuten den 15 Opfern zu gedenken.
    Diese Kundgebungen wurden immer wieder von Anhängern der regierenden SNS attackiert. Auch Studierende der Akademie der darstellenden Künste wurden Ende November bei ihrer Kundgebung attackiert. Als Reaktion darauf besetzten sie ihre Fakultät. In den darauffolgenden Tagen wurden dann eine Fakultät nach der anderen von Studierenden besetzt. Sie fordern die Öffnung aller Dokumente zum Bahnhofsumbau und Konsequenzen für die Angriffe  auf Studierende. Auch viele höhere Schulen schlossen sich dem Protest an.
    In Belgrad, Novi Sad und anderen größeren Städten kam es zu Massendemonstrationen gegen die Regierung Vučić. (…) Die Studierenden rufen mittlerweile zu einem Generalstreik in Serbien auf. Dieser Aufforderung schloss sich die serbische Anwaltskammer an, ab Morgen werden Anwält*innen ihre Arbeit für eine Woche niederlegen
    …“ 12teiliger Thread von Senad Lačević vom 19. Jan. 2025 auf exTwitter externer Link mit Fotos
  • Eure Korruption tötet: Studentische Proteste in Serbien
    Nachdem am ersten November bei einem Einsturz eines Bahnhofsvordaches in Novi Sad 15 Menschen starben, befindet sich Serbien im Ausnahmezustand. Hunderttausende Menschen gehen für eine vollständige Aufklärung des Falls auf die Straßen, Studierende blockieren die Universitäten. (…) Die Kundgebungen und Proteste, welche nun bereits seit Mitte November anhalten, sind hauptsächlich von Studierenden organisiert. Die derzeitigen Proteste stellen die größten Studierendenproteste des Landes seit 1968 dar. Über 60 Fakultäten wurden bereits besetzt und blockiert – der Lehrbetrieb ist weitgehend eingestellt. Viele Rektorate und Professor:innen unterstützen die studentischen Proteste, welche die Institutionen zu einer Aufklärung des Falls von Novi Sad auffordern. Auch Schüler:innen und Gewerkschaften des Bildungswesens haben sich mittlerweile mit eigenen Maßnahmen angeschlossen und Solidarität mit den protestierenden Studierenden verkündet…“ Beitrag von Jule Nitsche am 26.12.2024 bei Klasse gegen Klasse externer Link

Grundinfos:

Siehe auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=225799
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