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Gewaltmonopol in Gefahr? Die Schweiz ersetzt Polizisten durch Securitys
„Verträge mit diversen Sicherheitsfirmen zeigen: Eskaliert die Situation, treffen im Justizvollzug auch Privatpersonen heikle Entscheidungen (…) Dass es solche Auslagerungen zunehmend und in immer stärkerem Ausmass gibt, erklärt Tiefenthal mit fehlenden Ressourcen der Polizeikorps. Das zeige sich nur schon daran, dass es in der Schweiz mittlerweile mehr private Sicherheitsleute als Polizisten gibt. (…) Mittlerweile fungieren die Securitys längst nicht mehr nur auf der Strasse als verlängerter Arm der Polizei, sondern auch im Justizvollzug der Kantone. Diese haben in den vergangenen Monaten mehrere Grossaufträge vergeben, bei denen sich die Frage stellt, ob das Gewaltmonopol des Staates gewahrt bleibt.(…) Bei Patienten in Spitälern, die polizeilich überwacht werden müssen, setzt Zürich ebenfalls auf private Sicherheitsdienste…“ Aus dem Artikel von Thomas Schlittler vom 22. Januar 2023 beim Blick.ch – siehe mehr daraus und einen weiteren über die Firma Securitas:
- Im Artikel von Thomas Schlittler vom 22. Januar 2023 beim Blick.ch heißt es zudem: „… Ob Arlesheim im Baselbiet, Brugg im Aargau, Landquart im Bündnerland, Oetwil am Zürichsee oder Thun, das Tor zum Berner Oberland – überall wurden in den letzten Jahren Polizeiaufgaben an Securitys ausgelagert. Johanna Bundi Ryser, Präsidentin des Verbands Schweizerischer Polizei-Beamter, sieht das mit Sorge: «Es ist nicht die Aufgabe von Privatfirmen, auf öffentlichem Grund Pflichten der Polizei zu übernehmen.» Das Gewaltmonopol sei Sache des Staates und müsse es bleiben – zumal es auch von polizeilichen Sicherheitsassistenten ausgeübt werden könne. Welche Aufgaben private Sicherheitsleute übernehmen, variiert von Ort zu Ort. Neben Patrouillengängen werden sie auch bei Littering oder Hundemarkenverstössen eingesetzt oder nehmen Personalien auf. In einigen Gemeinden können Verzeigungen oder Bussen auf Grundlage ihrer Rapporte ausgesprochen werden. Häufig werden Securitys auch in der Nacht losgeschickt, etwa bei Anrufen wegen Lärmbelästigung.Eine Gefährdung des Gewaltmonopols sehen die verantwortlichen Gemeinden und Kantone dennoch nicht. Gebetsmühlenhaft betonen sie, die Befugnisse der Privaten seien klar definiert und stark eingeschränkt. Jürg Marcel Tiefenthal (50), Jurist und Kenner des schweizerischen Polizeirechts, sieht das anders. In einer Abhandlung über die «Herausforderungen des schweizerischen Föderalismus» kommt er zum Schluss, kantonale Lösungen zum Einsatz privater Sicherheitskräfte hätten sich als «wirkungsschwache Regulierungsversuche» entpuppt, die in der Praxis einfach zu unterlaufen seien. (…) Die Zürcher Nationalrätin Priska Seiler Graf (54, SP) versuchte vor einigen Jahren, schweizweit einheitliche Regeln für solche Eingriffe zu schaffen. Ihre Motion scheiterte jedoch 2019 im Ständerat. Seiler Graf hält das Anliegen aber nach wie vor für berechtigt. «Ich überlege mir ernsthaft, nochmals einen Vorstoss zu diesem Thema zu machen.» Auch Polizeirechtsexperte Tiefenthal hält einheitliche Regeln für dringend notwendig. Er kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass sich der Wildwuchs bei der Auslagerung staatlicher Aufgaben nur durch eine nationale Gesetzgebung bändigen lasse.“
- 16’000 Mitarbeitende, aber kein Gesicht: Securitas – ein diskreter Familienkonzern
„Die Sicherheitsgruppe aus Bern hat seit der Jahrtausendwende ein unglaubliches Wachstum hingelegt. Die Verantwortlichen, die den Konzern steuern, sind jedoch kaum bekannt. Den farbigen Engel, der in der Zürcher Bahnhofshalle über die Reisenden wacht, kennt jedes Kind. Was kaum jemand weiss: Die 1997 enthüllte Skulptur von Niki de Saint Phalle ist ein Geschenk der Securitas an die SBB. Es war eines der wenigen Male, dass sich das Sicherheitsunternehmen freiwillig exponierte. Zwar sind Securitas-Mitarbeitende in der Schweiz so präsent, dass ihr Name teilweise als Synonym für alle privaten Sicherheitskräfte verwendet wird. Die Vertreter der Familie Spreng aber, der die Unternehmensgruppe mit 16 000 Mitarbeitenden gehört, bleiben bewusst unter dem Radar. «Diese Haltung liegt in der Tradition und auch im Unternehmenszweck der Securitas AG begründet», sagt Kommunikationsleiter Urs Stadler. Zurückhaltung nach aussen und Vertrauen seien für die Kunden wichtige Werte. Dass keine Nachrichten für eine private Sicherheitsfirma gute Nachrichten sind, dürfte der Schweizerischen Bewachungsgesellschaft Securitas nach ihrer Gründung 1907 in Bern bald klar geworden sein. Laut der Jubiläumsschrift von 2007 spürte sie von Beginn an Widerstand – unter anderem wurde befürchtet, sie mische sich in Polizeiaufgaben ein. Nicht zuletzt dank einem Grossauftrag der SBB zur Bewachung von Bahnhöfen etablierte sich Securitas aber bald als Bestandteil des Sicherheitsdispositivs in der Schweiz. Der Engel in Zürich ist der Dank für diese Starthilfe. (…) In den vergangenen 20 Jahren schossen viele neue Sicherheitsfirmen aus dem Boden. Eine ETH-Studie kam 2015 zum Schluss, es gebe in der Schweiz mittlerweile mehr private Sicherheitskräfte als Polizisten. Der Trend dürfte sich seither verstärkt haben. Ende 2022 zählte der Wirtschaftsinformationsdienst Dun & Bradstreet hierzulande 1040 private Wach- und Sicherheitsdienste. Securitas ist noch immer der grösste. 2021 erzielte die Gruppe, die mittlerweile 26 Unternehmen umfasst und auch im Bereich von Alarm- und Sicherheitssystemen tätig ist, einen Umsatz von 1,4 Milliarden Franken. 2000 waren es noch 600 Millionen Franken. Zu diesem Wachstum beigetragen haben auch Aufträge der öffentlichen Hand und staatsnaher Betriebe. Bei der Securitas AG machen sie rund ein Fünftel des Umsatzes aus, wie das Unternehmen mitteilt. (…) Die «Bilanz» schätzt das Vermögen der Gründerfamilie Spreng auf 300 bis 350 Millionen Franken. Sicherheit lohnt sich.“ Artikel von Thomas Schlittler vom 23. Januar 2023 beim Blick.ch
Siehe zum Thema auch:
- Sicherheitsdienste bei der Unia
- Siehe zur gleichen Entwicklung in Deutschland v.a. das Dossier: Nicht nur in Bad Salzuflen: Sicherheitsdienst unterstützt die Stadt (bei Corona-Kontrollen)
- Aber auch: Private Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum von Luxemburg: „Eine absehbare Eskalation“