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Genf: In einer der reichsten Städte der Welt stehen Tausende um Essen an. In Zürich auch.

1 Million arme Menschen in der reichen Schweiz - Kapitalismus 2016„… So passiert am Samstag in Genf. 2500 Bedürftige – die meisten davon Sans-Papiers und Migranten – strömten zur Nahrungsmittel-Abgabe in der Eishalle Vernets – mehr als doppelt so viele wie in der Woche zuvor. «Wir sind uns solche Bilder aus Kriegsgebieten gewohnt. Aber ich hätte nie gedacht, so etwas eines Tages in Genf zu erleben», sagt eine Mitarbeiterin von «Ärzte ohne Grenzen» zum Westschweizer Fernsehen RTS. Die Coronakrise trifft Sans-Papiers ins Mark: Von einem Tag auf den anderen haben tausende sowieso schlecht bezahlte Arbeitende ihre Jobs als Küchenhilfe oder Hausangestellte verloren. Sie haben meist keine Ersparnisse. Und fallen als Illegale nun durch sämtliche sozialen Netze. Auch in der Deutschschweiz. Beim Limmatplatz in Zürich stehen Bedürftige jeden Mittwoch hunderte Meter an, um eine Tasche mit Grundnahrungsmitteln zu erhalten. «Wir verteilen momentan 2000 Essens-Rationen pro Woche. Aber wir benötigen dringend mehr Geld und Nahrungsmittel-Spenden», sagt Amine Diare von der Autonomen Schule zu watson. Er hat die Aktion auf die Beine gestellt und inzwischen nach Aarau, Bern und Freiburg ausgeweitet. Die Glückskette unterstützt das Projekt mit 25’000 Franken. (…) Schätzungen zufolge leben alleine in der Stadt Zürich über 10’000 Papierlose. Viele arbeiten als Putzhilfe oder in der Kinderbetreuung. Oder eben in der Gastronomie. «Es ist völlig unklar, ob sie nach Ende des Lockdowns ihre Jobs wieder erhalten. Das ist ein weiteres Problem», so Schwager. Die Heilsarmee verteilt in Zürich an zwei Standorten günstiges Essen an Bedürftige. An der Ankerstrasse kamen noch im März 50 Leute über den Mittag, jetzt sind es gegen 200…“ aus dem Bericht „Stundenlang anstehen für Gratis-Essen: «Nie gedacht, so etwas in der Schweiz zu erleben»“ von Adrian Müller am 05. Mai 2020 bei Watson.ch externer Link über Genfer und Züricher Menschenschlangen. Siehe dazu auch einen Beitrag über selbstorganisierte Hilfe:

  • „«Kein Problem, ich bin da!»“ von Benjamin von Wyl am 07. Mai 2020 in der WoZ externer Link zur Organisierung von Solidarität: „… Jeweils an einem Nachmittag pro Woche können nun Sans-Papiers, Obdachlose und alle, die bedürftig sind, in der Autonomen Schule Essen abholen. Die meisten Care-Pakete aber verteilen Diare Conde und seine mittlerweile über hundert HelferInnen an abgewiesene Asylsuchende in den Notunterkünften im Aargau, Basel, Bern, Freiburg, Solothurn und Zürich. Denn wer dort lebt, wird in Zeiten von Corona mit den wenigen Franken Nothilfe pro Tag noch weniger satt – etwa weil die Suppenküchen geschlossen sind. «Essen für alle» startete ursprünglich mit 5000 Fertigmahlzeiten, gespendet von einer Firma, die sonst Kitas beliefert. Bald darauf trafen auch Geldspenden ein. Mittlerweile kann Diare Conde damit en gros einkaufen: 1300 Pack Pasta, eine Tonne Rapsöl, 1,2 Tonnen Basmatireis. An diesem «ruhigen» Nachmittag wollen Dutzende Menschen etwas von Diare Conde. Er antwortet dann immer wieder mit demselben Satz: «Kein Problem, ich bin da.» Er sagt ihn einem Afghanen, von dem das Migrationsamt ausgedruckte Unterlagen verlangt, obwohl alle Copyshops geschlossen sind. Er sagt ihn ins Handy, nachdem er erfahren hat, dass sich eine Spendenanlieferung um Stunden verspätet. Auch einer «Essen für alle»-Aktivistin der ersten Stunde hat Diare Conde an diesem Nachmittag versichert, dass sie sich keine Sorgen machen müsse. Sie war während Wochen mit ihm in den Notunterkünften unterwegs gewesen; jetzt macht sie Ferien. Diare Conde, der weiss, dass Pausen wichtig sind, gönnt sich selbst keine. Er habe es versucht – aber dann sei er nachts wach gelegen. Oft ist der 22-Jährige von acht Uhr morgens bis zehn Uhr abends in der Autonomen Schule. «Wenn sich Menschen aus Eigenantrieb engagieren, fühle ich mich wohl», sagt er. Hierarchien möge er nicht: «Ich bin kein Chef.» Vielen gelte er als Organisationstalent. «Aber nicht alle sehen, wie viel Arbeit das bedeutet.» Nachdem er an diesem Tag die Spendenbuchhaltung nachgeführt hat, setzt er sich an die Hausaufgaben und lernt Mathematik: Er holt gerade den Schulabschluss nach. «Da ich privilegiert bin, engagiere ich mich», sagt er. Ausser ihm selbst käme wohl niemand auf die Idee, Diare Conde privilegiert zu nennen: Schon über fünf Jahre lebt er in der Schweiz. Zwei Lehrstellen durfte er nicht antreten, weil er da noch im Asylverfahren war. Die Finanzierung seiner Schulausbildung musste er mit Stiftungsanträgen selbst organisieren. Seit er illegalisiert sei, bekomme er körperliche Schmerzen, wann immer er ein Polizeiauto erblicke. «Das traumatisiert mich jedes Mal.» «Privilegiert» nennt sich Diare Conde, weil er nicht in einem Bunker leben muss, sondern privat in der Stadt untergekommen ist. Auch, weil er viele FreundInnen, ein starkes Netzwerk und Erfahrung im Behördenumgang hat. Den Leiter des kantonalen Migrationsamts konnte er zum Gespräch treffen und ihm dabei erklären, weshalb niemand freiwillig in eine Diktatur zurückkehrt. Ausschaffungshaft und Zwangsausschaffungen hält Diare Conde nicht nur für inhuman, sondern auch für absurd – weil sie so teuer sind. Die Repression will Diare Conde der Schweizer Bevölkerung aber nicht zum Vorwurf machen. Für eine andere Asylpolitik brauche es vor allem Aufklärungsarbeit. Diare Conde ist in einem autoritären Staat aufgewachsen. Proteste gegen die Regierungspolitik werden in Guinea mit Waffengewalt unterdrückt. In einem umstrittenen Referendum hat der nominell demokratisch gewählte Präsident Alpha Condé im März eine Verfassungsänderung durchgebracht, die es ihm erlaubt anzutreten, bis er fast hundert Jahre alt ist. Offiziell haben knapp neunzig Prozent dafür gestimmt. «Das tönt wie Science-Fiction, aber es ist Realität», sagt Diare Conde...“
  • Siehe zum Thema zuletzt am 26. Februar 2020: Arm. In der Schweiz
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=172023
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