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Neue Lernendenbewegung in der Schweiz fordert „Ausbildung statt Ausbeutung!“

Dossier

Lernendenbewegung Basel Scorpio: Alle an die Lernendendemo! Ausbildung statt Ausbeutung! Wir haben genug! Wir rufen zu einer Demonstration für Lernende auf!„… Das duale Bildungssystem der Schweiz ist eine Besonderheit und ein wichtiger Bestandteil für die Art und Weise, wie der Kapitalismus hier funktioniert. Statt zuerst eine Ausbildung zu machen und dann ins Berufsleben einzusteigen, werden hier Jugendliche direkt nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit ins Berufsleben eingegliedert. Das ist an sich nichts schlechtes, aber es bringt sehr grosse Probleme mit sich. Die Jugendlichen werden in ihren Lehrbetrieben oft stark unter Druck gesetzt und somit wird versucht, sie zu fleissigen Arbeitskräften zu disziplinieren. Es herrscht eine Kultur, wonach man Vorgesetzten und Älteren nicht zu widersprechen hat, ihre Autorität jederzeit akzeptieren soll. Dies wird in Betrieben ausgenutzt, um von Lernenden Arbeiten zu verlangen, welche weit über ihre eigentlichen Aufgabenfelder hinausgehen. Selbiges wird ebenfalls durch Diskriminierung erreicht, z.B. durch Sexismus oder Rassismus...“ Aus dem Aufruf vom 2.3.2025 bei Lotta externer Link zur Lernenden-Demo am 22. März 2025 in Basel – siehe mehr zur Organisierung in der Lernendenbewegung Scorpio:

  • Lernenden-Demo in Basel: 250 Demonstrierende schildern erniedrigende Erfahrungen während der Ausbildung und fordern u.a. einen Mindestlohn New
    • Lernenden-Demo in Basel: «Sie haben mich ausgelacht und gesagt, ich sei ihr Sklave»
      Am Samstagnachmittag sind um die 250 Lernende auf die Strasse gegangen und haben die Arbeitsbedingungen während der Ausbildung angeprangert. (…) «Im zweiten Lehrjahr hat ein Mitarbeiter Bananen auf den Boden geschmissen und verlangt, dass ich sie auflese», erzählt ein Schwarzer. Er steht in der Basler Innenstadt, umringt von circa 250 Menschen. Am Samstagnachmittag sind Lernende auf die Strassen gegangen, um unter dem Slogan «Ausbildung statt Ausbeutung» gegen die Arbeitsbedingungen während der Lehre und die tiefen Löhne zu demonstrieren. Darunter haben viele auch ihre Rassismus-, Sexismus- und Mobbing-Erfahrungen geteilt. So auch oben genannter Mann. In den Medien möchte der Basler anonym bleiben, seinen Namen und sein Gesicht nicht sehen. An diesem Nachmittag spricht er offen und mit Mikrofon vor den Teilnehmenden. «Eigentlich rede ich nicht gerne vor Menschenmengen», sagt er, «aber ich finde, es ist wichtig, euch zu erzählen, was ich mit 15 in meiner Bäckerlehre erlebt habe.» Klatschen, Pfeifen, Rufe. (…) «Ich musste Wäsche aufhängen, bei Minus-Temperaturen in der Garage Berliner frittieren und 30 Kilo schwere Mehlsäcke aus dem Keller hochtragen.» Bei der Treppe hätten ihn die Mitarbeitenden ausgelacht. «Sie haben gesagt, ich sei ihr Sklave, dass ich Ne***li nichts mache, ausser im Betrieb zu putzen. So haben sie mich oft genannt.» Ausgelacht sei er auch geworden, als er sich beispielsweise während der Arbeitszeit verbrannt oder anders verletzt habe. (…) Einige der weiblichen Demonstrierenden sprechen über sexistische Erfahrungen und Gewalt, die sie während der Ausbildung erlebt haben. (…) Es gebe noch unzählige solcher Vorwürfe an Lehrbetriebe unterschiedlichster Branchen, die an diesem Nachmittag gefallen sind. Sie prangern die Löhne an, die von 300 bis – wenn es gut kommt – 1000 Franken reichen, die Überstunden, die nicht aufgeschrieben werden, und die fehlende Wertschätzung. (…)
      Unter den Demonstrierenden waren die Basler Lernenden-Bewegung «Scorpio», die «IGA Interprofessionelle Gewerkschaft der Arbeiter:innen», die Unia und das Basler «1.Mai-Bündnis». «Scorpio» fordert unter anderem einheitliche Mindestlöhne von 1000 (im ersten Lehrjahr) bis 2500 Franken (im vierten Lehrjahr) sowie psychologische Unterstützung an allen Berufsfachschulen und, dass die Lernenden keine «berufsfremden Arbeiten» ausführen müssen
      …“ Artikel von Manuela Humbel vom 22.3.2025 in 20min.ch externer Link mit einigen Fotos
    • «Das ist Blödsinn» – So reagiert der Arbeitgeberverband auf die Lernenden-Demo
      „… Gemäss der Lotta Organisation würden in vielen Lehrbetrieben die Jugendlichen stark unter Druck gesetzt werden. Die Hierarchie werde oft ausgenutzt, um Lernende zu Aufgaben zu drängen, die weit über ihre eigentlichen Tätigkeiten hinausgehen. Diskriminierung, wie etwa Sexismus oder Rassismus, würden diese Ausnutzung zusätzlich verstärken. Zudem würden sie gemäss der Lotta Organisation als günstige Arbeitskräfte eingestellt werden.
      Scorpio Basel wurde Ende 2022 von ehemaligen Lernenden und weiteren Unterstützenden gegründet. Zurzeit besteht die Organisation aus rund 15 aktiven Mitgliedern, die aus verschiedensten Branchen kommen.
      Umfrage der Unia bestätigt Probleme der Lernenden
      Gemäss der bz bestätige eine Umfrage der Gewerkschaft Unia die Probleme der Lernenden. Von mehr als 1100 teilnehmenden Lernenden hätten rund ein Drittel von Rassismus, Mobbing und sexueller Belästigung im Betrieb berichtet. Knapp die Hälfte der Befragten würden sich während der Arbeit häufig oder ständig gestresst fühlen, und etwa 50 Prozent würden länger arbeiten als die gesetzlich festgelegten neun Stunden pro Tag. Zudem hätten über die Hälfte der Lernenden angegeben, dass ihr Betrieb noch nie vom Amt für Berufsbildung kontrolliert worden sei…“ Artikel von Jeremy Goy vom 22.03.2025 bei baseljetzt.ch externer Link
    • Basler Lernende gehen für mehr Lohn auf die Strasse
      Die Basler Lernendenbewegung Scorpio klagt über schlechte Ausbildungsbedingungen, mangelnde Wertschätzung und zu tiefe Löhne. Erziehungsdepartement und Gewerbeverband widersprechen.
      –  Basler Lernende protestieren gegen unqualifizierte Hilfsarbeiten und schlechte Ausbildungsbedingungen.
      –  Die Bewegung Scorpio fordert einen Mindestlohn von tausend Franken im ersten Lehrjahr.
      –  Betroffene berichten von systematischen Verstössen gegen das Arbeitsgesetz während der Ausbildung.
      –  Der Gewerbeverband Basel-Stadt weist die Vorwürfe zurück und lehnt einheitliche Mindestlöhne ab. (…)
      Scorpio fordert Mindestlohn
      Ein weiteres grosses Thema ist der Lehrlingslohn. Dieser ist laut Scorpio viel zu tief. «Ich wurde im 4. Lehrjahr zum Beispiel als normale Arbeitskraft eingesetzt und habe sicher 75 Prozent eines Vollzeitpensums geleistet. Als Lohn habe ich aber nur etwa 25 Prozent. Und ich hatte mit 1450 Franken im letzten Lehrjahr einen guten Lehrlingslohn», sagt Janis. Der Lehrlingslohn ist gesetzlich nicht festgelegt, sondern wird im jeweiligen Lehrvertrag geregelt und ist somit eine Absprache zwischen dem Lernenden und seinem Arbeitgeber. Die Bandbreite bei den Lehrlingslöhnen ist gross: Während eine Kosmetikerin gemäss Berufsberatung.ch externer Link im 3. Lehrjahr 750 Franken erhält, verdient ein Maurer (EFZ) 1862 Franken. Scorpio fordert für Lernende daher einen Mindestlohn von 1000 Franken im 1. Lehrjahr, der pro Lehrjahr um mindestens 500 Franken ansteigt. Weitere Forderungen sind unter anderem: bessere pädagogische Ausbildung für Berufsbildnerinnen und Berufsschullehrer, Einhaltung der Bestimmungen zur Arbeitssicherheit, Übernahme aller Schul- und Materialkosten, Gratis-ÖV, keine berufsfremden Hilfsarbeiten, die nicht auch die anderen Mitarbeiter im Betrieb machen müssen, eine 35-Stunden-Woche, keine angeordneten Überstunden…“ Artikel von Barbara Stäbler und Dina Sambar vom 22.03.2025 in der Basler Zeitung online externer Link
    • 2 Fotos der Lernenden-Demo in Basel gibt es vom ‪Grauer Block Basel auf bsky externer Link
  • Alle an die Lernendendemo! Ausbildung statt Ausbeutung! Wir haben genug! Wir rufen zu einer Demonstration für Lernende auf!
    Die meisten wissen es: In der Lehre sind die Löhne niedrig, die Arbeitsverhältnisse meist schlecht und die Wertschätzung kaum vorhanden. Als Lernende arbeiten wir Vollzeit in den Betrieben. Wir bekommen zu spüren, dass wir die billigsten Arbeitskräfte im Team sind. Ständig müssen wir Hilfsarbeiten ausführen, die nichts mit unserer Berufsausbildung zu tun haben: Die Werkstatt wischen, Kaffee machen, putzen. Kurz: wir werden für unqualifizierte Arbeit missbraucht. Aufgrund der kapitalistischen Konkurrenz müssen auch die Lehrbetriebe ständig ihre Kosten optimieren, um zu Profiten zu kommen. Sie sind daher auf uns Lernende angewiesen, denn uns müssen sie ja kaum Lohn bezahlen. Statistiken zufolge bedeutet ein Lernender für den Betrieb immer ein Gewinn. Trotzdem erhalten wir nur einen Bruchteil des Mindestlohnes für Arbeitnehmer:innen. Die Lehrlingslöhne reichen nicht einmal aus, um unsere eigene Existenz zu sichern. Den Betrieben geht es in erster Linie um unsere Ausbeutung, nicht um unsere Ausbildung. «Da musst du jetzt halt einfach durch», heisst es. Die Lehrzeit soll dazu dienen, uns junge Menschen zu disziplinieren. (…)
    Für uns ist klar: wir Lernende müssen uns selbst gegen die Scheissbedingungen in der Lehre organisieren, zusammenstehen und zeigen, dass wir uns das nicht länger gefallen lassen! Egal ob du in der Lehre bist oder nicht, komm an die Demonstration am 22.3. um 14 Uhr am Claraplatz. Denn nur gemeinsam können wir uns gegenseitig stärken und für Veränderung einstehen! Ausbildung statt Ausbeutung!
    “ Aufruf von Scorpio Basel dokumentiert am 16.3. bei barrikade.info externer Link
  • Lernendenbewegung: Stifte im Klassenkampf
    Alle reden über Fachkräftemangel, aber kaum jemand über die Arbeitsbedingungen für Lernende. Die Gruppe Scorpio in Basel versucht jetzt, die Lehrlingsbewegung neu zu lancieren
    Jetzt also ein Werbetram: So will der Gewerbeverband Basel-Stadt seit rund zwei Wochen Jugendliche dafür motivieren, einen Handwerksberuf zu lernen. «Wir brauchen kein Werbetram», entgegnet die Gruppe Scorpio online und auf zwei Transparenten in der Stadt, «sondern bessere Arbeitsbedingungen!» Und artikuliert damit eine weiter reichende Problemanalyse als so mancher weinerliche Zeitungsbeitrag zum Fachkräftemangel. Seit rund zwei Jahren kämpft Scorpio in Basel für bessere Bedingungen in der Berufslehre. Die Gruppe ist einzigartig in der Schweiz – obwohl gemäss Bundesamt für Statistik derzeit rund 200 000 Lernende eine berufliche Grundbildung absolvieren. Ihre spezifischen Interessen finden kaum Eingang in den öffentlichen Diskurs, auch in den linken nicht. «In der Linken, auch in den Gewerkschaften, wird wenig gemacht für junge Arbeiter:innen», sagt Sarah Steiner (20). Sie heisst eigentlich anders, «aber es geht meinen Lehrbetrieb nichts an, wie ich organisiert bin». (…) Organisiert ist Steiner schon seit dem ersten Lehrjahr; nun steht sie kurz vor ihrem Abschluss als Schreinerin. «Die Vernetzung hat mich bestärkt», sagt sie. «Nur schon, um zu merken, dass das, was mir passiert, nicht einfach an mir liegt; dass ich nicht zu wenig gut oder stark bin, sondern andere ähnliche Erfahrungen machen.» Steiner macht prägnante Aussagen und erzählt von haarsträubenden Erfahrungen in der Lehre. «Anfangs wurde ich richtig durch den Dreck gezogen: Die alten Männer haben mir gesagt, dass ich die Lehre eh nicht schaffe. Mein Chef hat mich gedrängt, ihm Essen zu kochen und seine Kinder abzuholen.» Als sie ihn darauf angesprochen habe, habe er bloss «väterlich» geantwortet, sie solle doch froh um ihre Ausbildung sein.An den Sitzungen von Scorpio übersetzen sich solche individuellen Erfahrungen in Politik: «Du bist noch so jung, wenn du deine Lehre antrittst, und dann wirst du zum Fussabtreter des Chefs», sagt Billi Muse (23). «Das ist doch nicht fair!» Muse, der ebenfalls anders heisst, sitzt im Qusol, einem selbstverwalteten Quartierzentrum im Kleinbasel, wo die Gruppe jeweils zusammenkommt. Eine Art Sitzungszimmer, ein paar Transparente an der Wand, eher versifft, selbstverwaltet eben. Muse hat auch unter der Woche Zeit. Seine Lehre zum Chemietechnologen hat er mittlerweile abgeschlossen, aber für Scorpio engagiert er sich weiterhin. (…) Die Geschichte der Lehrlingsbewegung, einst in mehreren Städten präsent, ist heute weitgehend vergessen. (…) Scorpio interessiert sich für diese Geschichte. Am vergangenen Wochenende war Dieter Bäumli zu einer Veranstaltung eingeladen, um von seinen Erfahrungen zu erzählen. «Sie haben für vier Wochen gekämpft, wir heute für sieben», sagt Sarah Steiner. «Sie haben eine Zeitung gedruckt, wir schreiben Social-Media-Texte – diese Kontinuität macht uns Mut.» Wobei sie der grossen Lücke zwischen damals und heute nachtrauert: «All diese Jahrzehnte, in denen Lernende kaum organisiert waren – wieso eigentlich?» (…) Am kommenden Wochenende findet in Basel eine erste grosse Demonstration für bessere Bedingungen in der Lehre statt, beteiligt ist auch die FAJ, die Jugendorganisation der Basisgewerkschaft FAU. Die Mobilisierung nimmt Fahrt auf. Auch andere politische Organisationen wie die Unia, die Juso oder die Interprofessionelle Gewerkschaft der Arbeiter:innen (IGA) rufen zur Teilnahme auf. «Wir wollen Teil der linken Bewegung sein, aber selbstorganisiert bleiben», sagt Sarah Steiner. Auf Solidarität seien sie aber angewiesen: Für die politische Arbeit bleibe im Lehrlingsalltag kaum Luft, sagt sie. Oder in ihren Worten: «Wir sind ja immer am Arbeiten, immer am Arsch.»“ Artikel von Lukas Tobler in der WOZ Nr. 12 vom 20. März 2025 externer Link

Siehe auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=226990
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