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Aufruf zur Prozessbeobachtung in Polen wg Klage für eine Festeinstellung: Wer kommt am 24.11.16 mit auf die andere Oderseite?

Dossier

Die Hebamme Barbara Rosołowska und ihr Anwalt vor dem polnischen ArbeitsgerichtDie Kliniken in Polen haben eine Form gefunden, um dem Mangel am mittleren medizinischen Personal Herr zu werden. Zunehmend werden die Kräfte auf zivilrechtlicher Basis – also Scheinselbstständige – eingestellt, denn sie dürfen sogar bis zu 350 Stunden im Monat arbeiten. Bei der Arbeitslosigkeit in vielen Gegenden sind die Frauen dankbar, haben doch oft die Männer keine Arbeit. Und die Kolleginnen und Patienten haben es mit Gestressten zu tun. Dies hat auch Barbara Rosolowska von der Gewerkschaft „Arbeiter Initiative“ erfahren müssen. Bis 2007 hat sie in der Klinik in Kostrzyn (Küstrin auf der polnischen Oderseite) gearbeitet, aber dann kam der Gerichtsvollzieher wegen der enormen Schulden der Klinik und sperrte die Konten.  Worauf Löhne nicht ausgezahlt wurden – die Klinik wurde privatisiert, auch Barbara wurde entlassen – erst nach vielen Aktionen und Protesten nach 7 Jahren gab es die ausstehenden Löhne. (…) Nach zwei Jahren ließ sie sich darauf ein im Regionalkrankenhaus als Scheinselbstständige zu arbeiten – arbeitslos wollte sie nicht bleiben. Bei ihren 14 Diensten zu 12 Stunden im Monat bleiben ihr bei 4200 Brutto 2000 Zloty – ca. 500 Euro. Sie hätte es sich auch einfach machen können. Von Kostrzyn an der Oder fahren unregelmäßig  Züge nach Gorzow, um in die Klinik zu kommen, aber stündlich fahren Züge  nach Berlin, die Fahrzeit ist zwar doppelt solang, aber  sicherlich hätte sie dort den dreifachen Lohn! Jedoch als Mitglied der Basisgewerkschaft Arbeiter Initiative will sie auch ein Zeichen setzen und die Kolleginnen und Kollegen dazu anregen auch gegen diese Scheinselbstständigkeit vorzugehen. Sie reichte Klage gegen ihren Arbeitgeber ein um eine Festeinstellung nach dem Arbeitskodex zu erreichen…“ Aus dem Aufruf von Norbert Kollenda – siehe den Volltext und Hintergründe:

  • Urteil bezüglich Scheinselbstständigkeit ausgelöst durch die Hebamme Barbara aus Kostrzyń: Klage zur Festeinstellung abgewiesen
    Die Hebamme Barbara Rosołowska bekam in der Klinik in Gorzów Wielkopolski – jenseits der Oder – nur einen sog. Kontrakt – also eine Anstellung auf zivilrechtlicher Basis als Scheinselbstständige. Andere Optionen gab es nicht und arbeitslos wollte sie nicht sein. Sie arbeitet auf einer Kinderstation und verrichtet die gleiche Arbeit wie ihre festangestellten Kolleginnen. Ihr Vertrag umfasst 14 Diensten zu 12 Stunden hat nicht nur weniger Lohn, muss sich selbst versichern und eine Buchhalterin für „ihre Firma“ einstellen, erhält auch keinen Urlaub. Sie klagte vor über einem Jahr um eine Festeinstellung nach Arbeitsrecht. Am 31.Januar hat das Gericht die Klage abgewiesen. Hauptargument: sie hätte durch ihre Unterschrift dem Vertrag zugestimmt. Die vielen Zeugenaussagen ihrer Kolleginnen, dass eine Festanstellung gar nicht möglich war, blieb unberücksichtigt. Barbara hatte diese Klage eingereicht, um auf diese Schrottverträge aufmerksam zu machen und für KollegenInnen, die in gleicher Situation sind, etwas zu erreichen. Leider blieben Zeichen der Solidarität von Gewerkschaften aus, so ist die Resignation in ihrem vorletzten Satz zu verstehen. Siehe die Stellungnahme von Barbara Rosołowska zum Urteil des Gerichtes vom 31.01. 2017 zu ihrer Klage ihr Arbeitsverhältnis von Scheinselbstständigkeit in Festeinstellung umzuwandeln im Wortlaut – wir danken Norbert Kollenda:

    • Stellungnahme von Barbara Rosołowska zum Urteil des Gerichtes vom 31.01. 2017 zu ihrer Klage ihr Arbeitsverhältnis von Scheinselbstständigkeit in Festeinstellung umzuwandeln:
      Das Urteil des Arbeitsgerichtes von Gorzów Wielkopolski ist sehr ungerecht, die Verhandlung dauerte über ein Jahr und meine Klage wurde als unbegründet zurück gewiesen. Das Hauptargument bestand darin, dass ich eine Unternehmerin bin, die Dienstleistungen für die Klinik erbringt, selbst Versicherungsbeiträge abführe, die Buchhaltung bezahle und mich in der Arbeit vertreten lassen könnte. Solch eine Tätigkeit hat nach Auffassung der Richterin den Charakter einer zivilrechtlichen Absprache.
      Es spielte keine Rolle, dass ich zwei Mal einen Antrag auf eine Anstellung geschrieben habe und damit meinen Wunsch bekräftigt habe die Art meines Arbeitsverhältnisses zu ändern. Es gibt Beschäftigte, die solch ein Arbeitsverhältnis erhalten haben. Es gibt keine klaren Kriterien nach denen solche Arbeitsverträge abgeschlossen werden können. Meine Arbeit unterscheidet sich nicht von der der Festangestellten Beschäftigten der Klinik.
      Es ist empörend, dass das Arbeitsgericht zugunsten des Arbeitgebers und nicht des Beschäftigten entschieden hat. Damit ist das Tor zu einer legalen Ausbeutung und Sanktionierung der so genannten Schrottverträge weit offen, was negative Auswirkungen auf Beschäftigte hat.
      Der Verlauf meiner Angelegenheit hatte in den Medien eine große Aufmerksamkeit erhalten. Sowohl die regionale TVP Lubus, die Gazeta Lubuska, Gazeta Wyborcza und das Internetportal Gorzów24.pl berichteten und diese Berichte waren auf Facebook zu finden. Dank dessen konnten die Menschen im ganzen Land erfahren, dass die Arbeiter- und Bürgerrechte rechtmäßig gebrochen werden können.
      Viele Menschen aus verschiedenen Teilen Polens schreiben mir, dass sie über das Urteil empört sind, sie sprechen von Ungerechtigkeit und Diskriminierung, denn wie ist es möglich an ein und demselben Arbeitsplatz Beschäftigte zu besseren und schlechteren Bedingungen anstellen.
      Die Gewerkschaften der Klinik haben mich diesbezüglich nicht unterstützt, niemand protestierte vor dem Gericht. Der Chef der Solidarność sagte vor Gericht als Zeuge aus und erklärte, dass der Klinikleiter selbst über die Form der Einstellung der Beschäftigten entscheiden kann. Er stand auf der Seite des Arbeitgebers. Selbst ist er in lokale Unternehmen eingebunden und betreibt zwei Verkaufsstellen  auf dem Klinikgelände.
      Einerseits habe ich in der ersten Instanz verloren, aber auf der anderen Seite habe ich gewonnen, denn ich konnte die Scheinheiligkeit des Systems aufzeigen, eine scheinbare Gleichheit von Arbeitern und Arbeitgebern, wo in Wirklichkeit das Recht auf der Seite des Stärkeren steht.
      Jetzt warte ich auf das Urteil des Berufsgerichtes. Sollte es weiterhin für mich negativ ausfallen, werde ich meine Arbeit in Polen aufgeben müssen und mir in Deutschland eine Stelle suchen. Dort werde ich einen Arbeitsvertrag erhalten – in Polen habe ich leider keine Chancen.“
  • Solidarität über die Oder
    „Am Donnerstag hat die Krankenschwester Barbara Rosołowska im westpolnischen Gorzow ihren Arbeitsprozess. Sie kämpft für einen regulären Arbeitsvertrag mit vollen Arbeitnehmerrechten. Auch Unterstützer aus Deutschland werden vor Gericht anwesend sein. Sie wollen der klagenden Krankenschwester damit den Rücken stärken. Norbert Kollenda, Gründer der Initiative zur transnationalen Prozessbegleitung, hat vor einigen Wochen einen Aufruf in verschiedenen sozialen Netzwerken lanciert. »Wer kommt am 24.11. mit auf die andere Oderseite?« lautete seine Frage. Norbert Kollenda ist bei Attac aktiv, wo er seit mehreren Jahren Kontakte zu sozialen Bewegungen in Polen geknüpft hat. Die daraus entstandenen Bekanntschaften auch zu aktiven polnischen Gewerkschaftern nutzt er für den Ausbau der grenzenübergreifenden Kooperation und Solidarität. Barbara Rosołowska wird in ihrem Arbeitskampf von der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Arbeiterinitiative (IP) unterstützt. Auch für ihre KollegInnen ist der Prozess von großem Interesse…“ Beitrag vom 23. November 2016 von und bei Peter Nowak externer Link (der Beitrag erschien auch bei neues Deutschland vom 23. November 2016)
  • Aufruf zur  Prozessbeobachtung in Polen wg Klage für eine Festeinstellung: Wer kommt am 24.11. mit auf die andere Oderseite?
    Kampagnenflugblatt Polen
    „Die Kliniken in Polen haben eine Form gefunden, um dem Mangel am mittleren medizinischen Personal Herr zu werden. Zunehmend werden die Kräfte auf zivilrechtlicher Basis – also Scheinselbstständige – eingestellt, denn sie dürfen sogar bis zu 350 Stunden im Monat arbeiten. Bei der Arbeitslosigkeit in vielen Gegenden sind die Frauen dankbar, haben doch oft die Männer keine Arbeit. Und die Kolleginnen und Patienten haben es mit Gestressten zu tun. Dies hat auch Barbara Rosolowska von der Gewerkschaft „Arbeiter Initiative“ erfahren müssen. Bis 2007 hat sie in der Klinik in Kostrzyn (Küstrin auf der polnischen Oderseite) gearbeitet, aber dann kam der Gerichtsvollzieher wegen der enormen Schulden der Klinik und sperrte die Konten.  Worauf Löhne nicht ausgezahlt wurden – die Klinik wurde privatisiert, auch Barbara wurde entlassen – erst nach vielen Aktionen und Protesten nach 7 Jahren gab es die ausstehenden Löhne. Nun ist Barbara der Meinung es wäre uns zu verdanken, dass sie ihr Geld endlich bekommen hätten. Die Bürgermeisterin wurde nämlich bei einem Treffen mit KollegenInnen im Brandenburgischen danach gefragt, worauf sie wütend nach Warschau um das Geld gefahren sei. Wir hatten bei einer Kundgebung teilgenommen und ich hatte darüber berichtet. Wenn es denn so gewesen ist…
    Nach zwei Jahren ließ sie sich darauf ein im Regionalkrankenhaus als Scheinselbstständige zu arbeiten – arbeitslos wollte sie nicht bleiben. Bei ihren 14 Diensten zu 12 Stunden im Monat bleiben ihr bei 4200 Brutto 2000 Zloty – ca. 500 Euro.
    Sie hätte es sich auch einfach machen können. Von Kostrzyn an der Oder fahren unregelmäßig  Züge nach Gorzow, um in die Klinik zu kommen, aber stündlich fahren Züge  nach Berlin, die Fahrzeit ist zwar doppelt solang, aber  sicherlich hätte sie dort den dreifachen Lohn!
    Jedoch als Mitglied der Basisgewerkschaft Arbeiter Initiative will sie auch ein Zeichen setzen und die Kolleginnen und Kollegen dazu anregen auch gegen diese Scheinselbstständigkeit vorzugehen. Sie reichte Klage gegen ihren Arbeitgeber ein um eine Festeinstellung nach dem Arbeitskodex zu erreichen.
    Die nächste Verhandlung ist in Gorzow WLKP am 24. November um 12.30 Uhr
    Es wäre schön, wenn ich nicht allein fahren müsste, ausländische Gäste machen immer Eindruck und kommen eher in die Medien! Züge fahren von Lichtenberg ab 09.37 Uhr mit Anschluss in Kostrzyn (Küstrin) an 11.42 in Gorzow – Fahrpreis 24,60 € Tageskarte, 8,20 € Anschluss-Tageskarte  für Inhaber von 65+u.ä.
    Wer mitfahren will kann sich gern mit mir in Verbindung setzen, da würde ich noch ein Gespräch mit Barbara Rosolowska und ihrem Anwalt organisieren
    Mit solidarischen Grüßen! Norbert Kollenda“ (Kontakt über die LabourNet-Redaktion)
  • »350 Stunden im Monat«
    An einem Gericht in der polnischen Stadt Gorzów findet demnächst ein Prozess statt, der für die Arbeitsverhältnisse im gesamten Gesundheitswesen des Landes von Bedeutung ist. Norbert Kollenda war bei Attac für die Kontakte zu den sozialen Bewegungen in Polen zuständig und beteiligt sich an der Kooperation von Basisgewerkschaften.
    Sie rufen zur solidarischen Begleitung des Arbeitsgerichtsprozesses von Barbara Rosołowska in Gorzów am 24. November auf. Um was geht es?
    Barbara Rosołowska will erreichen, dass die Klinik die Form ihrer Anstellung von einem Vertrag als Selbst­ändige zu einem regulären Arbeitsvertrag ändert. Weil ihre bisherigen Bemühungen nicht fruchteten, hat sie sich an das Arbeitsgericht gewandt. Hier geht es darum zu zeigen, dass sie nicht die einzige ist, die als Scheinselbständige arbeitet und die gleiche Arbeit verrichtet wie die anderen. (…) Es scheint so zu sein, dass die Kliniken mit der Scheinselbständigkeit den großen Mangel an Beschäftigten ausgleichen wollen. Denn in vergleichbaren Fällen können diese bis zu 300 oder sogar 350 Stunden im Monat arbeiten. Es gibt Schwestern und Hebammen, die Zwölf-Stunden-Schichten schieben und kaum einmal frei machen. Damit gefährden sie nicht nur ihre Gesundheit. (…) Barbara Rosołowska verdient mit ihren 14 Diensten á zwölf Stunden brutto 4 200 Zloty, es bleiben netto 2 000 Zloty, das sind ungefähr 500 Euro. Nach Gorzów hat sie in nur unregelmäßigen Abständen eine Verbindung mit dem Zug. Stündlich fährt ein Zug nach Berlin, wo sie mindestens das Dreifache verdienen würde. Aber als aktive Gewerkschafterin denkt sie nicht nur an sich. In Deutschland kommen etwas mehr als elf und in Polen vier Krankenpfleger auf 1 000 Einwohner. Es fehlen 100 000 Pflegekräfte und von den 250 000 Beschäftigten sind zwei Drittel zwischen 40 und 60 Jahre alt. Das ist schon lange bekannt, aber bisher hat keine Regierung etwas unternommen. Es gibt keine einheitlichen Löhne, fast jede Klinik verhandelt über die Tarife selbst. Vermittler aus Westeuropa warten schon auf die jährlich 5 000 Absolventen der Krankenpflegeschulen, von denen zwei Drittel den Beruf nicht in Polen aufnehmen.“ Small Talk von Peter Nowak in der Jungle World vom 3. November 2016 externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=106772
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