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Bezahlkarten für Schutzsuchende auch in Österreich – und ebenfalls aus Boshaftigkeit und Rassismus
„… Anfang des Jahres schwappte eine Debatte von Deutschland nach Österreich über: Die Auszahlung von Bargeld wurde als „Pullfaktor“ identifiziert: Das Geld werde von den Schutzsuchenden nach Hause geschickt und die organisierte Schlepperkriminalität damit finanziert. Evidenz gab es in Deutschland dafür aber nicht, auch in Österreich konnte Integrationsministerin Raab keine Belege für ihre Behauptungen liefern (…) In Oberösterreich wird der Innenminister gemeinsam mit dem ÖVP-Parteikollegen und Landesrat Hattmansdorfer noch diese Woche bekanntgeben, dass in der Region Steyr in einigen Unterkünften eine Bezahlkarte ausprobiert werden soll. Der Anbieter soll laut verlässlichen Quellen derselbe wie in Bayern sein, es soll eine Geldbehebungsfunktion, aber keine Überweisungsfunktion geben. (…) Parallel dazu und klammheimlich hat der niederösterreichische FPÖ-Landesrat Luisser an einem eigenen Wahlkampfgag gebastelt…“ Beitrag von Lukas Gahleitner-Gertz vom 25.4.2024 bei Asylkoordination („Föderaler Bezahlkartenwildwuchs: Teure Wahlkampfgags“) – siehe mehr zum Thema:
- Kein Alkohol, keine ÖPNV-Tickets: Niederösterreich weitet Asyl-Bezahlkarte aus – erster Asylwerber klagt gegen Bezahlkarte statt Bargeld
- Kein Alkohol, keine Öffitickets: Niederösterreich weitet Asyl-Bezahlkarte aus
„Die Landes-Asyl-Bezahlkarte, die Asylwerber stark einschränkt, wird ausgeweitet, kündigten Landbauer und Luisser (FPÖ) am Donnerstag an. Die ÖVP ist einverstanden
Grundversorgung sei „kein Shopping-Erlebnis“, sagte Landeshauptfraustellvertreter Udo Landbauer (FPÖ) am Donnerstag bei der Vorstellung der Ausweitungspläne für die niederösterreichische Asyl-Sachleistungskarte. Die Interessen der eigenen Landsleute, „und sicher nicht Geldgeschenke für Asylwerber“, seien in den Vordergrund zu stellen.
Das Kartensystem werde ab zweiten September in drei Schritten ausgerollt, schilderten Landbauer und Asyllandesrat Christoph Luisser (ebenfalls FPÖ). Die Umstellung für letztlich 1120 Personen soll mit ersten November abgeschlossen sein. Man wolle Schlepper und Geldüberweisungen ins Heimatland sowie den Zugang zu Alkohol und Tabak unterbinden.
Zudem solle das Bundesland als Asylstandort so unattraktiv wie möglich werden. Zustimmung kam von der niederösterreichischen Volkspartei: „Wer nur Bargeld und hohe Sozialleistungen sucht, ist in Niederösterreich an der falschen Adresse“, teilte Landesgeschäftsführer Matthias Zauner per Aussendung mit.
Minister Karner präsentierte Pilotprojekt für ganz Österreich
Am Dienstag hatte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) in einer Pressekonferenz verkündet, wie es um den Pilotversuch eines bundesweiten Sachleistungskartenprojekts für Asylwerberinnen und Asylwerber steht. Laut Innenministerium soll der laufende Probedurchgang ab kommendem Jahr auf ganz Österreich ausgedehnt werden, die Ausschreibung dazu soll im Oktober starten. In Oberösterreich haben bis dato 130 Asylsuchende Visa-Debitkarten erhalten, auf die die ihnen zustehenden Grundversorgungsgelder gebucht werden und mit denen sie einkaufen können.
Die niederösterreichischen Pläne konterkarieren das österreichweite Ausrollen des digitalisierten Geldverkehrs im Flüchtlingswesen. Auch schränken sie das Leben der betroffenen Asylwerberinnen und Asylwerber weit stärker ein als das bundesweit konzipierte Modell. Entwickelt wurde die blaugelbe Asyl-Bezahlkarte von der Firma Pluxee (früher Sodexo) entwickelt und funktioniert nach dem Gutscheinprinzip.
Die Asylwerberinnen und Asylwerber können mit dem auf ihre Karte gebuchten Guthaben nicht einfach einkaufen, wie das mit der oberösterreichischen Karte – wenn auch mit Einschränkungen – möglich ist. Sondern sie können das nur in den Supermärkten und anderen Geschäften tun, die Kartenvertragspartner sind. Diese stehen auf einer langen Liste, die jedoch nicht wirklich aktuell ist. In einzelnen Orten sind Adressen von Geschäften angegeben, die schon vor Jahren umgezogen sind. Die Liste werde „laufend erweitert“, ist einem Schreiben zu entnehmen, das am Montag dieser Woche an die Unterkunftsgeber ging. (…)
So soll Asylsuchenden, die in Unterkünften mit Selbstverpflegung leben, gar nicht auf einmal das ihnen zustehende allmonatliche Verpflegungsgeld von maximal 260 Euro überwiesen werden, sondern es werden täglich 5,70 Euro auf die Karte aufgeladen. Das werde die Geflohenen vor praktische Probleme stellen, sagt eine anwesende Person: „Sollen sich die Leute an einem Tag die Kartoffeln und am nächsten Tag das Öl kaufen?“
Auch sind Käufe in Apotheken sowie in Sozialmärkten verboten, detto dürfen keine Öffi-Fahrscheine auf Karte erstanden werden. Auch Alkohol und Zigaretten sind tabu. Die Karte gilt ebenfalls für subsidiär schutzberechtigte Menschen sowie Flüchtlinge nach Zuerkennung von Asyl, die von Rechts wegen noch bis zu vier Monate in der Grundversorgung bleiben können. Nicht in das System einbezogen sind hingegen Kriegsvertriebene aus der Ukraine, die sich in der Grundversorgung befinden.
40 Euro Taschengeld bar auf die Hand
Da die niederösterreichische Bezahlkarte keinerlei Geldtransaktionen ermöglicht, müssen die Unterkunftsanbieter das monatliche Taschengeld von 40 Euro wie bisher selbst an die Geflohenen auszahlen und von den Empfängern quittieren lassen. im oberösterreichischen Pilotversuch können Asylsuchende diese Summe bei einem Bankomaten abheben.
Mit dem geplanten landesweiten Ausrollen der eigenen Bezahlkarte schert Niederösterreich als erstes Bundesland aktiv aus den ministeriellen Vereinheitlichungsbestrebungen aus. Andere Länder könnten folgen – und sei es, weil sie bei ihren bereits eingeführten Bezahlkartenmodellen bleiben, wie es etwa in Tirol und Vorarlberg schon länger erfolgreich eingesetzt werden – die aber weit mehr dem oberösterreichischen Pilot-Modell als der Karte in Niederösterreich ähneln…“ Artikel von Irene Brickner vom 22. August 2024 in derstandard.de - Kein Online-Shopping: Erster Asylwerber in Niederösterreich klagt wegen Bezahlkarte statt Bargeld
„… Gesperrt sind Auslandsüberweisungen sowie zum Beispiel das Bezahlen in Wettlokalen. Auch der Onlinehandel steht den Karteninhaberinnen und -inhabern nicht offen – ein Umstand, den Lukas Gahleitner von der NGO Asylkoordination in einer ersten Reaktion kritisiert. „Warum sollen Asylwerberinnen und Asylwerber nicht die Möglichkeit haben, etwa bei Willhaben billig einzukaufen?“, fragte er. Womöglich könnte diese Frage auch die Gerichte beschäftigen: Ein Asylwerber in Niederösterreich hat nun einen Antrag auf Bargeld an das Land gestellt, berichtet die Kronen Zeitung am Dienstag. Der Asylwerber könne die Bezahlkarte nicht für günstigere Online-Alternativen oder etwa beim Einkauf von nichtrezeptpflichtigen Medikamenten verwenden, wird darin laut Krone festgehalten. Das sei eine „rechtswidrige Einschränkung der Grundversorgung“ sowie eine „Verletzung des Rechts auf eine angemessene Verpflegung“, argumentiert der Anwalt des Asylwerbers. Man wolle einen Präzedenzfall schaffen…“ Artikel von Irene Brickner vom 20. August 2024 in derstandard.de („Sachleistungen statt Bargeld: Asylwerber-Bezahlkarte wird laut Karner 2025 bundesweit eingeführt.“)
- Kein Alkohol, keine Öffitickets: Niederösterreich weitet Asyl-Bezahlkarte aus
- FPÖ gegen Asylbezahlkarte in Sozialmärkten – FPÖ: „Sozialmärkte nur für Österreicher“
„Die Tafeln und SOMA Österreich fordern, dass die Bezahlkarte für Asylwerbende auch in Tafeleinrichtungen und Sozialmärkten gilt. Asylwerbende seien Teil von armutsgefährdeten Personengruppen und auf günstige Lebensmittel angewiesen. Die FPÖ lehnt die Forderung ab.
Je nach Konzept erhalten hilfsbedürftige Personen Lebensmittel an den Tafeln entweder gratis oder gegen einen pauschalen Logistikkostenbeitrag, in Sozialmärkten zu einem Stückpreis etwa 75 Prozent unter dem Marktpreis, heißt es in einer gemeinsamen Aussendung der Verbände Die Tafeln und SOMA Österreich und Partner. Der Einkauf dort trage laut den Verbänden aber nicht nur zur Entlastung des Budgets bei, Tafeln und Sozialmärkte seien wichtige Orte der Vernetzung und Integration. Sollten diese Anlaufstellen nicht für Asylwerber in Betracht gezogen werden können, drohen überlaufene Suppenküchen, warnen die Verbände. Man fordere daher, kostenfrei als Partner der Kartendienstleister in das System der Bezahlkarte integriert zu werden.
FPÖ: „Sozialmärkte nur für Österreicher“
Auf Anfrage von noe.ORF.at im Büro von Asyllandesrat Christoph Luisser (FPÖ) hieß es dazu: „Grundsätzlich haben wir uns bewusst dafür entschieden, die Migranten von den Sozialmärkten auszuklammern. Die Migranten haben die Möglichkeit, mit sechs Euro am Tag über die Vertragspartner, die ausgewählt sind, das Notwendigste zu bekommen.“ Man wolle den Österreichern alleine die Möglichkeit zur Verfügung stellen, in Sozialmärkten einzukaufen. „Wir haben genug arme Menschen in Österreich, die günstig versorgt werden sollen. Die Sozialmärkte verfügen ohnehin über zu wenig Lebensmittel. Wenn wir die noch für andere öffnen, ist teilweise zu wenig für die Österreicher da“, hieß es…“ ORF-Meldung vom 16. Juli 2024
Siehe auch:
- Siehe für die Bezahlkarten in Deutschland unser Dossier: Erhöhung der Asylbewerberleistungen: Die Regierung steht in der Pflicht [Denkste! Bezahlkarte!]
- Dossier: Österreich und EU finanzieren Abschiebegefängnis in Lipa/Bosnien, das weder Baugenehmigung, noch Rechtsgrundlage, noch Menschenrechte vorweisen kann
- Belege für systematische Pushbacks nun auch an der deutsch-österreichischen Grenze: NGOs schlagen Alarm
- Dossier: Wiedereinführung von Grenzkontrollen 2015: Politik auf dem Rücken von Flüchtlingen
- 2022: Pakt der Hardliner: Schulterschluss von Berlin und Wien in Migrationsabwehr bei »Rückführungskonferenz«
- 2021: Initiative „Das Recht, nicht gehen zu müssen – Europäische Politik und Fluchtursachen“
- Dossier: Der breite Widerstand gegen die Abschiebewelle in Österreich trift auf brutale Polizeigewalt der Rechtsregierung
- 2020: Berichte über illegale Pushbacks von Migranten an österreichischer Grenze zu Slowenien
- Dossier von 2019: Seit fast drei Wochen Hungerstreik im Abschiebelager – hoch über Innsbruck