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Woran man in Nigeria sterben kann: Von der Polizei erschossen werden, weil man die Epidemie-Regeln nicht eingehalten haben soll, am Virus sterben (weniger) – und bei Shell arbeiten müssen (geheim)

Prtest bei shell Nigeria - 82 Prozent Zeitarbeiter leiden unter mangelnder Sicherheit„… Die größte Angst besteht darin, dass das neo-koloniale Nigeria mit seiner dysfunktionalen Infrastruktur und einem großen Bevölkerungsanteil, der in Armut leben muss, in erbärmlichen Slums und ungeeigneten Behausungen, ein perfektes Biotop für das Virus ist. Ein Land mit 200 Millionen Menschen, von denen mehr als die Hälfte in Städten wie Lagos leben – hunderttausende eingepfercht in engen Wohnungen und darauf angewiesen, sich täglich in überfüllten Bussen zu quetschen. Einfaches Händewaschen, die grundlegendste Maßnahme, um das Virus zu bremsen, ist in den Wohnungen von Millionen Menschen in den Städten und auf dem Land ohne Zugang zu fließendem Wasser nicht möglich, von sauberen sanitären Einrichtungen ganz zu schweigen! Auf Facebook fragte jemand, wie eine fünfköpfige Familie, die alle in einem Raum leben und schlafen müssen, sich isolieren sollen. Und selbst wenn eine Person sich unter diesen Bedingungen abschotten könnte, müsste sie Toilette und Dusche immer noch mit sechs oder sieben anderen Familien teilen. An solchen einfachen Tatsachen erkennt man die soziale Katastrophe, die das Virus für die Menschen in diesem Land anrichten wird. Im Falle eines Ausbruchs werden viele potenziell Infizierte gar nicht ermittelbar sein, weil sie keine feste Adresse haben – sie sind arbeits- und wohnungslos. Mindestens 20,9 Millionen Menschen sind arbeitslos. Das alles ist ein Resultat von Jahrzehnten kapitalistischer Politik, die den Wohlstand des Landes in die Hände einer kleinen Minderheit gelenkt hat, während Millionen in Elend leben. Unter diesen Umständen wird eine Quarantäne für infizierte Nachbarschaften oder die Durchsetzung eines Lockdowns keine leichte Aufgabe. Die Behörden werden die Menschen nicht mobilisieren, um sich gegen das Virus zu schützen, denn die herrschende Klasse hat Angst davor, dass die Menschen sich organisieren. Stattdessen werden sie schnell zu Unterdrückungsmaßnahmen greifen. Sie werden Polizei und Armee schicken, um die infizierten Menschen auszusondern und einzupferchen…“ – aus dem Beitrag „Coronavirus in Nigeria“ von H.T. am 04. Mai 2020 bei Solidarität externer Link über die generelle Situation im bevölkerungsreichsten Land Afrikas. Über das Wirken von Polizei und Ölkonzernen gegen die Menschen in Nigeria einige weitere aktuelle und ein Hintergrundbetrag sowie ein Beitrag über das Aktionsprogramm sozialer Organisationen, Gewerkschaften und progressiver Gruppierungen:

„Nigerian security forces kill 18 during curfew enforcement“ am 26. April 2020 bei Al Jazeera externer Link ist eine knappe Meldung über die schon bis dahin ausgesprochen tödliche Wirkung der Polizeieinsätze zur Durchsetzung der Ausgangssperre: 18 Todesopfer…

„La policía ha matado a más gente por no cumplir el confinamiento que el Covid-19“ am 20. April 2020 bei kaosenlared externer Link dokumentiert (ursprünglich bei Insurgente), stellt die Zahl der Polizeiopfer jener der Opfer des Virus gegenüber: An Corona sind zur selben Zeit 12 Menschen gestorben.

„Union seeks justice for worker shot dead by police in Nigeria“ am 13. Mai 2020 bei IndustriAll externer Link meldet die Kampagne der Ölarbeitergewerkschaft NUPENG wegen der Ermordung eines ihrer Mitglieder durch die nigerianische Polizei und fügt hinzu, dass sowohl die nigerianischen Gewerkschaften, als auch die Menschenrechtskommission gegen das Vorgehen der Polizei protestiert haben.

„Arbeiter einer Raffinerie haben gegen den lockdown protestiert, weil sie keine Einkommen mehr haben“ am 29. April 2020 im Twitter-Kanal von Sebastian Lotzer externer Link kommentiert einen kurzen Videobericht über diesen Protest

„IndustriALL raises questions ahead of Shell AGM“ am 12. Mai 2020 bei IndustriAll externer Link stellt vor der Aktionärsversammlung des in Nigeria wichtigsten Ölunternehmens, eben der Shell AG, Fragen: Welche Verantwortung das Unternehmen etwa dafür übernehme, dass die 82% seiner Beschäftigten, die von Subunternehmen angestellt sind, keine wirkliche Krankenversicherung haben und ganz generell unter extrem mangelnden Sicherheitsvorkehrungen zu leiden haben – wobei sowohl Kollegen, die von Todesfällen berichten, als auch jene, die die Konsequenz ziehen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, mit Entlassungsdrohungen verfolgt werden.

„Action Program for Nigeria: How will the poor survive Covid-19?“ am 14. April 2020 bei No Borders externer Link ist eine kommentierte Dokumentation des Action Programms, das 55 Organisationen aus verschiedenen Regionen Nigerias verabschiedet haben. Darunter sind auch eine ganze Reihe von Einzelgewerkschaften und regionalen Gewerkschaftsgliederungen, die sich gegenüber den Föderationen ausgesprochen kritisch zeigen – diese müssten endlich handeln und ihr Gewicht in die Waagschale werfen. In dem Aktionsprogramm wird gefordert, keine Entlassungen zuzulassen, die Weiterbezahlung der Einkommen zu garantieren und für alle nicht oder informell Beschäftigten staatliche Unterstützungszahlungen zu leisten.

„Delta Christmas Trees“ von Robin Hinsch und Moritz Frischkorn in taz Futur2 Nummer 11 externer Link (Dezember 2019) war eine Reportage aus dem Nigerdelta, die deutlich macht, was die Ölkonzerne auch gegen Menschen verbrechen, die nicht für sie arbeiten müssen. Darin heißt es unter anderem: „… Es gibt keine funktionierende Infrastruktur, keine Elektrizität, kein fließendes Wasser, zum Teil keine Schulen und Krankenhäuser. Die Jugendlichen hier sind zum größten Teil arbeitslos. Deshalb arbeiten sie in illegalen Raffinerien und verarbeiten dort gestohlenes Rohöl. Robin und ich wollen eine sogenannte artisanal refinery besuchen und verstehen, aus welchen Gründen Menschen diese Arbeit aufnehmen. Zugleich ist das Delta von bewaffneten sozialen und politischen Konflikten gezeichnet. Seit vielen Jahre suchen militante Gruppen den Konflikt mit der Zentralregierung und den internationalen Ölproduzenten. Dabei geht es sowohl um Umweltgerechtigkeit, als auch um Geld und Einfluß. Was jeweils im Vordergrund steht, ist schwer zu entschlüsseln. (…) Artisanal refineries sind der einzig florierende Wirtschaftszweig im Delta. Es gibt die lokalen, illegalen Raffinerien überall im Delta, sie werden von kleinen bewaffneten Gangs betrieben. Sie sind vollkommen informell, entsprechen keinen Umweltschutzvorgaben, aber sind so gut wie möglich in den Mangrovenwäldern des Deltas versteckt. Die Armee sucht und zerstört die Camps. Die Raffinerien sind Ausdruck eines korrupten Kriegs um Ressourcen und sprechen von der Vernachlässigung ganzer Bevölkerungsteile. Während in Deutschland und Europa Kinder jeden Freitag auf die Straße gehen, um für eine nachhaltige Klimapolitik zu kämpfen, sind Jugendliche im Nigerdelta dazu gezwungen, in diesen illegalen Raffinerien unter Einsatz ihres Lebens Rohöl zu kochen. Joseph Filima Baritaala ist 35 Jahre alt. Er ist seit einem Jahr verheiratet. Seit etwa 10 Jahren arbeitet er als artisanal refiner. Bevor er diese Tätigkeit aufgenommen hat, hat er, gemeinsam mit seinem älteren Bruder in Kamerun als Fischer gearbeitet. Als die Frau seines Bruders stirbt, muss er nach Nigeria zurückkehren. Aber im Delta gibt es keine Arbeit für ihn. Schon seit 2008 ist die Gegend so von Öl verschmutzt, dass man nicht mehr als Fischer arbeiten kann…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=172463
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