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Solidarität mit Nicaragua. Mit wem da?
Dass ein Unternehmerverband ein langjähriges realpolitisches Bündnis mit einer Regierung aufkündigt, ist nun wahrlich keine Besonderheit Nicaraguas. An dieser Stelle sei dazu auf Brasilien verwiesen, wo die per „legalen“ Putsch gestürzte sozialdemokratische Regierung ja nun auch keineswegs eine antikapitalistische Politik betrieb (und im Übrigen ebenfalls aus Gründen politischer Taktik und der christlichen Strömungen in der eigenen Partei eine Anti-Abtreibungspolitik beibehielt). Dass andererseits Proteste gegen die Verschlechterung des Rentensystems in Nicaragua so berechtigt sind, wie in der BRD oder in Russland, müsste eigentlich – eigentlich – sowohl für Gewerkschaften als auch für soziale Bewegungen und Linke selbstverständlich sein. Dass schließlich bei solchen Entwicklungen alle politischen Kräfte des In- und Auslandes versuchen, Einfluss zu nehmen, Linke wie Rechte, progressive wie reaktionäre, ist eine allgemein bekannte Tatsache. Und einer der zentralen Themenkomplexe ist dabei in der aktuellen Situation in Nicaragua die Frage, inwieweit die Regierung Ortega noch irgendwie die „traditionellen Werte“, für die der Sandinismus einst stand, verkörpert. Dazu drei regierungskritische Beiträge aus der aktuellen Debatte:
- „Nicaragua und die Linke: Unterdrückung, Kritik, Sozialismus und Demokratie“ von Matthias Schindler am 24. Juli 2018 bei der Gewerkschaftslinken Hamburg ist ein ausführlicher Beitrag des langjährigen Solidaritäts-Aktivisten, der nicht nur in einer Abschlussbemerkung darauf hinweist, dass die meisten der ihm persönlich bekannten Opfer der aktuellen staatlichen Verfolgungen ehemalige FSLN-Aktive sind, sondern unter vielem anderem auch zum Beginn der Proteste hervor hebt: „Viele Artikel der mehr oder weniger kritischen Unterstützer Ortegas sprechen von „von Anbeginn an gewaltsam verlaufenden Protesten“ und geben damit der Protestbewegung die Schuld für die Gewalt und die Toten. Diesen Darstellungen muss ich in aller Deutlichkeit widersprechen. Die Proteste begannen am 10. April 2018. Ich habe mich bis zum 14. April in Nicaragua (Managua) aufgehalten und die ersten Demonstrationen selbst miterlebt. Es handelte sich um bescheidene und völlig friedliche Kundgebungen von vielleicht einigen hundert Teilnehmer/innen. Diese Demonstrationen drückten die Sorge der Studenten um den Erhalt des Naturreservats Indio Maíz aus, das tagelang in Flammen stand, ohne dass die Regierung das Feuer bekämpfte und Hilfe aus Costa Rica sogar abgelehnt hatte. Die Studenten forderten – fernab von einem Sturz Ortegas – das sofortige Eingreifen der Regierung gegen diese Katastrophe, eine Untersuchung der Brandursachen, Unterstützung der Regierung für Umweltinitiativen und einen Dialog mit den staatlichen Verantwortlichen für den Umweltschutz. Diese Demonstrationen waren kaum organisiert, es gab einige handgemalte Schilder, die Teilnehmer/innen waren sommerlich leicht bekleidet, es gab keinerlei Maskierungen („pasamontañas“), sie haben den Straßenverkehr nur geringfügig gestört. Die Antwort der Regierung Ortega war jedoch – wie gewohnt, und wie ich es schon bei anderen Gelegenheiten mehrfach persönlich miterlebt habe – dass genau dort, wo eine Demonstration stattfinden sollte, zu einer Gegendemonstration der „Sandinistischen Jugend“ mobilisiert wird, um die eigentliche Demo zu verhindern. Dann beginnen die regierungstreuen Demonstranten, mit Beschimpfungen, Drohungen und Schlägen mehr oder weniger gewaltsam gegen die ursprüngliche Demo vorzugehen. Die dabei immer anwesende Polizei schützt die Demonstranten dabei nicht vor den Übergriffen der Regierungsanhänger. Die Anwesenheit und der Einsatz von Polizei und Aufstandsbekämpfungskräften variiert dabei nach nicht klar erkennbaren Regeln. An einem der folgenden Tage, häufig am Wochenende, werden dann die Beschäftigten verschiedener Ministerien mobilisiert, um an den diversen Kreisverkehren („Rotondas“) der Hauptstadt durch ihre Anwesenheit, Fahnen, Transparente und laute Revolutionsmusik aus den 1980er Jahren ihre Unterstützung für die Regierung Ortega zu demonstrieren. In diesem Fall dauerte die Beschallung über 24 Stunden und ließ mich in der Nacht kein Auge schließen. Im Volksmund wird diese Übung als „rotondear“ bezeichnet (ein unter Ortega neu entstandenes Wort, das wörtlich auf Deutsch übersetzt „kreisverkehren“ heißen würde). Wer nicht an diesen Zwangsmobilisierungen teilnimmt, riskiert seinen Arbeitsplatz. Bei wichtigeren Anlässen wird dann noch irgendwo in der Stadt ein zentrales Event mit großer Bühne, Musik und Getränken organisiert, dieses Mal am 12. April auf der Avenida Bolivar…“
- „Silencios que matan“ von Raúl Zibechi am 20. Juli 2018 bei Brecha (Uruguay) ist ein Beitrag, der die Haltung der „schweigenden Linken“ scharf kritisiert (nicht nur in Uruguay, wo die regierende Frente Amplio zutiefst gespalten ist, was die Reaktion auf die Entwicklungen in Nicaragua betrifft). „Schweigen, das tötet“ als Überschrift macht diese Orientierung bereits deutlich, die die Argumentation verteidigt, dass eine Linke ohne ethische Prinzipien nichts wert sei.
- „Nicaragua: A View from the Left“ von Jeffrrey L. Gould am 25. Juli 2018 beim NACLA ist ein weiterer Beitrag von langjährigen Unterstützern des Sandinismus, in dem versucht wird, das allmähliche Wegbewegen Ortegas vom traditionellen Sandinismus konkret nachzuzeichnen.
- Zur Entwicklung in Nicaragua und der internationalen Debatte darum zuletzt: „Die Regierung Nicaraguas kündigt ihr Bündnis mit der katholischen Kirche auf – die Debatten um die Entwicklung des Landes gehen unvermindert weiter“ am 20. Juli 2018 im LabourNet Germany (dort auch Verweis auf die zahlreichen vorherigen Beiträge)