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Eingeständnis: Die burmesische Armee hat bei den Massenvertreibungen der Rohingya systematisch geschossen. Und wer sie wohl dazu ausbildet?

Die Massenvertreibungen der Rohingya aus der Provinz Rakine haben monatelang die Schlagzeilen der ganzen Welt mit gestaltet. Jetzt, wo Hundertausende von ihnen in Bangladesch leben müssen, ist es stiller geworden, obwohl nach und nach Details der Massenvertreibungen bekannt werden, die sie eigentlich erst recht zum Thema machen müssten. Dass die Soldaten von ihren Waffen Gebrauch machten, ist nur eines dieser Details, das zumindest in der BRD eher „zurück haltend“ behandelt wird. Nicht ganz von ungefähr: Eine der Armeen, die mit ihren Kollegen in Burma eine Ausbildungspartnerschaft pflegen, ist die Bundeswehr. Aber auch für andere wirft die Entwicklung in Burma Fragen auf, die man eher gar nicht aufkommen lassen will. Wie Burma überhaupt zu einem Staat wurde, können am besten die Akten des britischen Imperiums erklären – die Situation kann in ihrer Komplexität vielleicht am besten dadurch angedeutet werden, dass das Waffenstillstandsabkommen von 2015 gleich von 8 bewaffneten Gruppierungen unterzeichnet wurde – von einigen weiteren aber auch nicht unterzeichnet wurde… . Über die Gründe für die aktuellen Pogrome wird bestenfalls in „Engführung“ diskutiert, die Erklärung „Öl“ ist einmal mehr im besten Fall auch zutreffend – und die in westlichen Medien so beliebten religiösen Gründe passen angesichts verfolgter Muslime auch nicht so recht ins hierzulande verbreitete Konzept. Die Dimension massiv antigewerkschaftlicher Politik – mit Verboten und andauerndem Polizeieinsatz – der Regierung ist selbst dann kein Thema, wenn die Kritik dieser reaktionären Haltung dazu beitragen würde, die politischen Verhältnisse in dem Land zu verstehen – wie etwa der wohl anstehende Schauprozess gegen zwei Journalisten. Unsere kleine kommentierte Materialsammlung „Verfolgungen in Burma“ vom 14. Januar 2018 soll einen Beitrag zu einem möglichen besseren Verständnis der dortigen Entwicklungen sein.

„Verfolgungen in Burma“

a) Die aktuelle Rolle der Armee (bei den Verfolgungen) in Burma

„Burmas Armee gesteht Tötung von Rohingya“ am 10. Januar 2018 im Spiegel  Online  externer Link berichtet von einem Eingeständnis, das zwar reichlich beschönigend klingt, aber dennoch eben erstmalig ist: „In Burma hat die Armee eine Beteiligung an der Tötung von zehn Angehörigen der muslimischen Rohingya eingeräumt. Die Armeeführung teilte mit, Soldaten und Bewohner des Dorfes Inn Din in der Krisenregion Rakhine hätten gestanden, Anfang September 2017 „zehn bengalische Terroristen“ getötet zu haben. Es ist das erste Mal, dass das Militär die Tötung von Angehörigen der muslimischen Minderheit einräumt. Bestätigt wurde in dem Zusammenhang erstmals auch die Aushebung eines Massengrabes in Inn Din. Im November hatte die Armee noch alle Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen zurückgewiesen. Die getöteten Rohingya waren laut Armee in dem Dorf gefangen genommen worden, nachdem rund 200 Rohingya Grenzposten des Militärs angegriffen und elf Soldaten getötet hätten. Wegen der fortgesetzten Angriffe hätten es die Sicherheitskräfte als unmöglich angesehen, die zehn zu einer Polizeiwache zu bringen. (…) „Es wurde die Entscheidung getroffen, sie auf einem Friedhof zu töten“, hieß es. Ein Mob von Buddhisten habe zunächst ein Grab ausgehoben und sei dann mit Messern sowie landwirtschaftlichen Geräten auf die Männer losgegangen. Zudem hätten vier der Soldaten das Feuer eröffnet, teilt das Militär weiter mit“.

„Burmese military steps up brutal crackdown on Rohingya Muslims“ von Kayla Costa am 30. August 2017  bei wsws externer Link ist ein Beitrag, in dem die Entwicklung der Armee-Aktion seit Oktober 2016 nachskizziert wird. Dabei wird die offizielle Begründung, es handele sich um eine antiterroristische Aktion aufgrund von Aktionen der Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) widerlegt, indem darauf verwiesen wird, dass EinwohnerInnen der Region, die dem mehrheitlichen Buddhismus zugerechnet werden, längst vor irgendwelchen Aktionen von der Armee evakuiert worden waren…

„Ein besonderes Verhältnis“ am 19. September 2017 bei German Foreign Policy externer Link (kostenpflichtig) bearbeitete aus Anlass der aktuellen Ereignisse und des Besuchs des Oberkommandierenden der burmesischen Armee in der BRD Geschichte und Gegenwart der Zusammenarbeit auf, was so beginnt: „Trotz der brutalen Operationen der myanmarischen Streitkräfte gegen die Rohingya-Minderheit zieht Berlin einen Ausbau der Militärkooperation mit Myanmar in Betracht. Wie myanmarische Medien übereinstimmend berichten, hat Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker im April mit General Min Aung Hlaing, dem Oberbefehlshaber des Landes, über die Ausbildung myanmarischer Offiziere in Deutschland gesprochen. Min Aung Hlaing besuchte nach dem Gespräch das Gefechtsübungszentrum Heer in Letzlingen, eine der modernsten Einrichtungen dieser Art weltweit. Zudem sind Myanmars Militärs, die die Kontrolle über das Land innehaben, mit dem EU-Militärausschuss im Kontakt; dabei geht es ebenfalls um eine mögliche Ausbildungskooperation. Naypyitaw knüpft damit explizit an die jahrzehntelange Unterstützung der Bundesrepublik für die Aufrüstung der burmesischen Streitkräfte und die Ausbildung von deren Soldaten an, die Mitte der 1950er Jahre begannen und nach Einschätzung von Experten „ein besonderes Verhältnis“ zwischen den beiden Ländern begründeten“.

„Ein fragwürdiger Besucher“ von Matthias Peer am 18. September 2017 im Handelsblatt externer Link ist ebenfalls ein (kostenpflichtiger) Beitrag zum Besuch des Oberkommandierenden – hier als Beispiel dafür, dass keineswegs nur linke Medien diesen Besuch zumindest als fragwürdig empfinden, in dem es einleitend heißt: „Myanmars Armeechef steht unter dem Vorwurf schwerer Menschenrechtsverstöße wegen der Militärgewalt gegen Angehörige der muslimischen Minderheit Rohingya. In Berlin ist Min Aung Hlaing mit militärischen Ehren empfangen worden“.

„Wie Berlin die ethnische Säuberung der Rohingya unterstützt“ von Johannes Stern am 20. September 2017 bei wsws externer Link ist ein Beitrag, der vor allem die politischen Hintergründe der wehrhaften Zusammenarbeit zum Thema hat. Unter anderem, so: „Kaum ein Ereignis entlarvt den deutschen Menschenrechtsimperialismus kurz vor der Bundestagswahl deutlicher, als das Schicksal von hunderttausenden muslimischen Rohingya, die derzeit vor der brutalen Gewalt des burmesischen Militärs aus Myanmar fliehen. Obwohl es eindeutige Hinweise darauf gibt, dass die burmesische Armee systematisch Dörfer niederbrennt, foltert und vergewaltigt, weigert sich die deutsche Regierung, die ethnischen Säuberungen beim Namen zu nennen, geschweige denn sie scharf zu verurteilen. Am 8. September veröffentlichte der sozialdemokratische Außenminister Sigmar Gabriel sogar ein Statement, dass den verfolgten Rohingya eine Mitschuld am tödlichen Vorgehen des Militärs gibt. Er sei „in großer Sorge über die erneuten Kämpfe im Bundesstaat Rakhine in Myanmar, die durch Angriffe auf Militär- und Polizeistationen ausgelöst worden sind und die wieder einen großen Flüchtlingsstrom nach Bangladesh ausgelöst haben“. Gabriel appellierte „an alle Seiten, zur Deeskalation beizutragen und die Zivilbevölkerung zu schützen“. Gabriels Statement ist zynisch und kriminell. Die Menschenrechtsverbrechen des burmesischen Militärs sind extrem und gut dokumentiert. Laut „Human Rights Watch“ sollen in den vergangenen Tagen etwa 80 Dörfer der Rohingya abgebrannt worden sein. Augenzeugen berichten, dass das Regime eine Politik der „verbrannten Erde“ verfolgt. „Die Armee ist gekommen und hat unsere Häuser niedergebrannt. Sie haben unsere Leute umgebracht“, berichtete etwa der 55 Jahre alte Usman Goni“.

b) Die Propagandaschlacht um die Entwicklung in Burma und ihre Hintergründe

„„Die rennen ja nicht einmal““ von Verena Hölzl am 20. November 2017 in der taz externer Link skizziert die Vorgeschichte und die Grundbedingungen der aktuellen Entwicklung – insbesondere die gesellschaftliche Isolierung der Rohingya: „Denn rechtzeitig bevor sie die Demokratisierung einleiteten, entwarfen die Generäle eine Verfassung, die ihre Macht unantastbar machte. Das Militär kontrolliert weiterhin die Polizei und zentrale Ministerien. Die größte Hoffnung auf eine Verfassungsänderung stellte ein prominenter Anwalt dar. Er wurde im Januar aus nächster Nähe und am helllichten Tag erschossen. Die Spur nach dem Täter verliert sich in Militärkreisen. Der Übergang verläuft ausschließlich nach den Spielregeln des Militärs. Die Regierung der Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi hat sich darauf eingelassen. Versöhnung lautet die Devise. „Das Militär hat sich gebessert“, sagt dementsprechend Ko Jimmy, der anders als sonst fahrig ist. Das Interview strengt ihn an. „Wir brauchen Zeit“, sagt er. Doch während sich Mehrheitsbevölkerung und Militär versöhnen, sterben in Myanmars Teilstaat Rakhine die Menschen. Die Rohingya finden selbst in progressiven Kreisen Birmas so gut wie keine Sympathien. Sie sind weder Teil der Zivilgesellschaft noch des öffentlichen Lebens. Weil das Militär die Papiere der Minderheit für ungültig erklärt hat, sind sie heute die größte staatenlose Gemeinschaft der Welt. Seit einer Gewalteskalation zwischen Buddhisten und Muslimen in Rakhine vor fünf Jahren lebt ein Großteil der rund eine Million starken Minderheit in abgeriegelten Zonen und Lagern, wo sie auf die Unterstützung von internationalen Hilfsorganisationen angewiesen sind. Über die Hälfte von ihnen ist inzwischen nach Bangladesch geflohen. Vor Kurzem ließ die birmesische Regierung ihre Felder abernten. Die jüngste Eskalation begann, nachdem einige Rohingya im Oktober vergangenen Jahres nach Jahrzehnten systematischer Diskriminierung erstmals zurückschlugen. Mit Steinschleudern, Macheten und ein paar Schusswaffen attackierten Mitglieder der Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) Grenzschutzposten. Neun Staatsbedienstete verloren ihr Leben. Das Militär holte daraufhin zum Vergeltungsschlag gegen die „islamistischen Terroristen“ aus, der vor allem auf Kosten der Zivilisten ging. Soldaten riegelten die Krisenzone für Journalisten und Hilfsorganisationen ab. Mithilfe von Satellitenbildern und Interviews rekonstruieren die Vereinten Nationen und Menschenrechtsgruppen schwerste Menschenrechtsverletzungen: Vergewaltigung, Demütigung, Angriffe, Brandstiftung und Mord durch Soldaten“.

„Ursachen der zahlreichen Konflikte im Vielvölkerstaat Myanmar“ von Marcin Pietraszkiewicz am 02. Januar 2018  bei telepolis externer Link ist ein Beitrag, der eine Zusammenschau der verschiedenen Konflikte im Land unternimmt: „Dieser Begriff ist eine relativ rezente Bezeichnung für unterschiedliche muslimische Gruppen. Er wurde von westlichen Medien und Menschenrechtsorganisationen in den Neunzigerjahren auf alle Moslems in Rakhaing ausgedehnt, obwohl sich viele von ihnen mit diesem Namen nicht identifizieren. Andererseits wird er von den Aufständischen zu einer klaren Abgrenzung zur buddhistischen Mehrheitsbevölkerung vereinnahmt. Rohingya-Aktivisten versuchen eine Geschichte der muslimischen Tradition in Rakhaing zu konstruieren, die es so nie gegeben hatte. Historiker gehen davon aus, dass es sich bei dieser Volksgruppe um ein Mischbevölkerung aus muslimischen Bengalen, die seit dem 16. Jahrhundert nach Arakan strömten und – in überwiegender Anzahl – aus bengalischen Moslems aus Chittagong im heutigen Bangladesch, die in der Kolonialzeit aus Britisch-Indien (dessen Teil Burma war) eingewandert waren. Ob auch Nachfahren einer alt angesessenen muslimischen Bevölkerung aus dem Königreich Arakan im heutigen Rakhaing leben, wie dies muslimische Aktivisten behaupten, ist geschichtlich nicht bewiesen.  Allen diesen Gruppen ist gemeinsam, dass sie ein staatenloses und entrechtetes Volk sind, das weder von Myanmar, in dessen Grenzen es seit der Unabhängigkeit lebt, noch von Bangladesch, dessen Sprache, Religion und Kultur es teilt, anerkannt wird. Das unterscheidet die Rohingya von der muslimischen Bevölkerung in anderen Teilen Myanmars, die Burmesisch spricht, burmesische Namen trägt und besser integriert ist. (…) Die Regierung Myanmars betrachtet die Rohingya als Fremde im eigenen Land, bezeichnet sie als „Bengalis“ oder Ausländer. Laut Vereinten Nationen gehören sie zu einer der „am stärksten verfolgten Minderheiten der Welt“. Nach einer Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetztes wurden den Rohingya 1989 die Personalausweise abgenommen. Ihr Land und ihre Rinder werden, oft von buddhistischen Nachbarn, regelmäßig konfisziert oder zerstört. Auf den von Moscheen geräumten Plätzen werden buddhistische Klöster erreichtet“.

„,Myanmar 969’ und ,786’ – Oder die Angst vor einer islamischen Invasion“ von Julia Thienhaus in Südostasien Ausgabe 3/2014 externer Link beschrieb die gesellschaftliche Konfrontation, die aus der Mobilisierung radikaler Buddhisten entsteht  wie folgt: „Ashin Wirathu, Sohn eines Lastwagenfahrers, wuchs zusammen mit seinen sieben Geschwistern in Kyaukse, einer Stadt nahe der damaligen Hauptstadt Mandalay, auf. Mit 17 Jahren schloss er sich der Mönchsgemeinde an. In seinen muslimischen Mitbürgern sah er die Hauptverantwortlichen für einen allmählichen Verfall des Buddhismus, weswegen er 2001 zum Boykott muslimischer Händler aufrief. 2003 wurde Wirathu aufgrund antimuslimischer Hetzjagden, die den Tod von zehn Muslimen in Kyaukse zur Folge hatten, zu 25-jähriger Haft verurteilt. Im Zuge einer allgemeinen Amnestie für politische Gefangene wurde er 2012 aus der Haft entlassen. Von Kritikern als ungebildeter und heuchlerischer ‚Möchte-Gern-Mönch‘ bezeichnet, wäre es leicht, Wirathu als einen solchen zu ignorieren, würde er derzeit nicht in Myanmar an Einfluss gewinnen. Der vollordinierte Mönch, der mit den Ängsten der gläubigen  Buddhisten spielt, prophezeit ihnen eine islamische Invasion, die ‚Rasse und Religion‘  zerstören werde, sofern nichts gegen die feindlichen Muslime unternommen würde. Die  Anhängerschaft besteht nicht nur aus ungebildeten Myanmaren, sondern ebenso aus gebildeten Mittelschichtlern; selbst Mitglieder der Oppositionspartei haben sich seinem antimuslimischen Kampf angeschlossen. (…) Spätestens seit Juni 2012 erregt das bis dahin kaum Beachtung gefundene Flüchtlingsproblem der muslimischen Rohingya Aufmerksamkeit in der Weltöffentlichkeit: Die Vergewaltigung  eines buddhistischen Mädchens durch drei muslimische Männer im Rakhaing-Staat hatte zu  gewaltsamen Protesten der buddhistischen Bewohner der Region geführt. Buddhisten griffen Muslime an, wobei nach Angaben der Regierung insgesamt 192 Menschen starben. Da die Übergriffe auf die Rohingya immer massiver wurden, das myanmarische Militär jedoch nicht eingriff, flüchteten immer mehr Muslime aus der Region. Nachdem die Gewalttaten im November 2012 vorerst erloschen, flammten die Auseinandersetzungen im März 2013 erneut auf.  Bei einem Vorfall in einem Juweliergeschäft in Meiktila, bei dem die Stadt zerstört wurde, verloren 43 Menschen ihr Leben und  über 12.000 Menschen mussten die Stadt verlassen.  Seitdem kommt es fast täglich zu Übergriffen auf Muslime, Moscheen werden zerstört und anti-muslimische Kampagnen finden landesweit eine jubelnde Anhängerschaft. Radikale Mönche verkünden anti-islamische Hasspredigten und Buddhisten boykottieren muslimische  Läden. Ein kleiner Vorwand reicht, um Gewalt eskalieren zu lassen“.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=173285
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