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Ohne Polizei in Mexiko: Geht. Besser als mit – und nicht nur in den zapatistischen Gemeinden

Zapatisten 2006 - eines der Fotos aus dem Buch, das per crowdfunding unterstützt werden soll„… Die Zapatista haben ihren eigenen Sicherheitsdienst, aber sie ist nicht vergleichbar mit der üblichen Polizei. Sie ist weder bewaffnet noch uniformiert noch professionell ausgebildet. Auch diese werden von ihrer Gemeinde gewählt, üben ihre Funktion nicht ständig aus und werden dafür nicht bezahlt. Jede Gemeinde hat ihre eigene “Polizei”. Sie ist dezentralisiert und im Gegensatz zu der Polizei, wie wir sie kennen, steht sie unter der Kontrolle der Gemeinschaft, die sie wählt. Gustavo Esteva, ein ehemaliger Berater der Zapatista, argumentiert, dass die zapatistischen Gebiete “der sicherste Ort in Mexiko und vielleicht einer der sichersten der Welt” sind. In den zapatistischen Gemeinden ist das Land in kommunalem Besitz und niemand hungert, so dass man argumentieren könnte, dass aus Diebstahl wenig zu gewinnen ist. “Im gesamten zapatistischen Gebiet sind heute nur zwei Männer im Gefängnis”, sagt Esteva in einem Gespräch 2013. “Und diese beiden Männer sind im Gefängnis, weil sie das schlimmstmögliche Verbrechen begangen haben. Sie haben Marihuana angebaut.” Das Problem in diesem Fall ist eher nicht der Gebrauch von Marihuana. Das Problem ist, dass sie der Regierung einen Vorwand geben können, um die Zapatista und die Gemeinden anzugreifen…“ – aus dem Beitrag „Bewegung der Zapatista: Ohne Polizei und Parteien lebt es sich besser!“ am 29. Juni 2020 bei Schwarzer Pfeil externer Link – ein Überblick über die Organisation der zapatistischen Gemeinden, darunter eben auch des „Sicherheitswesens“. Siehe dazu auch einen weiteren Beitrag über eine polizeifreie Stadt im Westen Mexikos und eine Reportage über die Sicherheitspolitik in zapatistischen Gemeinden:

  • „Cherán: Demokratie ohne Parteien und Polizei“ am 27. Juni 2020 ebenfalls bei Schwarzer Pfeil externer Link: „… Die Regierung schwieg über den Aufstand. Auf ausdrücklichem Wunsch der Gemeinde von Cherán sagte das Bundeswahlgericht von Mexiko die Kommunalwahlen in Cherán im November 2011 ab. Die Grundlage der Selbstverwaltung der indigenen Bürger:innen war geboren. Die Bevölkerung gründete den Rat der K’eris, den Ältestenrat, und führten ein System der Selbstverwaltung ein, welches ohne Wahlen funktioniert und unabhängig von den politischen Parteien ist. Das ganze bisherige System wurde revolutioniert – raus mit den politischen Parteien, raus mit dem Rathaus, raus mit der Polizei. Neben dem Ältestenrat, bestehend aus 12 Personen, gibt es zudem einen Jugendrat, einen Frauenrat, Nachbarschaftsräte und einen kommunalen Gebietsrat, welcher sich auf die Unternehmensentwicklung konzentriert. Politische Parteien wurden verboten und die Ronda Comunitaria, Cheráns eigenem Sicherheitsdienst, beschützen die Gemeinde und den Wald. “Für Gerechtigkeit, Sicherheit und die Wiederherstellung unseres Territoriums” steht auf ihrer Kleidung. In Cheráns einzigartiger Regierungsform liegt die wahre Macht vollständig beim Volk. Es gibt keine einzige Entscheidung, die ohne Konsens getroffen wird, angefangen bei der Frage, wer einen lokalen Arbeitsplatz im Baugewerbe erhält, bis hin zur Zuweisung der öffentlichen Dienstleistungen und der Überwachung der Ausgaben des Haushalts. Die Autorität der Gemeindeversammlung steht über allen anderen lokalen Regierungsorganen. Nach langen Auseinandersetzungen mit der mexikanischen Regierung wurde Cherán letztlich 2014 als eine legale, selbstverwaltete indigene Gemeinschaft anerkannt. Die Verfassung Mexikos erlaubt Selbstverwaltung und Selbstkontrolle durch indigene Gemeinschaften. Die Gemeinde Cherán ist seitdem ein semi-autonomes Gebiet. Zwar nehmen die Bürger:innen nicht an politischen Wahlen im Land teil und stehen unter einer Selbstverwaltung, doch sie führen auch Steuern an den Staat ab und bekommen dadurch auch Investitionen für den Aufbau der Gemeinde zurück. Eine Fachhochschule ist gerade im Bau. Vier Kommunalbetriebe (Forst, Sägewerk, Steinbruch und Harzdestillation) geben der Bevölkerung gesicherte Arbeit. Der Regierung in Mexiko ist Cherán dennoch ein Dorn im Auge. Immer wieder versuchen Parteien und Behörden in Cherán Fuß zu fassen. Auch die eigene Sicherheitseinheit soll in die staatliche Polizei integriert werden. Doch die Gemeinde wehrt sich und beharrt darauf unabhängig zu bleiben. Politiker:innen und Polizei sollen draußen bleiben…“
  • „Zapatistas: Lessons in community self-organisation in Mexico“ von Anya Briy am 25. Juni 2020 bei Open Democracy externer Link ist ein Reisebericht, der ausgehend von den aktuellen Forderungen gegen die Polizei in den USA, über entsprechende Erfahrungen aus Mexiko berichtet, mit dem Schwerpunkt der zapatistischen Gemeinden (und unter Verweis auf andere indigene Regionen mit eigenen „Schützern“). Dabei wird insbesondere hervor gehoben, dass der Grundzug des Sicherheitswesens in diesen Einheiten die Suche nach dem Konsens ist – und wo Bestrafung beschlossen wird, dies in der Regel in Form sozialer Arbeiten vollzogen wird.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=175208
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