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„Natürlich sind am Protest gegen die Benzinpreiserhöhung alle sozialen Klassen der mexikanischen Gesellschaft beteiligt“

Mobilisierungsplakat von uni-Gewerkschaften gegen Benzinpreiserhöhung im Januar 2017Das ist einer der Kernsätze aus einem kurzen Telefoninterview mit Horacio Cartes Pena, einem langjährigen Aktivisten der Elektrikergewerkschaft SME, über die massiven Proteste gegen die zu Jahresbeginn in Mexiko stattgefundene Erhöhung des Benzinpreises. Während die Regierung versucht, einerseits zu beschwichtigen (der Präsident unterstrich im Fernsehen, er fühle mit den Menschen Mexikos, aber leider…) und andererseits einmal mehr die schießwütige Polizei aufmarschieren lässt, was erneut zu Todesopfern geführt hat, wird nicht nur die Empörung der Menschen immer größer, sondern auch die Bewegung: An diesem Samstag kam es erstmals zu Demonstrationen, Kundgebungen und Blockaden in 17 Bundesstaaten Mexikos, mit massiver Beteiligung. Die Gegenpropaganda setzt auf zwei Bausteine: Die Zusammenhänge dieser Erhöhung mit der Privatisierungspolitik zum Unthema zu machen und dafür die „Plünderungen“ in den Mittelpunkt zu stellen. Das Telefoninterview „Die Plünderer sitzen im Regierungspalast“ von Helmut Weiss mit Horacio Cartes Pena ist vom 08. Januar 2017 und darin sind auch Paralellen und Unterschiede zum Kampf gegen die Privatisierung des Erziehungswesens ein Thema

 „Die Plünderer sitzen im Regierungspalast“

Am Wochenende gab es Proteste, Demonstrationen, Kundgebungen, Blockaden in 17 Bundesstaaten lautet die Meldung vom Samstag und, erneut, ist von der Polizei geschossen worden, von zwei Todesopfern ist die Rede. Gibt es eigentlich in Mexiko gesellschaftliche Auseinandersetzungen, bei denen niemand stirbt?

Nein, gibt es nicht, nächste Frage.

Aber warum ist das so, wie geht das, dass es immer wieder und wieder passiert – und nichts passiert?

Nun zum einen ist ein Menschenleben in unserem Land traditionell nicht sehr viel Wert, das hat uns schon die spanische Krone gelehrt, das wiederholen uns die Grenzwächter der USA und die deutschen Unternehmen, die die Mordpolizei mit Waffen beliefern. Halt einer weniger, es gibt ja genug.

Aber das muss doch irgendwie „verkauft“ werden, also die Regierung muss doch irgendwie argumentieren, eine Propagandalinie haben?

Ja, ist jetzt diesmal ja einfach, Plünderer eben, Plünderer sind böse, als kann man sie erschießen, jagen, verfolgen, terrorisieren, was auch immer. Schau, das ist ja so, dass bei diesem Protest gegen die Erhöhung der Benzinpreise in der Tat alle sozialen Klassen mitmachen, diesmal schon. Natürlich sind am Protest gegen die Benzinpreiserhöhung alle sozialen Klassen der mexikanischen Gesellschaft beteiligt, weil es sie alle trifft, viele kleine Unternehmer beispielsweise auch, aber eben auch jene, denen eine Geschäftsplünderung schon mal leichter von der Hand geht, als Anderen. Ich sage jetzt dazu, dass ich die Menschen verstehen kann, wenn sie sich nehmen, was sie brauchen, denn die wirklichen Plünderer sitzen in der Regierung, da wird einfach verfügt, ihr zahlt jetzt mehr und fertig, so viel, wie da gestohlen wird, kann man gar nicht aus Geschäften plündern.

Inwiefern hat diese aktuelle Preiserhöhung mit der Privatisierungspolitik der Regierung zu tun – das wird immer wieder von allen oppositionellen Seiten gesagt, wie kann man das jemand erklären, der oder die die Situation nicht kennen?

Nun, wie überall auf der Welt sind auch in Mexiko die Öleinnahmen gesunken und jetzt werden, unter anderem zur Begleichung von Auslandsschulden, Geschäftsmöglichkeiten für Multis eröffnet, wie etwa Benzinverkauf – natürlich gleich zu neuen Preisen, da liegt es nahe, dass keineswegs nur die linksoppositionellen Organisationen, sondern die ganze Bevölkerung das im Zusammenhang sieht, weswegen ja auch die diversen Austeritätsparteien, die gerade nicht an der Regierung sind, wie PAN oder PRD sich beeilen, als Kritiker zu erscheinen. Pena Nieto versucht, die Preiserhöhung zu rechtfertigen, indem er sagt, damit könne man die Fortsetzung von Sozialprogrammen garantieren, aber das glaubt ihm wirklich niemand, seine Situation ist insofern jetzt besonders kompliziert, als dass natürlich auch Teile des Bürgertums diesen Schritt ablehnen.

In den ersten Tagen hatte man aber beispielsweise den Eindruck, die Gewerkschaften etwa wären nicht besonders an diesen Protesten beteiligt – stimmt das so?

Nein, das stimmt ganz und gar nicht, obwohl der Eindruck insofern stimmt, als Gewerkschaften auch in Mexiko nicht zum Schnellsten gehören, was so aktiv ist. Aber inzwischen ist die Beteiligung sehr massiv, es gibt Proteststreiks und Demonstrationen und sogar die Gewerkschaften im Ölbereich, die nun wahrlich nicht zu den besonders radikalen oder kämpferischen gehören, sind schon aktiv geworden.

Es ist ja immer wieder so, dass es in Mexiko, zumindest, wenn man es von außen betrachtet, große Kämpfe gibt, die aber oft isoliert voneinander stattfinden – ist dies dieses Mal anders?

Ja, da hast Du recht, dieser Eindruck von Außen täuscht nicht, im Gegenteil, das ist eines der Grundprobleme, vor dem wir hier stehen. Aber es ist dieses Mal natürlich anders, weil es eben auf ein Mal alle betrifft, das ändert die Sachlage und macht es für die Regierung und die hinter ihr stehenden Kräfte schwerer, die Menschen auseinander zu bringen. Und es war ja schon in der Tendenz anders bei dem Kampf der Lehrer, der CNTE im letzten Jahr.

Wenn Du schon diesen Kampf der CNTE anführst, der ja eigentlich entweder mit einer Niederlage endete oder noch nicht entschieden ist: Siehst Du Unterschiede dazu oder Entwicklungen seitdem?

Halt, halt – verloren ist dieser Kampf noch nicht, die Erziehungsreform, die Pena Nieto wollte ist bisher nicht durchgesetzt, das ist die grundlegende Tatsache von der man ausgehen muss, er hat es bisher nicht geschafft, sie zu realisieren. Und ja, die CNTE hat es geschafft, breite Unterstützung zu finden, sowohl auf der Linken – und schon das ist hierzulande nicht selbstverständlich, als auch in der Gewerkschaftsbewegung, und das ist noch viel weniger selbstverständlich, leider ist das so, aber sie haben auch massive Unterstützung aus der Gesellschaft gehabt und vor allem, und das war vielleicht das Wichtigste, von einem guten Teil, vermutlich sogar der Mehrheit, der Eltern. Und in Beziehung auf die aktuelle Auseinandersetzung ist es natürlich schon so, dass einerseits sehr viele Menschen darauf gewartet haben, wie sich die CNTE dazu äußern würde – und das hat sie laut und eindeutig dagegen, kritisch getan – und hat eindeutig klar gemacht, dass Plünderungen kritisieren kein grund ist, sich an diesem Kampf nicht zu beteiligen.

Abschließend die Frage, welche Perspektiven das eröffnet?

Das kann man jetzt noch gar nicht abschließend beurteilen, dazu muss noch einiges passieren. In jedem Fall ist es so, dass die Regierung im Moment sich in einer Situation befindet, um die ich sie nicht beneide.

 

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=109625
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