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“Dieser Kampf wird lange dauern”
Das folgende Gespräch fand am 16. Oktober 2013 in Belo Horizonte, Brasilien statt. Miguel Hernandez und Clarissa Ramos waren in Brasilien auf Veranstaltungstour der “Lehrersolidarität: Mexikanische LehrerInnen der Gewerkschaftsopposition CNTE besuchten die streikenden KollegInnen nicht nur in Rio de Janeiro, sondern eben auch in Belo Horizonte und Goiânia. Miguel Hernandez ist in der Leitung des “Local 9” der Lehrergewerkschaft SNTE, in dem die Gewerkschaftsopposition CNTE die Mehrheit hat – Local 9 ist die Hauptstadt Mexiko Stadt. Clarissa Ramos ist in der Leitung des “Local 22” im Bundesstaat Oaxaca, in dem es ebenfalls und zwar seit langem, eine oppositionelle Mehrheit gibt. Im Gegensatz zur regierungsnahen Gewerkschaft SNTE führt die Gewerkschaftsopposition CNTE seit Anfang des Jahres 2013 einen heftigen Kampf gegen die sogenannte Bildungsreform des im letzten Jahr gewählten Präsidenten Pena Nieto – wobei es der CNTE gelang, breite Teile der Schülerinnen und Eltern zur Teilnahme an dieser Widerstandsbewegung zu mobilisieren. Das Interview führte Helmut Weiss.
In der letzten Tagen kam die Meldung aus Mexico, dass der Streik, den die CNTE seit dem Beginn des Schuljahres Mitte August organisiert hatte, ausgesetzt sei. Ist das das Ende des Widerstandes – eine Niederlage?
MH: Nein, nein, das ist nicht das Ende des Kampfes, es ist auch nicht die Niederlage. Zum einen, weil wir schon vorher wussten, dass es schwer werden wuerde, lange dauern wuerde, zum anderen denken wir schon auch an die Schuelerinnen und Schueler, die jetzt fast zwei Monate ohne Unterricht sind und ja, auch das gibt es natuerlich, Kollegen, die zunehmend mehr Schwerigkeiten, finanzielle Schwierigkeiten haben mit der langen Streikzeit. Also weder kann noch will ich sagen, dass es keine Schwierigkeiten geben wuerde, aber der Kampf geht weiter. Dieser Kampf wird lange dauern. Und eines kann ich Dir mit Sicherheit sagen: Es warden bereits in kurzer Frist auch wieder andere Meldungen kommen, naemlich ueber fortgesetzte oder erneuerte Streikaktionen der CNTE, moegen sie nun local oder regionale, also auf Ebene von Bundesstaaten geben, die Vorbereitungen dafuer gibt es die ganze Zeit, da gibt es kein vertun, dies ist auch nicht ein sogenanntes stilles Ende des Kampfes, wo man sozugane schweigend ueber eine Niederlage hinweg geht, wie gesagt, dieser Kampf wird lange dauern und das ist nicht einfach nur so dahin gesagt.
CR: Du must dazu wissen, dass in den letzten Jahrzehnten, eigentlich faktisch in all den rund 40 Jahren, seitdem es die CNTE Opposition gibt, jedes mal zu Schuljahresbeginn Proteste und Streiks organisiert wurden – und kein einziges Mal ohne guten Grund, denn das Bildungswesen Mexikos entspricht bei weitem nicht den Erwartungen der Menschen und auch nicht den Versprechungen aller Regierungen dieser Zeit. So sind die Menschen diese Streiks gewohnt, aber eben auch, dass sie irgendwann aufhoeren, mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen von Jahr zu Jahr.
Wenn Du sagst, es ist eine Art Gewohnheit – aber diesmal war doch einiges anders, oder?
CR: Dazu must Du folgendes wissen: Die CNTE hat schon seit laengerer Zeit die Mehrheit im Bundesdistrikt, in Chiapas und vor allem in Oaxaca, dieser Bundesstaat ist so etwas wie die Keimzelle unserer Bewegung. Aber dieses Mal streikten Kolleginnen und Kollegen in 23 der 31 Bundesstaaten, dieses Mal beteiligten sich ueber 200.000 der rund 1,2 Millionen Beschaeftigten im Erziehungswesen, dieses Mal hatte die massive Repression des Staates nicht den Erfolg, dass der Widerstand zusammenbrach – und dieses Mal gab es die nahezu totale Unterstuetzung von Seiten der Schueler und Eltern, was weder selbstverstaendlich ist, noch bisher besonders verbreitet war.
Das muss doch vor allem mit dem Inhalt der Auseinandersetzung zu tun haben, oder?
MH: Ja sicher – einfach, weil die Menschen nicht glauben, was die Regierung sagt, sondern eher glauben, was die Gewerkschaftsopposition sagt…
Moment, Moment: Was die Gewerkschaftsopposition sagt – und was sagt die Gewerkschaft?
MH: Die sagt entweder gar nichts, dies mit Vorliebe, oder aber bekundet ihre Bereitschaft zum Dialog. Aber ueber dieses Reformpaket kann es keinen Dialog geben, weil es im krassen Gegensatz zu allen Bestrebungen der Schueler, Eltern und eines Grossteils der Lehrer steht. Den Kernpunkt dieses Plans kann ich Dir so kurz zusammenfassen, dass es anhand der Pruefungsergebnisse der Schuelerinnen und Schueler eine berufliche Bewertung der Lehrerinnen und Lehrer geben soll. Was sich dann auch in Gehaeltern, Befoerderungen und so weiter niederschlagen soll. Und in Zuweisungen von Finanzmitteln fuer Schulen. Das ganze kombiniert mit erweiterten Aktionsmoeglichkeiten fuer private Anbieter – da kann nur die Absicht dahinter stehen, einen besser qualifizierten Unterricht zum Gegenstand der Finanzkraft eben nicht nur der Schulen, sondern auch der Eltern zu machen, wogegen eben sowohl die Beschaeftigten als auch die Betroffenen sind.
CR: Wir sind ja keineswegs gegen eine durchgreifende Reform des Bildungswesens, die CNTE hat schon lange klar definierte Punkte, was da geschehen muesste – nur hat das gar nichts mit dieser angekuendigten Reform zu tun. Weniger Unterrichtsstunden bedeuten fuer uns besseren Unterricht, mehr Geld fuer Austattung, die Abschaffung der Kostenbeteiligung bedeutet vereinfachten Zugang auch fuer die Kinder aus armen Familien und die Inhalte sollten so definiert warden, dass sie nicht an den Forderungen der Personalbueros grosser Unternehmen sich ausrichten, sondern an einem Leitbild eines, sagen wir einmal, muendigen Buergers. Da haben wir auch nichts gegen eine Leistungsbeurteilung unserer Arbeit – das kann ja der Verbesserung der Arbeit dienen, aber nicht, wenn sie von irgendwelchen Buerokraten vorgenommen wird, oder gar von undurchschaubaren privaten Komitees, und schon gar nicht, wenn Pruefungsergebnisse, Noten also, der Massstab sein sollen. Nein, wir wollen die Bedeutung der Noten eher reduzieren, Inhalte, Kenntnisse, Faehigkeiten, Interessen sollen die Richtschnur sein, und die Eltern sollen mitbeurteilen.
Nun habt ihr schon darauf verwiesen, dass dieses Mal die Unterstuetzung der Eltern und Kinder besonders stark war, neu in dieser Form – wie war es aber mit der gesamtgesellschaftlichen Reaktion?
CR: Dazu muss ich zwei Dinge vorher sagen, damit das einigermassen verstanden warden kann von Menschen, die unser Land nicht kennen. Zum einen hat man ja vielleicht schon gehoert, dass in Mexico eines der grossen Medienmonopole dieser Welt existiert, das Imperium des Herrn Carlos Slim. Ueberparteilich und total reaktionaer. Das ist aber keine Konstante, das sieht man ja auch in diesen Tagen in Brasilien hier, wo die Globo-Maschine ja offensichtlich mit Verlust an Glaubwuerdigkeit zu kaempfen hat – dieser Prozess hat, so denke ich, in Mexico ebenfalls begonnen, es ist nicht mehr diese totale Propagandawand, vor der man steht, es ist ein bisschen einfacher geworden. Die zahlreichen militanten Aktionen unserer Mitglieder sind natuerlich in der Maschine von PRI und PAN als Vandalismus, Rowdytum und so weiter diffamiert worden, was aber nicht so wirkte, weil es staendig neue Videofilme im Internet ueber diese Aktionen gab, wo jeder sehen konnte, was da wirklich passiert ist. Und zweitens, das warden die Brasilianer besser verstehen als die Deutschen, ist es in Mexico schon auch so, wie in anderen grossen Laendern – das die Bewegung in einem anderen Bundesstaat ungefaehr so weit we gist, wie eine im Ausland. Ich spreche dabei nicht von den politischen Spaltungen, Trennungen und Interessen, alles das gibt es nicht nur, sondern bei uns recht massiv, ich spreche einfach von ganz normalen Verhaeltnissen in einem Land, das so viel grosser ist als etwa Deutschland. Diese beiden Dinge vorausgesetzt, muss oder kann ich sagen, dass ich denke, dass wir wirklich einen Schritt voran gemacht haben. Einmal dadurch, dass wir selbst es geschafft haben faktisch im Landesmasstab zu mobilisieren, was uns bisher nicht so gelungen war. Zweitens durch die bereits erwaehnte einmalig starke Unterstuetzung durch Eltern und Kinder und drittens aber auch durch unsere Anstrengungen – und die anderer, wir sind ja nicht die Einzigen, die diese Sachlage erleiden – verschiedene Bewegungen bewusst zu verbinden, im konkretesten und bekanntesten Fall mit dem Protest gegen die geplante Privatisierung des staatlichen Oelkonzerns Pemex.
Ist das den heute eine breite Bewegung? Ich meine etwa bei dem Kampf, dem faktisch, wie ich es sehe, verlorenen Kampf gegen die Privatisierung der Stromversorgung, hatte ich aus der Ferne schon den Eindruck, dass die Belegschaft und ihre Familien real gesehen, also jenseits von aufgeschriebenen Erklaerungen der Solidaritaet recht alleine geblieben sind – oder taeusche ich mich da?
MH: Schon wieder muss man dazu zwei Sachen sagen. Einmal ist es bestimmt so, dass die Buerokratie in unserem Land besonders starr ist, weil sie eben auch mit der generationenlangen Regierungsmacht der Institutionell Revolutionaeren Partei (PRI) unendlich verwoben ist. Was auch heisst, dass die staatlichen Unternehmen keineswegs besonders populaer sind. Wobei es bei uns auch so ist wie ueberall, dass die Verfechter der Privatisierung immer die Telefonwirtschaft als gelungenes Beispiel anfuehren – und dies auch koennen, ich denke, dass selbst in Deutschland telefonieren billiger geworden ist, oder? Wir jedenfalls versuchen dem immer zu begegnen, indem wir die Beteiligung der Betroffenen auf die Tagiesordnung der Debatte zu setzen versuchen. Zum anderen ist es ja auch so, dass die nahezu Hundert Jahre PRI Regierung immer auch gekennzeichnet waren, von der Einbindung der Gewerkschaften in das Alltagsystem der Herrschaft. Da gab es zwar immer wieder Versuche, Alternativen zu organisieren, wir sind ja eine derjenigen, die von der ersten Welle solcher Versuche in den 70er Jahren uebrig geblieben sind, aber in den letzten Jahren hat sich da eine zweite Welle verstaerkt, auf die wir natuerlich hoffen. Was dazu fuehrte, dass Gewerkschaften, die wirklich kaempfen wollten – oder mussten, das gab es ja auch oft – oftmals recht isoliert waren. Und diese Isolation zu durchbrechen ist schwer, das war auch fuer die SME, also die Gewerkschaft der Elektrizitaetswerke, die stark organisiert war, das war auch fuer sie sehr schwer und ist ihr in der Tat, trotz grosser Anstregungen, nur teilweise gelungen, insofern hast Du schon zumindest teilweise recht.
Lass mich da noch mal einhaken, ueber die Situation der Gewerkschaftsbewegung im allgemeinen werden wir hoffentlich noch reden. Was mir jetzt aufgefallen ist, war Deine Aussage ueber die Beteiligung der Betroffenen als Alternative zur Privatisierung. Dazu muss ich sagen, dass wir vom LabourNet Germany vor einiger Zeit versucht haben, einen kleinen politischen Impuls zu setzen, mit einem Vorschlag in die Richtung “Demokratisieren statt privatisieren”. Solche Initiativen ergreifen wir manchmal, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg – in diesem Fall mit weniger. Wie macht ihr das?
CR: Dazu muss man natuerlich als erstes sagen, dass auch wir da auf Probleme stossen, viele Menschen, auch Betroffene, denken, das koennen wir doch gar nicht. Was stimmen mag – lernen kann man es aber auf jeden Fall. Zum anderen aber ist es doch oefter so, immer oefter, dass gerade in unserem Bereich eine solche Orientierung von den betroffenen Menschen selbst aufs Tapet gebracht wird. Man muss da aber schon auch entsprechende Allianzen schmieden, damit das aussichtsreich wirkt, also Experten etwa haben, die sich bereit erklaeren, Menschen auszubilden.
MH: Es ist halt immer eine Frage, inwieweit ich in der Lage bin, programmatische Punkte auch zu verwirklichen, ode rob sie auf dem Papier bleiben. Hat man solche Positionen wie etwa Beteiligung, dann muss man eben auch daran arbeiten, die Bedingungen zu ihrer Verwirklichung zu schaffen, sonst entfernen sich Programm und wirklichkeit und das ist dann, vor allem eben fuer eine Gewerkschaft, ziemlich, wie soll ich sagen, kompliziert…
Lasst uns an diesem Punkt zur Situation der mexikanischen Gewerkschaften heute kommen – denn das verstehe ich geradezu als Stichwort dafuer, der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Und ich spreche dabei keineswegs nur von der CTM oder so, also den in das PRI System eingebundenen Gewerkschaften, sondern ich spreche durchaus auch von alternativen Gewerkschaften und auch von der CNTE.
MH: Naja, da kommt es jetzt halt schon sehr darauf an, was Du damit meinst. Fangen wir also mit der CNTE an, da denke ich, ich weiss, worauf Du hinaus willst – die Privilegienwirtschaft, oder etwa nicht?
Nun, ich meine: Die Lehrer sind ohnehin privilegiert, sie vererben ihre Anstellung und so weiter, alle diese Vorwuerfe, die ja entweder einen wahren Kern haben oder frei erfunden sind, aber jedenfalls einen Widerspruch eben der genannten Art signalisieren, oder?
CR: Das betrifft ja dann meistens Oaxaca mit den Vertraegen aus den 80er Jahren, nicht wahr? Nun, dazu muss man schon zuerst wissen, dass etwa die Gehaelter Ergebnis harten gewerkschaftlichen Kampfes waren und sind und keine Geschenke und ja, sie liegen ueber dem Durchschnitt, aber deswegen sind so noch lange nicht besonders hoch, da sollten jene, die das anfuehren entweder genauer hinsehen – oder ihre eigenen Einkuenfte offen legen, das tun sie ja meistens nicht, nicht wahr? Zweitens muss man sehen, wer da heute kaempft – das sind die jungen Lehrer, das sind nicht zuletzt die jungen Lehrerinnen, die keineswegs dieselben Gehaelter beziehen wie die Alten. Deswegen war es ja ueberhaupt erst moeglich, dieses Mal breitere Unterstuetzung zu bekommen. Klar, in Ciudad de Mexico haben etwa 60% der Befragten angeblich gesagt, Lehrer, die Barrikaden bauen, Strassen besetzen oder Regierungsgebaeude, sollten ins Gefaengnis, aber erstens, wer macht diese Umfragen mit wem und zweitens wer veroeffentlicht sie wann, das bleiben immer noch Fragen.
Nun ja, das leuchtet mir ja alles ein, und das kennen wir aus Deutschland ja auch, dass die Gewerkschaften fuer Berufsanfaenger niedrigere Tarife vereinbaren, was ich eigentlich immer falsch finde. Aber das deckt noch nicht die Frage nach den Privilegien ab, meiner Meinung nach.
MH: Direkt gesagt: Natuerlich gibt es auch in der CNTE Stroemungen, die ich beispielsweise voellig daneben sehe, es ist ja eine der besonderen Krankheiten gerade der mexikanischen Gewerkschaftsbewegung, dass immer wieder auch oppositionelle, alternative Stroemungen, Gruppierungen, Gewerkschaften von dem PRI Moloch aufgesogen wurden. Und ich denke schon, Stichwort eigene Schulgerichte etwa, dass es da Entwicklungen gegeben hat, die keineswegs erfreulich sind. Ich bin auch ein Gegner der bevorzugten Berufung von Lehrerkindern auf neue Stellen, das ist auch eine Art Korporatismus, die wir bekaempfen muessen. Andrerseits ist es keineswegs so, dass dies quer durch Mexico die Wirklichkeit waere, das muss eigentlich zuerst gesagt werden. Aber es bleibt auch hier deutlich zu sagen, dass eben auch die CNTE nicht von einer anderen Welt ist, dass sie sowohl von den generellen Umstaenden, als auch ihrer eigenen Geschichte innerhalb der SNTE gepraegt ist.
Was meinst Du damit, wie sieht diese Praegung durch Umstaende und Gewerkschaft aus?
MH: Nun zum einen duerfte Dir bekannt sein, dass der mexikanische Staat, die diversen Regierungen niemals gezoegert haben, auch extreme Gewalt anzuwenden, wenn Bewegungen drohten zu stark zu werden. Ich werde jetzt nicht alle diese Geschichten vom Eisenbahnerstreik ueber die Olympiade 1968 nochmals aufzaehlen, das ist vermutlich das, was noch am ehesten im Ausland bekannt ist. Ich moechte nur aktuell daran erinnern, dass der heutige Praesident, der Herr Nieto einer der Verantwortlichen fuer das Massaker von Atenco vor einigen Jahren war. Das praegt insofern, als es immer ein grosses Bestreben gibt, jede Errungenschaft machtpolitisch abzusichern, um sie nicht bei naechster Gelegenheit wieder zu verlieren. Und ich sage ausdruecklich machtpolitisch, keineswegs nur per Tarifvertrag oder auch per Gesetz, sondern am ehesten per Institution. Was eindeutig eben zwei Seiten hat.
CR: Das andere ist die Gewerkschaft selbst. Du must das ja so sehen, das ist ja nichts, was irgendwie nur per Abstimmung auf Kongressen oder so passiert, diese Auseinandersetzung. Da hat es zumindest frueher des oefteren tote Oppositionelle gegeben. Und beim Gewerkschaftskongress im Bundesstaat Chiapas, als wir die Mehrheit gewonnen haben, haben sie nicht nur Menschen mobilisiert, die gar nicht in der Gewerkschaft waren, sondern auch dann, als wir Kontrollen eingefuehrt haben, die Sondereinheiten der Polizei gerufen, gegen die dieser Kongress verteidigt werden musste. Das ist dann auch wieder so eine Praegung, ich denke, dass es das war, was Miguel meinte, auch die Militanz dieser Auseinandersetzung hinterlaesst Spuren.
MH: Ja, so meinte ich das – denn da geht es ja auch immer um viel Geld. Und es ist wirklich kein Kampf der Resolutionen oder Abstimmungen, sondern ein Machtkampf eben.
Ich glaube, ich beginne das zu verstehen. Es ist halt schon ganz anders als bei uns, auch wenn Machtkampf auch hierzulande durchaus ein Stichwort ist – gewinne eine Abstimmungsmehrheit, die nicht in die Konzeption past – und es passiert gar nichts. Das fuehrt mich aber zu einer abschliessenden Frage, abschliessend einfach, weil auch die Zeit weglaeuft, es gaebe noch vieles zu fragen: Wenn du von Machtpositionen sprichst, von Sicherung, dann scheint bei mir das Bild von der Lagermentalitaet auf, was ja auch fuer die mexikanische Linke insgesamt gelten wuerde, nicht nur innerhalb der Gewerkschaftsbewegung – ist das eine ungerechte Zuordnung?
MH: Da ist schon etwas dran, das kann man nicht einfach wegwischen. Wir sind heute froh darueber, sehr froh darueber kann ich sagen, dass wir in dieser aktuellen Auseinandersetzung breite Unterstuetzung der mexikanischen Linken bekommen haben und wohl weiter bekommen werden, das war keineswegs immer so und auch diesmal hat das gerade innerhalb der Gewerkschaften durchaus zu wuenschen uebrig gelassen. Wie auch von Clarissa vorhin gesagt, sind wir erst recht froh, die bisher breiteste Unterstuetzung durch die Eltern und Kinder und Jugendliche bekommen zu haben und werden sie wohl auch weiterhin bekommen. Man darf sich aber nichts vormachen: Einerseits wirkt die massive Propaganda gegen uns durchaus, aber es waere viel zu einfach, Stimmungen auf die Propagandamaschine zurueckzufuehren. Ich finde, wer immer nur das sagt, sagt auch, die Menschen, an deren Seite wir kaempfen oder kaempfen wollen, seien dumm, leicht zu manipulieren und so weiter – und so einfach ist es nicht und so schlimm ist es auch nicht. Die Linke in Mexico, und ich spreche jetzt ueberhaupt nicht von dieser oder jenen konkreten politischen Stroemung sondern von der Linken insgesamt, diese Linke ist, im Unterschied etwa zu Brasilien, im Volk als eine politische Stroemung verstanden, die durchaus weit weg ist, unterschiedlich weit weg, nicht mehr so weit weg wie lange Zeit, aber immer noch weit weg. Im Unterschied zu Brasilien, das macht schon deutlich, dass ich keineswegs nur die radikale Linke meine, sondern erstmal alle, die sich als Linke geben – was in einzelnen Bundesstaaten anders ist, in der Gesamtheit aber schon.
CR: Und das gilt schon auch fuer die Gewerkschaftsbewegung, zumindest fuer den oppositionellen, radikaleren Teil, nicht fuer die Systemgewerkschaften, die sind ja meist im Alltag sehr praesent und meist nicht besonders angenehm.
Noch eine Frage: Gibt es irgendwelche Bestrebungen, aus der CNTE eine eigene Gewerkschaft zu machen?
MH: Mir jedenfalls sind aktuell keine bekannt, es gab das verschiedentlich, aber ich wuerde auf jeden Fall die Meinung vertreten, dass das heute nicht der richtige Schritt waere, das kann aber durchaus in einer anderen Situation auch anders sein.
CR: Ziemlich genau so sehe ich das auch.
- Siehe zum Hintergrund: LehrerInnen im Widerstand