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In den Maquilas in Mexiko wird gearbeitet – und gestorben. Auf Kommando der US-Konzerne und deren Regierung

Die Streikkundgebung der Maquilabeschäftigten in Nordmexiko am 20.1.2019 in Matamoros„… Rosa, die Tochter von Don José, zeigte dem Unternehmen den IMSS-Gesundheitspass ihres Vaters, auf dem der Bluthochdruck ihres Vaters verzeichnet war. Der Firma war dies egal. Sie verlangte ein ärztliches Attest. Als er dies erhielt, war es zu spät. Das Fließband durfte nicht stillstehen. Entweder ging Don José zur Arbeit oder er stand auf der Straße. Er arbeitete weiter bis zu seinem Tod. Als die IMSS das Unternehmen über den Tod des Arbeiters benachrichtigte, schloss der Betrieb. Seine Teilfertigung lieferte keine lebenswichtigen Produkte, um der Pandemie entgegenzutreten. Weder medizinische Produkte oder Ausrüstung noch verarbeitete Lebensmittel. Nur Teilfertigungen für Autos. Und einen Toten und Covid-infizierte Arbeiter*innen. 1200 Kilometer weiter, in Ciudad Juárez, starben zwei Arbeiterinnen des Teilfertigungsbetriebes Electrolux-Kühlschränke an Covid-19, schreibt Kau Sirenio. Das Unternehmen gab dies in einer kurzen Mitteilung aus drei Absätzen bekannt. Zwei Wochen zuvor, am 7. April hatten die Arbeiterinnen wegen fehlender Schutzvorkehrungen in der Fabrik gegen die Krankheit protestiert. Der Betrieb schloss die Arbeiterinnen ein und entließ 20 von ihnen. Am 22. April gab das Unternehmen drei Fälle von Infizierten zu. Schließlich schloss es, doch versicherte, „systemrelevant“ zu sein. (…) Die Verweigerungshaltung der Betriebe hat in Dutzenden Maquiladoras die Wut der Arbeiter*innen ausgelöst. In Tijuana, Mexicali, Ciudad Juárez, Durango, Yucatán, Reynosa und Matamoros hat es spontane Proteste gegeben. Die Forderungen variieren von Unternehmen zu Unternehmen und Stadt zu Stadt. Sie umfassen: Stopp der Produktion, vollständige Lohnzahlungen, keine Entlassungen unter dem Vorwand von Covid-19, sanitäre Vorsorgemaßnahmen dort, wo weitergearbeitet werden muss; und im Krankheitsfall Unterstützung für Familienangehörige…“ – aus dem Beitrag „Mexiko: Teilfertigungsindustrie und Coronavirus“ von Luiz Hernandez Navarro am 16. Mai 2020 beim NPLA externer Link über die Arbeits- und Lebensbedingungen in den Regionen der Anhängsel der US-Konzerne. Siehe dazu einen weiteren aktuellen Beitrag – und zwei Hintergrundbeiträge zur Bedeutung der Maquilas in Mexiko sowie den Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zu den Auswirkungen der Epidemie in Mexiko:

  • „Hunderte mexikanische Maquiladora-Arbeiter gestorben“ von Eric London am 20. Mai 2020 bei wsws externer Link berichtet unter anderem: „… Am Samstag gab der Gesundheitsminister des Bundesstaates Baja California bekannt, dass von den 519 Menschen, die nach offiziellen Angaben im Bundesstaat an den Folgen des Virus gestorben sind, 432 in den Maquiladoras gearbeitet haben. In den Städten des Bundesstaats wie Tijuana und Mexicali, aber auch in anderen Grenzstädten wie Ciudad Juárez, Chihuahua und Matamoros berichten Ärzte, dass in ihren überfüllten Krankenhäuser massenhaft Beschäftigte aus den Maquiladoras liegen, die zum Teil noch in ihrer Arbeitskleidung sterben. Mexikanische Maquiladora-Arbeiter verdienen zwischen acht und zehn US-Dollar pro Tag. Vertreter der Krankenhäuser erklären, dass die offiziellen Zahlen der Regierung (landesweit 5.332 Tote bzw. 51.633 positive Fälle) die tatsächlichen Auswirkungen weit unterschätzen. Laut ihren Aussagen sterben hunderte oder sogar tausende Maquiladora-Arbeiter mehr als offiziell anerkannt wird. Zudem verschleiere die mexikanische Regierung von Andrés Manuel López Obrador die tatsächliche Zahl zu Gunsten ihrer Bemühungen, die Beschäftigten wieder zur Arbeit zu zwingen. (…) Der Anstieg ist das direkte Ergebnis von López Obradors „back to work“-Initiative, die er auf Anweisung Washingtons und an der Wall Street durchsetzt. In Tijuana öffnete die mexikanische Regierung Anfang Mai trotz der Proteste der Beschäftigten 100 Maquiladoras. Gestern erklärte ein Wirtschaftsverband aus Tijuana, dass die Maquiladoras der Stadt zu 60 Prozent ausgelastet seien. López Obrador hat auf die wachsende Zahl der Todesopfer mit der Forderung nach einer noch schnelleren Rückkehr an die Arbeitsplätze reagiert. Anfang dieses Monats erklärte er, dass die Autoteileproduktion in den Maquiladoras am 1. Juni wieder aufgenommen werde. Vor einigen Tagen hat die Regierung diese Ankündigung jedoch wieder zurückgenommen und unter Verletzung ihrer eigenen Vorschriften damit begonnen, die Werke dazu zu zwingen, bereits in dieser Woche den Betrieb wieder aufzunehmen. Die Ankündigung erfolgte, nachdem die Vorstandsvorsitzende von GM, Mary Barra, den Investoren mitgeteilt hatte, dass sich das Unternehmen in einem „regelmäßigen Dialog“ mit der Regierung von López Obrador befinde, der „sehr konstruktiv“ verlaufen sei. Barra fügte hinzu: „Bei unseren Gesprächen mit den Führern der Länder sind wir in einer guten Position.“ General Motors kündigte daraufhin an, die Beschäftigten seines Werks im mexikanischen Silao an diesem Mittwoch wieder zur Arbeit zu zwingen. Das Anfahren der mexikanischen Produktion ist für die amerikanische Industrie unerlässlich. Gestern erklärten die Detroit News: „Fast 40 Prozent aller Teileimporte in die USA kommen aus Mexiko. Somit hängt der Erfolg eines Neustarts der heimischen Industrie stark davon ab, dass gleichzeitig auch in Mexiko die Produktion wieder hochgefahren wird.“ Ambrose Conroy, CEO der Unternehmensberatung Seraph, erklärte gegenüber CNBC: „Ein Stillstand in Mexiko würde innerhalb einer Woche zu Problemen führen.“ Dessen sind sich die Unternehmen spätestens seit Anfang 2019 bewusst, als 70.000 Maquiladora-Arbeiter einer Autoteile-Fabrik in Matamoros in einen wochenlangen Streik traten, der die Produktion in ganz Nordamerika verlangsamte. Die Trump-Regierung hat enormen Druck ausgeübt, um die Wiederöffnung der mexikanischen Fabriken so schnell wie möglich zu erzwingen, egal wie viele Menschen dabei sterben werden. Am 30. April drohte der US-Botschafter in Mexiko, Christopher Landau, mit den Worten: „Sie haben keine ,Arbeiter‘, wenn Sie alle Unternehmen schließen und sie woanders hingehen.“ Er drängte darauf, dass die Betriebe trotz der daraus resultierenden Verluste an Menschenleben wieder öffnen. „Es erscheint kurzsichtig, wenn man annimmt, dass wirtschaftliche Auswirkungen keine Rolle spielen“, so Landau...“
  • „Alltag zwischen Kapital und Leben“ von Jana Flörchinger am 15. Mai 2020 bei der Rosa Luxemburg Stiftung externer Link über die Auswirkungen dere Maquila-Industrie unter anderem: „… In den über 300 Fertigungsfabriken im Umland von Ciudad Juárez arbeiten circa 300.000 der fast zwei Millionen Einwohner*innen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist ökonomisch direkt oder indirekt von der Produktion der Maquila-Industrie abhängig. In gigantischen Logistikzentren werden Waschmaschinen zusammengeschraubt, Kleidung für günstige Fast-Fashion genäht oder Autoteile lackiert. Die Betriebe gehören meist zu ausländischen Konzernen, die einen Teil der Produktion eines Artikels, in der Regel dessen Montage, in mexikanische Grenzstädte auslagern. Freihandelszonen sollen mit geringen Zöllen, niedrigen Arbeitsstandards oder laxen Umweltschutzverordnungen Unternehmen anwerben, in Juárez, wie auch in anderen Regionen Mexikos, ein Werk zu errichten. Während die transnationalen Unternehmen wie Edumex, Bosch oder Siemens den Mehrwert ihrer Produkte durch günstige Produktionsbedingungen erheblich steigern, sind die Arbeiter*innen mit einer zunehmenden Prekarisierung ihrer Arbeitsbedingungen konfrontiert. Und dennoch sind die Löhne durchschnittlich etwas höher als in anderen Teilen des Landes. Für viele ein Grund aus dem Landesinneren und aus Zentralamerika an die Grenze zu migrieren, um dort dem Versprechen nach mehr Wohlstand und Sicherheit nachzugehen, wenn der Plan in die USA auszuwandern, scheitert. Die Fluchtbewegungen aus Zentralamerika und dem Landesinnern führen zu einer hohen Fluktuation in Juárez: «Die Menschen kommen bereits prekär hier an, wollen arbeiten und etwas zum Leben haben. Viele gehen jedoch wieder zurück» erklärt Hijas de su Maquilera Madre im Hinblick auf die Verschränkung von Migration und ökonomischer Ausbeutung. Im Gespräch verweisen die Aktivist*innen auf die Konsequenzen: «Wenn du alle Mittel eines Ortes ausschöpfen willst, passt es gut, dass die Leute sich nicht organisieren können, zum Beispiel, weil sie von den langen Arbeitstagen erschöpft sind, weil sie keine finanziellen Mittel und keinen guten Zugang zu Bildung haben.» Organisiertes Verbrechen und Militärinterventionen schwächen soziale Strukturen zusätzlich. Politische Verantwortung versickert in Korruption und der fast absoluten Straflosigkeit. Das Regime der Weltmarktfabriken geht jedoch über die ökonomischen Abhängigkeiten hinaus. Auch Infrastruktur und öffentliches Leben sind an der Logik der Montagefabriken ausgerichtet. Zentrale Pfeiler der Infrastruktur, wie der öffentliche Transport oder das Straßenverkehrsnetz, die den Menschen Mobilität ermöglichen sollte, sind mangelhaft ausgebaut oder nicht vorhanden. Hier markiert die Ökonomie der Montagefabriken die Grenzen des Kapitals. Alles was für die Infrastruktur dieses Sektors notwendig ist, funktioniert einwandfrei, wird optimiert und instandgehalten. Die Möglichkeit unmittelbar auf Körper und Arbeitskraft in endloser Menge zugreifen zu können, erlaubt es, neben dieser Infrastruktur der Produktion kaum weitere aufbauen zu müssen. Die Mobilität der Menschen funktioniert gemäß der Logik des Maquila-Sektors. Öffentliche Infrastruktur dient nicht etwa dem Ziel, das alltägliche Leben am Laufen zu halten, sondern richtet sich nach den Prämissen von Stabilität und Planungssicherheit für ansässige Konzerne. Konkret bedeutet das, dass ein Fuß- und Radweg zugunsten einer weiteren Fahrbahn einer Schnellstraße weichen muss. Die Asphaltierung einer Straße, die unter anderem zur weiterführenden Schule führt, kann nicht fertiggestellt werden, weil hierfür keine Mittel mehr übrig sind. Die mehrspurige LKW Brücke, die für die Lieferung der Einzelteile auf die andere Seite der Grenze von Bedeutung ist, ist hingegen bestens intakt. Das ist kein unglücklicher Zufall. Der öffentliche Nahverkehr ist maßgeblich darauf ausgelegt, dass Arbeiter*innen aus ihren Vierteln zu den Fabriken gelangen, erklärt der Aktivist Leobardo Alvarado, der Ende der Achtzigerjahre selbst in einer der Maquilas arbeitete. Die meisten Busse, die in diesen Viertel verkehren, bringen Menschen zu den Fabrikkomplexen. Busverbindungen in das Stadtzentrum von Ciudad Juárez sind hingegen kaum ausgebaut, was die Mobilität der Menschen enorm einschränkt. Mobilität als Teil einer öffentlichen Infrastruktur ist auf das Ordnungsregime der Fabrikökonomie ausgerichtet, welches somit die räumlichen und zeitlichen Grenzen der Bewohner*innen beherrscht. Die Busse zu den Fabriken sind jedoch kein Service, der von Beginn an bereitgestellt wurde. Vielmehr ist der Transport in einigen Fällen auf Proteste von Arbeiterinnen zurückzuführen, die bei Dunkelheit lange Wege zu Fuß zurücklegen mussten, wo sie nicht sicher waren vor Übergriffen, Vergewaltigung oder gar Mord. Statistiken über Feminizide dokumentieren, dass viele Frauen auf dem Weg zum Schichtantritt Opfer von Feminiziden wurden. Dass sie die Kosten für die Fahrkarten trotz der niedrigen Löhne aus eigener Tasche zahlen müssen, erscheint fast wie eine Nichtigkeit angesichts der Absurdität, dass sichere Arbeitswege im Sinne der Prävention vor tödlichen Übergriffen eine Errungenschaft organisierter Arbeiterinnen darstellen. Noch heute werden Arbeitskämpfe in vielen Fabriken vor allem von Arbeiterinnen getragen...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=172695
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