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Massive soziale Proteste in mehreren Regionen Libyens: „Geht endlich Alle!“ – die „anerkannte“ Regierung lässt schießen. Mit Waffen aus der Türkei, dank Airbus-Hilfe?

Vor allem Jugendliche waren es, die im August 2020 gegen alle Bürgerkriegsparteien in Libyen protestierten - viele Jugendliche...Die „international anerkannte Regierung“ in Libyen handelt, wie es international anerkannte Regierungen so tun: Feuer frei auf Demonstrationen – Waffen bekommt sie ohnehin genug: Aus der Türkei mit deutscher Hilfe (Airbus). Sprich Terror und willkürliche Festnahmen – und kein Erfolg. Im Bürgerkrieg Libyens Partei ergreifen, ist (grob, ungefähr) so, als würde man bei einem Duell zwischen Erdogan und al Sisi Partei ergreifen. Auch in den Gebieten, in denen jene Kräfte bestimmen, die sich auf den Warlord Haftar als Interessensvertreter geeinigt haben, gab es massive Repression gegen soziale Aktivitäten. Das Leben der Menschen bedrohen, um eigene Machtansprüche (und den Zugang zu diversen Finanzierungsquellen) zu sichern, die verbreitete Selbstbereicherung und die Handlungsunfähigkeit im Angesicht der auch in Libyen sich ausbreitenden Epidemie – alles dies hat dazu geführt, dass die Menschen zunehmend die Angst vor Protest verlieren und sich gegen beide Seiten samt ihrer diversen Milizen mit ständig wechselnden Bündnissen wenden – und ihre jeweiligen internationalen Unterstützer. Zu denen, trotz aller Berufungen auf die militärischen Aktionen der Türkei und Russlands und angeblicher Untätigkeit der EU eben auch diese gehört – ihr hauptsächliches Interesse bleibt es, alle Kräfte in Libyen zu unterstützen, die der (afrikanischen) Fluchtbewegung mit Terror begegnen. Zur aktuellen Entwicklung in Libyen und den inzwischen tagelang andauernden sozialen Protesten an verschiedenen Orten des Landes eine aktuelle Materialsammlung vom 25. August 2020, in der auch der Airbus-Beistand für die türkischen Waffenlieferungen Thema ist:

„Revolution der Armen“ von Tim Solcher am 25. August 2020 in der jungen welt externer Link über die Demonstrationen in  Tripolis, die inzwischen zunehmend auf andere Orte „übergreifen“: „… Während sich die politischen Gegenspieler im Libyen-Konflikt für ihre Ausrufung einer Waffenruhe von Regierungen weltweit auf die Schultern klopfen lassen und sich in Position für den zukünftigen Kampf um Posten und Einfluss bringen, macht die libysche Bevölkerung zunehmend deutlich, was sie vom politischen Personal des krisengebeutelten Landes hält. Seit Tagen bricht sich auf Kundgebungen die angestaute Wut der Menschen über die landesweite Versorgungslage, tagelange Strom- und Wasserausfälle, eine ansteigende Inflationsrate und eine zunehmend außer Kontrolle geratene Verbreitung des Coronavirus Bahn. Zentrum der Proteste ist die Hauptstadt Tripolis. Sie wird von der »Konsensregierung« (GNA) kontrolliert, die von der UNO 2015 eingesetzt worden war. Dort kam es bereits am vergangenen Donnerstag zu kleineren Protesten über die Lebensbedingungen. Auf Twitter erregte ein Fernsehinterview mit einer 70jährigen Demonstrantin großes Aufsehen. Die Frau fordert die Regierung von Fajes Al-Sarradsch wütend auf, die Probleme der Menschen nicht länger zu ignorieren: »Unsere Söhne liegen auf den Friedhöfen, und die Politiker genießen ihr Leben. Unsere Kinder beginnen sogar, mit den Booten zu fliehen. Wie konnte es soweit kommen?« Am Sonntag dann kam es zu den bislang größten Kundgebungen in Tripolis. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters zogen Hunderte Demonstranten zum Märtyrerplatz und zum Sitz der GNA-Regierung, um ihre Wut über die Lebensverhältnisse, Korruption und das nicht vorhandene Krisenmanagement der Regierung zum Ausdruck zu bringen...“

„Aufstand gegen Kriegsführer“ von Mirco Keilberth am 24. August 2020 in der taz online externer Link zum Beginn der Proteste und ihren Hintergründen: „… Die Poster zeigten Fotos der verfeindeten Kriegsführer Libyens: General Haftar, Regierungschef Sarradsch, Parlamentschef Saleh nebeneinander. Die Portraits waren durchgekreuzt und mit den Worten „Geht endlich“ versehen. Hunderte Demonstranten kamen am Sonntagabend auf dem zentralen Märtyrerplatz in Libyens Hauptstadt Tripolis zusammen und forderten ein Ende von Korruption und Willkürherrschaft auf allen Seiten. Obwohl die Demonstranten mit weißen Flaggen durch die Innenstadt zogen, um keine der in Tripolis tonangebenden Milizen zu provozieren, fielen plötzlich Schüsse. Vermummte Uniformierte feuerten von ihren Pick-ups, um die Menge zu zerstreuen. (…) Doch die Bevölkerung sehnt sich nach friedlichen Verhältnissen. Zwar gibt es seit Juni kaum noch Kämpfe zwischen den Einheiten der Regierung im Westen des Landes und den Truppen von General Haftar im Osten. Dafür aber verschlechterten sich die Lebensumstände in vielen libyschen Städten merklich. Bis zu zehn Stunden täglich fiel in den Sommermonaten in Teilen von Tripolis die Wasser- und Stromversorgung aus, der Wert des Dinars sank um ein Drittel. Auch die monatlich auf rund 60 Euro begrenzte Auszahlung an Geldautomaten und die langen Schlangen an den Tankstellen zerren an den Nerven vieler Libyer. Noch warten in der Hauptstadt über 100.000 auf die Rückkehr in ihre Häuser, die sie während der Kämpfe im Süden der Zweimillioneneinwohnerstadt und des Beschusses durch die mittlerweile abgezogenen Haftar-Truppen verlassen mussten…“

Libya: 2nd day of Misrata protests over corruption, poor services“ von Malik Traina und Ramy Allahoum am 24. August 2020 bei Al Jazeera externer Link berichtet am Montagabend vom zweiten Protesttag in der drittgrößten Stadt Libyens – und lässt dabei einige der Demonstrantinnen und Demonstranten zu Wort kommen, die weder für eine der „Kriegsparteien“ noch ihre internationalen Unterstützer irgendwelche Sympathien aufbringen…

„Libya: Prices of basic goods continue to rise putting vulnerable households at risk“ bereits am 21. Februar 2018 bei der Reach Initiative externer Link meldete die durch die Kriegstreiberei ständig steigenden Preise, die insbesondere für ärmere Teile der Bevölkerung bereits vor zwei Jahren ein wachsendes Problem waren – eine Entwicklung, die seitdem nicht besser geworden ist und einer der Gründe für die schwindende Angst vor Protesten.

„The old handbook comes out to deal with protests in Tripoli: shooting at peaceful protesters and arbitrary detentions“ am 23. August 2020 im Twitter-Kanal von Elham Saudi externer Link meldet, dass es durchaus nicht nur Eigeninteresse irgendwelcher der zahlreichen Milizen ist, soziale Proteste zu unterdrücken: Die Organe der Muslimbrüder-Regierung ließen neben den Schüssen auf sie auch zahlreiche Demonstranten festnehmen… Im nachfolgenden Thread wird (neben diversen Beschimpfungen durch Regierungs-Unterstützer) auch appelliert, die Unterdrückung sozialer Proteste in Benghazi ebenfalls zum Thema zu machen…

„Airbus unterstützt Bruch des Waffenembargos gegen Libyen“ am 25. August 2020 bei der ANF externer Link meldet zu Partner der teilweise regierenden Muslim-Brüder: „… Recherchen im Rahmen des Projekts #EUArms haben ergeben, dass der Airbus-Konzern bis dato die Wartung der türkischen A400M-Militärtransporter auf dem Flughafen von Kayseri übernimmt. Mit diesen Flugzeugen werden Waffen und Söldner nach Libyen transportiert, um dort entgegen dem Waffenembargo die islamistische Muslimbruderregierung zu stützen. Die Recherche, an der auch das Nachrichtenmagazin „Report München“ und der „Stern“ beteiligt waren, ergab, dass allein seit Ende Juli mindestens elf Versorgungsflüge mit A400M von der Türkei nach Libyen geschickt wurden – ein offener Bruch des UN-Embargos. Airbus bestätigte, dass die A400M-Flugzeuge weiterhin in Kayseri gewartet werden. Erst im Jahr 2019 hatte die Türkei zwei weitere der Militärfrachtmaschinen erhalten. Die Rümpfe der Militärflugzeuge werden im Airbus-Werk in Bremen gebaut und in Sevilla montiert. Bundesaußenminister Heiko Maas hatte angekündigt, dass Unternehmen und Einzelpersonen, die sich am Bruch des Waffenembargos gegen Libyen beteiligen, sanktioniert werden sollten. Nach diesen Worten müsste die EU-Airbus sanktioniert werden – was jedoch unwahrscheinlich ist. Der Grünen-Rüstungsexperte Tobias Lindner forderte Aufklärung: „Es kann nicht sein, dass eine europäische Firma der Türkei dabei hilft, das Waffenembargo gegen Libyen zu brechen.“ Auch aus der Linken kamen ähnliche Forderungen…“ Siehe auch „Trotz UN-Embargo: Airbus wartet türkische Militärflugzeuge“ am 25.08.2020 bei tagesschau.de externer Link

„Wie Airbus der Türkei hilft, die trotz Embargo Militärfrachter nach Libyen fliegt“ von Hans-Martin Tillack sowie Philipp Grüll und Ahmet Senyurt am 25. August 2020 im Stern online externer Link (Abopflichtig) ganz ausführlich zu diesem weiteren Aspekt der Waffenbrüderschaft mit Erdogan unter anderem zur einmal mehr peinlichen Rolle eines ob seiber Freundschaften mit Rechtsradikalen bekannten Ministers: „… Heiko Maas war mit Gesichtsmaske und schussdichter Weste gleich doppelt geschützt, als er am Montag vergangener Woche überraschend in Libyens Hauptstadt Tripolis landete, an Bord einer Militärmaschine vom Typ Transall. „Beide Seiten“ in dem Bürgerkriegsland und ihre Verbündeten rüsteten das Land weiter „massiv auf“, klagte der deutsche Außenminister. Jetzt wolle er, so der SPD-Politiker, in Tripolis „über Wege aus dieser sehr gefährlichen Lage sprechen“. In Libyen stehen sich die von der UN anerkannte Regierung des Landes einerseits und Aufständische unter dem Warlord Khalifa Haftar andererseits gegenüber. Die Regierung kann auf Unterstützung der Türkei zählen, während die Aufständischen Militärhilfe von den Vereinigten Arabischen Emiraten, Jordanien und Russland bekommen – in allen Fällen unter Verstoß gegen ein UN-Embargo. Wie sehr der deutsche Minister mit seiner Warnung vor noch mehr Aufrüstung recht zu haben scheint, zeigte sich nur einen Tag vor seiner Stippvisite in Tripolis, am Sonntag dem 16. August. Da schickte die Türkei gleich zwei hochmoderne Militärflugzeuge vom Typ Airbus A400M nach Libyen. Sie hatten offenbar etwas zu verbergen,  denn  im Luftraum über dem nordafrikanischen Land hatten sie zeitweise ihre Transponder abgeschaltet. Zwischendurch war jedenfalls eine der Maschinen in der libyschen Stadt Misrata, östlich von Tripolis, gelandet…“

„“Türkische A400M bringen Waffen nach Libyen““ am 25. August 2020 bei der Deutschen Welle externer Link meldet neben dem hohlen Distanzierungsversuch des Unternehmens auch (indirekt) das Dilemma der Bundesregierung: „… Die A400M wird zum Teil in Deutschland gebaut und in Spanien endmontiert. Sie kann bis zu 37 Tonnen an Militärgerät oder mehr als 100 Soldaten an Bord nehmen. Ein Airbus-Sprecher sagte in München, der NATO-Partner Türkei gehöre mit Deutschland, Frankreich und weiteren EU-Staaten zu den Gründungspartnern des A400M-Programms im Jahr 2003. Ankara habe bislang neun Flugzeuge erhalten; die Lieferung eines zehnten stehe an. Alle Lieferungen seien gesetzeskonform. Die Maschinen würden im anatolischen Kayseri gewartet und mit Ersatzteilen versorgt. Im Rahmen eines laufenden Vertrags stelle Airbus auch Personal, das an den Wartungsarbeiten beteiligt sei, bestätigte das Unternehmen auf Anfrage. Welches Material ein Land mit den Flugzeugen wohin transportiere, liege nicht in den Händen von Airbus. Im politischen Berlin sorgt der Bericht für Unruhe. Der frühere Präsident des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Arnold Wallraff, sprach von „Absurdistan“. Wenn die Türkei das Libyen-Embargo breche, dürfe Airbus dies nicht technisch unterstützen. Aus dem Auswärtigen Amt kommt lediglich die Stellungnahme, zu den Flügen des A400M in das Bürgerkriegsland habe man „keine über (presse-)öffentliche Hinweise hinausgehenden Erkenntnisse“…“

„Libya: Photojournalist Ismail Al-Zoui sentenced to 15 years of prison after unfair Trial“ am 03. August 2020 beim Cairo Institute of Human Rights externer Link berichtet (als ein Beispiel für die weiter oben angesprochene Repression) von der Repression im „Haftar-Gebiet“, wo ein Fotojournalist und Aktivist – nach 20 Monaten in „Untersuchungshaft“ – zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, wofür man auch hier gerne das europäisch inspirierte Anti-Terror-Gesetz benutzte…

„Watch: Anti-GNA protests erupt in Libya’s Tripoli, Misrata over living conditions“ von Ismaeel Naar am 23. August 2020 beim Alarabya.net externer Link ist ein Videobericht von den Protesten in Tripolis und Misrata, aus dem auch jenen, die kein Arabisch können, deutlich wird, dass es soziale Proteste sind, die für keine der Kriegsparteien Stellung nehmen…

„Mobilized publics in Post-Qadhafi Libya: the emergence of new modes of popular protest in Tripoli and Ubari“ von Rafaa Tabib am 12. Oktober 2015 bei Tandf-Online externer Link war eine Studie über die Entstehung und Entwicklung selbstorganisierter Initiativen in zwei Gegenden Libyens – als eine erste Reaktion auf die Machtkämpfe herrschender Kreise nach der Intervention, die zum Sturz Gaddhafis geführt hatte (dessen Fan man wahrlich nicht sein muss, um die nun Herrschenden in Libyen und ihre Unterstützer mit dem weltweit wieder anwachsenden Ruf zu bedenken: „Sie sollen alle gehen!“). Deutlich wird aus diesem Buchauszug die bereits da sich entwickelnde Vielfalt solcher Initiativen – die spätestens mit dem Krieg, den die Eliten vom Zaun gebrochen haben, mit massiver Repression überzogen wurden.

„Why Civil Society is Libya’s Best Defense Against the COVID-19 Pandemic“ von Nada Elfeituri am 25. Juli 2020 bei MERIP externer Link berichtet ausführlich über den erneuten Aufschwung der Selbstorganisation in Libyen: Angesichts der Corona-Epidemie sowohl lebenswichtig, als auch Tausende von Menschen mobilisierend. Und von den Mächtigen im In- und Ausland ungern gesehen, da ein (weiterer) Beweis für ihre (zumindest) Überflüssigkeit…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=177323
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