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Massenproteste, Besetzungen und Selbstorganisation im Libanon: Was da explodiert ist, ist der Kapitalismus. Pur. Und wer im Land von „Stuttgart 21“ jetzt nur „Korruption“ ruft – hilft jenen, die dieses System entwickelt haben…
Die gewaltigen Massenproteste am Samstag, 8. August 2020, in Beirut hatten sich regelrecht angekündigt: Sowohl durch die Wut nach der tödlichen Explosion, als auch durch die monatelangen Proteste zuvor – und erst recht durch die tiefe Krise des kapitalistisch-korrupten Proporz-Systems. „Alle meint alle“ – die Parole der Besetzungen („alle sollen gehen“) ist die aktualisierte Version des argentinischen „Que se vayan todos“ vor rund 20 Jahren. So hatten es die Besetzerinnen und Besetzer der Ministerien in Beirut unterstrichen – dass sie ein Ende des Systems haben wollen und keinen der verschiedenen Repräsentanten, die von den Proporz-Kapitalisten hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden. Was auch deutlich macht, dass es viele geben wird, die die nun angekündigten Neuwahlen keineswegs mit Begeisterung zur Kenntnis nehmen werden. Die Polizei reichte nicht mehr – es musste die Armee „ran“ zur Verteidigung des Regimes. Und während die reaktionäre Hizbollah Drohungen gegen Demonstrierende ausstößt, sehen die diversen imperialistischen Kräfte eine Chance, eben diese Organisation los zu werden, beziehungsweise ihren Einfluss zu reduzieren. Die Trump-Mannschaft unterstrich, es müsse Freiheit für Demonstrationen geben – nicht in den USA, wo sie dagegen den Polizeistaat auffahren, sondern im Libanon – und die französische Polizei-Regierung tut dasselbe. (Über den wenig freundlichen Empfang der Bevölkerung Beiruts für Macron hatten wir bereits in unserem ersten Beitrag berichtet). Kein Grund, in diesem (zweitrangigen) Aufeinanderprallen reaktionärer Kräfte eine andere Partei zu ergreifen, als die jener Dritten, die auf den Straßen nicht nur Beiruts für eine Veränderung des Systems gegen die Wünsche von Hizbollah und Kapitalisten jeglichen Ursprungs eintreten. Siehe zu den aktuellen Auseinandersetzungen im Libanon, ihren Ursachen, Hintergründen und Perspektiven unsere ausführliche und kommentierte Materialsammlung „Beirut brennt weiter – jetzt vor Protesten“ vom 09. August 2020:
„Beirut brennt weiter – jetzt vor Protesten“
„“All of them means all of them““ am 08. August 2020 im Twitter-Kanal von Aya Majzoub (Human Rights Watch) ist ein Videobericht vom besetzten Außenministerium, das von den DemonstrantInnen zum „Hauptquartier der der Oktober 17 Revolution“ ernannt wurde – und von wo aus eben jene Statements nach dem Abgang aller verbreitet wurden…
„Firefighters refused to assist police forces in quashing demonstrators“ am 08. August 2020 im Twitter-Kanal von Nazih Osseiran berichtet von der Weigerung der Feuerwehr, der Polizei bei der „Räumung“ blockierter Straßen und besetzter Gebäude zu helfen – schließlich starben 10 Feuerwehrmänner beim Versuch, gegen die Explosion etwas zu unternehmen
„Clashes in Beirut as anger swells over port blast: Live updates“ von Umut Uras & Farah Najjar bis09. August 2020 bei Al Jazeera ist die Live-Chronoogie der Entwicklungen in Beirut (und anderen Orten des Libanon) von dem Sender bei dem (im Unterschied etwa zur wie immer unsäglichen Regierungpropaganda bei tagesschau und Kompanie, die nur berichteten, wie Menschen im Libanon einen Herrn Macron bejubelt hätten) auch über die massiven Proteste gegen Macron berichtet wurde…
„Today’s inspiring crowd in Beirut“ am 08. August 2020 im Twitter-Kanal von Luna Safwan ist ein Video von der Großdemonstration zu Beginn der Proteste am Samstagabend – wobei ein Schwerpunkt der Berichterstattung darauf liegt, zu zeigen, dass die Zahl der durch die Explosion verletzten Menschen, die an der Demonstration teilnahmen, enorm groß war…
#beirutprotests ist einer der (zahlreichen) Hashtags bei Twitter, unter denen Beiträge (meist vor Ort) zur Entwicklung am Samstag (vor allem) dokumentiert werden…
„Zusammen fegen“ von Hanna Voß und Julia Neumann m 07. August 2020 in der taz online berichtete vor allem von den Mobilisierungen der solidarischen Überwindung der Folgen der Explosion: „… An gewöhnlichen Freitagabenden besuchen die Menschen hier die wie an einer Perlenschnur aufgereihten Bars und Restaurants. An diesem Donnerstagmittag sind sie gekommen, um zu helfen. Aus anderen Stadtvierteln, aber auch aus allen Teilen des Landes. In Gemmayze und Mar Mikhael fegen sie Glas zusammen, sie räumen riesige Müllsäcke fort, verteilen Essen, Wasser, Kleidung und Medikamente. Viele von ihnen sind jung, keine 20 Jahre alt. Mit einem Besen über der Schulter, einer Mütze auf dem Kopf und einer Maske vor Mund und Nase schreiten sie die Straßen entlang, übernehmen, wie so oft in diesem Land, Aufgaben, die eigentlich dem Staat zufallen. Doch dieser Staat schützt seine Bürger:innen nicht, schon lange nicht mehr, und jetzt wird klar: Er hat sie sogar gefährdet, in vollem Bewusstsein. 2.750 Tonnen gelagertes Ammoniumnitrat sollen im Hafen von Beirut am frühen Dienstagabend explodiert sein. Das brandgefährliche Material erreichte die Stadt im Jahr 2013 auf einem Frachter, der eigentlich in Mosambik anlegen sollte. Sechs Sommer lang moderte es vor sich hin, niemand kümmerte sich um seine Entsorgung, obwohl Zollbeamte mehrfach auf die Gefahren hinwiesen. Warum niemand handelte, ist noch unklar, womöglich aber, weil sich noch kein lukratives Geschäft gefunden hatte, das mit dem Material zu machen gewesen wäre. Es wäre sinnbildlich für den Libanon, wenn sich die seit Jahrzehnten grassierende Korruption und das eklatante Staatsversagen auf diese Weise entladen hätten. (…) Rund 48 Stunden nach der Explosion verwandelt sich die Trauer allmählich in Wut. Am Donnerstagabend finden im Stadtteil Downtown wieder erste Proteste statt, die Menschen sind laut, zornig. Protestierende werfen Steine auf Einsatzkräfte, einige Demonstranten werden verletzt. „Wir können es nicht mehr ertragen. Das war’s. Das ganze System muss weg“, sagt ein junger Mann. Für diesen Samstag ist eine große Demonstration angekündigt. Die Menschen rufen wieder „Thawra“, Revolution. (…) Die Solidarität unter den Libanes:innen kennt dieser Tage keine Grenzen. Dutzende Initiativen haben sich gegründet, über die sozialen Netzwerke werden Informationen über Vermisste ausgetauscht, freie Zimmer denen angeboten, die ihre Bleibe verloren haben. Sie sammeln Kleidung, Essen, Material, um zerbrochene Fenster zu flicken, sie bieten kostenlose psychologische Hilfe an. Sie bestärken sich gegenseitig. „Ich nehme alles zurück, was ich je Schlechtes über Libanesen gesagt habe“, heißt es bei „lebfinance“, einem populären Twitteraccount, „wenn wir zusammenarbeiten und anderen in Gefahr für unser eigenes Leben helfen, sind wir am besten. Zum Teufel mit denen, die das politisieren. Ich bin stolz, Libanese zu sein.“ Ihre Hoffnung setzen die Menschen nur noch ineinander. Von ihrem Staat erwarten sie nichts mehr…“
„Lebanese rally to assist those affected by Beirut explosion“ von Rym Bendimarad am 06. August 2020 bei Al Jazeera ist ebenfalls ein (ausführlicher) Bericht über die ständig anwachsenden Initiativen zur Organisation von Selbsthilfe, die beispielsweise auch in Zusammenarbeit mit Beschäftigten des Gesundheitswesens oder der Müllabfuhr geschehen – aber immer ohne und in bewusster Distanz zu den Behörden und sonstigen staatlichen Einrichtungen…
„Frankreich und Libanon – eine besondere Beziehung“ von Martin Bohne am 07. August 2020 bei tagesschau.de gibt (wie immer noch so oft) den Tenor der bundesdeutschen Medienkampagne wieder: Jubel für Macron (den es sicherlich auch gab, nach dem Motto „alles ist besser, als dieses System“) und kein Wort zu jenen, die nicht jubelten und immer so tuend, als sei Macron nicht der Präsident des französischen Polizeistaats (Aufklärung fordert er natürlich nicht über das Vorgehen „seiner“ Polizei, sondern im Libanon, logisch)… Die ganze Essenz dieser Propaganda lautet dann unter anderem so: „… Er war umringt von einer begeisterten Menschenmenge, die „Viva la France“ rief – („Hoch lebe Frankreich). Staatspräsident Emmanuel Macron konnte sich bei seinem Besuch im zerstörten Hafenviertel von Beirut als der Hoffnungsträger fühlen, der er in seiner Heimat schon längst nicht mehr ist. Macron kam als erster ausländischer Staatsmann, um den Libanesen Solidarität zu zeigen – und um den Politikern des Landes die Leviten zu lesen. Und das kommt sehr gut an bei den verzweifelten und wütenden Menschen. „Er hat gesagt, was wir schon seit Monaten fordern. Die ganze politische Führung muss ausgewechselt werden“, sagt eine libanesische Aktivistin im französischen Fernsehen. Aber da man ja gegen die Herrschenden und ihre Truppen nichts ausrichten könne, sei die Unterstützung Frankreichs für sie so wichtig. „Dafür sind wir sehr dankbar.“...“
„Hilfe mit kolonialem Gestus“ von Katja Maurer am 07. August 2020 im Freitag online zu der keineswegs selbstlosen und schon gar nicht progressiven „Hilfe“ der EU unter anderem: „… Diese Art von technischem Humanitarismus hat etwas ungeheuer Einleuchtendes und Beruhigendes. Er hat aber einen Haken. Denn er suggeriert, dass Hilfe von außen die Katastrophe vor Ort lösen könnte und missachtet die Tatsache, dass die erste Hilfe vor allen Dingen Selbsthilfe vor Ort ist. So auch im Libanon. Schon dieser mediale Einstieg stellt ein Verhältnis her, das an tradierte koloniale Sprechweisen erinnert, in denen die Kolonisatoren den „Wilden“ die Zivilisation brachten. Wenn es nicht gelingt, diese Betrachtungsweise, die von „Wir – die Helfenden“ und „Sie – die hilflosen Opfer“ spricht, zu überwinden, endet die absolut notwendig Unterstützung, Solidarität und Hilfe von außen in einer Absicherung der bestehenden katastrophalen Situation. Verstörend ist in diesem Kontext der Besuch von Frankreichs Präsident Emanuel Macron, der von einer Petition von Libanes*innen begleitet wird, die fordern, Frankreich solle den Libanon übernehmen. Der Präsident der ehemaligen Kolonialmacht forderte in der Kurzvisite grundlegende Veränderungen im Libanon ein und verwies auf den Internationalen Währungsfonds und dessen „Reform“-Vorschläge. Während er durch die Menge lief, riefen Demonstranten „Alle meint Alle“ – die Losung der libanesischen Demonstrationen im letzten Jahr. Sie fordern die Abschaffung der gesamten politischen Klasse, deren Herrschaft und ihr Versagen eine lange Vorgeschichte hat, aus der sich Europa, das nun helfen will, nicht herausstehlen kann. Der Libanon, der seit dem Ende des Osmanischen Reiches vor allen Dingen als Brückenkopf der Kolonialmächte in den Nahen Osten betrachtet wurde, ist Spielfeld und Projektionsfläche der internationalen Akteur*innen, die mit dem Ende des Kalten Krieges nicht weniger geworden sind. Die Befürchtungen, dass die Hilfsangebote aus Frankreich, Deutschland und der Europäischen Union, den Vereinigten Emiraten, dem Iran und Israel nicht so altruistisch sind, wie sie klingen, sind da mehr als angebracht. (…) Bei allen guten Ankündigungen besteht das vornehmliche Ziel darin, den Libanon – angesichts der unsicheren Lage der gesamten Region – zu stabilisieren. Diese eher hilflose Versuch den Status Quo zu Wahren will verhindern, dass sich Flüchtlinge von dort nach Europa aufmachen, dass der Einfluss des Iranszu groß wird, dass die Banken wieder funktionieren und man die Hölle der Armut, zu der große Teile des Libanons geworden sind, nicht allzu offensichtlich sieht. Eine solche interessensgeleiteter Hilfe ist Teil der Katastrophenursache und nicht Teil ihrer Lösung sein. Wenn Macron so tut, als wisse er, wie die schwierige Lage im Libanon zu lösen ist, dann verbirgt sich dahinter nur die Fixierung auf alte Rezepte und die Hoffnung auf schnelle Ergebnisse, die sich, wie das aus anderen humanitären Krisen schon bekannt ist, im Nachhinein als fatale Konzepte neoliberaler Provinienz erweisen. Gerade in heutigen Zeiten, da postkoloniale Diskurse zum guten Ton gehören, muss sich auch im Katastrophenfall die Blickrichtung der Hilfe, der Spender*innen und Geber*innen ändern. Wir können uns nicht als die Akteur*innen inszenieren, sondern müssen die Ressourcen der libanesischen Bevölkerung in dieser Katastrophe in den Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung und unserer Unterstützung rücken. Nicht Emanuel Macron weiß, worin die strukturellen Ursachen liegen, sondern ein Viertel der libanesischen Bevölkerung, die letztes Jahr jenseits von religiöser Zuschreibung für einen demokratischen Libanon all seiner Bewohnerinnen und Bewohner demonstrierten. Jetzt bilden sie die informellen Räumkommandos, weil sie in die gegebene staatliche Nichtstruktur kein Vertrauen haben. „Wir sind hier, die Revolutionäre, und kümmern uns – was eigentlich der Staat machen müsste. Wir räumen auf und bringen Betroffenen zu essen und zu trinken. Wir übernehmen die Rolle des Staates und tun das Beste, um den Menschen zu helfen“, sagte Rana Maqdaz gegenüber der ARD. Diese starke Zivilgesellschaft, die Künstler*innen des Landes, die in ihren Werken längst begonnen haben, die Bürgerkriegstraumata aufzuarbeiten und in eine Kraft der Selbstbehauptung und der Emanzipation umzuwandeln, die Selbstorganisationen der Flüchtlingshilfe und Migrant*innen – sie alle sind jetzt die Kräfte, die an runde Tische gehören, die die Mittelvergabe überwachen sollten und die an der Aufarbeitung der tatsächlichen Ursachen für diese Katastrophe beteiligt werden müssen. Das aber ist kein Programm von wenigen Wochen des Schuttwegräumens. Ein Libanon mit einer funktionierenden öffentlichen und sozialen Infrastruktur ist möglich, weil eine politische Bewegung dafür vorhanden ist...“
„Libanon: Anfällig für äußere Einflussnahme“ am 08. August 2020 bei der ANF ist ein Gespräch mit den im Libanon lebenden kurdischen Aktivistinnen Bûşra Elî und Henan Osman, worin sie unter anderem unterstreichen: „… Die Politik des Libanon werde vom Iran, Saudi-Arabien und einigen westlichen Ländern beherrscht, fügt Bûşra Elî hinzu: „Der Libanon steht unter regionaler Kolonialherrschaft, aber gleichzeitig auch unter internationaler Herrschaft.“ Das müsse bei einer Bewertung der aus der Explosion hervorgehenden Ergebnisse und einer Einschätzung der möglichen Entwicklungen berücksichtigt werden. Henan Osman führt aus, dass alle Fraktionen der politischen Elite im Libanon von einer anderen Macht dominiert werden: „Der Libanon ist das Tor zum Mittelmeer für den schiitischen Halbmond. Gleichzeitig ist der Libanon ein Land, in dem Saudi-Arabien großen Einfluss auf die Sunniten hat und die Christen sich von Frankreich abhängig gemacht haben.“ Die Explosion werde sich auch auf die Politik auswirken. Einige Länder würden davon ausgehen, dass ihnen die Explosion die Gelegenheit biete „die Fingernägel des Iran im Libanon zu stutzen“, meint Bûşra Elî. Der türkische Staat hingegen betrachte den Libanon als osmanisches Erbe und die Explosion als Möglichkeit, den eigenen Einfluss zu erhöhen. Die Aktivistin sagt, dass sich „die Türen für eine neue Zeit geöffnet“ haben. Sie ist der Meinung, dass die politische Elite in dem seit langer Zeit von einer wirtschaftlichen und politischen Krise gebeutelten Land die Last nicht mehr lange tragen kann. Henan Osman fügt hinzu: „Im Moment wiegt der Umgang der politischen Macht mit der Explosion schwerer als die Katastrophe selbst. Es wird zu gesellschaftlichen Folgeexplosionen kommen. Es sind gleichzeitig die Korruption, die Gleichgültigkeit und der moralische Verfall der herrschenden Elite explodiert.“ Der Hafen befinde sich in der Hand der Hisbollah, das sei der Regierung und den anderen Parteien bekannt, erklärt Bûşra Elî: „Daher ist es nicht möglich, nur eine Seite zu beschuldigen und die anderen freizusprechen. Der Hafen in Beirut war in zweierlei Hinsicht wichtig. Er hatte sowohl eine wirtschaftliche als auch eine politische Bedeutung. Wer den Hafen in der Hand hat, hatte auch die politische und wirtschaftliche Macht in der Hand.“ Henan Osman weist darauf hin, dass das politische System im Libanon auf einer Machtaufteilung basiert: „Nach dem Ende des Bürgerkriegs hat die politische Elite das Land geografisch, politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich aufgeteilt. Es ist ein auf dieser Aufteilung basierendes Regierungssystem etabliert worden und die Explosion ist eine Folge davon.“ Der Libanon ist nach Meinung von Bûşra Elî durch die Explosion anfällig für jede denkbare Form äußerer Interventionen geworden: „Die Türkei sucht nach Interventionsmöglichkeiten, Russland will seine Position stärken. Die USA und die westlichen Länder verfolgen politische Interessen.“ Dem Libanon werde von allen Seiten Hilfe angeboten, aber die Unterstützung erfolge nicht ohne erwartete Gegenleistung. „Es wird nicht mehr so wie früher sein. Die Regierung steht unter hohem Druck, damit der Einfluss des Iran und der Hisbollah gebrochen wird“, sagt Henan Osman. „Wenn das politische Embargo aufgehoben und Hilfe geleistet wird, dann nur unter bestimmten Bedingungen. Beispielsweise war Macron hier. Er will den französischen Einfluss verstärken. Das wollen auch Russland und China. Niemand leistet uneigennützige Hilfe.“ Bûşra Elî sieht eine sehr gefährliche und schmerzvolle Zeit für den Libanon kommen: „Wenn die konfessionellen, politischen und ethnischen Unterschiede nicht beseite gelassen werden, macht sich der Libanon für äußere Einflussnahme anfällig. Das wird sich auch auf Syrien und den gesamten Mittleren Osten auswirken. Wenn Syrien niest, wird der Libanon krank. Das gilt auch umgekehrt“.
„Wut, Trauer und Verzweiflung“ vom 08. August 2020 ist eine dpa-Meldung (hier bei der taz), worin zur Ausweg-Suche der Regierung des Libanon berichtet wird: „… Am Abend kündigte dann Regierungschef Hassan Diab vorgezogene Neuwahlen an. Dies sei der einzige Weg, um die tiefe Krise des Landes zu überwinden, sagte Diab in einer Fernsehansprache. Er werde seinem Kabinett daher am Montag Neuwahlen vorschlagen. Eine Verantwortung für die wirtschaftlichen und politischen Probleme des Landes wies er jedoch zurück. (…) Trotz der angespannten Stimmung waren die Proteste zunächst relativ friedlich geblieben. Später teilte das libanesische Rote Kreuz am Samstag über Twitter mit, dass bei den Protesten mindestens 130 Menschen verletzt worden seien. 28 von ihnen seien in umliegende Krankenhäuser gebracht, 102 vor Ort behandelt worden. Offenbar hatte die Polizei auch Gummigeschosse gegen Demonstranten eingesetzt. Andere wurden durch Tränengasgranaten getroffen und verletzt. Viele Libanesen machen die politische Führung des kleinen Landes am Mittelmeer für die schwere Explosion verantwortlich. Die Zahl der Toten stieg auf 158, wie das Gesundheitsministerium am Samstag mitteilte. Die Zahl der Verletzten kletterte demnach auf rund 6.000…“
„Libanon: „Wir können es nicht mehr ertragen – das ganze System muss weg!““ am 08. August 2020 bei den Rote Fahne News zu den Perspektiven der Regierung des Libanon, den Strategien der EU-Regierungen und den Hoffnungen der Bevölkerung: „… Der deutsche Außenminister Heiko Maas warnte dagegen vor einer weiteren Destabilisierung des Libanon. „Wir wollen den Libanon stärken, denn diese Krise darf nicht genutzt werden, um ausländischem Einfluss in Libanon Tür und Tor zu öffnen.“ Maas‘ Warnung richtet sich einzig und allein gegen den Einfluss rivalisierender imperialistischer Mächte. Beanspruchen die USA und die EU unter Führung der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich doch den vorherrschenden Einfluss in dem Land. Der neuimperialistische Iran mischt vor allem über die vom ihm abhängige Hisbollah im Libanon mit. Israel arbeitet mit Kräften wie der faschistischen Phalange-Miliz zusammen. Es ist gerade die neokoloniale imperialistische Ausbeutung und Unterdrückung, die den Libanon dahin gebracht hat, wo er heute ist. Zuletzt hatte der IWF Verhandlungen über „Reformen“ im Libanon mit der korrupten Regierung aufgenommen. Die berüchtigten IWF-„Reformen“: Deregulierung, Sozialabbau, weitere Öffnung für die internationalen Monopole. Die gemeinsame Sorge aller Imperialisten richtet sich dagegen, dass das libanesische Volk seine Sache in die eigene Hand nimmt und einen konsequenten antiimperialistischen Kampf aufnimmt, der sich gegen alle „ausländischen“ Mächte gleichermaßen richtet...“
„“Sturz des mörderischen Regimes und seines von außen unterstützten politischen Systems!““ am 07. August 2020 ebenfalls bei den Rote Fahne News dokumentiert in eigener Übersetzung die Stellungnahme der Kommunistischen Partei Libanons zur aktuellen Entwicklung, die folgendermaßen schlussfolgert: „… Die Hauptaufgabe die heute vor den Kräften des demokratischen Wandels stehen, bestehen darin, daran zu arbeiten, diese Regierung zu stürzen und eine unabhängige Übergangsregierung außerhalb des herrschenden Systems zu etablieren, deren oberste Priorität darin besteht, das derzeitige politische System zu liquidieren und einen modernen demokratischen Nationalstaat aufzubauen, der in der Lage ist, der dreidimensionalen Krise des Landes zu begegnen, die durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch, die Corona-Epidemie und ihre Auswirkungen dargestellt wird. In diesem Zusammenhang bekräftigt die Partei, dass sich die Libanesen heute an einem historischen Scheideweg befinden, von dem es kein Zurück mehr geben kann, und dass die Explosion des Hafens eine neue qualitative Phase eröffnet und die einzige Option beschleunigt hat, die sie jetzt haben, um diesen Staat und einen neuen Gesellschaftsvertrag aufzubauen…“
„Brandkatastrophe im Hafen von Beirut: Ein Verbrechen gegen die Arbeiter im Libanon“ von Jean Shaoul am 07. August 2020 bei wsws zu den Hintergründen und Ursachen der Katastrophe unter anderem: „… Obwohl es mehrere Untersuchungen gab und die Entfernung der Chemikalie aus dem Lagerhaus mehrfach angeordnet wurde, war laut der Nachrichtenagentur Reuters nichts unternommen worden. Ein anonymer Beamter, der mit den Ergebnissen der ersten Untersuchung vertraut ist, erklärte: „Es ist Nachlässigkeit“. Er fügte hinzu, mehrere Ausschüsse und Richter hätten sich mit dem Problem befasst, dass die gefährliche Chemikalie sicher aufbewahrt werden müsse. Allerdings sei „nichts unternommen“ worden, um die Entfernung oder Entsorgung des Materials anzuordnen. Reuters zitierte eine weitere Quelle, laut der vor sechs Monaten ein Team das Material untersucht und gewarnt hatte, es könnte „ganz Beirut in die Luft jagen“, wenn es nicht aus dem Lagerhaus entfernt werde. Die Explosion wird verheerende wirtschaftliche, soziale und politische Folgen haben. Diabs Regierung war nach den Massenprotesten gegen Armut sowie gegen die Misswirtschaft der letzten Regierung, Korruption und politisches Sektierertum im letzten Oktober an die Macht gelangt. Seither wurde sie mehrfach aus der Bevölkerung zum Rücktritt aufgefordert. Das Land und seine sechs Millionen Einwohner – darunter zwei Millionen Flüchtlinge – leiden bereits unter den Folgen der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise, die das Land je gesehen hat. Die Währung hat in den letzten Wochen 80 Prozent ihres Wertes verloren, die Inflation schießt in die Höhe, die Lebensmittelpreise haben sich verdoppelt, Armut breitet sich immer weiter aus, und die Corona-Pandemie hat all das noch weiter verschlimmert. (…) Die Zerstörungen im Hafen werden vermutlich zu Engpässen bei wichtigen Gütern wie Nahrung, Treibstoff und Medikamenten führen. Der Libanon muss die meisten Grundgüter importieren und über den Hafen kommen 60 Prozent aller Importe ins Land. Die nordlibanesische Hafenstadt Tripoli ist nicht in der Lage, diese Kapazitäten auszugleichen, da sich das Land zwischen dem vom Krieg verwüsteten Syrien und Israel befindet, mit dem es offiziell noch immer im Krieg liegt. Das Feuer hat den Getreidespeicher und die Silos zerstört oder beschädigt, in denen normalerweise 85 Prozent der größtenteils aus Russland und der Ukraine stammenden Getreidevorräte des Landes lagern. Allerdings waren die Bestände aufgrund der weit verbreiteten Brotknappheit während der Pandemie schon zuvor deutlich zurückgegangen. Letzten April warnte die Regierung angesichts eines erwarteten Engpasses bei Weizen und anderen Grundgütern vor drohender Nahrungsmittelknappheit und kündigte zum ersten Mal seit 2014 den Import von zusätzlichem Weizen auf eigene Rechnung an – für gewöhnlich wird ein Großteil von privaten Mühlen importiert. Angesichts der geringen Devisenbestände des Libanon war jedoch unklar, wie die Regierung dafür bezahlen will...“
„Apokalypse mit Ansage“ von Charlotte Tinawi am 07. August 2020 bei der Rosa Luxemburg Stiftung kommentiert unter anderem: „… Ebenfalls einen Tag nach der Katastrophe konnte von diesem politischen Vakuum der Präsident der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, Emmanuel Macron, profitieren. Er nutzte die Lage der verzweifelten Libanes*innen auf den Straßen Beiruts, um sich politischen Leverage zu verschaffen und sich im Kontrast zu den passiven korrupten libanesischen Eliten als verantwortungsvoller Retter in der Not zu inszenieren. Vor Ort versprach er, französische Hilfen nicht durch korrumpierte Kanäle des libanesischen Regimes laufen zu lassen und twitterte im Anschluss an seinen Besuch «Ich liebe dich, Libanon». Im Lichte der Wut und Empörung vieler Menschen im Libanon scheinen die konkreten Details und Hintergründe des Hergangs der Ereignisse am Beiruter Hafen derzeit zweitrangig zu sein. Unabhängig von verschiedenen Erklärungshypothesen und Spekulationen ist unstrittig, dass diese Explosion eine Qualität hatte, mit der keine Erfahrungen aus Bürgerkrieg oder israelischen Angriffen in der Geschichte des Libanons mithalten können und dass diese Katastrophe auf dem Mist der verantwortungslosen und protestresistenten Regierungen der letzten Jahre gewachsen ist. Das Ereignis trifft auf eine bereits am Boden liegende Gesellschaft mit Jahre und Jahrzehnte alten Kriegstraumata, die sich den desaströsen Folgen von Korruption, Verantwortungslosigkeit und verblüffender Kaltschnäuzigkeit politischer Eliten schutzlos ausgeliefert sieht. In der kettenhaften Aneinanderreihung von Krisen und extremen Entwicklungen des Libanons vor allem im Laufe des letzten Jahres sind die Ereignisse vom 5. August nicht lediglich eine weitere Katastrophe von vielen. In den letzten zwei Tagen war oft die Rede davon, dass die Stadt Beirut, die zweifellos viel erlebt hat, nie wieder dieselbe sein wird. Der 5. August hat eine gesellschaftliche Retraumatisierung in Gang gesetzt, von der auch die weltweite libanesische Diaspora betroffen ist. Der bereits bestehende und durch die massive Wirtschaftskrise wieder angelaufene Brain-Drain wird nun vermutlich erneut befeuert: wer die Mittel und/oder eine zweite außer der libanesischen Staatsangehörigkeit hat, wird versuchen, das Land, dessen Regierungs(nicht)handeln Gefahr für Leib und Leben aller im Land lebenden Menschen darstellt, zu verlassen. Dennoch ist die wachsende Wut der Bevölkerung gegen die politische Elite im Land auch Ausdruck einer kaum abzusehenden aber so nötigen grundlegenden Veränderung im Land. Den Grundstein dafür sahen viele Menschen im Libanon in den Protesten im Oktober 2019, deren Dynamik trotz zunehmender Erschöpfung in den letzten Monaten noch nicht versiegt ist...“
„Libanon vor dem Kollaps?“ von Tomasz Konicz am 09. August 2020 bei telepolis unterstreicht, dass „Korruption“ nur eine Erscheinung des kapitalistischen Systems ist: „… Mit dem Hafen sei die „Achillesverse“ des Libanon getroffen worden, erklärte ein Analyst gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, da das Land im hohe Maße auf diesen Importweg angewiesen sei. In ersten Einschätzungen des Internationalen Währungsfonds hieß es zudem, dass die für dieses Jahr prognostizierte Rezession von 12 Prozent des Bruttonlandprodukts (BIP) sich zu einem Kollaps ausweiten werde, der 20 bis 25 Prozent der Wirtschaftsleistung vernichten werde. Dennoch halte sich die internationale Gemeinschaft auffällig zurück mit konkreten wirtschaftlichen Hilfsprogrammen für das verwüstete Land, bemerkte Reuters. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat während seiner Beirut-Visite kurz nach der Katastrophe beispielsweise klargestellt, dass der Libanon „weiterhin sinken“ werde, sollten die angemahnten Reformen nicht implementiert werden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) fordert von Beirut die Umsetzung der üblichen neoliberalen Rosskur, die schon viele Länder der Peripherie in den vergangenen Dekaden ruinierte. Der Libanon müsse im Rahmen der Reformen den Staatshaushalt zusammenstreichen und die Staatsverschuldung rasch reduzieren, damit überhaupt wieder Gespräche mit dem IWF aufgenommen würden. Die reichen sunnitischen Golfdespotien verweigerten dem Libanon ebenfalls nennenswerte Unterstützung, da in dem ehemaligen Bürgerkriegsland die schiitische Hisbollah ein wichtiger politischer Machtfaktor ist. Ähnlich dem letzten Krisenschub im Gefolge des Platzens der Schulden- und Immobilienblasen in den USA und Europa, als ideologisch verkürzt bloße Korruption und Vetternwirtschaft etwa für die Schuldenkrise in Südeuropa verantwortlich gemacht wurden, geht der Zusammenbruch des Libanon ebenfalls mit einer oberflächlichen Anklage der libanesischen Kleptokratie einher. Das politische System des Libanon kann letztendlich als eine Form von Institutionalisierung des Waffenstillstandes nach dem Ende des Bürgerkrieges betrachtet werden. Die Verteilung der Parlamentssitze, wie auch der Regierungsämter und wichtigen Posten im Staatsapparat erfolgt gemäß eines festgelegten Proporzes zwischen den ehemaligen Bürgerkriegsparteien, was selbstverständlich der Korruption und dem Nepotismus Tor und Tür öffnet. Dennoch kann in dem spezifisch libanesischen Filz, der nur Symptom der allgemein im Spätkapitalismus zunehmenden Korruption ist, nicht die Hauptursache für den drohenden Zusammenbruch des Landes gesehen werden – zumal viele Schwellenländer sich im gegenwärtigen Krisenschub ebenfalls in einer dramatischen Lage befinden. Zeitgleich mit dem Kollaps des Libanon geht die türkische Währung endgültig in die Knie. Die türkische Lira verzeichnete vor rund einer Woche einen abermaligen historischen Tiefststand von 7,35 gegenüber den US-Dollar. Eine ähnliche sozioökonomische Abwärtsspirale wie im Libanon ist durchaus denkbar, wobei es sich bei der Türkei um ein europäisches Nachbarland mit 80-Millionen Einwohnern handelt. Das islamistische Erdogan-Regime in Ankara, das den wirtschaftlichen Niedergang mit imperialen Abenteuern und chauvinistischen Aktionen zu kompensieren trachtet, könnte sich in die Enge getrieben sehen und in weiterer imperialer Aggression Zuflucht suchen. Hunger herrscht übrigens nicht nur im Libanon, sondern auch im verwüsteten poststaatlichen Gebilde Syrien, wo ebenfalls das Geld in seiner Eigenschaft als allgemeines Wertäquivalent entwertet wird. Die abermals verschärften US-Sanktionen, der Zusammenbruch des ökonomisch eng mit Syrien verflochtenen Libanon, der weitgehend ausbleibende Wiederaufbau und die Langzeitfolgen des Bürgerkrieges haben die Zahl der Menschen, die unter „Nahrungsmittelunsicherheit“ in Syrien leiden, binnen der letzten sechs Monate von 7,9 Millionen auf 9.3 Millionen anschwellen lassen. Einer ganzen Region an der südöstlichen Flanke der EU droht der Abstieg in ein sozioökonomisches Notstandsgebiet.Die Klage über die „Korruption“ im Libanon bildet somit ein durchsichtiges ideologisches Manöver, um von den systemischen Ursachen der zunehmenden Krisenanfälligkeit des spätkapitalistischen Weltsystems abzulenken. Die kapitalistische Hungerkrise muss somit als Folge von persönlichen oder kollektiven Fehlverhalten dargestellt werden, damit nicht grundlegende Fragen aufkommen – etwa wieso massenhafter Hunger und gigantische Lebensmittelvernichtung in der kapitalistischen Misswirtschaft so prächtig harmonieren können. Zumal die Kritik an Korruption und Vetternwirtschaft in Beirut sich gerade in Deutschland – dem Land des NSU 2.0, des BER und von Stuttgart 21 – arg merkwürdig ausnimmt…“
- Zur Explosion in Beirut zuerst: „Beirut, wie wir es kennen, gibt es nicht mehr“. Beiruts Zerstörung – eine Explosion, ein korruptes System, der Ruf nach unabhängiger Untersuchung – und nach Spenden am 07. August 2020 im LabourNet Germany, darin auch das Spendenkonto von medico international