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Südkorea erfolgreich gegen die Epidemie. Ohne Polizeistaat – mit Mobilisierung von Freiwilligen und Aufsicht über private Gesundheitseinrichtungen

Coronavirus, die Hetze und der Ausnahmezustand: China im Shitstorm„… Gefühlt verging eine Viertelstunde, bis die südkoreanische Regierung konsequente Maßnahmen ergriff – allerdings ohne Daegu komplett zu schließen. Stattdessen wurde sofort begonnen, lokal zu isolieren, massiv zu testen und Ansteckungswege akribisch zurückzuverfolgen. Das sogenannte Blaue Haus, der südkoreanische Regierungssitz, hätte vielleicht noch schneller handeln können, aber im Vergleich zu allen westlichen Regierungen hat es rasant reagiert. Die Zehn-Millionen-Einwohner-Metropole Seoul ist auf diese Weise bis heute weitgehend verschont geblieben; weder fand ein Lockdown statt noch wurden Ausgangssperren verhängt. Bis jetzt geht das Leben weiter, sehr gedämpft zwar und sehr nervös, aber stets ruhig und zivilisiert, keine Panik, nirgendwo. Dazu trugen allgegenwärtige Informationskampagnen der Regierung bei: Plötzlich begann mein Smartphone mehrmals täglich schrille Alarmsignale von sich zu geben, mit offiziellen Notfallhinweisen auf Städte, Gegenden, selbst Viertel, in denen es zu neuen Fällen gekommen war und die man deshalb meiden sollte. Die ständige Erinnerung an die reale Präsenz von Corona und das unweigerliche Näherrücken der Bedrohung war zwar sehr ungemütlich, gleichzeitig schärfte sie aber auch den Sinn für den Ernst der Lage. In U-Bahn-Stationen hingen überall Plakate mit Informationen zu den bekannten Verhaltensregeln: Mundschutz, Hände waschen, in die Ellenbeuge niesen. Es gab ständige Durchsagen. In jedem Bus waren am Einstieg und Ausstieg Desinfektionsflaschen befestigt. An großen Kreuzungen wurden Transparente mit Mahnungen und Adressen von Anlaufstellen angebracht. (…) Und hätte man in der ja so aufgeklärten westlichen Welt früher hingeschaut, wie in Ostasien über politische Systeme hinweg ähnlich agiert wurde, hätte man nicht immer nur mit dem Finger auf China gezeigt mit dem Argument, dass solche Maßnahmen in Demokratien nicht möglich wären, sondern stattdessen auch mal nach Südkorea geschaut, das zweifellos eine funktionierende Demokratie ist, dann hätte man sich vermutlich auch im Westen besser aufstellen können. Stattdessen hat der Westen tatenlos gewartet, aber auf was eigentlich? Ob Corona auch für Nichtasiaten ansteckend ist? Haben die Nudeln statt Gehirn im Kopf? So sagt man hier gerne scherzhaft – in diesen Tagen ein besonders bitterer Witz. Ich jedenfalls hätte mir niemals träumen lassen, dass ich mich jetzt, nach drei Monaten in Südkorea und nach zwei Monaten Alltag mit Covid-19, ausgerechnet hier besser aufgehoben fühlen würde als in Deutschland…“ – aus dem Erfahrungsbericht „Was wir von Südkorea lernen können“ von Hans Nieswandt am 22. März 2020 in der taz online externer Link zum südkoreanischen Vorgehen ohne Polizeistaats-Methoden. Siehe dazu auch einen Beitrag der südkoreanischen Basis-Gesundheitsbewegung PHM zur Mobilisierung Freiwilliger und zur Unterstellung privater Gesundheitseinrichtungen unter Regierungsanweisungen, sowie einen gewerkschaftlichen Forderungskatalog und einen weiteren Bericht zum südkoreanischen Epidemie-Alltag:

  • „PHM Korea: statement on COVID-19 outbreak and responses in South Korea2 am 19. März 2020 beim People‘s Health Movement externer Link ist eine Stellungnahme der Basis-Gesundheitsbewegung aus Südkorea, worin eine konkrete Auseinandersetzung mit den Problemen des südkoreanischen Gesundheitswesens in der aktuellen Situation geführt wird. Neben der Obstruktion der politischen Rechten im Vorfeld kommender Wahlen im April 2020, die jede Regierungsmaßnahme verhindern wollten, wird vor allem darauf hingewiesen, dass das Gesundheitssystem in Südkorea immer noch vor allem privatwirtschaftlich organisiert sei – und nur die Verfügung der Regierung, die privaten Einrichtungen seien staatlicher Aufsicht und Beschlussfassung unterworfen, habe es überhaupt ermöglicht, die Situation einigermaßen zu beherrschen – in Zusammenarbeit mit mobilisierten organisierten freiwilligen Gesundheitsaktivisten und Aktivistinnen.
  • „Testen, testen, testen!“ von Fabian Kretschmer am 13. März 2020 in der taz online externer Link zum konkreten Vorgehen in Südkorea: „… Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern, in denen nur Personen mit verdächtigen Symptomen getestet werden, wird in Südkorea grundsätzlich jeder auf das Virus überprüft, der engen Kontakt zu Infizierten hatte. Bei einer Bevölkerung von rund 50 Millionen haben sich bereits 220.000 Südkoreaner einem Gesundheitstest unterzogen, rund 20.000 sind es pro Woche. Kein anderes Land hat ein so systematisches Früherkennungssystem aufgebaut. Zum Vergleich: Die USA haben zur selben Zeit nur knapp zehntausend Tests durchgeführt – bei einer mehr als sechsmal so großen Bevölkerung. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer an Infizierten in den Vereinigten Staaten um ein Vielfaches höher ausfällt. Die Gesundheitstests sind für Südkoreas Bevölkerung grundsätzlich kostenlos. Und extrem bequem: Als erstes Land hat Südkorea sogenannte „Drive Through“ Teststationen an viel befahrenen Straßen eingeführt. Dabei handelt es sich um provisorische Zelte mit mehreren Medizinern, die in von weniger als zehn Minuten eine Speichelprobe abnehmen, ohne dass der Fahrer überhaupt sein Auto verlassen muss. Inzwischen sind mehr 50 solcher „Drive Throughs“ landesweit in Betrieb. Das systematische Testen bedeutet allerdings auch, dass die riesige Zahl an Personen mit nur milden oder gar keinen Symptomen überproportional von der Statistik erfasst wird. „Dies hat sich als zweischneidiges Schwert herausgestellt, weil die Zahl bestätigter Fällen in kurzer Zeit nach China die zweithöchste der Welt angestiegen ist“, heißt es vom Gesundheitsministeriums in Seoul. Die Früherkennung mag zwar die Statistik ruinieren, rettet aber gleichzeitig Leben. Südkoreas landesweite Sterblichkeitsrate bei Corona liegt derzeit bei 0,77 Prozent – ein Bruchteil des globalen Durchschnitts von 3,4 Prozent...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=164778
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