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Kommt jetzt wirklich das Ende des Kafala-Zwangsarbeitssystems in Katar – und das auch noch mit höherem Mindestlohn?

Dossier

Gewerkschaftlicher Protest gegen FIFA 2014„… Das Land am arabischen Golf hat Reformen auf dem Arbeitsmarkt angekündigt. So können ausländische Arbeiter künftig den Job ohne Zustimmung ihres bisherigen Arbeitgebers wechseln. Außerdem legte das Emirat als erstes Land der Region einen monatlichen Mindestlohn in Höhe von 1000 Rial (etwa 230 Euro) fest. Das entspricht einem Stundenlohn von etwa einem Euro. Die UN-Arbeitsorganisation ILO sprach von einem „historischen Schritt“ und dem „Beginn einer neuen Ära“ für Katars Arbeitsmarkt. In Verbindung mit früheren Reformen werde das Kafala-System effektiv abgebaut. (…) Katar hatte die Kritik an den Arbeitsbedingungen immer wieder zurückgewiesen und auf Reformen im Vorfeld der WM verwiesen...“ – so die Meldung „Katar führt Mindestlohn für alle ein“ am 30. August 2020 bei der Deutschen Welle externer Link über die – nicht zum ersten Mal (siehe Verweise am Ende dieses Beitrags) angekündigte Reformen der Arbeitsbeziehungen in Katar – über die bisherigen waren schon alle begeistert, bis auf die Betroffenen, die nichts davon bemerkten… Siehe dazu weitere Meldungen:

  • Katar sechs Monate nach dem Ende der WM: Noch immer keine Gerechtigkeit für Arbeitsmigrant*innen New
    Hunderte Arbeitsmigrant*innen, die während der FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar als Sicherheitskräfte angestellt waren, haben bislang keine Gerechtigkeit für erlittene Menschenrechtsverletzungen erfahren. Dies belegt Amnesty International in einer neuen Untersuchung. Wie eine neue Untersuchung von Amnesty International zeigt, gab es bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar systematische Arbeitsrechtsverstöße, die bis heute nicht angemessen adressiert worden sind. Die Menschenrechtsorganisation hatte bereits im April 2022 einen Bericht veröffentlicht, in dem sie die FIFA und das Gastgeberland Katar auf die systematischen und strukturellen Arbeitsrechtsverstöße hingewiesen hat, die im gesamten privaten Sicherheitssektor in Katar verbreitet sind. Auch die Arbeiter*innen selbst hatten während der WM gegen ihre Arbeitsbedingungen protestiert. (…) Auch sechs Monate nach dem Ende der WM haben weder FIFA noch Katar ein zugängliches und wirksames System geschaffen, um den in ihren Rechten verletzten Arbeiter*innen die ihnen zustehende Entschädigung zukommen zu lassen. Die FIFA muss tätig werden und unverzüglich den betroffenen Menschen eine angemessene Entschädigung für die erlittenen Verstöße bereitstellen.“ Die neue Untersuchung von Amnesty International belegt, dass Ordner*innen und Sicherheitskräfte, die an den Austragungsorten der FIFA-WM für das Unternehmen Teyseer Security Services mit Sitz in Katar tätig waren, im Zusammenhang mit ihrer Arbeit Schaden erlitten haben und einer Reihe von Arbeitsrechtsverstößen ausgesetzt waren: Unter anderem erhielten Arbeiter*innen falsche Informationen über die Bedingungen ihres Beschäftigungsverhältnisses und mussten rechtswidrige Vermittlungsgebühren und andere damit zusammenhängende Kosten bezahlen…“ ai-Mitteilung vom 15.6.2023 externer Link zur engl. Studie externer Link
  • Geisterstadien und Arbeiterelend: Jetzt entzieht sich Katar wieder den Scheinwerfern 
    „… Was wird aus Katar, wenn die Fußball-Weltmeisterschaft nicht mehr da ist? Innerhalb von nur zwölf Jahren hat das Emirat die komplette Infrastruktur für die erste Stadt-WM der Geschichte in den Wüstenboden gestampft. Die gigantischen Wohnblöcke in Lusail und auf The Pearl werden kaum neue Mieter finden und vorerst als Erinnerungen an die WM im Wüstensand zurückbleiben. In der Nähe des Endspielstadions wird trotzdem schon die neue Yasmeen-City errichtet. Die Stadien, Kathedralen des Katar-Kapitalismus, werden teilweise zurückgebaut und im Falle des Stadiums 974 am Ufer des Persischen Golfs sogar komplett demontiert werden. (…) Doha ist eine Stadt voller Widersprüche. Eingepfercht in den Wohnanlagen der Industrial Area fristen die Arbeitsmigranten ihr mehr als bescheidenes Dasein. Teilweise teilen die Menschen aus Indien, Bangladesch, Nepal, Sudan und Co. sich zu siebt kleinste Zimmer. Sie arbeiten sprichwörtlich bis zum Umfallen, manchmal den ganzen Tag und die ganze Nacht. Missbrauch und Menschenrechtsverstöße werden aus Furcht vor Strafen und dem Verlust des Jobs stillschweigend hingekommen. Denn sie alle eint, dass sie nach Katar gekommen sind, weil es in ihren Heimatländern nur Korruption und keine Arbeit gibt. Dass sie im reichsten Land der Erde aber solch ein Elend erfahren würden, ahnen viele nicht. Bauarbeiter, Taxi- und Busfahrer, Bedienstete, Kellner, Putzkräfte – sie alle bilden das Rückgrat der katarischen Gesellschaft. Doch am Reichtum und Glitzer des Landes darf diese Armee der Gesichtslosen nicht teilhaben. Die Regierung des Emirats macht sie zu Bürgern dritter Klasse, nach den Einheimischen und westlichen Arbeitern im Land. Infrastruktur, Gesetze und die Arten der ausgeübten Jobs sorgen dafür, dass sich diese Bevölkerungsgruppen nicht vermischen und die unterste Klasse fast keinen Kontakt mit den Bessergestellten hat. (…) Das fehlende Recht auf Rausch zeigt sich in Doha über die Dauer des Turniers auf allen Ebenen. Es geht nicht nur um Alkohol – der ist ohnehin erhältlich, wenn auch nicht erschwinglich. Es geht vielmehr um das Recht auf den Rausch der Freiheit, der in Doha an allen Stellen eingeschränkt wird. Alle bewegen sich in einem engen Sicherheitskorsett, das bald alltäglich ist und nicht nur die freie Bewegung einschränkt. Es gibt keine Möglichkeiten, daraus auszubrechen. Die künstliche Stimmung in den Stadien, die in den gekauften Ultras Katars ihren frühen Höhepunkt findet, wird nur bei wenigen Partien durch die Macht der Authentizität gebrochen. Weil kaum Europäer vor Ort sind, obliegt es vor allen Dingen den Fans aus Marokko und denen aus Süd- und Mittelamerika, die WM mit Leben zu füllen. (…) Großveranstaltungen werden in die Region des unendlichen Reichtums und des unendlichen Leids zurückkehren. Die FIFA liebäugelt bereits mit Saudi-Arabien als Co-Gastgeber der WM 2030, die Infrastruktur Dohas verlangt ebenfalls nach weiteren Events. Der Traum von den Olympischen Spielen in Doha ist noch lange nicht ausgeträumt. So geht nach dem Schlusspfiff des Finales, ausgerechnet am Internationalen Tag der Migranten und nach 144 Monaten seit der Vergabe des Turniers ohne wirkliche Fortschritte in Sachen Menschenrechte „die beste WM aller Zeiten“ (FIFA-Boss Infantino) zu Ende. Eine WM, für die unglaublich viel menschliches Leid geopfert wurde. Möglich, dass Katar weitere Reformen anstößt. Möglich, dass andere zurückgefahren werden, jetzt, da der Tross der westlichen Medien abreist. Egal welchen Weg der Wüstenstaat in der Zukunft geht, mental traumatisierte Arbeitsmigranten bleiben geschädigt. Und verstorbene Arbeiter bleiben tot. Ihre Familien werden sie weiter vermissen.“ Reportage von David Bedürftig und Stephan Uersfeld vom 20. Dezember 2022 bei n-tv.de externer Link
  • Ausbeutung von Arbeitern in WM-Stadien in Katar: Neuer Bericht bringt erschreckende Details ans Licht 
    „Eine Menschenrechtsorganisation hat neue detaillierte Vorwürfe zur Ausbeutung von Arbeitern in den WM-Stadien in Katar vorgelegt. Die aus Billiglohnländern stammenden Arbeiter seien Diskriminierung ausgesetzt gewesen, hätten ihre Löhne nicht bekommen und seien misshandelt und geschunden worden, hieß es in dem am Donnerstag veröffentlichen Bericht der Organisation Equidem externer Link mit Sitz in London. Für den 75 Seiten langen Bericht sprach die Organisation nach eigenen Angaben über einen Zeitraum von zwei Jahren mit 60 Arbeitern, die alle anonym bleiben wollten. Ihre Schilderungen legten nahe, dass die von Katar in den Jahren vor der Fußball-Weltmeisterschaft beschlossenen Reformen auf dem Arbeitsmarkt in der Realität vielfach ignoriert werden. Sie berichteten, dass sie Vermittlungsgebühren für eine Anstellung zahlen mussten, wodurch sie schon hoch verschuldet waren, bevor sie überhaupt anfingen. Lange Arbeitstage in brütender Hitze seien an der Tagesordnung gewesen, Afrikaner und Menschen aus dem Süden Asiens hätten die gefährlichsten Arbeiten verrichten müssen. Proteste oder die Bildung von Gewerkschaften waren untersagt. Sie hätten Angst gehabt, sich zu beschweren, denn sonst hätten sie ihren Job verlieren können, berichteten die Arbeiter. (…) Gegen ein französisches Bauunternehmen wurden in dieser Woche wegen möglicher Menschenrechtsverletzungen auf WM-Baustellen in Katar offiziell Ermittlungen eingeleitet externer Link. Bei den Vorwürfen geht es um Zwangsarbeit, menschenunwürdige Wohn- und Arbeitsbedingungen und unzureichender Bezahlung von Wanderarbeiterinnen und -arbeitern.“ Meldung vom 10. November 2022 beim RND externer Link zu:

    • “If we complain, we are fired”. Discrimination and Exploitation of Migrant Construction Workers on FIFA World Cup Qatar 2022 Stadium Sites
      In this report, migrant workers from Africa and Asia employed as construction workers and security guards at FIFA World Cup Qatar 2022 stadiums describe – in their own words, efforts made by their employers to cover up or evade investigations into worker deaths, nationality-based discrimination, wage theft, illegal recruitment, forced labour, overwork, workplace violence, health and safety risks, and practices used by employers to create a captive and controllable workforce…“ engl. Report von und bei Equidem vom November 2022 externer Link , siehe ebd. auch
    • “We work like robots”. Discrimination and Exploitation of Migrant Workers in FIFA World Cup Qatar 2022 Hotels externer Link
    • Ermittlungen gegen französischen Konzern: Moderne Sklavenarbeit auf WM-Baustellen?
      „… Gegen ein französisches Bauunternehmen sind wegen möglicher Menschenrechtsverletzungen auf WM-Baustellen in Katar offiziell Ermittlungen eingeleitet worden. Bei den Vorwürfen geht es um Zwangsarbeit, menschenunwürdige Wohn- und Arbeitsbedingungen und unzureichender Bezahlung von Wanderarbeiterinnen und ‑arbeitern, teilte die Menschenrechtsorganisation Sherpa externer Link am Mittwoch mit. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft in Nanterre bei Paris bestätigte die von einem Richter angeordneten Ermittlungen gegen das Unternehmen Vinci Construction Grands Projets, einer Tochter des französischen Baukonzerns Vinci, am Donnerstag gegenüber CNN externer Link. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Sherpa reisten eigenen Angaben zufolge bereits 2014 nach Katar, um auf den Baustellen zur Fußball-WM Beweise für die vermeintlich unzureichenden Arbeitsbedingungen zu sammeln. In ihrer Mitteilung nennt die Menschenrechtsorganisation unter anderem Zwangsarbeit während extremer Hitze über 45 Grad und ohne Versorgung mit Wasser, Passentzug und schlechte Wohnbedingungen mit mangelhaften sanitären Einrichtungen und ohne Klimaanlagen. Der Klageschrift, die 2019 eingereicht wurde und in der zwölf ehemalige Bauarbeiter als Zeugen genannt werden, schloss sich die französische Menschenrechtsorganisation Comité contre l’Esclavage Moderne an…“ Beitrag vom 10.11.2022 bei RND externer Link
  • Das unantastbare Katar: Die Fußball-WM als Machtressource
    „… In den vergangenen fünf Jahren hat das katarische Arbeitsministerium Richtlinien festgelegt, die europäischen Standards ähneln, für Arbeitszeiten, Ruhephasen, Beschwerdemöglichkeiten. Mitunter aber werden diese Reformen vom mächtigeren Innenministerium untergraben. „Viele Arbeiter trauen sich nicht, gegen ihren Arbeitgeber juristisch vorzugehen“ (…) Viele Arbeitgeber, die häufig eine familiäre Nähe zum Herrscherhaus haben, fühlen sich offenbar unantastbar. Und so dokumentieren NGOs wie Amnesty International oder Human Rights Watch zahlreiche Verstöße gegen neue Gesetze. Vielfach werden noch immer Reisepässe einbehalten und zugesicherte Löhne nicht ausgezahlt. Oft bedrohen Arbeitgeber ihre Angestellten und hindern sie an der Wahrnehmung von Gerichtsterminen. Noch immer verlangen Rekrutierungsagenturen von den Arbeitern zum Teil horrende „Vermittlungsgebühren“, damit diese überhaupt eine Anstellung finden. Erkenntnisse wie diese lassen erahnen, dass sich die Lage in den vergangenen Jahren nicht wirklich verbessert hat. Daher fordern Gewerkschaften, Fangruppen und Menschenrechtsorganisationen von der Fifa ein umfassendes Entschädigungsprogramm für Arbeitsmigranten. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Fifa ein solches auflegt. Ihr Präsident, Gianni Infantino, und viele Funktionärskollegen wiederholen häufig, dass die WM in Katar Verbesserungen angestoßen habe. Ein Beispiel seien „Streitschlichtungsausschüsse“, die zwischen Arbeitgebern und Arbeitern vermitteln sollen. Die International Labour Organization (ILO) ist mit einem Büro in Doha vertreten, auch Gewerkschaftsverbünde sind für Inspektionen vor Ort. Es sind Bedingungen, die Nachbarstaaten wie Saudi-Arabien nicht zulassen. Für Katar sind genaue Zahlen kaum überprüfbar, aber inzwischen sollen mehr als 20 000 Arbeiter ihre ausgebliebenen Löhne erfolgreich eingeklagt haben. Im Land leben aber rund 2,4 Millionen Arbeitsmigranten, sie stellen neunzig Prozent der Bevölkerung. Noch können die wenigen Beschwerdestellen die Klagen nicht in angemessener Zeit bearbeiten. Bei anderen Menschenrechtsverletzungen ist der Staat selbst davon weit entfernt. Häufig müssen etwa katarische Frauen die Erlaubnis eines männlichen Vormunds einholen, wenn sie etwa heiraten oder in einem öffentlichen Job arbeiten wollen. (…) Auch die katarischen Politiker regieren zunehmend genervt auf die zahlreichen kritischen Artikel zur Menschenrechtslage am Golf. Und viel spricht dafür, dass die konservativen Kräfte in Katar ihre zaghaften Reformen zurücknehmen werden – allerdings wohl erst nach der WM, wenn die Karawane der Medien weitergezogen ist und die internationale Aufmerksamkeit längst wieder auf einem anderen Schauplatz liegt.“ Umfangreicher Artikel von Ronny Blaschke in den Blättern vom November 2022 externer Link
  • ›Wir wollen etwas dagegen tun‹ – Arbeitsmigrant:innen in Katar organisieren sich 
    Ein Großteil der 2,4 Millionen migrantischen Arbeiter:innen in Katar kommt aus Nepal und Indien. Dort herrschen Armut und hohe Arbeitslosigkeit, die sie zwingt, im Ausland Arbeit zu suchen. Aktuell arbeiten knapp 400000 Nepales:innen in Katar, die meisten im Bausektor, aber auch viele in Hotels, Restaurants und Privathaushalten. Ihre Rücküberweisungen machen fast ein Drittel von Nepals Bruttoinlandsprodukt aus. Vor allem die gering qualifizierten Arbeiter:innen, die für den Aufbau der Infrastruktur der Fußball-WM 2022 in Katar eingesetzt werden, leiden unter unwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen: keine Arbeitsrechte, kein Rechtsschutz, ungenügende Gesundheits- und Sicherheitsstandards – es ist moderne Sklaverei. Dieses Migrationsregime nennt sich Kafala-System: Die Arbeitgeber bürgen hier für die Aufenthalts- und Arbeitsrechte der Arbeiter:innen und unterwerfen sie damit ihrer Willkür. Ulrike Lauerhass hat mit Chandra (Name geändert), einem Aktivisten aus einer Gruppe von selbstorganisierten migrantischen Arbeiter:innen gesprochen. (…)
    Als ich dort durch die Straßen lief, begegnete ich vielen, die im Elend lebten. Ich sprach mit ihnen über die Lebens- und Arbeitsbedingungen und hörte mir ihre Geschichten an. Als ich mit nepalesischen Freund:innen sprach, die in Ländern wie Saudi-Arabien, Kuwait oder den Vereinigten Arabischen Emiraten lebten, verstand ich, dass die Verhältnisse in Katar keine Ausnahme sind. Wir wollten etwas dagegen tun, also organisierten wir Treffen, bei denen wir das Problem aus dem Blickwinkel der Menschenrechte und der Gerechtigkeit diskutierten. Wir gründeten eine Initiative, die sich für die Rechte von Arbeitsmigrant:innen einsetzt. Es ist schwierig sich zu organisieren, aber zum Glück können die Arbeiter:innen aus Nepal über die Feiertage nach Hause reisen. Alle ein bis zwei Jahre bezahlen die Arbeitgeber die Reise, dann können wir uns in Nepal treffen.
    [Wann habt ihr entschieden, eine eigene Organisation zu gründen?]
    Wir organisierten ein dreitägiges Strategietreffen mit Teilnehmenden aus Malaysia, Katar, Bahrain, Saudi-Arabien, Oman und Kuwait. Auch Journalist:innen und nepalesische Aktivist:innen, die zu den Themen Menschenrechte und Migration arbeiten, waren dabei. Als wir die Organisation gründeten, einigten wir uns auf drei Kernthemen: Erstens das Empowerment von zumeist gering qualifizierten, gering ausgebildeten migrantischen Arbeiter:innen im Niedriglohnsektor, damit auch sie ihre Stimmen im Kampf um Rechte und Gerechtigkeit erheben können. Zweitens wollen wir Druck auf unsere Regierung ausüben, damit sie gegen die überhöhten Anwerbegebühren vorgeht, die die Vermittlungsagenturen in Nepal verlangen. Drittens setzen wir uns dafür ein, dass Arbeitsmigrant:innen aus Nepal im Ausland von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können. Im Anschluss an das Treffen vernetzten wir uns weiter in den Aufnahmeländern und erhielten dabei Unterstützung von internationalen NGOs. Wir untersuchten die Arbeits- und Lebensbedingungen von Migrant:innen und sammelten detaillierte Informationen über ihre Lage.
    [Euer Netzwerk erstreckt sich heute über viele Standorte, eure Webseite deckt eine große Bandbreite an Themen ab. Wie habt ihr euch vom ersten Treffen 2017 zur heutigen Organisation entwickelt?]
    Es fing an mit Videomeetings in Nepal, die immer am letzten Freitag eines Monats auf Social-Media-Kanälen stattfanden. So entstand ein Raum für Diskussionen, Informationsaustausch, Beratung und Organisationsarbeit. Wir hatten in jedem Aufnahmeland eine:n Vertreter:in, aber wir mussten beim Anwerben weiterer Mitglieder vorsichtig vorgehen. In den meisten dieser Staaten sind Gewerkschaften verboten, daher ist Vertrauen für uns unerlässlich. Wir wuchsen langsam, zumeist über Mundpropaganda. Mittlerweile haben wir in Katar rund 35–40 Mitglieder (Stand März 2021). Wir treffen uns in Kleingruppen auf einen Kaffee oder Tee in einem kleinen Restaurant und tauschen uns dort aus. Einige von uns sind schon wieder nach Nepal zurückgekehrt, da ihre Verträge endeten. Unser ambitioniertes Ziel ist es, auf 500–600 Mitglieder zu kommen, die sich aktiv dafür einsetzen, die Lage der Arbeitsmigrant:innen zu verbessern.
    [Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und der globale Gewerkschaftsbund Bau- und Holzarbeiter Internationale (BHI) behaupten, die Arbeitsbedingungen in Katars Bausektor hätten sich in den letzten Jahren verbessert. Würdest du dem zustimmen?]
    Die Regierung Katars hat tatsächlich Maßnahmen zur Stärkung der Rechte und des Schutzes von Arbeiter:innen eingeführt. Letztendlich verbessern sie aber nur wenig und sind nichts als Schönfärberei. Bereits 2020 führte die Regierung einen sogenannten nichtdiskriminierenden Mindestlohn ein und schaffte die Verpflichtung ab, die Erlaubnis des Arbeitgebers für einen Arbeitsplatzwechsel einzuholen. Das klingt alles nach Freiheit und Fortschritt, aber diese Garantien existieren hauptsächlich auf dem Papier. Im Großen und Ganzen gibt es immer noch zahlreiche Fälle, in denen Menschen unter unwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen leiden. Katar hat bislang nicht genug getan. Als eines der reichsten Länder der Welt ist Katar jedoch in der Lage, migrantische Arbeiter:innen mit Würde zu behandeln und sich für Arbeiter- und Menschenrechte verantwortlich zu zeigen…“ Interview mit dem Aktivisten Chandra in der Soz Nr. 11/2022 externer Link
  • Katar: Fast 35.000 Beschwerden wegen nicht gezahlter Löhne auf WM-Baustellen 
    „Kurz vor Beginn der Fußball-WM in Katar warten viele Gastarbeiter immer noch auf ihren Lohn. Wie die Internationale Arbeitsorganisation ILO mitteilte, liegen inzwischen rund 34.500 Beschwerden vor. Neben nicht gezahlten Löhnen geht es auch um fehlende Entlassungsgelder und nicht ausgezahlten Jahresurlaub. Mehr als 10.000 Fälle seien bereits vor einem Schiedsgericht gelandet, sagte ein Sprecher. In fast allen Streitigkeiten hätten die Arbeitnehmer Recht bekommen. Die ILO forderte die Regierung in Katar erneut zu Reformen auf. Bei den Arbeiten an den Fußball-Stadien waren schätzungsweise 15.000 Gastarbeiter ums Leben gekommen, viele starben bei Unfällen oder in Folge der enormen Hitze auf den Baustellen und der katastrophalen Unterbringung. Der Linken-Politiker Gysi sagte dazu im Deutschlandfunk, angesichts der Todesfälle sei es schlimm gewesen, dass die Fifa die Vergabe der WM an Katar nicht überdacht habe. Von einem Zuschauerboykott halte er aber nichts. Um an die Toten zu erinnern, könnten sich die Spieler vor Beginn der Partie hinknien oder eine schwarze Armbinde tragen.“ Meldung vom 1. November 2022 beim Deutschlandfunk externer Link
  • Demo wegen nicht gezahlter Löhne: Katar nimmt Dutzende Arbeiter fest – und weist sie aus 
    Wenige Monate vor Beginn der Fußball-WM sind in Katar mehr als 60 Gastarbeiter festgenommen worden. Sie hatten demonstriert, weil sie monatelang keinen Lohn erhielten. Einige der Festgenommen wurden offenbar des Landes verwiesen. Drei Monate vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft hat Gastgeber Katar mindestens 60 ausländische Arbeiter festgenommen, die gegen ausbleibende Lohnzahlungen protestierten. Ein Teil der Festgenommenen sei ausgewiesen worden, teilte das Beratungsunternehmen Equidem Research mit. Die Festnahmen ließen Zweifel an Katars Zusicherung aufkommen, den Umgang mit den vielen ausländischen Arbeitern im Land zu verbessern, sagte Geschäftsführer Musutafa Kadri. (…) Videoaufnahmen, die im Internet veröffentlicht wurden, zeigten etwa 60 Teilnehmer der Protestaktion am 14. August vor den Büros der Al Bandary International Group in Doha, einem Konglomerat, zu dem Bauunternehmen, Immobilien, Hotels, Gastronomie und andere Unternehmen gehören. Einige der Demonstranten hatten laut Equidem seit sieben Monaten keinen Lohn mehr bekommen. Die katarische Regierung teilte mit, das Unternehmen habe tatsächlich Löhne nicht gezahlt. Das Arbeitsministerium werde nun einspringen und alle ausgefallenen Zahlungen leisten…“ Meldung vom 22.08.2022 in tagesschau.de externer Link
  • Fußball-WM 2022 in Katar: Kafala im Geheimen. Die Menschenrechtslage in Katar bleibt auch 100 Tage vor der Fußball-WM kritisch 
    Die Bauarbeiten für die acht Stadien sind längst abgeschlossen. Die modernen Metrolinien in der Hauptstadt Doha sind seit Jahren in Betrieb. Und im Geschäftsbezirk »West Bay« eröffnen Hotels, Einkaufszentren und Firmenzentralen. Dieses Wachstum wäre ohne die Fußballweltmeisterschaft der Männer, die in genau 100 Tagen beginnen soll, undenkbar gewesen. Doch es hatte auch einen hohen Preis: viele ausgebeutete, teils sogar auf Baustellen im Land gestorbene Arbeiter*innen. Darüber wird seit langer Zeit debattiert, doch eine entscheidende Frage ist: Hat der internationale Druck seit der WM-Vergabe vor zwölf Jahren den Alltag der Arbeitsmigrant*innen in Katar erleichtert? »Es ist ein wichtiger Prozess eingeleitet worden«, sagt Dietmar Schäfers, Vizepräsident der Bau- und Holzarbeiterinternationalen (BHI). »Auf den WM-Baustellen hat sich einiges verbessert. Aber dort, wo die Öffentlichkeit nicht so genau hinsieht, ist noch viel zu tun.« Expert*innen wie Schäfers sagen, dass besonders in den ersten Jahren nach der WM-Vergabe wichtige Zeit für Reformen verloren gegangen sei. Die katarische Erbmonarchie duldet keine unabhängigen Medien, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGO). Lange konzentrierten sich internationale Menschenrechtsorganisationen auf die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi, dann auf die Fußball-WM 2018 in Russland. Dennoch: Mit Kampagnen wie »Red Card for Fifa« richteten Gewerkschaftsbündnisse wie die IG Bau ihren Fokus allmählich auf Katar. Arbeitsorganisationen wie die International Labour Organization (ILO) reichten Beschwerden gegen Katar ein. Berichte europäischer Medien sowie von Amnesty International und der wachsende Druck von Fans zwangen Sponsoren mit der Zeit zu kritischeren Stellungnahmen mit Blick auf die WM 2022. I m Zentrum der Kritik stand das sogenannte Kafala-System, das in etlichen Staaten der Golfregion praktiziert wird. Als Bedingung für ihre Einreise erhielten die vorwiegend aus Südasien stammenden Arbeiter*innen Bürgen, die ihre Reisepässe einbehalten, ihre Ausreise erschweren und einen Jobwechsel verhindern konnten – offiziell zur Bekämpfung von Kriminalität, denn die Herkunftsländer haben meist keine Auslieferungsabkommen mit Katar. »Bereits 2015 hat die katarische Regierung behauptet, dass das Kafala-System abgeschafft worden sei«, sagt die Aktivistin Binda Pandey, die sich für die Rechte nepalesischer Arbeiter*innen in Katar einsetzt. »Tatsächlich wurden viele neue Gesetze auf den Weg gebracht, aber häufig mangelt es an Umsetzung und Kontrolle.« (…) In den verbleibenden Wochen bis zur WM werden zwar erst einmal weitere Bücher und Dokumentationen zur Menschenrechtslage am Golf erscheinen. Doch die Geopolitik hat sich bereits geändert: Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bemühen sich westliche Demokratien wie Deutschland um Gaslieferungen aus Doha. Die Rechte dortiger Arbeiter*innen waren dabei plötzlich nicht mehr ganz so wichtig.“ Artikel von Ronny Blaschke vom 12. August 2022 in neues Deutschland online externer Link
  • [Sicherheitsunternehmen missachtet Arbeitsrecht] „Katar stellt sich in Beschäftigungskonflikt auf die Seite der Arbeitnehmer“ (Botschafter des Staates Katar) 
    Das katarische Ministerium für Verwaltungsentwicklung, Arbeit und Soziales entscheidet im jüngsten Beschäftigungskonflikt im Unternehmen European Guardian & Security Services Co. (EGSSCO) zugunsten der Arbeitnehmer. Laut des Ministeriums verstößt der neue Arbeitsvertrag gegen das im September 2020 geänderte Gesetz zur Abschaffung von Beschränkungen des Arbeitsplatzwechsels für Arbeitnehmer. Arbeitnehmer haben nun die Möglichkeit ihren Vertrag zu beenden. „Katar wird kein Unternehmen dulden, das gegen die neuen Arbeitsgesetze verstößt. Die Regierung hat sich verpflichtet, alle Arbeitnehmer zu schützen und sicherzustellen, dass die neuen Reformen von allen in Katar tätigen Unternehmen umgesetzt werden. Wir ermutigen alle Arbeitnehmer ihre Rechte wahrzunehmen und entsprechende Kommunikationskanäle zu nutzen, um Beschwerden über Verstöße des Arbeitsrechts einzureichen.“, sagte der Botschafter des Staates Katar in Berlin Abdullah bin Mohammed bin Saud Al-Thani. Arbeitnehmer, die ihre Beschäftigung bei der EGSSCO nicht fortsetzen möchten, haben nun die Möglichkeit ihre Arbeitsverträge durch eine schriftliche Mitteilung und unter Einhaltung der entsprechenden Frist zu kündigen. Nach der Kündigung steht es ihnen frei innerhalb von drei Monaten eine neue Arbeitsstelle in Katar zu finden, bevor ihr Visum abläuft. Der Staat Katar hat nach der Verabschiedung des Arbeitsgesetzes im September 2020 neue Kanäle eingerichtet, über die Arbeitnehmer Verstöße innerhalb ihres Unternehmens melden können. Die Arbeitnehmer können Beschwerden entweder direkt an das Ministerium wenden oder über die App „Amerni“ einreichen. Alle Beschwerden werden streng vertraulich behandelt. Die Reformen werden außerdem durch Workshops für Arbeitnehmer und durch eine groß angelegte Multimedia-Kampagne begleitet, die Arbeitnehmer über ihre Rechte informieren soll. Die katarischen Behörden wurden auf den Beschäftigungskonflikt bei der EGSSCO aufmerksam, nachdem mehrere Beschwerden von Arbeitnehmern eingegangen sind. Erste Untersuchungen ergaben, dass die Gehälter der Arbeitnehmer den festgelegten Mindestlohngrenzen der neuen Vorschriften für Arbeitsverträge entsprachen. Allerdings wurde nun festgestellt, dass der Vertrag Bedingungen und Einschränkungen für Arbeitnehmer beinhaltete, die gegen das Wettbewerbsverbot des Arbeitsgesetzes verstoßen.“ Pressemitteilung vom 06. Mai 2021 (per e-mail) von Abdullah bin Mohammed bin Saud Al-Thani, Bevollmächtigter und außerordentlicher Botschafter des Staates Katar in der Bundesrepublik Deutschland – wir werden es beobachten
  • Katar: Sicherheitsunternehmen missachtet Arbeitsrecht – „Gastarbeiter“ der „European Guarding & Security Services Co.“ im Streik 
    Nach Recherchen der Sportschau verstößt im Gastgeberland der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 eines der größten katarischen Sicherheitsunternehmen gegen geltendes Arbeitsrecht, mit dem laut Regierung das Kafala-System für Gastarbeiter abgeschafft werden sollte. Betroffen sind Gastarbeiter der Sicherheitsfirma „European Guarding & Security Services Co.“ (EGSS). Mit über 4.000 Angestellten gehört es zu den größten Sicherheitsfirmen Katars. Am vergangenen Montag (26.04.2021) hatten Mitarbeiter des Unternehmens aus Protest gestreikt. Das Unternehmen hatte ihnen neue Arbeitsverträge unterbreitet, mit denen nach Ansicht der Streikenden der Reformprozess unterlaufen wird, den die katarische Regierung im vergangenen Herbst verkündet hatte. Ein Mustervertrag liegt der Redaktion vor. Das Unternehmen stellt unter anderem Sicherheitspersonal für das katarische Arbeitsministerium zur Verfügung. Auch bei der diesjährigen FIFA Klub-WM wurde nach Informationen der Sportschau Personal der Firma eingesetzt. Unter anderem beim Endspiel des FC Bayern München gegen UANL Tigres (Mexiko). (…) Die Firma EGSS reagierte nicht auf eine Anfrage der Sportschau. Das katarische Kommunikationsministerium teilte gegenüber der Sportschau mit, dass Klauseln des Mustervertrages klar gegen geltendes Arbeitsrecht in Katar verstoßen. Laut Vertrag müssen sich die Arbeiter verpflichten, mindestens fünf Jahre lang für das Unternehmen zu arbeiten und zusätzlich während dieser Zeit nicht zu einem Konkurrenzunternehmen zu wechseln. Entscheidet sich ein Arbeiter trotzdem zu wechseln, droht das Unternehmen mitunter damit, dem Gastarbeiter angefallene Kosten, etwa Aus- oder Weiterbildungskosten und andere Ausgaben, in Rechnung zu stellen…“ Beitrag von Benjamin Best vom 02.05.2021 bei sportschau.de externer Link
  • „Migrant workers in Qatar still facing wage abuses despite reforms: HRW von Nadda Osman am 24. August 2020 beim Middle East Eye externer Link stellt einen Report von HRW vor, der zum Ergebnis kommt, dass die seit 2017 versprochenen Verbesserungen unter dem Strich, in der Lebensrealität der asiatischen Bauarbeiter so gut wie gar nicht stattgefunden haben

Siehe zum Thema Arbeitsbedingungen in Katar im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=177564
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