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Das Polizieren indigener Proteste: Besondere Repression gegen besondere Rechte in Kanada

Proteste in Kanada 2013: Stoppt die PolizeibrutalitätZur Geschichte Kanadas gehört maßgeblich die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen gegen den Widerstand der indigenen Bevölkerung. Seit 150 Jahren setzt die kanadische Bundespolizei Interessen der privaten Industrieunternehmen gegen den Widerstand der Bevölkerung durch. (…) Indigene Proteste werden in der Regel als gewalttätig dargestellt und traditionell mit dem primären Mechanismus der Kolonialmacht beantwortet – der Polizei. Entsprechend rabiat wurden bereits frühere Proteste gegen Raubbau poliziert. (…) Die Regierung unterstützt private Energieunternehmen, die u.a. Rodungen, Fracking-Projekte oder Pipelines auf indigenem Land voranbringen, denen die betroffene Bevölkerung nicht zugestimmt hat. In den letzten zehn Jahren blockierten First Nations daher wiederholt Eisenbahnlinien, Brücken und Autobahnen, um gewaltfrei die Respektierung ihrer Selbstbestimmung einzufordern, nachdem demokratische Prozesse erfolglos blieben und verbale Proteste ignoriert wurden…“ Artikel von Sonja John aus der Cilip 132 vom Juli 2023 externer Link und mehr daraus:

  • Weiter aus dem Artikel von Sonja John aus der Cilip 132 vom Juli 2023 externer Link: „(…) Gewalt gegen indigenen Widerstand gegen den Ressourcenabbau auf ihrem Land tritt in unterschiedlichen Formen auf. Es beginnt mit der Bezeichnung eines friedlichen Protests als indigener Extremismus. Diese epistemische Gewalt in den Erzählungen von indigenen Extremist*innen als nationale Bedrohung der kritischen Infrastruktur legte den Grundstein für eine „fusionierte“ Überwachung aller organisierten indigenen Aktivitäten, die zu Kriminalisierung, weiterer Überwachung (Overpolicing), Polizeirazzien, mitunter Polizeigewalt und Verhaftungen führt. (…) Für die Industrie und die Polizei bezieht sich der Begriff „Gewalt“ auf Störungen, die die Rohstoffindustrie daran hindern, ihre Arbeit auszuführen, unabhängig davon, ob es zu körperlicher Gewalt kommt oder nicht. Demgegenüber bleibt der Einsatz von Polizeigewalt gegen indigene Blockaden eine allgegenwärtige Realität für First Nations, die ihre Souveränitätsrechte und ihr Land schützen wollen. (…) Im Zusammenhang mit der Überwachung indigener Proteste ist die Massenspeicherung von Informationen und die Katalogisierung von Daten in Polizei- und Sicherheitsdatenbanken sowie der Austausch dieser Informationen mit Polizeibehörden und der Energieindustrie zu einer Routinefunktion der täglichen Polizeiarbeit geworden. Diese Tätigkeiten führt die RCMP durch, ohne die untersuchten Personen zu benachrichtigen und ohne Hinweis darauf, wann Verdächtigte nicht mehr Gegenstand von Ermittlungen sind. Es fehlt an wirkungsvollen Police-Accountability-Mechanismen, um diese Überwachung zu stoppen oder anzufechten. Trotz der Überwachungsressourcen, die der Verhinderung potenzieller Verbrechen – oder von Terrorismus – gewidmet sind, erkennt keiner der daraus resultierenden zahlreichen öffentlichen Berichte eine spezifische Bedrohung. Dennoch fördert eine intensive Überwachung bekanntermaßen eine gefährliche Kultur des Misstrauens und erzeugt zyklische Muster der (Un-)Sicherheit. Overpolicing kann die Wahrnehmung realen Kriminalitätsvorkommens verzerren und somit im Zirkelschluss die Praxis des Overpolicings rechtfertigen und intensivieren. (…) Indem der Sicherheitsstaat die First Nations, die ihr Land schützen, als feindliche, gewalttätige und illegitime Bedrohung gegen kanadische Energieinteressen konstruiert, zementiert er die scheinbar notwendige Intensivierung von Überwachung und Polizeiarbeit. In deren Folge wurden geheimdienstliche Überwachung und die Einbindung Privater in die Informationsbeschaffung zunächst als Notfallmechanismus eingeführt bzw. ausgeweitet, jedoch sodann verstetigt. Ein prominentes Beispiel ist die Gründung der Community-Industry Response Group (C-IRG) 2017 in Reaktion auf die beschriebenen Konflikte auf dem Wet‘suwet’en-Territorium. Die neue Einheit soll die strategische Aufsicht über Gefährdungen der Energiebranche und damit verbundene Fragen der öffentlichen Ordnung, der nationalen Sicherheit und der Kriminalität gewährleisten. RCMP-Mitglieder, die in militaristischen C-IRG-Einheiten beschäftigt sind, werden entlang von Befehlssystemen eingesetzt, die eine zweckmäßige Mobilisierung ermöglichen, unabhängig vom Provinzstandort oder dem industriellen Kontext, in dem sie reagieren. C-IRG ist nach der Logik des Gold-Silber-Bronze-Systems als Befehlskettenstruktur gegliedert, um die Polizeiarbeit als integrierte Reaktion effizient zu koordinieren. Bei dieser Divisionskommandostruktur handelt es sich in der Regel um eine vorübergehende Notfallmaßnahme zur Bewältigung einzigartiger Vorfälle. Jedoch verwendet C-IRG diese dauerhaft, da potenzielle Störungen (z.B. Proteste) bei Energieprojekten, die sich über viele Jahre oder sogar Jahrzehnte erstrecken, als kritische-Infrastruktur-Gefährdung behandelt werden. So ist aus dem Notfall eine dauerhafte Überwachung geworden. Damit gilt insgesamt: Die Überwachung indigener Gruppen und politischer Bewegungen ist nicht neu. Die Thematisierung der kritischen Infrastruktur als eine Frage der nationalen Sicherheit zur Legitimierung der Beseitigung von Akkumulationshemmnissen und die zeitliche Ausdehnung der polizeilichen Interventionen nehmen jedoch neue Ausmaße an. Die Kategorisierung und Einordnung innerstaatlicher, friedlicher Beschwerdegruppen als Bedrohungen für die nationale Sicherheit verwischen die Grenzen zwischen Protest und Terrorismus sowie zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit. Auch deswegen wird nun die Auflösung der RCMP-Einheit C-IRG gefordert.“

Wir empfehlen das gesamte Heft Cilip 132 vom Juli 2023 externer Link zum Schwerpunkt Polizei und Protest!

Siehe auch im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=213889
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