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Der König opfert wieder einmal: Nach den Massenprotesten in Jordanien muss der Regierungschef zurücktreten – er wird durch einen Weltbanker ersetzt…

Protest in Amman - auch gegen den König am 1.6.2018Mehrere Tage lang hatten Tausende Jordanier im ganzen Land demonstriert. Jetzt ist Ministerpräsident Hani al-Mulki zurückgetreten. Die Wut richtet sich vor allem gegen die Sparmaßnahmen der Regierung. Erst wurde er vom König einbestellt, jetzt hat Jordaniens Ministerpräsident Hani al-Mulki offenbar sein Rücktrittsgesuch eingereicht. Regierungskreisen zufolge habe König Abdullah II dieses bereits akzeptiert. Damit reagiert die Regierung auf eine zentrale Forderung der landesweiten Proteste. Seit mehreren Tagen demonstrieren Tausende Jordanier gegen die Sparmaßnahmen der Regierung. Es sind die größten Proteste seit Jahren. Die Demonstranten zogen unter anderem zu al-Mulkis Büro und riefen „Game Over, Regierung der Diebe“ und „Der Jordanier ist kein Bankautomat“. Sie kritisieren, dass die Sparmaßnahmen vor allem geringe und mittlere Einkommen treffen würden. Unterstützung für die Proteste kommt von Berufsvereinigungen. Die Demonstranten zündeten Autoreifen an. Es gab Auseinandersetzungen mit der Polizei…“ – so wird die neueste Entwicklung in Jordanien in der Meldung „Jordaniens Ministerpräsident zurückgetreten“ am 04. Juni 2018 in der tagesschau externer Link zusammen gefasst, die abschließend noch die Meisterleistung vollbringt, darauf hinzuweisen, dass diese sogenannten Reformen, die den Protest hervorriefen, vom Internationalen Währungsfonds „unterstützt“ würden… Siehe zur Entwicklung der Proteste in Jordanien drei weitere aktuelle Beiträge, einen Hintergrundbeitrag zur Entwicklung der politischen Stimmung im Land und den Verweis auf unseren ersten Bericht zum Thema:

  • „Den Brotkorb höher gehängt“ von Oliver Eberhardt am 06. Juni 2018 in neues deutschland externer Link hat vor allem zum Thema die Fortsetzung der Proteste nach dem Austausch des Regierungschefs durch den König, deren Grund in der Lebenssituation der Menschen liegt: „Wer in Jordaniens Städten durch einen Supermarkt geht, bekommt schnell den Eindruck, den Jordaniern gehe es gut: Die Preise sind vergleichbar mit jenen in Deutschland; nur Grundnahrungsmittel wie Brot und Milch sind günstig zu haben. Bisher. Denn der Bevölkerung geht es alles andere als gut: Der Durchschnittsjordanier verdient umgerechnet wenige hundert Euro im Monat; 18,4 Prozent der 10,1 Millionen Jordanier sind nach Angaben des Statistikamtes arbeitslos. »Im Durchschnitt geben die Leute zwischen einem Drittel und der Hälfte ihres monatlichen Einkommens für Ernährung aus«, sagt dessen Direktor Kassem Said al-Zoubi. »Bei Arbeitslosen und Menschen mit sehr niedrigen Einkommen reicht die Quote sogar bis zu 80 Prozent.« Es sind Zahlen, die erklären, warum zur Zeit überall in Jordanien Zehntausende auf die Straßen gehen und gegen die Regierung demonstrieren: Als Bedingung für Kredite fordert der Internationale Währungsfonds (IWF), dass die Steuern erhöht, die Subventionen auf Grundnahrungsmittel zurückgefahren werden…
  • „Protest führt zu Sturz der Regierung“ am 04. Juni 2018 in der taz externer Link ist eine dpa-Meldung, in der der Verlauf der Auseinandersetzungen auch nach der Regierungsumbildung dargestellt wird: „Al-Mulki wollte mit verschiedenen Maßnahmen die Einnahmen erhöhen und die Kosten senken. So arbeitete er ein neues Steuergesetz aus, das in der Bevölkerung auf scharfe Kritik stieß. Die Demonstranten waren zuletzt täglich und immer zahlreicher vor allem in der Hauptstadt Amman auf die Straßen gezogen und auch auf den Amtssitz Al-Mulkis marschiert. Die Proteste gingen auch weiter, als Abdullah II. am Freitag die Preise für Strom und Treibstoff einfror. Am Montag wurden den Sicherheitskräften zufolge 60 Menschen wegen Zusammenstößen mit der Polizei und Ausschreitungen festgenommen. Dabei sollen 45 Polizisten verletzt worden sein, unter anderem durch Pistolenschüsse und Feuerwerkskörper. Demonstranten kündigten an, trotz des Rücktritts weiter protestieren zu wollen. Die Gewerkschaften haben zu einem weiteren Streik aufgerufen“.
  • „Soziale Proteste in Amman“ von Gerrit Hoekman am 06. Juni 2018 in der jungen welt externer Link zu den Änderungen des politischen Personals: „Abdullah tut unterdessen das, was er immer tut, wenn das Volk aufbegehrt – er macht sich zum Anwalt der kleinen Leute. »Die Bürger haben absolut recht und ich werde nicht akzeptieren, dass sie leiden«, ließ er seine Untertanen wissen. Die Jordanier würden mit den Protesten zeigen, wie sehr ihnen an einer besseren Zukunft gelegen sei. »Was ich in den vergangenen Tagen gesehen habe, macht mich glücklich und stolz, ein Jordanier zu sein«, zitierte ihn am Montag die Jordan Times. Als die Proteste zum Wochenende hin an Heftigkeit zunahmen, wies der Monarch den Premier offenbar an, die Preiserhöhungen vorübergehend zurückzunehmen. Das beruhigte die Gemüter allerdings nicht. Und selbst jetzt, wo Mulki seinen Hut genommen hat, kehrt keine Ruhe ein. In der Nacht zu Dienstag demonstrierten erneut Tausende, nicht nur in Amman, sondern auch in anderen Städten des Landes. (…) Abdullah hat Erziehungsminister Omar Al-Rassas mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt, wie BBC am Montag meldete. Die Demonstranten halten das für einen schlechten Witz: Al-Rassas war früher Ökonom bei der Weltbank“.
  • „’We simply can’t take this‘: Jordanians vow to continue protests despite PM resignation“ von Mohammad Ersan am 05. Juni 2018 beim Middle East Eye externer Link ist ein ausführlicher Beitrag zur Frage, warum die Proteste weiter gehen. Darin kommen eine ganze Reihe von TeilnehmerInnen der Proteste zu Wort, die ihre jeweiligen Gründe für ihre Beteiligung angeben, die allesamt auf eine sich kontinuierlich entwickelnde Verschlechterung der sozialen Lage hindeuten, auch sogenannter Mittelständler. Deutlich wird darin aber auch, dass sich die Forderungen nach politischen Veränderungen ausbreiten – was von dem Wunsch nach Neuwahlen bis zur Änderung des Systems dahingehend reicht, etwa die sozialen Organisationen direkt in den politischen Entscheidungsprozess einzubeziehen.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=133065
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