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Nach einem bahnbrechenden Urteil, das die Regierung für Fukushima verantwortlich macht: Die neue japanische Rechtsregierung unter Druck – am alljährlichen Kampftag alternativer Gewerkschaften im November 2020 soll dieser Druck verstärkt werden

Dossier

Erst das Erdbeben, dann der Tsunami und letztlich auch noch die Atommafia„… Der neugewählte Regierungschef Yoshihide Suga ist 71 Jahre alt, hat vorher acht Jahre lang dem nun 65-jährigen Shinzo Abe als Kabinettssekretär gedient, ehe dieser vor kurzem aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat. Sugas Vizepremier Taro Aso ist schon 79 Jahre alt. Der Altersdurchschnitt des Kabinetts wird deutlich heruntergezogen durch den 39-jährigen Shinjiro Koizumi. Der wurde von Sugas Amtsvorgänger Abe im vergangenen Jahr vor allem deshalb zum Umweltminister befördert, weil er der Sohn des einstigen Premierministers Junichiro Koizumi ist. Koizumi junior gilt als potenzieller zukünftiger Premier und soll der regierenden Liberaldemokratischen Partei ein jugendliches und dynamisches Antlitz verpassen. Dabei geben gerade in der konservativen Partei, die seit Kriegsende fast immer am Ruder gewesen ist, die Älteren die Richtung vor. Der neue Premierminister Suga, der nach Abes Rücktritt selbst erst Mitte September zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, hat nun ein fünfköpfiges, rein männliches, Führungsgremium ausgewählt, dessen Durchschnittsalter 71,4 Jahre beträgt. Ähnlich wie junge Menschen sind auch Frauen in der japanischen Politik kaum sichtbar. Im Kabinett befinden sich mit Justizministerin Yoko Kamikawa und der Olympiaministerin Seiko Hashimoto nur zwei Frauen. Auch dies passt zum generellen Bild. Bei internationalen Vergleichen zur Geschlechtergleichheit schneidet Japan regelmäßig schlecht ab…“ – so wurde Japans neue alte Regierung in dem Beitrag „Neue Regierung, alte Männer“ von Felix Lill am 17. September 2020 in nd online externer Link vorgestellt, die die Kontinuität der rechten Militarisierungspolitik sichern soll. Siehe zur aktuellen politischen Entwicklung in Japan einige aktuelle und Hintergrundbeiträge – sowie den Aufruf der alternativen Gewerkschaften zum Kampftag gegen die Regierungspolitik am 01. November in Tokio:

  • [01. November 2020] Historische Mobilisierung japanischer Alternativ-Gewerkschaften am alljährlichen Kampftag 01. November New
    In dem Videobericht „National Workers’ All-Out Rally“ seit dem 30. November 2020 bei You Tube externer Link eingestellt wird (mit englischen Untertiteln der Rednerinnen und Redner) über den „Marsch der 10.000“ am 01. November 2020 in Tokio berichtet. Der Kampftag gegen die japanische Rechtsregierung ist vor allen Dingen auch ein Hinweis auf das weitere Wachstum der alternativen Gewerkschaftsbewegung in Japan, der sich vor allem in der Dokumentation der Redebeiträge während der Auftakt-Kundgebung zeigt, in der zahlreiche neu gegründete betriebliche und regionale Alternativ-Gewerkschaften zu Wort kommen. Wie auch Sprecherinnen und Sprecher einer ebenfalls wachsenden Anzahl demokratischer Initiativen und Organisationen, die gemeinsam mit den Alternativgewerkschaften gegen den Kurs der japanischen Rechtsregierung Widerstand leisten – und die Vertretungen traditioneller Bündnispartner, die sich um den Widerstand gegen die Regierungspolitik nach der Fukushima-Katastrophe gebildet hatten (und die angesichts des von der neuen Rechtsregierung geplanten „Wasserverbrechens“ – Einleitung kontaminierten Wassers in den Ozean – zu neuen Protesten am kommenden 10. Jahrestag im März 2021 aufrufen).
  • „Abes Wachhund“ von Igor Kusar am 15. September 2020 in der jungen welt externer Link bewertete die politische Kontinuität unter anderem so: „… In Japan wurde der bisherige Kabinettschef Yoshihide Suga am Montag zum Vorsitzenden der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) gewählt. In der parteiinternen Abstimmung setzte er sich gegen den ehemaligen Generalsekretär Shigeru Ishiba und den früheren Außenminister Fumio Kishida klar durch. Die Wahl zum neuen Ministerpräsidenten am Mittwoch durch das Parlament gilt als Formsache. Der bisherige Premier Shinzo Abe hatte aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt eingereicht. Er hatte das Amt seit 2012 inne und ist somit der am längsten regierende Premierminister Japans. Im Grunde stand Sugas Wahl bereits einige Tage nach Abes Rücktrittserklärung vom 28. August fest. Die LDP-Funktionäre hatten ihn in abgekarteter Manier zum Nachfolger erkoren: Als Sprachrohr der knapp achtjährigen Abe-Regierung sei er der beste Garant für eine Fortsetzung der Politik des Expremiers. Und der Kandidat enttäuschte die Erwartungen nicht: Zu Beginn des Wahlkampfs sprach er sich für eine Wahrung der Besitzstände aus. Zudem ließ er verlauten, die Selbsthilfe des einzelnen sei wichtiger als die staatliche Fürsorge. Es wird befürchtet, Suga könnte es auch auf den »weniger produktiven« Teil des japanischen Mittelstands abgesehen haben und ihm die staatlichen Subventionen streichen. Dem designierten Regierungschef wird eine persönliche Nähe zu Heizo Takenaka nachgesagt, der als Kopf der neoliberalen Reformen des ehemaligen Premiers Junichiro Koizumis gilt. Angesichts dessen hatten seine parteiinternen Konkurrenten Kishida und Ishiba, der ein Rivale und bekannter Kritiker von Abe war, kaum Chancen…“
  • „Japans ultra-nationalistische Staatsspitze tritt zurück“ am 11. September 2020 beim Jacobin Magazin externer Link ist ein Interview (mit Kristin Surak geführt von Daniel Finn – Übersetzung von Florian Busch), worin die Interviewte unter anderem ausführt: „… Seine Liberaldemokratische Partei (LDP) ist seit 1955, als sie zum ersten Mal die Regierung stellte, beinahe ununterbrochen an der Macht. Seither verloren sie die Wahl nur einmal im Jahr 2009: Skandale, politische Fehler und Postengeschacher innerhalb der Partei führten dazu, dass die Bevölkerung der Demokratischen Partei Japans (DPJ) den Regierungsauftrag erteilte. Drei Jahre blieb die DPJ an der Macht und musste während dieser Zeit gegen alteingesessene Interessen vor allem im mächtigen Bürokratie-Apparat kämpfen. Sie hatte tiefgehende Änderungen geplant, gab dann aber dem zunehmenden Druck nach und erreichte letzten Endes kaum etwas. In der Folge war sie als inkompetent gebrandmarkt und verlor über 80 Prozent der Sitze in den Wahlen vom Dezember 2012. Für die LDP bedeutete das einen Erdrutschsieg und den größten Wahlerfolg ihrer Geschichte. Nur drei Monate zuvor wurde Abe aller Erwartungen zu Trotz zum Parteiführer gewählt. Keine der Politikexpertinnen und -experten hatte damit gerechnet, dass sich Abe – diese langweilige Figur mit gerade einmal 11 Monaten Erfahrung als Premierminister zwischen 2006 und 2007 – gegen ein Dutzend anderer Kandidaten würde behaupten können. In einer Stichwahl für den LDP-Vorsitz wurde er als Kompromiss-Kandidat nach oben getragen und führte dann den Wahlkampf gegen die DPJ. Noch vor Ende des Jahres war er Premierminister. Die bislang achtjährige Amtszeit wurde Abe genauso wenig zugetraut wie schon der Parteivorsitz. Die durchschnittliche Regierungszeit eines Premierministers beträgt seit 1990 gerade einmal eineinhalb Jahre. Gerade während der ersten Legislaturperiode tat Abe wenig, um sich in Szene zu rücken. Für seine anhaltende Macht waren zwei Faktoren ausschlaggebend. Erstens verstand es Abe, durch vorgezogene Neuwahlen den Vorsprung der LDP gegen eine unkoordinierte Opposition zu sichern und kontroverse Gesetzesvorhaben durchzusetzen. Der Slogan seiner Wahlkampagne in den vorgezogenen Wahlen von 2014 bringt das auf den Punkt: Kono Michi Shikanai – »Es gibt keinen anderen Weg«. Zweitens sicherte er mit dieser TINA-ähnlichen Strategie auch den Zusammenhalt seiner Partei. Regierungswechsel kommen in Japan traditionell nicht durch eine Abwahl der regierenden Partei zustande. Meist sind es Veränderungen innerhalb der LPD, wenn etwa unterschiedliche Parteigranden um Kontrolle wetteifern. Abe gelang es, die innerparteiliche Opposition zu neutralisieren. Sein Wachhund und Stabschef Yoshihide Suga brachte große Teile der Partei auf eine Linie und rüstete den Posten des Premierministers so um, dass dessen Macht zentralisiert wurde…“
  • „Condemnations pour in regarding the Suga’s move against the Science Council of Japan“ am 03. Oktober 2020 im Twitter-Kanal von SNA Japan externer Link berichtet von den – ausgesprochen negativen – Reaktionen auf die erste breit debattierte Maßnahme des neuen Regierungschefs: Seine Weigerung, die Auswahl für den Vorstand des japanischen Wissenschaftsrates, die der Rat selbst getroffen hat, zu bestätigen – ein regelrechter Traditionsbruch, der gerade in akademischen Kreisen viel Empörung hervor brachte, die meist zum Inhalt hatte, es dürfe keine „staatliche Oberaufsicht“ über die Wissenschaft geben…
  • „Remilitarizing Japanese Universities“ von Michael Penn am 17. Februar 2017 bei der SNA externer Link ist sozusagen ein Beitrag zum Hintergrund dieser aggressiven Haltung der neuen Regierung und auch der Reaktionen darauf: Darin wird die Universitäts-Politik der Abe-Regierung in den 5 Jahren damaliger Amtszeit nachgezeichnet und die Bewertung begründet, es handele sich um einen Kurs auf die Remilitarisierung der Universitäten – hin zu jenen Verhältnissen der faschistischen Großasiatischen Wohlstandszone, die einst mit der Kapitulation 1945 beendet schienen…
  • „Kirschblüten im Yasukuni-Schrein“ ist eine Reportage von Gregor Wakounig am 03. September 2020 in der jungle world externer Link (Ausgabe 36/2020) – aus der unter anderem deutlich wird, dass rechte Mobilisierung durch die Regierung weder Ausnahme noch Zufall ist, sondern bewusste alljährliche  Strategie: „… Auf dem Weg zum Schrein findet ein Schaulaufen der japanischen extremen Rechten statt: Kleinstparteien halten Kundgebungen ab und verteilen Flugblätter, rechtsreligiöse Gruppen agitieren für die Wiedereinführung der japanischen Vorkriegsverfassung. Auch uigurische Gruppen und die Sekte Falun Gong sind anwesend und versuchen, die bei den Yasukuni-Besuchern weitverbreiteten antichinesischen Ressentiments für ihre Zwecke zu nutzen. An Merchandising-Artikeln gibt es unter anderem T-Shirts mit Konterfeis des stilistisch ebenso avantgardistischen wie politisch zutiefst reaktionären Schriftstellers Yukio Mishima zu kaufen, der sich 1970 nach einem missglückten Putschversuch seiner Privatmiliz gegen die japanische Armee das Leben nahm und seitdem in der japanischen Rechten als Märtyrer gilt. Nur wenige Meter daneben stehen Tausende teils stundenlang an, um am Yasukuni-Schrein der im Zweiten Weltkrieg getöteten japanischen Soldaten zu gedenken. Seit 1978 gehören dazu auch 14 bei den Tokioter Nachkriegsprozessen wegen Verbrechen gegen die Menschheit verurteilte hochrangige Offiziere und Politiker des Kaiser-Staats. Auf dem Schreingelände befindet sich ein Museum, das den japanischen Imperialismus glorifiziert. Im Museumsshop wird eine reiche Auswahl an rechtsextremer Literatur feilgeboten. (…) Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren Besuche des Tennō im Yasukuni-Schrein etwas Selbstverständliches und auch Vertreter aus dem Ausland, wie etwa eine Delegation der Hitlerjugend im Jahr 1937, waren gern gesehen. Nach Kriegsende versuchte die US-amerikanische Besatzungsmacht mittels einer Direktive, die Trennung von Shintō und Staat einzuleiten. Zentrale staatliche Shintō-Organisationen wurden verboten, infolgedessen wurde 1946 die »Vereinigung der Shintō-Schreine« gegründet, die die landesweit rund 80 000 Schreine betreut. Auf dem Papier ist sie eine private Organisation, faktisch aber ist sie aufs engste mit dem Staat verwoben. So gehören zur Vereinigung etwa die Shinseiren (Politische Shintō-Allianz), eine Tochterorganisation, die dafür eintritt, dass der Shintō das ideologische Fundament der japanischen Staats­politik sein soll. Mit Japans bisherigem Ministerpräsidenten Shinzō Abe als Vorsitzendem sollte das nicht allzu schwierig sein…“
  • „Abenomics: a review“ am 31. August 2020 von und bei Michael Roberts in seinem Ökonomie-Blog externer Link ist eine zusammenfassende Analyse der Wirtschaftspolitik in den 8 Jahren Abe-Regierung, die darin als Modellfall der konkreten Zusammenfassung neoliberaler Grundsätze und Leitlinien kritisiert wird – samt der Krise durch die Epidemie, die aufgrund dieser Politik besonders heftig ausfalle.
  • „High court pins equal blame on government for nuclear disaster“ am 02. Oktober 2020 bei Asahi Shimbun externer Link ist ein Kommentar zum gerade gefällten Urteil des Obersten Gerichtshofes Japans zur Katastrophe von Fukushima – das die Regierung in eine problematische Lage bringt, werden doch sowohl sie, als auch das Unternehmen TEPCO für die Ereignisse verantwortlich gemacht. Dies sei, so wird weiter ausgeführt, nicht nur eventuell ausgesprochen kostenträchtig (noch sind „erst“ 90 der rund 370 Kläger – die Klage stammt noch aus dem Jahr 2011 – gestorben), sondern auch ein direkter und massiver Schlag gegen die Politik, die weiter verfolgt werde, alles zu normalisieren – was nichts anderes bedeutet, als die Folgen klein zu reden und mit AKW-Profiten weiter zu machen.
  • „Tepco nimmt weitere Hürde für die Wiederinbetriebnahme des Atomkraftwerks Kashiwazaki-Kariwa“ von Micha am 25. September 2020 bei Sumikai externer Link zu einem der Versuche, „Normalität“ zu produzieren (vor dem Urteil): „… Die japanische Atomaufsichtsbehörde kam am 23. September zu dem Schluss, dass der Energieversorger auf der Grundlage der neuen rechtsverbindlichen Sicherheitsvorschriften, die von TEPCO entworfen wurden und deren Einhaltung zugesagt wurde, für den Betrieb des Kraftwerks geeignet ist. Das grüne Licht der Atomaufsichtsbehörde verschiebt nun den Schwerpunkt auf die Frage, ob die Kommunalverwaltungen in den kommenden Monaten der Wiederinbetriebnahme des Kernkraftwerks Kashiwazaki-Kariwa zustimmen werden. TEPCO will das Kraftwerk unbedingt wieder in Betrieb zu nehmen. Nach der dreifachen Kernschmelze im Kernkraftwerk Fukushima Nr. 1 im Jahr 2011, die durch das Erdbeben und die Tsunami-Katastrophe ausgelöst wurde, ist das Unternehmen finanziell angeschlagen. Das Unternehmen plant, die Reaktoren Nr. 6 und Nr. 7 im Kernkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa, das zu den größten Kernkraftwerken der Welt gehört, wieder ans Netz zu bringen...“
  • „Call for endorsement to November 1 National Workers’ All-Out Rally/ Stop Constitutional Revision! 10 Thousand Workers’ Grand March“ seit dem 07. September 2020 bei der alternativen Eisenbahngewerkschaft Doro-Chiba externer Link ist der Aufruf an die internationale antikapitalistische Gewerkschaftsbewegung den alljährlichen Marsch gegen die Regierungspolitik am 01. November in Tokio zu unterstützen. Dieser Aufruf wurde von Solidarity Union of Japan Construction and Transport Workers Kansai Area Branch (Kan-Nama), der Metal and Machinery Workers’ Union in Osaka (Minato-Godo), der National Railway Motive Power Union of Chiba (Doro-Chiba), dem Nationwide Movement against the Division and Privatization of National Railways and for the Withdrawal of the Dismissal of 1,047 National Railway Workers (Nationwide Movement of National Railway Struggle) und dem Netzweerk Grand Workers March to Stop Constitutional Revision and War gemeinsam beschlossen. Darin werden die konkreten Mobilisierungen der alternativen Gewerkschaften in ihrem jeweiligen Bereich gegen die Politik der Abe-Regierung zusammen gefasst und insbesondere unterstrichen, dass auch dieser alljährliche Aktionstag Bestandteil der demokratischen Kampagne gegen die angestrebte Verfassungsänderung sei, mit der die Rechten Japans einen entscheidenden Schritt in Richtung Remilitarisierung gehen wollen.
  • „The member organisations of the Network Rail Without Borders support this appeal from our comrades in Japan“ am 07. September 2020 beim Alternativen Gewerkschaftlichen Netzwerk für Solidarität und Kampf externer Link ist die Solidaritätserklärung der Untergruppe Eisenbahngewerkschaften mit dem Kampftag der japanischen Eisenbahner.

Siehe für Hintergründe unsere Rubrik 2011: Erst das Erdbeben, dann der Tsunami und letztlich auch noch die Atommafia

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=179084
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