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Tocqueville`sche Annäherungen an Italien (und Deutschland): „Ich (Deutschland) kann mich selbst nicht verstehen, wenn ich nicht die anderen (z.B. Italien) auch verstehe

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 29.1.2013

„Wie schrieb doch Claus Offe – so holzschnittartig und im Groben – erst kürzlich zur Welt der Eurozone: „Um ein Land wirtschaftlich unter Kontrolle zu bringen, musste man es früher besetzen. Heute braucht man das nicht mehr. Man kann vollkommen friedliche Beziehungen zu einem Lande unterhalten – und es trotzdem buchstäblich besitzen – indem man auf dem Weg der dauernden Exportüberschüsse dessen Wirtschaft aneignet und seine Souveränität dadurch zerstört, dass man seine Haushaltshoheit und andere Elemente seiner (staatlichen) Souveränität aushebelt.“ (vgl. den Text von „Europa in der Falle“ S. 75: www.nachdenkseiten.de/?p=15712#h07 externer Link oder auch die Seite 2 unten bei www.labournet.de/?p=21892)

Die Überschüsse des einen werden eben zu den Schulden des anderen Landes.

In der gemeinsamen Währungszone bleibt den einzelnen Ländern dann eben nur an der Schraube der Lohnsenkung zu drehen, um die Wettbewerbsfähigkeit – gegen die Exportüberschüsse von Deutschland – wieder „herzustellen“.
Aber da hatte Deutschland mit seinem gewaltigen Niedriglohnsektor schon „lohndumpend“ eine fast unerreichbare Spitzenstellung in der Produktivität und damit Wettbewerbsfähigkeit erreicht.
So war mit den ganzen Lohnsenkungen in Italien zwar ein Verringerung des Handelsbilanzdefizites dort wohl erreicht worden, aber nicht über Exportsteigerungen, sondern durch Importsenkungen angesichts der einbrechenden Wirtschaftskraft (vgl. (www.nachdenkseiten.de/?p=15959 externer Link)

„Rechter Anarchismus“ in Italien und ein Produktivitätsvorsprung aus Deutschland

Unter diesen „Vorzeichen“ erscheint ein „rechter Anarchsimus“ in Italien sogar eine gewisse Logik für sich zu haben, denn „Staat“ in der Form einer mit Spardiktaten daher schreitenden EU-Bürokratie (siehe den sog. „Fiskalpakt“)kann sicher nicht als „fürsorglich“ angesehen werden – selbst wenn Monti das inzwischen etwas anders wieder will, der zunächst diese Vorgaben lange Zeit „treu“ exekutiert hatte (vgl. „Generalstreik in Italien: Monti`s erste große Hürde“ http://archiv.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl19.html oder auch den Abschnitt „Monti eint die Gewerkschaften gegen Sparpaket in Italien“ (12.12.2011) bei „Arbeitskämpfe in Italien“: http://archiv.labournet.de/internationales/it/arbeitskampf.html)

Monti will sozialer werden

In jüngster Zeit hatte Präsident Monti eine gewisse Wende zur sozialen Gerechtigkeit hin vollzogen (siehe die Seite 1 unten bei „Italien vor wichtigen Parlamentswahlen: Italien wieder als großes politökonomisches Versuchslabor“… und die Frage nach der Reichweite des „Diktats“ der Märkte? (www.labournet.de/internationales/italien/politik-italien/italien-vor-wichtigen-parlamentswahlen-italien-wieder-als-groses-politokonomisches-versuchslabor/), nachdem Berlusconi aus der Koalition ausgestiegen war – und damit die Regierung Monti gestürzt hatte. (www.taz.de/!107115/ externer Link = vom 9.12.12.).

Aber das passt der EZB gar nicht: Lohndifferenzierung nach unten als Vorgabe für den Ankauf von Staatsanleihen

Nur alles sozialpolitisches Gerede wird schnell zu Makulatur, wenn die EZB – völlig autonom – sich durchsetzt mit ihrer Vorgabe für den Ankauf von italienischen Staatsanleihen. Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske hatte gerade darauf aufmerksam gemacht, dass die Europäische Zentralbank – als bisher wesentlicher Faktor zur „Beruhigung“ der Finanzmärkte – den italienischen Minister-Präsidenten Monti mitgeteilt hat, dass sie den Ankauf von Staatsanleihen – um dadurch die Zinsen auf die Staatsanleihen zu senken – davon abhängig machen will, dass Italien zu einer Verbetrieblichung der Lohnfindung übergehe – also weg vom allgemeinen Flächentarifvertrag. (www.taz.de/Verdi-Chef-ueber-Arbeitnehmerrechte/!109896/ externer Link)

Damit würde die EZB einen bisher „gescheiterten“ Vorstoß der EU-Kommission zur „Verbetrieblichung“ wenigstens für die Südeuropäer durch diese Verknüpfung mit der Staatsschuld quasi zum Zwang machen. (vgl. zu dem EU-Vorstoß den Abschnitt „…Das Lohndumping bleibt ein Element der EU“ auf der Seite 3 unten bei https://www.labournet.de/?p=17959 ) Dadurch sollten auch die Gewerkschaften „ausgeschaltet“ werden.

Und eine anti-institutionelle Einstellung vieler Italiener als treue „Klientel“ von Berlusconi

So hatte man bis vor kurzem glauben können, die Italiener hätten endgültig genug von Berlusconi – und es käme jetzt endgültig zu einem Ende der Ära Berlusconi. (www.taz.de/Das-Ende-der-ra-Berlusconi/!81574/ externer Link = vom 9.11.12)

Nun aber aber kann man inzwischen die Hoffnung auf einen rationalen Wahlkampf wieder begraben – und es kommt zu einem Wahlkampf mit schrillen Tönen (Na, der Berlusconi mit seinen ganzen Fernsendern zieht in die „Entscheidungsschlacht“!: www.taz.de/!107991/ externer Link = vom 24.12.12) Aber damals sah man den Sozialisten Bersani noch als Favoriten an.

Nur einen Monat später sieht mit einem neuerlichen „Aufstieg“ von Berlusconi die Sache wieder anders aus – und es könnte knapp werden. (www.taz.de/Parlamentswahlen-in-Italien/!109525/?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter externer Link = am 23.1.13). Und in dieser „heißen“ Phase greift Berlusconi nach jedem Strohhalm – und beginnt die Politik des faschistischen Diktators Mussolini zu loben (www.sueddeutsche.de/wirtschaft/italien-berlusconi-lobt-politik-des-faschistischen-diktators-mussolini-1.1584490 externer Link). Und so wird der italienische Wahlkampf zur wirklichen Schlammschlacht.

Und die „deutsche Meinung“ scheint in Monti den einzigen „Ausweg“ zu sehen

Ach, wie zieht es da die deutschen Medien zur Rationalität – die auch die ihre aus der Position des Vorteils und der auf der höheren Produktivität beruhenden Stärke heraus ist – hin zu einem Monti, nur der dümpelt vier Wochen vor den Wahlen am 24. und 25. Februar in allen Umfragen bei 15 Prozent dahin. So hat sich das Bild inzwischen wieder gedreht. Die Berlusconi-Allianz, in die sich auch die rechtspopulistisch-fremdenfeindliche Lega Nord wieder brav einreihte, marschiert auf die 30 Prozent zu.

Wie ist dies zu erklären? Zum einen sind die Italiener im Fernsehen seit Dezember unter Silvio-Dauer-Beschuss. Insgesamt an die 70 Stunden konnten sie den begnadeten Erzähler auf dem Bildschirm bewundern.
Silvio Berlusconi kann Wahlkampf wie kein anderer in Italien, angefangen bei der Gabe, auch grobe Lügen zu erzählen, ohne je zu erröten.

Aber Michael Braun rät, den Blick von Berlusconi abzuwenden – und hin zu „seinem“ Wähler zu blicken: Und dieser konservative Wähler ist eben weit entfernt vom angelsächsischen Ideal des Citizen, sondern ein gut Teil von ihnen ist vor allem willige Kundschaft von Klientelpolitik.

„Amoralischer Familismus“ taufte der US-Politologe Banfield dieses Einstellungsmuster. Er meinte damit einen Wertehorizont, der just bis zum Rand der eigenen Familie reicht, während das Gemeinwesen recht eigentlich als feindliches Terrain gilt, als Terrain aber auch, auf dem es gilt zu den „richtigen“ Politikern Klientelgeschenke abzugreifen.

Ein Bruch gegenüber den früheren Regierungen der Democrazia Cristiana (Christdemokraten) ist durch Berlusconi nur in einer Hinsicht erfolgt, anders als die Christdemokraten heizte Berlusconi ungeniert die feindselige Haltung gegenüber dem Gemeinwesen an (ergänze: das ja inzwischen dominant von der EU „verkörpert“ wird) an.

Und Millionen Wähler folgten ihm begeistert – und diese Millionen erblicken in Mario Monti alles andere als eine attraktive Alternative. (und wo ist bei ihm ein tragfähiges Konzept für Italien aus der Eurokrise, das diese Feststellung von James Galbraith durchbricht „Die Schwachen werden zum Schutze der Starken zerstört“? vgl. auf der Seite 7 oben bei https://www.labournet.de/?p=17959 externer Link) – sowie dort noch auf der Seite 5 unten „Die Wahl für Europa ist…..“)
Und mit dieser ihm treuen Wählerschaft kann Berlusconi dieses Mal zwar nicht auf Sieg hoffen – aber durchaus auf Platz. (http://www.taz.de/!109854/ externer Link)

Und wenn ich jetzt nach diesen Erörterungen von Michael Braun zu dem Fiskalpakt-Spardiktat unter der Herrschaft der Finanzmärkte nebst dem Zitat von Offe noch einmal zurückkehre, dann kann ich der „anarchoiden“ Haltung von vielen Italienern eine gewisse – wenn auch nur defensive – Logik in dieser Eurokrise nicht aberkennen.
Aber als wirklich die Krise überwindenden politischen und auch demokratischen Faktor muss man wohl vor allem die – auch in Italien geschmähte – Linke ansehen (vgl. den Abschnitt „Ein Exkurs: Italien in der Eurokrise. Ein Beispiel für eine „Revitalisierung der Demokratie“ auf der Seite 8 bei https://www.labournet.de/?p=17959)

Aber noch haben die Italiener nicht gewählt – und vielleicht gelingt es ihnen mit einer Mehrheit für die Linken zusammen mit den Gewerkschaften auch für Italien noch eine Perspektive in dieser Eurokrise zu gewinnen?

Aber aus Rom wird nicht mehr regiert. Wozu sind Wahlen noch gut?

Nur diese Aussichten sind erst einmal „mager“, denn welche Regierung Italien auch immer wählen wird, unter dem Druck der Staatsschulden – aufgehalst durch die Überschüsse aus Deutschland – bleibt jeder Regierung unter diesem Diktat aus Frankfurt kaum Spielraum ein italienisches Lohndumping anzugehen – oder aus dem Euro auszusteigen (nur möglichst nicht allein!). Das heißt, welche Regierung die Italiener auch wählen – in der Eurozone wird nicht aus Italien, sondern aus Berlin (Fiskalpakt-Spardiktat) und aus Frankfurt (EZB) „regiert“. Aber wer sagt das den Italienern? Der Monti? Der Bersani – oh, wenn dieser regierungsamtlich zur Umsetzung dieses „Diktats“ aus Frankfurt schreiten muss, dann kann er ähnlich dem deutschen Kanzler Schröder gegenüber den Gewerkschaften in Deutschland bei der Durchsetzung des „größten Niedriglohnsektors“ für Deutschland, womit die Lohndumpng-Spirale in Europa inganggesetzt wurde, den „Basta“-Präsidenten gegenüber den Gewerkschaften in Italien geben – nur das läuft in Italien scheinlich nicht so „lammfromm“ wie bei den deutschen Gewerkschaften ab – wenn auch wenig ökonomisch vorwärtsweisend für Italien.

Da können wir es als „Trost“ ansehen, dass wohl angesichts des entschiedenen Vorgehens der EZB die Finanzmärkte wieder etwas Vertrauen schöpfen und ihren rasanten Kapitalabfluss der letzten Jahre stoppen – und sogar wieder ein wenig Kapital in die Krisenländer schicken. (www.sueddeutsche.de/wirtschaft/schuldenkrise-in-europa-investoren-pumpen-wieder-geld-in-krisenlaender-1.1585811 externer Link)(siehe dort vor allem auch die Grafik aus der „FT“ zu dem Kapitalfluss aus bzw. in die Krisenländer)

Der Draghi scheint doch ein „Kapitalversteher“ zu sein, so dass „wir“ wohl tunlichst nach der Finanzmärkte Weise zu tanzen „lernen“ müssen – auch wenn die Gesellschaft dabei sozial vor die Hunde geht: Hauptsache, das Kapital sieht für sich eine „Mehrungs-Chance“!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=24684
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