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Politik nach Berlusconi – oder bleibt alles beim „Alten“?

Italien: Wohin jetzt? Rettung vom Fernseh-Einheitsbrei durch das Internet? Ein Ende für die bloß inszenierte Wahrheit im Fernsehen?

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 5.8.2013

Berlusconi und Mediaset: „Macchiavelli aus Zelluloid“

Es war die Basis für eine unglaubliche Karriere in Medien und Politik: Mit den Sendern seines Konzerns Mediaset hat Berlusconi italienische Wohnzimmer erobert, die eigene Macht gestützt und die Fernsehkultur des Landes nachhaltig geprägt und verändert: Die Geschichte einer „Massenzerstreuungswaffe“. (SZ: http://www.sueddeutsche.de/medien/berlusconi-und-mediaset-machiavelli-aus-zelluloid-1.1735405 externer Link) Und als Ministerpräsident konnte er noch über das staatliche Fernsehen RAI „verfügen“ – übrigens der Beginn der politischen „Aufreger“-Karriere von Beppe Grillo, von der jetzigen „Bewegung der 5 -Sterne“.

Das Fernsehen ist die Wahrheit – oder frei nach Polt: Was ich seh`das glaub` ich, deshalb glaub`ich alles, was im Fernsehen ist

Die Grundüberzeugung von Berlusconi war, nur was im Fernsehen ist, ist wahr: So kann man zum Herrn über die Wahrheit werden – und vielleicht ist das in einem so katholisch geprägten Land, das nur die „eine“ Wahrheit kennen will, leichter durchzusetzen und kann dann vielleicht ausreichen, um sich die „eigene“ Berlusconi-Wahrheit zu schaffen, an deren „Aufarbeitung“ sich jetzt die Gerichte in Italien machen.

(P.S.: Zu den langen und tiefen Geschichte diese kulturellen Verfalls in Italien eine kleine These zur Erinnerung: Mit dem Prozess gegen Galilei im Jahr 1633 hat die katholische Kirche das „Denkverbot“ über Italien verhängt – und endgültig über die freien oberitalienischen Städte – mit ihrer ganzen Wirtschaftspotenz! – gesiegt. Darauf zog die Wirtschaftspotenz in den protestantischen Norden, wohin auch noch rechtzeitig die Manuskripte von Galilei gelangt waren. (Bertold Brecht hat diesen Prozess in seinem Stück über „Galilei“ recht eindrucksvoll nachgezeichnet)

Zurück zum konkreten Italien heute

Erstmals stemmte sich die italienische Justiz mit einem Urteil gegen die Berlusconische politische und medien- mäßige Vernebelung in der Ära Berlusconi (vgl. den englisch-stämmigen Historiker aus Florenz Paul Ginsborg, „Berlusconi“ – Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg? (2005) – und verurteilte Berlusconi zu 4 Jahren Haft wegen Steuerbetrugs (http://www.sueddeutsche.de/politik/urteil-gegen-berlusconi-cavaliere-am-ende-1.1736874 externer Link), jedoch über die Ausübung öffentlicher Ämter wird noch verhandelt (http://fr-online.de/politik/urteil-gegen-berlusconi-hausarrest-fuer-den-cavaliere,1472596,23885812.html externer Link). Aber seinen Senatssitz darf Berlusconi noch behalten, somit hat das Urteil noch keine Auswirkungen auf die gegenwärtige Politik (http://www.sueddeutsche.de/politik/haftstrafe-fuer-italienischen-politiker-berlusconi-darf-senatssitz-zunaechst-behalten-1.1736880 externer Link)

Ist das jetzt schon eine kleine „Revolution“ für das Berlusconi-gewohnte Italien?

Aber auf jeden Fall dominieren am Tag nach Silvio Berlusconis Waterloo vor dem Kassationsgerichtshof in Italien Nervosität und Unsicherheit.

Ja, diese Nervosität geht sogar soweit – weil für manche eine Politik „ohne Berlusconi einfach unmöglich zu sein scheint – dass schon gleich von einem Parteifreund des Cavliere mit Bürgerkrieg gedroht wird, wenn er der Politik entzogen würde. (siehe „Berlusconis Parteifreund schwadronniert über Bürgerkrieg“ (http://www.sueddeutsche.de/politik/nach-urteil-gegen-ex-premierminister-berlusconis-parteifreund-schwadroniert-ueber-buergerkrieg-1.1738608 externer Link)

Schon ein Befreiungsschlag für die italienische Politik? – Zwei recht gegensätzliche Meinungen –

Darüber gibt es jetzt recht widersprüchliche Ansichten – ähnlich dem Orakel von Delphi: Zum einen meint Thomas Schmid in der Frankfurter Rundschau in einem Leitartikel „Italien nach Berlusconi“: Die Politik wird sich vorerst weiter durchschleppen. Aber das Urteil gegen den „Cavaliere“ könnte sich am Ende als nützlicher Sprengsatz mit Spätzünder erweisen.

Die nötigen Strukturreformen, die das wirtschaftlich abgehängte Land – mit durchaus interessanten Ansätze für eine Perspektive in Europa (vgl. den italienischen Ministerpräsident Letta zur Solidarität mit Griechenland: www.nachdenkseiten.de/?p=18135#h04 externer Link) – wieder auf Vordermann bringen könnten, wird diese jetzt kriselnde Koalition allerdings nicht anpacken. Dafür braucht es geklärte politische Verhältnisse.

Dieser optimistischen Sicht, dass jetzt endlich für die italienische Politik der Raum eröffnet werden könnte, sich aus dieser für eine demokratische Offenheit so finsteren Zeit unter der Macht von Berlusconi zu befreien, steht Michael Braun in der TAZ erst einmal sehr skeptisch gegenüber: Es gibt noch „wenig Grund zur Freude“ – nach seiner Verurteilung setzt sich Berlusconi – wieder einmal – als von der Justiz verfolgte Unschuld in Szene. (http://www.taz.de/Verurteilung-von-Berlusconi/!121144/ externer Link)

Und für ihn könnte dieser Sprengsatz des Urteils eben genau auch wieder nach hinten losgehen – wie schon so oft: Die Wähler waren es doch, die auch bisher garantierten, dass ein Aus in der Politik für ihn bloß auf dem Papier steht.

So sprach sich Berlusconi auch an diesem Donnerstag- abend wieder einmal selbst frei und setzte die „verantwortungslosen“ Richter auf die moralische Anklagebank – Richter, die es gewagt hatten, einen der besten Bürger Italiens zu verurteilen.

So zittert nicht das Berlusconi-Lager nach diesem Urteil, sondern die gemäßigt linke „Partito Democratico“ (PD) des Ministerpräsidenten Letta. Die PD weiß nämlich nur zu genau: Wenn jetzt die Regierung platzt, wenn es im Herbst zu Neuwahlen kommt, dann kann Berlusconi wohl nicht mehr selbst kandidieren, aber nichts wird ihn davon abhalten, die Wahl zu einem Plebiszit über die eigene Person – in der Rolle der verfolgten Unschuld – zu machen. Und Berlusconi hat in Italien beste Chancen dieses Plebiszit zu gewinnen. (http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=a2&dig=2013%2F08%2F03%2Fa0157&cHash=77a20730466c8251e8d8b78cabaa0da2 externer Link) So könnte das Urteil des Kassationsgerichtes gerade nicht als das Ende Berlusconis, sondern als Tag seiner erneuten Wiedergeburt in die Geschichte eingehen.

Fernsehen gegen Internet? – Oder nur die von oben bestimmte Wahrheit wieder statt einer Plattform für gemeinsame Lösungen –

Einen Überraschungssieger gab es bei den letzten Parlamentswahlen im Februar 2013 die Protestwähler der „Grillini“ um Beppo Grillo, die auf Anhieb auf die beachtlichen 25,5 Prozent kamen – und in beide Häuser des Parlaments insgesamt 163, meist völlig unbekannte Gesichter schickten. Ein Tsunami für die italienische Politik.

Der Versuch des Staatspräsidenten Napolitano mit der Übergangsregierung Monti – dem ehemaligen Goldman-Sachs-Manager – die italienische Politik in ruhigere Fahrwasser gegenüber den Finanzmärkten zu steuern, war in den Augen des Wählers gescheitert. (10,5 Prozent)

Der neoliberal vorprogrammierte Sozialabbau war dann doch eine zu große Hürde für die Regierung Monti (http://archiv.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl19.html). Aber die italienischen Sozialdemokraten (PD) hatten dem auch nichts „Konstruktives“ entgegenzusetzen und konnten – anders als immer wieder auch Berlusconi – nicht zu den Helden der Piazza werden (vgl. Peter Kammerer, „Zwischen Piazza und Palazzo“: http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/05/10.mondeText.artikel,a0036.idx,8 externer Link)

Grillo: Mit dem Internet gegen die Fernsehmacht, ohne dass sich jetzt in der Willensbildung und demokratischen Beteiligung ein Deut ändert.

Nur statt, dass die Grillini dies als Chance für eine Veränderung zu nutzen, verweigerten sich die Grillini – unter dem Diktat von Beppo Grillo – jeder konkreten politischen Auseinandersetzung und damit auch Zusammenarbeit mit den korrupten Altparteien.

Vom Berlusconischen Fernsehen vor die Tür gesetzt hatte Beppo Grillo diese Zustimmung für die „M5S“ über einen Blog im Internet erreicht. Nur statt die neuen Möglichkeiten des Internets auszuloten, etablierte er – genauso wie Berlusconi, ja, ihn direkt als „Vorbild“ in der Form der Politikvermittlung aufgreifend statt ihn endlich hinter sich zu lassen – eine kleine Beppo-Grillo-Monarchie – ähnlich wie Berlusconis Fernseh-Monarchie – nur jetzt eben im Netz. (http://www.monde-diplomatique.de/pm/2012/09/14.mondeText.artikel,a0008.idx,1 externer Link)

Diese Weigerung ihre politischen Vorstellungen – wenn auch mit Abstrichen in „Kompromissen“ – wenigstens anzufangen auch durchzusetzen, – das war schon wegen der Diffusität der auch wieder nur plakativen Vorstellungswelt von Beppo Grillo ziemlich unmöglich – wurden auf das Internet die gleiche diktatorischen Organisations-Modelle „kopiert“. So begannen die „M5S“ schon gar nicht im politischen Prozess darüber zu streiten, und dies ließ die Grillini relativ schnell unter ihrem „Diktator“ Grillo (http://www.taz.de/!101358/ externer Link) wieder politisch abstürzen.

War sie kurz zuvor noch – wie die Piraten-Partei in Deutschland – groß als Anregung für die Parteienlandschaft in Italien gefeiert worden, so sank ihr „Stern“ bei den italienischen Kommunalwahlen im Mai 2013 schon wieder rapide. (http://www.taz.de/!117017/ externer Link sowie http://www.taz.de/!117051/ externer Link) Schnell sprach man dann schon wieder davon, – mit Blick auf den Namen der 5-Sterne-Bewegung (M5S) – ob es sich nicht doch einfach nur um Kometen handele: kurzes Aufleuchten und dann schnell verglühen.

Eine Alternative zu der einseitig verkündigenden Fernsehmacht wurde also gleich gar nicht angegangen – und damit gerade die neuen Möglichkeiten der Kommunikation über das Internet nicht erst als wirklich innovatives Politikmodell ausprobiert.

Staatspräsident Napolitano konnte so die „Parteienlandschaft“ dann, weil eine echte Alternative im politischen Prozess gar nicht „aufschien“, wieder relativ leicht allein in das Prokrustes-Bett der herkömmlichen Repräsentativ-Demokratie pressen (vgl. noch einmal oben Peter Kammerer in der „Diplo“) – und Beppo Grillo blieb – ziemlich unpolitisch und politisch wirkungslos – doch wieder „allein“ auf der politischen Bühne mit seiner bloßen Protest“show“ zunächst einmal „übrig“.

Nur anders als beim Fernsehen bietet das Internet „andere“ Mitwirkungsmöglichkeiten – und so muss man es zumindest als Frage aufwerfen, ob die „Grillini“-Wutbürger – bisher schon „gespalten“ in dieser Frage – nicht auch einmal ihren „diktatorischen“ Vormann beiseite schieben, um diesem Internet-Protest doch noch eine politische Wirkung zu verschaffen.

Auch das könnte der von Thomas Schmidt anvisierte „Sprengsatz mit Spätzündung“ durch dieses Urteil gegen Berlusconi noch werden – falls es gelingt, dieses zivilgesellschaftliche Wut-„Potential“ für die Politik nicht einfach verloren gehen zu lassen.

Jedoch schlussendlich: It`s the economy,stupid! – und auch die Saldenmechanik dabei nicht vergessen: die Schulden des einen sind die Forderungen des anderen!

Letztlich geht es jedoch darum, an diesen Satz von Bill Clinton zu erinnern – auch wenn man gerade seine – neoliberal fixierten – ökonomischen Vorstellungen nicht teilt.

Aber ohne eine Kontroverse darüber kann sich Italien gar nicht aus seiner ökonomischen Lage „befreien“ – ganz praktisch und auch jenseits des Berlusconischen Populismus. Dann erst könnte es auch in die politische Wahrnehmung in Italien geraten, dass von Rom aus – welche Regierung auch immer – gar nicht mehr „souverän“ regiert werden kann. Mit seiner Solidarität gegenüber der Lage in Griechenland hat Ministerpräsident Letta schon einmal einen Schritt gewagt – in Richtung einer Solidarität der Südländer in der Eurozone – wenigstens untereinander – gegenüber der Arroganz des „produkiveren“ Nordens. (siehe den Link oben)

Von den Sozialwissenschaftlern hat das bisher vor allem Claus Offe auf den Punkt bringen können – angesichts des gemeinsamen Daches einer gemeinsamen Währung werden die Löhne zu einer Schlüsselfrage – aber eben zunächst vor allem auch bei dem gewerkschaftsstumpfen Lohndumping aus Deutschland, das die Spirale – auch der Schulden – nach unten antreibt.

Angemessen erscheint es, wenn jetzt der IWF schon im Wahlkampf Deuztschland darauf aufmerksam macht, dass eine Rückzahlung der Schulden für Griechenland unmöglich erscheint. (www.nachdenkseiten.de/?p=18171#h03 externer Link)

Und „natürlich“ will die deutsche Regierung diese realistisch-dargestellte Aussicht jetzt in den Vor-Bundestagswahl-Zeiten jetzt weit von sich weisen – mit einer noch schrecklicheren Perspektive für die Griechen. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/diskussion-ueber-schuldenschnitt-trittin-laesst-krediterlass-fuer-griechenland-offen-1.1737678 externer Link) Der Spitzenpolitiker der Grünen, Jürgen Trittin lässt diesen – wahrscheinlich notwendigen – Schuldenerlass erst einmal offen.

Deutsche Gewerkschaft IG Metall nur „abstrakt“ solidarisch – während sie konkret die Südländer lohndumpend in die Pfanne haut.

Tocquevillesche Annäherungen an Italien im Vergleich zu Deutschland scheinen also wieder einmal angebracht, denn es bleibt dabei: „Ich“ als Deutschland kann mich selbst und meine Rolle in der Eurozone nur verstehen, wenn ich mich dazu hergebe, auch Italien im Verhältnis zu meinem eigenen ökonomischen Handeln zu verstehen. (https://www.labournet.de/internationales/italien/politik-italien/tocquevillesche-annaherungen-an-italien-und-deutschland-ich-deutschland-kann-mich-selbst-nicht-verstehen-wenn-ich-nicht-die-anderen-z-B-italien-auch-verstehe/)

Dabei hatten die Gewerkschaften (IG Metall) – zunächst muss man betonen – Italienern durchaus die Möglichkeit geboten, an solchen einem gemeinsamen Prozess des Verstehens der europäischen Zusammenhänge teilzunehmen, mitzuwirken und dafür Verständnis zu gewinnen – wie es auf einer Konferenz der IG Metall James Galbraith formulierte – „Die Starken sind dabei – zu ihrem Schutze – die Schwachen zu zerstören“ (vgl. dazu zunächst vor allem die Seite 7 oben und weiter noch die Seite 5 unten: „Die Wahl für Europa ist: „Alle zusammen – oder rette sich jeder, wie er kann“ (https://www.labournet.de/?p=17959 – und einen Schlenker zu der damaligen politischen Situation in Italien bietet auch noch die Seite 8. Allgemein zu Italien siehe auch noch https://www.labournet.de/category/internationales/italien/politik-italien/).

…. und jetzt keine gewerkschaftliche Solidarität mehr, sondern „jeder rette jeder sich, wie er kann“

Demgegenüber mutet es dann wieder wie ein Schlag ins Gesicht der Gewerkschaften vor allem in den „Südländern an, wenn dieselbe IG Metall jetzt im Bundestagswahlkampf sich ganz offen für den Vorteil des Lohndumping in Deutschland durch die Agenda 2010 ausspricht – bzw. es in ihrem Mitglieder-Organ aussprechen lässt. (www.nachdenkseiten.de/?p=18174 externer Link)

Aber wie schon angedeutet erfordert dies auch einen neuen – d.h. einen anders auch auf ein „Europäisches-Zusammen“ gewichteten – Blick auf Italien, der sich von dieser einfachen – auch etwas einseitig interessegeleiteten – Sicht „befreit“ – wie sie z.B. in der stupiden Monti-Fixiertheit vor der letzten Parlamentswahl in Italien zum Ausdruck kam. (https://www.labournet.de/internationales/italien/politik-italien/italien-vor-wichtigen-parlamentswahlen-italien-wieder-als-groses-politokonomisches-versuchslabor/)

Aber auf mittlere Sicht gesehen heißt das einfach auch, dass ein neuer Prozess für eine – dann wirklich gemeinsame – Europäische Verfassung angestoßen wird – jedoch erst einmal nur für die „Kernzone“ der „Euro-Währungszone“. Das deutsche Bundesverfassungsgericht könnte im Herbst dazu einen echten Anstoß noch geben. (https://www.labournet.de/politik/eu-politik/eu-verfassung/noch-kein-jenseits-des-neoliberalismus-keine-bundestags-wahl-fur-eine-anderung-der-eurokrisenpolitik/)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=41611
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