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Corona-Krise in Italien: Auch eine soziale Krise – samt Repression gegen gewerkschaftlichen Widerstand

Dossier

Broschüre der USB zum neuen italienischen Sozialgesetz am 1.1.2018Die langen Schlangen vor den Gassenküchen sind Ausdruck der tiefen sozialen Krise, in die auch Italien infolge der Corona-Krise gerutscht ist. Laut der Landwirtschaftsvereinigung Coldiretti sind in den letzten drei Monaten 2.7 Mio. Italiener*innen in die Armut gefallen; 20% davon, also rund 530.000 Menschen, leben nur in der Region Kampanien (Hauptort Napoli). 154.200 Menschen sind hier von den karitativen Essensausgaben abhängig. Gerade Familienmütter und -väter sind aufgrund der Schliessung der Schulkantinen auf diese Angebote angewiesen, um der Familie einewarme Mahlzeit pro Tag garantieren zu können“ – so beginnt der knappe Überblickbeitrag „Italien fällt in eine tiefe soziale Krise“ von Maurizio C. vom 03. Juni 2020, den wir im folgenden, zusammen mit Ausführungen über die „Krisendebatte“, dokumentieren, siehe auch die nachfolgenden:

  • Aktions- und Streiktag italienischer Basisgewerkschaften am 28. Januar gegen den Vorrang des BIP vor der Gesundheit der Bevölkerung New
    Freitag, 28. Januar Nationaler Mobilisierungstag: Impfstoffe reichen nicht aus, um Covid zu bekämpfen und die Wirtschaftskrise zu überwinden.
    Die Regierung Draghi hat beschlossen, dass wir „lernen“ müssen, mit dem Covid zu leben, und dass die Verantwortung für die Ausbreitung von Infektionskrankheiten ausschließlich den Ungeimpften zuzuschreiben ist, und lädt die Last und auch die Auswirkungen der beeindruckenden neuen Welle der Omicron-Variante auf diejenigen ab, die arbeiten. Die Propagandamaschine pocht seit Wochen auf die Notwendigkeit von Impfungen (so weit, so gut), vernachlässigt aber geflissentlich die Tatsache, dass die wahllose Wiederaufnahme sämtlicher Produktionstätigkeiten das Virus in der Tat in übermäßiger Weise wieder in Umlauf gebracht hat, mit der Komplizenschaft von Unternehmen, die die Schwelle für Schutz- und Präventionsmaßnahmen gesenkt haben. Die Entscheidung, dem BIP Vorrang vor der Gesundheit der Bevölkerung einzuräumen, hat dazu geführt, dass ein erneuter Zusammenbruch des nationalen Gesundheitssystems befürchtet wird, bei dem die Krankenhäuser überlastet sind und Kranke aller Art ohne Behandlung und Pflege bleiben.
    Als wäre das nicht genug, wird durch das Haushaltsmanöver ein großer Teil der Mittel zur Unterstützung der Unternehmen abgezweigt und die Arbeitnehmer stehen ohne wirtschaftliche Unterstützungsinstrumente da. Es gibt keine Mittel für Notstandsgelder oder für den Covid-Entlassungsfonds, während Hunderte von Unternehmen (vor allem in Krisensektoren) mit Massenentlassungen drohen. Keine Unterstützung für „anfällige“ Arbeitnehmer oder solche, die bei engem Kontakt mit einem Positivbefund unter Quarantäne gestellt werden.
    Neben der Pandemiekrise ist auch ein dramatischer Anstieg der Preise für Rohstoffe und Energieerzeugnisse zu verzeichnen, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Rechnungen der Versorgungsunternehmen und die Grundversorgung hat und zwangsläufig zu einer weiteren Verschärfung der Ungleichheit und der Ungleichheit, insbesondere für die schwächsten Bevölkerungsgruppen, führt.
    Impfen ist wichtig, das haben die Italiener verstanden. Sie haben aber auch erkannt, dass dies nicht ausreicht, da die Ansteckungsgefahr selbst unter den Geimpften noch immer hoch ist und der Zeitpunkt der Wirksamkeit und die Abdeckung variieren, so dass bereits von einer vierten Dosis die Rede ist. Nach fast zwei Jahren des gesundheitlichen Notstands und angesichts der kontinuierlichen Entwicklung des Virus und einer steigenden Zahl von Infektionen ist es umso dringlicher, dass:

    • Einstellung des erforderlichen Gesundheitspersonals, um die Kontinuität des Dienstes zu gewährleisten und die Belastung derjenigen zu verringern, die anstrengenden Schichten ausgesetzt sind;
    • Schaffung von Gesundheitseinrichtungen und Intensivpflege, um das Risiko zu vermeiden, dass die Plätze knapp werden oder die Pflege für andere Krankheiten reduziert werden muss;
    • Einstellung von Personal im Schulsystem und Schaffung aller notwendigen Einrichtungen, um die Überfüllung zu verringern und die Fortsetzung des Unterrichts in Anwesenheit, aber unter sicheren Bedingungen zu gewährleisten;
    • Der städtische und überregionale öffentliche Verkehr sollte ausgebaut werden, um die Zahl der Fahrzeuge im Verkehr zu erhöhen, damit die maximale Kapazität nicht erreicht wird;
    • Kostenlose Verteilung von Ffp2-Masken und kostenloser Tamponade an alle Arbeitnehmer und Schüler auf allen Ebenen;
    • Die Mittel für den Sonderfonds für Entlassungen in den betroffenen Sektoren und für Notfalleinkommen sowie für Erfrischungen für Aktivitäten, die ausgesetzt oder verlangsamt werden müssen (Tourismus, Gastronomie, Sport und Kultur usw.), sollten wieder aufgenommen werden;
    • Rückkehr zur Finanzierung der Quarantäne und deren Gleichsetzung mit Krankheit für gefährdete Arbeitnehmer, die nicht im Bereich der intelligenten Arbeit arbeiten können, wodurch das Risiko vermieden wird, dass sie gezwungen sind, den Kontakt mit „Positiven“ nicht zu melden, um nicht einen Teil ihres Gehalts zu verlieren.  
      Die Impfung eines großen Teils der Bevölkerung hat sich leider bereits als unzureichende Maßnahme erwiesen, um uns vor der unvorhersehbaren Entwicklung des Virus zu schützen, auch angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung noch nicht geimpft ist und es auch noch lange nicht sein wird. Es ist an der Zeit, die Patente auf Impfstoffe abzuschaffen, anstatt weiterhin die Gewinne der großen Pharmaunternehmen zu begünstigen. Die Union der Basisgewerkschaften ruft für Freitag, den 28. Januar – zeitgleich mit dem Streik im Gesundheitswesen – zu einem landesweiten Aktionstag mit offenen Initiativen in ganz Italien auf
      .“ Maschinenübersetzung des (it.) Aufrufs der Unione Sindacale di Base externer Link (USB), siehe auch den USB-Aufruf speziell für das Gesundheitspersonal externer Link
  • [Sozialer Unmut Italien] »Der Green Pass ist ein reines Propagandainstrument« 
    Im Interview von Federica Matteoni vom 25. November 2021 in der Jungle World 2021/45 externer Link spricht das linke Autorenkollektiv Wu Ming über Proteste gegen den sogenannten Green Pass in Italien, Verschwörungsglauben und radikale Kritik an der Pandemiepolitik: „Bereits im Frühjahr 2020 hatten wir vermutet, dass der soziale Unmut sich entladen würde, sobald die Angst vor dem Virus nachlässt. (…) Im Februar 2020 entwickelte sich die Provinz Bergamo in der Lombardei, der am stärksten industrialisierten und verkehrsreichsten Region Italiens, zum Covid-Infektionsherd. Im Seriana-Tal gibt es Hunderte von Fabriken unterschiedlicher Größe, die Zehntausende von Menschen beschäftigen und den Pendlerverkehr aus Bergamo und der Provinz ankurbeln. Experten schlugen sofort vor, diese Unternehmen zu schließen und das Tal zur »roten Zone« zu erklären, aber der Unternehmerverband Confindustria setzte die Politik unter Druck, dies nicht zu tun. Die Ansteckungen gerieten bald außer Kontrolle und breiteten sich im gesamten Ballungsraum der Lombardei aus, in dem rund acht Millionen Menschen leben. Das Gesundheitssystem der Lombardei, das durch jahrelange Kürzungen und Privatisierungen verwüstet worden war, brach innerhalb weniger Tage zusammen. Von dort aus breitete sich die Epidemie auf halb Italien und sogar ins Ausland aus. Um ihre Verantwortung für das Geschehen zu verschleiern, griff die Regierung zu einer Reihe von Ablenkungsmanövern, die auf dem klassischsten neoliberalen Trick basierten, der bereits vor der Pandemie in Bezug auf Umwelt, Klima und Gesundheit massiv eingesetzt wurde: Jede Verantwortung für die Ansteckungen wurde dem individuellen Verhalten der Bürgerinnen und Bürger zugeschoben. Das Gesamtpaket an strengen Beschränkungen, das man »Lockdown« nannte, enthielt neben vernünftigen Maßnahmen auch solche, die überhaupt keinen Sinn machten. Die Orte, an denen die Ansteckungsgefahr am größten war (Produktionsbetriebe, Logistikzentren, Fleisch- und Lebensmittelverarbeitung und -verpackung), blieben geöffnet, aber harmloses Verhalten wie Spazierengehen wurde verboten und bestraft. (…) Gleichzeitig war es eine hervorragende Gelegenheit, einen noch größeren Kapitalismus zu stärken, nämlich den der großen Tech-Giganten wie Amazon, Google, Facebook… Die Kampagne um den Green Pass hat die Politik der Schuldzuweisung an die einzelnen Bürgerinnen und Bürger auf eine neue Ebene gebracht. Es ist ein Instrument, welches die Regierung und die Arbeitgeber aus der Verantwortung entlässt und das Sündenbocksyndrom anheizt. (…) Es stimmt nicht, dass der Green Pass notwendig war, um die Menschen zur Impfung zu bewegen. Als er eingeführt wurde, war die Impfkampagne bereits in vollem Gange, die Impfquote in Italien lag bereits bei fast 80 Prozent. Beim Schulpersonal lag sie bei fast 90 Prozent, im Gesundheitswesen war sie sogar noch höher. Zwei Monate nach der Einführung ist die Rate nur minimal gestiegen. Es gab nicht nur keinen wirklichen Anreiz zum Impfen, sondern die Arroganz der Regierung hat den Widerstand noch verstärkt. Der Green Pass ist ein reines Propagandainstrument, ein diskriminierendes Instrument, das Millionen von Menschen, die nichts Illegales getan haben – es gibt ja keine Impfpflicht –, durch soziale Isolation oder Verlust des Arbeitsplatzes bestraft. Es ist ein Instrument, das den Arbeitgebern eine noch nie dagewesene Kontrolle über die Arbeitnehmer ermöglicht…“ Siehe auch den Überblick über die Mobilisierungen gegen den Grünen Pass in Triest in Sūnzǐ Bīngfǎ Nr. #30 externer Link vom 15. November 2021
  • Arbeiterproteste gegen Corona-Impfpass in Italien: Während in Rom rechte Gruppen das Thema instrumentalisierten, kam es in Hafenstädten zu proletarischem Widerstand 
    „… In Italien gab es unterdessen in vielen Städten Proteste gegen die Einführung des sogenannten Grünen Passes. Dort wird vermerkt, ob man geimpft, getestet oder genesen ist. Alle Lohnabhängigen müssen ein solches Dokument vorweisen, wenn sie an ihren Arbeitsplatz wollen. Wer ohne den „Grünen Pass“ zur Arbeit kommt, riskiert bis zu 1.500 Euro Bußgeld. Wer der Arbeit fernbleibt, weil er das Dokument nicht vorweisen kann, muss mit unbezahlter Freistellung rechnen, verliert aber nicht den Arbeitsplatz. Wer sich nicht impfen lassen will, muss auf eigene Kosten einen Corona-Test machen und diesen je nach Test-Art alle 48 bis 72 Stunden wiederholen. Geldstrafen für Arbeitgeber, die sich den „Grünen Pass“ von ihren Beschäftigten nicht vorzeigen lassen, reichen von 400 bis 1.000 Euro. Daher droht ein massiver Lohnverlust, wenn man nicht geimpft, getestet oder genesen ist. Damit ist Italien Vorreiter bei der Durchsetzung eines neues Gesundheitsregimes, das durch die Corona-Pandemie vorangetrieben wurde. Der von der wirtschaftsliberalen Regierung Marion Draghis durchgesetzte Beschluss stieß auf heftigen Widerstand in vielen italienischen Städten. Der Protest gegen die neuen Corona-Regeln war politisch jedoch sehr unterschiedlich ausgerichtet. In Triest und Genua waren es Hafenarbeiter, die sich gegen ein Gesundheits- und Kontrollregime im Sinne des Kapitals stellten. (…) Während sich CGIL auch in der Frage des Grünen Passes mit Kritik an der Regierung zurückhält, war das zentrale Motto der Proteste in vielen italienischen Städten „No Green-Pass, no Discrimination“. Damit wandten sich die Demonstranten gegen die Benachteiligung von Ungeimpften. Zu den Höhepunkten der Proteste gehörte die Blockade des Hafens in der norditalienischen Stadt Triest durch mehrere Tausend Arbeiter und Unterstützer. Am Montagmorgen begann die Räumung der Blockade mit behelmten Polizeikräften. Dabei wurden auch Wasserwerfer eingesetzt. Auch in Genua hatten mehrere hundert Hafenarbeiter mit einer Blockade begonnen, die wieder geräumt wurde. Die Aktionen sind insofern bemerkenswert, weil es sich hier um proletarischen Widerstand gegen ein neues Gesundheitsregime im Interesse des Kapitals handelt. (…) Dabei leugnen die Arbeiter mehrheitlich Mehrheit weder die Gefährlichkeit des Coronavirus, noch sind sie generell gegen Impfungen. Sie wehren sich aber dagegen, dass ihre Rechte in der Pandemie weiter eingeschränkt werden. Zu Beginn dieser Pandemie hatten Basisgewerkschaften und kämpferische Belegschaften in einigen Branchen die Produktion selbst stillgelegt, um sich vor dem Virus zu schützen. Es ist kein Widerspruch, dass manche der damals aktiven Lohnabhängigen jetzt gegen den „Green Pass“ protestieren. Dabei wird auch deutlich, dass es sich hier eben nicht um einen Protest für abstrakte Freiheiten auch unter Corona handelt, sondern um einen Kampf für die Rechte der Lohnabhängigen auch in einer Pandemie.“ Artikel von Peter Nowak vom 19. Oktober 2021 in Telepolis externer Link – siehe eine Woche zuvor: (Neo-)Faschistischer Angriff auf die Gewerkschaft CGIL
  • Die sozialen Ungleichheiten nehmen weiter zu 
    Sind wir allem im selben Boot? Eindeutig nicht. Noch mehr: Im Rennen um die „wirtschaftliche Erholung“ starten einige wenige Personen aus einer privilegierten Position und am Ende des Rennens werden sie einen noch grösseren Vorsprung auf die grosse Mehrheit der italienischen Gesellschaft haben. Zu diesem Schluss kommen verschiedene in den letzten Wochen publizierten Studien zu den sozialen Ungleichheiten in Italien.
    Eine am 24. April 2021 auf VoxEu-Cepr publizierten Studie zeigt auf, dass der Vermögensanteil des obersten 1% (rund 500.000 Einzelpersonen) von 16% im Jahr 1995 auf 22% im Jahr 2016 gestiegen ist und sich der Vermögensanteil des obersten 0.01% (rund 5.000 Personen) von 1.8% auf 5% fast verdreifacht hat. Im Gegensatz dazu ist das durchschnittliche Nettovermögen der ärmsten 50% im gleichen Zeitraum um 80% gesunken. Also: Je mehr der Reichtum der Vermögenden wächst, desto mehr sinkt der Reichtum derjenigen, die am unteren Ende der kapitalistischen Gesellschaftspyramide leben und arbeiten.
    Dieser Trend wird von zwei weiteren Untersuchungen bestätigt, die den Fokus auf die aktuelle Krisen-Situation richten. Die am 30. März publizierten Studie der italienischen Nationalbank zu den Ersparnissen der italienischen Familien kommt zum Schluss, dass mit der Corona-Krise 40% aller italienischen Familien keine Ersparnisse mehr haben, die länger als drei Monate reichen. 20 Millionen Menschen verfügen über ein durchschnittliches Sparguthaben von etwa 1.000 Euro, 10 Millionen sogar nur 300 Euro Ersparnisse. Italien kann nicht mehr als ein Land von Sparer*innen bezeichnet werden.
    Schliesslich zeigt eine vom italienischen Statistikamt Istat publizierten Studie, dass im Jahr 2020 die absolute Armut um eine Million und die Arbeitslosigkeit um 950.000 Menschen zugenommen haben. Bei den Armen handelt es sich in vielen Fällen um so genannte „working poor“, also um Menschen, die zwar arbeiten, mit ihrem Einkommen jedoch nicht über die Runden kommen. Die von den italienischen Regierungen verteilten Pandemie-Gelder haben nicht gereicht, um diesen Arbeiter*innen zu helfen; trotz Ausweitung der Kurzarbeitsgelder ist der Lohnanteil am gesamten gesellschaftlichen Reichtum im Jahr 2020 (1.525 Mrd €) um über 40 Milliarden Euro zurückgegangen.
    Und auch mit dem Recovery Fund und dem neuen nationalen Plan zur wirtschaflichen Erholung und Resilienz ist keine Kehrtwende zu erwarten. Im Gegenteil.“ Beitrag von Maurizio C. vom 4.5.2021 – wir danken
  • [Video] Hausarrest aufgehoben 
    Am 26. März wurden die beiden SI Cobas Koordinatoren für Piacenza, Carlo und Arafat, aus ihrem 14tägigen Hausarrest entlassen. Wir zeigen einen Zusammenschnitt von Videos, die am 26. und 27. März entstanden sind. Es sprechen u.a. Aldo Milani und einer der frisch Entlassenen, Carlo Pallavicini. „Am Monatsende, am Drehkreuz, gab es 800 Euro in bar von der Mafia! Jetzt, mit uns, gibt es korrekte Verträge!“, sagt er in dem Video und stellt einen Zusammenhang her zwischen den erfolgreichen Kämpfen der im SI Cobas organisierten Arbeiter_innen und der gegenwärtigen Repressionswelle gegen die Basisgewerkschaft. Derzeit kämpfen die Gewerkschaften um die Erneuerung des Nationalen Tarifvertrages der Logistikindustrie, der bereits 2019 ausgelaufen ist. Zudem scheint TNT-Fedex das Lager in Piacenza schließen zu wollen externer Link, um die kämpferische Belegschaft loszuwerden.“ Video bei labournet.tv externer Link (italienisch mit dt. ut | 13 min | 2021)
  • Weitere Repression gegen soziale Bewegungen in Italien
    Die Angriffe auf soziale Bewegungen in Italien gehen weiter. Nach den Fällen der gewerkschafltichen Aktivist*innen von Texprint in Prato und TNT in Piacenza, wo Arbeitskämpfe von der Polizei repressiv niedergeschlagen wurden, sind in Turin und Genau in den den letzten Tagen zwei weitere soziale Protestbewegungen kriminalisiert worden.
    In Genua ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen fünf Hafen-Arbeiter des Autonomen Hafen-Arbeiter*innen Kollektivs CALP; der Anklagepunkt lautet „Bildung einer kriminellen Vereinigung mit folgenden Straftaten: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Zünden von Rauchbomben, Werfen gefährlicher Gegenstände und Angriff auf die Sicherheit öffentlicher Verkehrsmittel“.
    Am 24. Februar 2021 haben die Spezialeinheiten der staatlichen Polizei die Wohnungen und Arbeitsplätze der fünf Hafenarbeiter durchsucht und dabei Telefone und Computer beschlagnahmt. Die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft stehen in Zusammenhang mit den Demonstrationen und Blockaden der Hafenarbeiter*innen gegen das Anlegen der Schiffe der Flotte Bahri, die Waffen in den Nahen Osten transportierten, die dort wiederum in den unterschiedlichen Kriegen zum Einsatz gekommen sind.
    Zu den Vorfällen hat das CALP Stellung bezogen: „Für die Staatsanwaltschaft von Genua sind die Rauchbomben ‚tödlich‘, mit denen die Hafenarbeiter*innen vor den Laderäumen der Schiffe auf die tödlichen Waffen aufmerksam gemacht haben‘, und nicht die die Waffen selbst. Das CLAP hat nur eine Waffe benutzt, nämlich den Streik, um den Transport der Waffen in Kriegsgebieten zu blockieren. […] Wir laden die Staatsanwaltschaft ein, die offiziellen Hafendokumente zu kontrollieren, denn die Waffen gelangen nach Saudi-Arabien, Libyen und Syrien und in die Türkei und werden dort gegen Zivilist*innen eingesetzt. Wer genau sind die Kriminellen?“
    In Turin hat die Staatsanwaltschaft hingegen „spezielle Überwachungsmassnahmen“ gegen 13 Aktivist*innen der No Tav-Bewegung ausgesprochen; die populare Bewegung wehrt sich seit über 25 Jahren gegen den unnötigen und umweltzerstörenden Bau der Zug-Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin-Lyon. Diese Massnahmen stehen in Zusammenhang mit Aktionen rund um den 1. Mai 2019; damals hatten die Aktivist*innen nach der offiziellen, gewerkschaftlichen 1.Mai-Demo friedliche Aktionen in der Stadt organisiert, um auf ihren Kampf aufmerksam zu machen. Die Massnahmen wurden durchgesetzt, ohne dass die Betroffenen die Möglichkeit gehabt haben, sich vor Gericht zu verteidigen; diese „präventiven Massnahmen“ wurden in den letzten Jahren vermehrt durchgesetzt, sie sind Ausdruck der repressiven und äusserst undemokratischen Praxis der Turiner Staatsanwaltschaft gegen Protestbewegungn. Unter den Betroffenen der Massnahmen ist auf Dana Lauriola, die aber aufgrund eines anderen Prozesses gegen die No Tav Bewegung nun seit über 6 Monaten schon in Untersuchungshaft ist (siehe dazu Italien News vom 15. September 2020).“ Bericht von Maurizio C. vom 24.3.2021 – wir danken! Siehe auch:

    • [Video] „Wir sind keine Kriminellen!“
      Ruben, ein Gewerkschaftsaktivist der italienischen Basisgewerkschaft SI Cobas, spricht über die Repression gegen Arbeiter und Gewerkschaftsfunktionäre im März 2021. Die Angriffe folgen auf erfolgreiche Streiks in den letzten Jahren, durch die die Einhaltung von nationalen Branchentarifverträgen und Verbesserungstarifverträgen durchgesetzt und, im Falle von TNT-Fedex, auch Entlassungen abgewehrt wurden. Meistens geht es bei den Kämpfen darum, das was gesetzlich vorgeschrieben ist durchzusetzen, also Branchenlöhne, entsprechende garantierte Arbeitszeiten, korrekte Lohnabrechnung etc. Vor dem Auftreten des SI Cobas vor ca. 10 Jahren waren illegale Bedingungen v.a. für die mehrheitlich migrantischen Arbeiter_innen in der italienischen Logistikbranche, aber auch in anderen Branchen wie z.B. der Fleischindustrie die Regel. Zu der staatlichen Repression, die Ruben in dem Interview beschreibt, kommt ein Gerichtsurteil vom 23. März 2021, bei dem der regionale SI Cobas Koordinator aus Bologna, Simone Carpeggiani, zu neun Monaten Haft verurteilt wurde, wegen seiner Teilnahme an einem Streikposten 2014 in Ferrara. Der Streikposten war damals wiederholt von Faschisten und der Lega Nord angegriffen worden.“ Video bei labounet.tv externer Link (dt. UT  | 7 min  |  2021)
    • siehe auch unser Dossier: Repression gegen Arbeitskämpfe in Zeiten der Corona-Krise – z.B. Texprint in Prato (Toskana)
    • und Nach dem Sieg gegen FedEx in Italien folgt Repression nach dem „Sicherheitsgesetz“: 21 Hausdurchsuchungen in Piacenza, zwei Aktivist*innen von Si Cobas unter Hausarrest – Aufruf zu Soliaktionen
  • Italien: Repression gegen Arbeitskämpfe
    Ein Jahr nach Ausbruch der globalen Corona-Pandemie nehmen die durch die globale Krise ausgelösten sozialen Widersprüche weiter zu. Mit dem Ausruf des ersten italienweiten Lockdowns und der Schließung zahlreicher wirtschaftlichen Aktivitäten im März 2020 erlebte die Arbeitswelt erneut eine tiefgreifende Restrukturierung. Die kürzlich publizierten Statistiken des italienischen Statistikamtes Istat sprechen eine klare Sprache: Innerhalb eines Jahres (März 2020 – Februar 2021) gingen in Italien offiziell 456.000 Arbeitsplätze verloren (-2.0 Prozent); nur dank des zu Beginn der Krise eingeführten und seither anhaltenden Entlassungsverbotes ist diese Zahl nicht mindestens doppelt so hoch. Dieser Stellenverlust hat in den letzten zwölf Monaten vor allem Arbeiter*innen mit befristeten Verträgen (-391.000 Personen, das entspricht -12.8 Prozent) und selbständig Arbeitende (-154.000 Personen entspricht -2.9 Prozent) getroffen. Einen großen Teil der informellen Arbeiter*innen, die ohne Arbeitsvertrag und unter prekären Bedingungen ihr Brot verdienen, werden aber von diesen Statistiken nicht erfasst. Die Erosion der Arbeit wurde von einer massiven Zunahme inaktiver Arbeiter*innen begleitet (+403.000, das bedeutet einen Zuwachs von 3.1 Prozent). Als „inaktiv“ bezeichnet man diejenigen Personen, die weder arbeiten noch auf Arbeitssuche sind, da es schlicht keine Arbeit gibt. Die Inaktiven gelten statistisch nicht als Erwerbslose, darum ist dieser Indikator im letzten Jahr paradoxerweise auch massiv zurückgegangen (-10.5 Prozent). Vor diesem Hintergrund brachen zu Beginn der Corona-Krise 2020 Arbeitskämpfe in verschiedensten Sektoren aus. Arbeiter*innen nicht „systemrelevanter“ Sektoren, wie beispielsweise der Luxuskleiderindustrien legten die Arbeit nieder, um die vorübergehende Schließung ihrer Betriebe und eine totale Lohnfortzahlung zu fordern. In den Großbetrieben wie bei Fiat in Pomigliano d’Arco bei Neapel forderten die Arbeiter*innen die Einhaltung von Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des Virus im Betrieb. Arbeitskämpfe und Protestaktionen brachen auch in prekären Sektoren aus: Migrantische, meist papierlose Landarbeiter*innen forderten eine sofortige Regularisierung ihrer Arbeits- und Aufenthaltssituation und einen staatlichen Eingriff zur Verbesserung ihrer Unterkunfts- und Wohnsituation….“ Artikel von Maurizio Coppola vom 19. März 2021 im revoltmag externer Link
  • Siehe vom 03. Februar 2021: Neues Hilfsprogramm der italienischen Interims-Regierung: Gießkanne gegen soziale Proteste?
  • Italien: Gesundheit, jawohl, mein Herr! 
    Wenn es stimmt, dass Sprache die Welt erschafft, in der wir leben, und dazu beiträgt, sie zu verstehen, dann ist das, was vorbereitet wird, eine schreckliche Welt, so schrecklich wie eine Welt sein kann, in der Militarismus – und folglich der Krieg – die vorherrschenden Aspekte sind. Als ob die Fortsetzung eines Ausnahmezustands, der von Dekret zu Dekret andauert und dazu tendiert, dauerhaft zu werden, noch nicht genug war, hat die Regierung jetzt eine Ausgangssperre verhängt. Die Geschichte dieses Wortes erinnert deutlich an tragische Szenarien, die normalerweise in Zusammenhang mit Krieg oder Diktatur verwendet werden; in beiden Fällen ist die vom Militär ausgeübte repressive Rolle offensichtlich. Genau dies ist der Fall, ein repressiver Aufschwung, der die persönlichen Freiheiten auf zunehmend militaristische Weise einschränkt. Nachdem sie unseren Gedanken mit monatelanger Propaganda militarisiert haben, während sie uns mit Slogans wie „wir sind im Krieg“ gegen einen „unsichtbaren Feind“ bombardiert haben, gewinnt der Militarismus jetzt in seiner klassischen physischen Version an Boden. War er in den Großstädten unter dem Vorwand „sicherer Straßen“ mehrere Jahre lang sichtbar präsent, so materialisiert er sich jetzt in allen entlegensten Winkeln der Halbinsel, wie zum Beispiel in Taurisano in der Provinz Lecce, unter dem Vorwand, dass ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung positiv auf Covid getestet wurde, mit der sehr realen Aussicht, die Armee einzusetzen, um Versammlungen und mögliche Demonstrationen auf den Straßen zu verhindern. Und wenn sie sich, wie im Fall von Taurisano, in einem beruhigenden Gewand präsentieren, mit weißen Mänteln über der brutalen Kampfausrüstung gezogen, so darf uns dies nicht beruhigen, sondern muss uns vielmehr zum Nachdenken über die Rolle der Wissenschaft – medizinisch, aber nicht nur – und ihre immer engere Verbindung mit Militarismus, Krieg und Repression veranlassen. Mit ihrer Rolle als Regierung bedeutet Regieren in der Tat Kontrolle und Unterwerfung der Bevölkerung…“ Ein Flugblatt der Biblioteca Anarchica Disordine über die Militarisierung der staatlichen COVID-19 Maßnahmen in Italien, ursprünglich veröffentlicht als „La salute, signorsì!“ von Biblioteca Anarchica Disordine externer Link (Am 11. November, 2020), übersetzt von Enough 14 und dort am 9.1.2020 dokumentiert externer Link
  • Private Profite auf dem Buckel der Patient*innen 
    Die zweite Welle der Covid19-Pandemie deckt vermehrt die Widersprüche des aktuellen Gesundheits- und politischen Systems auf. Als Resultat der jahrzehntelangen Austeritätspolitik waren die Betten in den Intensivstationen und das Gesundheitspersonal so stark gekürzt worden, dass während der ersten Welle die Gesundheitseinrichtungen die vielen Corona-Patient*innen nicht aufzunehmen und zu pflegen vermochten. Während der sommerlichen Ruhe hätten die nationale und regionalen Regierungen Zeit gehabt, sich auf die zweite Welle vorzubereiten: Ausbau der Intensivstationen, Anstellung von Gesundheitspersonal und präventive Massnahmen, um die Pflegequalität zu verbessern und die Zahl der Erkrankung und der Toten auf ein Minimum zu reduzieren.
    Das genaue Gegenteil hat sich jedoch mit der zweiten Welle bewahrheitet. Die strukturellen Mängel wurden von der Politik nicht nur vernachlässigt, mit der Vertiefung der gesundheitlichen Krise ermöglicht sie gar privaten playern sogar, auf dem Buckel der kollektiven Gesundheit Profite zu schlagen. Das letzte Beispiel kommt aus der Region Lombardei, wo private Kliniken Corona-Test und fachärztliche Untersuchungen bei den Menschen zu Hause anbieten. Ein Test kostet 75€ (bei drei Tests im gleichen Haushalt gilt ein Sonderangebot: 55€ pro Test!), die fachärztliche Untersuchung samt Bluttest, Röntgenaufnahmen und Arztzeugnis hingegen 450 €.
    Die privaten Klinken verlangen 450€ für eine Leistung, die gesetzlich im Verantwortungsbereich der Regionen liegt und für die Bürger*innen kostenlos sein müsste. Doch nicht alle Regionen haben die sogenannten Usca aktiviert. Bei den Unità Speciali di Continuità Assistenziale handelt es sich um medizinische Teams, die von Haus zu Haus gehen und die Covid-Patient*innen behandeln. So werden viele einkommensschwache und armutsbetroffene Menschen de facto aber aus dem nationalen Gesundheitssystem ausgeschlossen. In der Covid19-Pandemie sind wir also bei weitem nicht alle im selben Boot. Auch heute gilt, entweder auf der Seite privater Profite oder auf der Seite der kollektiven Gesundheit zu stehen.“ Zusendung von Maurizio C. vom 17.11.2020 – wir danken!
  • Die sozialen Auswirkungen der Epidemie-Politik in Italien: Erzeugen wachsenden Widerstand und Streiks der „essential workers“ 
    „… Die ökonomischen Folgen der Pandemie trafen die schwächeren Wirtschaften des Südens unweigerlich stärker. Italien bildet da keine Ausnahme. Im Einklang mit einem langfristigen Trend zur Reduktion öffentlicher Ausgaben (der EU-Finanzpolitik folgend), gehörten Italiens Krisenausgaben zu den tiefsten in der Eurozone. Zudem machen ihre Besonderheiten die italienische Wirtschaft besonders anfällig. Dazu gehören eine im Vergleich zum europäischen Durchschnitt hohe Arbeitslosenquote unter Jugendlichen und Frauen, ein hoher Anteil von prekären und informellen Arbeitsverhältnissen und ein hoher Anteil von Kleinunternehmen und selbständig Arbeitenden. Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Angestellten beschäftigen in Italien 45% der Arbeiter*innen, im europäischen Durchschnitt liegt diese Zahl bei 30%. Während die pandemiespezifischen Staatsausgaben hauptsächlich größere Unternehmen vor der Insolvenz zu retten versuchten und die Löhne der regulär Beschäftigten garantierten, erhielten selbständige Arbeiter*innen nur eine einmalige Bonuszahlung von lediglich 600 Euro und Kleinunternehmen erhielten Finanzhilfen in Höhe von 20% der Gewinneinbußen (Differenz zwischen den Einnahmen 2019 und 2020). Erwerbslose und informell Beschäftigte erhielten eigentlich nichts…“ – aus dem Beitrag „Soziale Proteste in Zeiten der Corona-Krise“ von Bethan Bowet-Jones, Francesco Pontarelli, Giuliano Granato und Maurizio Coppola am 10. November 2020 bei der Rosa Luxemburg Stiftung Brüssel externer Link über Ursachen und Hintergründe der wachsenden Proteste und Widerstandsaktionen in Italien. Zu den sozialen Auswirkungen der Epidemie bzw. der Regierungspolitik und zum wachsenden Widerstand dagegen fünf weitere aktuelle Beiträge:

    • „La questione salariale in Italia Un confronto con le maggiori economie dell’Eurozona“ von Nicolò Giangrande im November 2020 bei der Fondazione Di Vittorio externer Link (des Gewerkschaftsbundes CGIL) ist eine vergleichende Studie der Lohnentwicklung in Italien in Bezug auf andere EU-Staaten. Ist sie dort im Zuge der EU-Politik von Austerität und Neoliberalismus schon übel – so ist sie es in Italien noch übler als anderswo…
    • „Italien im Aufruhr“ von Maurizio Coppola am 06. November 2020 im re:volt magazine externer Link unter anderem zur Vielschichtigkeit der Proteste: „… Die Proteste in Napoli waren eine Art Auslöser und Vorbild dafür, den sozialen Unmut auf die Straße zu tragen. Auch in Napoli hörten die Proteste nicht auf. Am Folgetag (24. Oktober) protestierten rund 500 Menschen vor dem regionalen Sitz des Unternehmensverbandes Confindustria gegen die fehlenden gesundheits- und sozialpolitischen Maßnahmen, um der Corona-Krise und den sozialen Folgen eines potentiellen Lockdowns entgegenzuwirken. Der Versuch der Demonstrierenden zum regionalen Regierungsgebäude vorzudringen wurde von der Polizei gewaltvoll unterdrückt. Die polizeiliche Repression kam auch am Montag, dem 26. Oktober, zum Zug: Auf die mittels sozialen Medien beworbene Kundgebung gegen die mangelnden sozialpolitischen Maßnahmen reagierte die Regierung mit einem massiven Polizeiaufgebot samt Wasserwerfern und Männern in Robocopmontur. Rund 4.000 Menschen kamen an diesem Abend zu einer Demonstration zusammen. Die soziale und politische Zusammensetzung war vielfältig: von prekär und oft irregulär arbeitenden Barkeeper*innen über Event-Animateur*innen und Kulturschaffenden bis hin zu Betreiber*innen von Kleinbetrieben (vor allem Bars, Restaurants und Nachtclubs) waren alle möglichen Schichten vertreten, hauptsächlich des Dienstleistungssektors. Die Kundgebung war daher auch von unterschiedlichen Forderungen geprägt. Als die Demonstrierenden dann begannen sich zu bewegen, positionierte sich die Polizei erneut, um den Demonstrationszug zu blockieren. Diesmal gelang es den Demonstrierenden, vor das regionale Regierungsgebäude zu gelangen, ohne dass es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Die Diversität der Teilnehmenden drückte sich auch in den Wortmeldungen aus: Die Betreiber*innen von Kleinbetrieben forderten keine sozialstaatliche Intervention für die Sicherstellung der Lohnfortzahlung im Falle einer neuen Schließung, sondern unterstrichen ihre Entschlossenheit, um jeden Preis und trotz Lockdown ihre Läden offen halten und weiterarbeiten zu wollen. Die Wortmeldungen, die ein staatlich garantiertes Grundeinkommen für die Arbeiter*innen verlangten, wurden von ihnen hingegen ausgepfiffen. Zudem waren nicht wenige Arbeiter*innen mit Plakaten zu sehen, die einen Steuerzahlungsstopp für krisenbetroffene Bars und Restaurants und die Aufhebung der obligatorischen Schließungen der Läden ab 18 Uhr forderten. Diese Positionierung von Arbeiter*innen auf Seiten ihrer Arbeitgebenden ist Ausdruck des herrschenden Abhängigkeitsverhältnisses und der Jobunsicherheit, die bereits vor der Corona-Krise Normalität war. So existiert eine korporatistische Überzeugung à la „du gibst mir zu essen, ich verteidige dich“ bei vielen Arbeitenden. Soziale Forderungen – von einem garantierten Einkommen für die Arbeiter*innen bis zu Investitionen im Gesundheitssystem, um der gesundheitlichen Corona-Krise entgegenzuwirken – wurden in erster Linie von linken politischen Gruppen und Organisationen in die Proteste hineingetragen. In den Protesten in Napoli drückte sich also eine widersprüchliche Dynamik aus: Auf der einen Seite das gemeinsame Auftreten von Arbeiter*innen und Betreiber*innen der lokalen Ökonomie, die vor allem dank des Tourismusbooms der letzten zehn Jahre einen Aufschwung erlebte und sich nun mit der Krise im rasanten Sturzflug befindet. Dieser Korporatismus steht im Widerspruch zu den divergierenden objektiven Interessen dieser zwei sozialen Kategorien: Arbeiter*innen und Betreiber*innen. Denn viele der Betreiber*innen von Kleinbetrieben haben gerade während dieses Tourismusbooms ihren Reichtum durch Steuerhinterziehung und Ausbeutung irregulärer Arbeiter*innen erwirtschaftet. Die Freiheit, weiter wirtschaften zu können, würde konkret heißen, die Freiheit zu haben, weiterhin Steuern zu hinterziehen und Arbeiter*innen auszubeuten. Hierin unterscheiden sich diese kleinbürgerlichen Forderungen nicht von denjenigen des Unternehmensverbandes Confindustria und somit des Großkapitals...“
    • „Wer schließt, soll auch zahlen“ von Catrin Dingler am 05. November 2020 in der jungle world externer Link (Ausgabe 45/2020) zur sozialen Situation unter anderem: „… Die Proteste sind nicht von Verschwörungsphantasien motiviert, die Existenz und die Gefährlichkeit von Sars-CoV-2 leugnet in Italien nur eine un­bedeutende Minderheit. Auch Versuche der rechtsextremen parlamentarischen Opposition, die Proteste zu vereinnahmen, sind bisher gescheitert. In Rom wurde der Vorsitzende der rechtsextremen Partei Lega, Matteo Salvini, auf einer Demonstration von Beschäftigten der Gastronomie ausgepfiffen. Zugleich schüren neofaschistische Splitterparteien wie die Forza Nuova und deren Anhängerschaft bei den Ul­tras, den Fußballfangruppen, mit ihrer Propaganda gegen die »Coronadiktatur« Wut und Verzweiflung in der Bevölkerung. Der Unmut gilt einer Regierung, die es versäumt hat, während der Sommermonate den öffentlichen Nahverkehr und die Schulen pandemiegerecht zu organisieren, eine funktionierende Warn-App zur Verfügung zu stellen und das Gesundheitswesen mit genügend Personal auszustatten und dezentraler zu organisieren und zugänglich zu machen. Der Vorwurf, in Neapel steuere die Camorra die Proteste, ist wohlfeil. Durch den Zusammenbruch der informellen Tourismus- und Konsumwirtschaft könnten viele Soloselbständige und prekär oder irregulär Beschäftigte erst in die Fänge der organisierten Kriminalität geraten. Da sie keinen Anspruch auf staatliche Hilfen geltend machen können, droht ihnen die Verelendung. In Kampanien, der Region um Neapel, waren bereits vor der Pandemie über 40 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet, die Schulabbrecherquote lag bei 18 Prozent – auch deshalb möchte das Bildungsministerium generelle Schulschließungen vermeiden. In Mailand, Turin und Florenz be­teiligten sich vor allem Jugendliche an Ausschreitungen, die nach Polizei­angaben keinem politischen Lager zuzuordnen sind. Hier entlädt sich die Frustration über drohende Kontaktverbote; die Jugendlichen fürchten, erneut in enge Wohn- und Familienverhältnisse eingesperrt zu werden. Neben diesen inhaltlich oft konfusen und widersprüchlichen Protesten gibt es auch immer öfter organisierten Widerstand. Die für Lieferdienste Tätigen vernetzen sich im Kampf für einen an die Logistikbranche angelehnten Tarifvertrag. Kulturschaffende unterschiedlicher Metiers haben sich in lokalen Gruppen zusammengefunden und am Wochenende auf über 17 Plätzen des Landes demonstriert. Die Mehrheit von ihnen stellt die Schließung von Kinos und Theatern zur Vermeidung von Menschenansammlungen nicht in Frage. Die Betroffenen beklagen vielmehr die fehlenden staatlichen Sozialleistungen: »Wenn ihr uns schließt, müsst ihr uns zahlen« ist der Slogan, unter dem die landesweiten Protestaktionen stattfinden. Statt einmaligen Ausgleichszahlungen, wie sie das jüngste Regierungs­dekret vorsieht, fordern die Kulturschaffenden ein einheitliches und in der Zeit der Pandemie kontinuierlich zu zahlendes Einkommen, das durch die Besteuerung von hohen Vermögen und transnationalen Konzernen finanziert werden soll. Dieser Forderung können sich Prekäre und Entlassene aus zahlreichen anderen Branchen anschließen, sie findet auch politische Unterstützung bei nicht im Parlament vertretenen linken Parteien und Basisgewerkschaften…“
    • Arbeit und Arbeitskämpfe in Zeiten der Corona-Krise – einige aktuelle Schlaglichter von Mautizio C. zusammengestellt am 14. November 2020 (und hier mit Dank dokumentiert):
      • Demonstration bei ArcelorMittal
        In Genua haben am 11. November 2020 die Metallarbeiter*innen von ArcelorMittal (ehemaliger Staatsbetrieb ILVA) gegen Suspendierungen und Entlassungen protestiert. Das Unternehmen hatte drei Fiom-Gewerkschaftsaktivisten wegen ihres Aktivismus im Betrieb in Cornigliano entlassen, was am Montag zur Blockade des Warenein- und Warenausgangs von Seiten der Arbeiter*innen geführt hat. Der Betrieb reagierte daraufhin mit einem Suspendierungsbrief an 250 Arbeiter*innen. Nach der Protestaktion wurde die Entlassung eines Arbeiters zurückgezogen, für die zwei anderen verhandeln die zwei Parteien noch. Zudem wurde ein Verhandlungstisch für die Zukunft des Betriebes erzwungen, denn mit der Vertiefung der Krise in der Stahlindustrie ist ungewiss, welche Investitionen ArcelorMittal bereit ist, in Italien zu tätigen. Auf dem Spiel stehen über 10.000 Arbeitsplätze in 8 Produktionsstätten.
      • Zum Tarifvertrag in der Essenslieferung
        Nachdem vor einigen Wochen die Vereinigung der Unternehmen und Plattformen des „food delivery“ Assodelivery mit einer „gelben“ Gewerkschaft (Ugl) einen nationalen Tarifvertrag unterzeichnet hatten, ohne bei den Verhandlungen die selbstorganisierten Arbeiter*innen miteinzubeziehen, streikten in den letzten Tagen in unterschiedlichen Städten Italiens die Arbeiter*innen der Essenslieferdienste. Nach dieser Aktion hat JustEat angekündigt, die „riders“ ab 2021 direkt anstellen zu wollen. Diese würde wichtige Konsequenzen mit sich ziehen: Erstens den Austritt von JustEat aus dem Verband des „food delivery“ und somit eine Aberkennung des unterzeichneten Tarifvertrags und zweitens einen wichtiger Schritt im Kampf gegen die Scheinselbständigkeit, die im „food delivery“ dominiert. Auf jeden Fall haben die prekären Arbeiter*innen die letzten Tage bewiesen, dass sich organisieren und kämpfen lohnt, auch in dieser komplizierten Phase der Corona-Krise.
      • Streik der Reinigungsarbeiter*innen
        Seit siebeneinhalb Jahren arbeiten die Reinigungskräfte ohne Tarifvertrag. Die rund 600.000 Arbeiter*innen werden in Krankenhäuser, Gesundheitseinrichtungen, im öffentlichen Transport und in den Schulen und Universitäten eingesetzt und haben vor allem seit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie im Febraur 2020 die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ohne ihren täglichen Einsatz (Reinigung und Desinfizierung der öffentlichen Strukturen) wäre der Kampf gegen die Verbreitung des Coronavirus noch komplizierter gewesen. Die Pandemie hat also das aufgedeckt, was die tiefen Löhne und die schlechten Arbeitsbedingungen im Sektor zu verschleiern versuchen: Es handelt sich um lebensnotwendige Aktivitäten, ohne die die Gesellschaft nicht funktionieren kann. Die Unternehmen sind aber anderer Meinung und weigern sich weiterhin, einen Tarifvertrag mit Mindeststandards zu unterzeichnen. Dabei handelt es sich um einen Sektor, der in den letzten Jahren aufgrund des „outsourcing“ von öffentlichen Aufgaben und gerade in Zeiten der gesundheitlichen Notlage in Sachen Beschäftigung und Umsatz stark gewachsen ist. Meist werden die Reinigungsaufträge über die öffentliche Ausschreibung verteilt, was jedoch keine Garantie ist für Arbeitsschutz und gute Löhne. Nach der letzten Mobilisierung am 21. Oktober legen die Reinigungsarbeiter*innen nun wieder die Arbeit nieder. Die Protestaktionen findet unter Einhaltung der Corona-Regeln statt, werden aber auch in den „roten Zonen“ stattfinden, wo das Virus weiterhin hunderte Opfer täglich fordert – ganz in der Hoffnung, dass die Arbeiter*innen endlich die notwendige gesellschaftliche Anerkennung erhalten.
      • In La Spezia (Ligurien) hat die Finanzpolizei einen Fall von Hyperausbeutung aufgedeckt
        In der Produktion von Luxus-Yachten wurden systematisch Subunternehmen eingesetzt, um bei den Lohnkosten zu sparen. Diese setzten wiederum papierlose bengalesische Migrant*innen ein, bezahlten einen Lohn von 4 Euro pro Stunde und setzten sie ohne Schutz in den schwierigsten Tätigkeiten ein (Schweissen, Lackiererei etc.). Die Unternehmen profitierten zudem von der prekären Situation der Migrant*innen und ihrer Familien, um die papierlosen Migrant*innen bis zu 14 Stunden ohne Pause zur Arbeit zu zwingen. Die Polizei nahm 8 Personen fest und beschlagnahmte Material im Wert von 1 Million Euro. Dieser Fall ist ein Beweis dafür, dass diese Form der Ausbeutung über Subunternehmen und „caporali“ nicht nur im Landwirtschaftssektor geschieht, sondern sie sich in der krisengeprägten Wirtschaft zunehmend in allen Sektoren ausbreitet.
    • „Multiservizi, scatta l’ora dello sciopero“ von Emannuele di Nicola am 12. November 2020 bei collettiva externer Link ist ein Überblick über den Streiktag der ReinigungsarbeiterInnen und über die zahlreichen unterschiedlichen Mobilisierungsarten dabei.
  • Italiens Regierung entscheidet Semi-Lockdown 
    Gestern Sonntag entschied die italienische Regierung aufgrund der massiven Zunahme der Corona-Fälle einen neuen Lockdown. Am gestrigen Tag steigen die Neuansteckungen um 21.273 Fälle (+4.2% zum Vortag), 128 Menschen starben (+0,3%). Zudem stieg die Zahl der hospitalisierten Personen um 719 (+6.4%) und der Personen in Intensivtherapie um 80 (+7.1%). Gerade diese letzten Zahlen sind besorgniserregend, weil langsam aber sicher das Gesundheitssytem an seine Grenzen stösst.
    In diesem gesundheitlichen Kontext hat Ministerpräsiden Giuseppe Conte neue Massnahmen zur Eindämmung der Virusverbreitung entschieden. Ab heute Montag 26. Oktober bis zum 24. November gelten folgende restriktive Regeln: die Schliessung von Restaurants und Bars um 18 Uhr in ganz Italien und eine maximale Tischgrösse für 4 Personen; die Einführung der obligatorischen Fern-Didaktik für Schüler*innen der Oberstufe; die Schliessung von Sportgyms und Hallenbäder. Für den Moment bleiben die regionalen Grenzen offen, die Regierung hat sich aber die Freiheit genommen, diese in den kommenden Tagen zu schliessen, falls mit den entschiedenen Massnahmen keine positiven gesundheitlichen Effekte zu sehen sind.
    Heute soll zudem ein Dekret vorgestellt werden, das soziale und ökonomische Massnahmen für die betroffenen Personen vorsieht. Arbeitsministerin Nunzia Catalfo sprach von der Ausweitung der Kurzarbeit um weitere 18 Wochen bis Ende Januar 2021, eine Einmalzahlung für Arbeiter*innen der Sektoren Tourismus, Kultur und Sport. Zudem sollen 350.000 Betreiber*innen von gastronomischen Strukturen finanziell unterstützt werden. Noch unklar ist, ob das Kündigungsverbot, das am 31. Dezember ans Ende kommt, auch erweitert wird.“ Informationen von Maurizio C. vom 26.10.2020 – wir danken! Siehe zu den Protesten dagegen unser Dossier: Protest gegen Corona-Willkür (in Neapel) – und die mediale Hetzkampagne dagegen. Seit wann würden (irgendwo auf der Welt) Rechtsradikale gegen den Unternehmerverband demonstrieren?
  • In welchem Kontext überträgt sich das Coronavirus? 
    Die am Sonntag von der italienischen Regierung vorgestellten Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Ansteckungen zielen auf die Freizeitaktivitäten ab: Eingeschränkte Öffnungs- und Servierzeiten für Bars und Restaurants (bis 18 Uhr take away, bis 24 Uhr an den Tischen mit maximal 6 Personen pro Tisch), Ausgangssperren in stark frequentierten Zonen, Verbot von Wettkämpfe im Amateursport (der lukrative Profisport funktioniert natürlich weiter wie bisher!). Zudem ist es den Regionen überlassen, im Bildungsbereich erneut auf die Fern-Didaktik zu wechseln, wie dies während der ersten Welle passiert war. Sind diese Massnahmen aber tatsächlich wirkungsvoll? 
    Das höhere Gesundheitsinstitut (Istituto Superiore di Sanità ISS) präsentierte Ende April 2020, also mitten in der ersten Welle der Corona-Krise und während des Lockdowns, eine Statistik auf der Basis von 4.508 zwischen dem 1. und dem 23. April erhobenen Fälle. Demnach erkrankte damals 44,1% der Betroffenen noch in den Alters- und Pflegeheimen, 24,7% im familiären Umfeld und nur 4,2% am Arbeitsplatz.
    Das letzte wöchentliche Monitoring (5.-11. Oktober 2020) des Gesundheitsministeriums und des höhren Gesundheitsinstituts hingegen spricht nun mitten in der zweiten Welle der Corona-Krise davon, dass 80,3% der 28.196 italienweiten Neurkrankungen im familiären Umfeld geschehen, hingegen nur 4,2% während den Freizeitaktivitäten und 3,8% im schulischen Umfeld. Bei einem wichtigen Anteil der erhobenen Fälle hingegen kann kein epidemiologischer Link festgestellt werden, die Erkrankungen finden ausserhalb der bekannten Ansteckungsketten statt.
    Das Problem liegt nun darin, dass die Angabe „familiäres Umfeld“ äusserst ungenau ist. Seit Aufhebung des Lockdowns Anfang Mai 2020 ist die Mehrheit der Menschen wieder zur Arbeit zurückgekehrt und hat somit den Grossteil ihres Alltags ausserhalb des tatsächlichen familiären Umfeldes in Büros, Fabriken, Läden etc. verbracht. Um zur Arbeit zu fahren, haben sie zudem den vor allem während des Stosszeiten stark überfüllten öffentlichen Transport benutzt. Es kann also davon ausgegangen werden, dass die Bezeichnung „familiäres Umfeld“ die realen Ansteckungsorte kaschiert, nämlich eben genau die Arbeitsplätze und den öffentlichen Transport.
    Die Massnahmen der Regierung schiessen also am Ziel vorbei, die Neuerkrankungen zu unterbinden, da sie kaum in den Kontexten interveniren, in denen sich das Coronavirus tatsächlich überträgt. Sie folgen vielmehr dem Diktum des Unternehmensverbandes Confindustria, die neue Corona-Ordnung ausschliesslich nach den Bedürfnissen der kapitalistischen und profitorientierten Produktion auszurichten (reduction ad productionem) und die Schuld für die Verbreitung des Virus dem individuellen Verhalten der Menschen zu übertragen.
    Nebst den wichtigen Einschränkungen im Nachtleben wären nun aber vor allem massive Investitionen für die gesundheitliche und soziale Sicherstellung der Arbeitsplätze, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, den Ausbau der Intensivstationen und die Festanstellung des prekären Gesundheits- und Bildugnspersonals notwendig. Solche Massnahmen sind aber bei weitem nicht in Sicht.“ Meldung von Maurizio C. vom 20.10.2020 – wir danken!

    • Siehe auch die Ergänzung am 21.10.20 auf Twitter externer Link: „Die Region #Campania zählt überdurchschnittlich hohe #Covid_19-Fälle in dieser #ZweitenWelle. Mehr Plätze in den Intensivstationen? Mehr Gesundheitspersonal? Nein, die Regierung entscheidet Ausgangssperre ab 23 Uhr und schickt 100 Männer des Militärs.“ und
    • Jetzt in #Napoli: Die italienische Regierung spricht 30 Mrd. des #RecoveryFund für das Militär, während Hunderttausende ihren Job verloren und keinen sozialstaatliche Absicherung haben. Die Erwerbslosen fordern gesundheitlich und sozial abgesicherte Jobs!
  • Von der Corona-Pandemie zur sozialen Pandemie 
    Während die Corona-Erkrankungen ständig steigen und jeden Tag neue Rekorde verzeichnet werden – gestern Sonntag zählte man 11.705 neue Fälle (+2.9% zum Vortag) und 69 Tote (+0.2%) bei 146.541 Tests (-19.296) – wachsen in Italien die sozialen Ungleichheiten weiter: Laut einer Studie von Caritas Italia ist die Zahl der armutsbetroffenen Menschen während des ersten Lockdowns zwischen dem 11. März und dem 18. Mai 2020 um 450.000 Einheiten gestiegen.
    Die Studie wurde auf der Basis von Befragungen von sich zum ersten Mal wegen finanzieller Not an die Caritas gewendeten Personen durchgeführt. Wie der Studie zu entnehmen ist, trifft die Armut insbesondere Frauen mit instabilen Jobs, junge Prekäre zwischen 18 und 34 Jahren, Minderjährige in schwierigen Familiensituationen (auch aufgrund der Schliessung der Schulen) und (Schein-)Selbständige. Das gemeinsame Merkmal dieser „neuen Armut“ ist die Tatsache, dass keine Ersparnisse vorhanden sind, um länger als drei Monate ohne Einkommen zu überleben. Das Problem dabei ist doppelt: Auf der einen Seite ist die italienische Wirtschaft seit Jahrzehnten nun stark von tiefen Löhnen und einem Wachstum ohne stabile Jobs geprägt; auf der anderen Seite schliesst das soziale Sicherungssystem gerade diese prekäre Formen der Lohnarbeit aus, so dass bei den Betroffenen oft eine vielfältige soziale Abwärtsspirale einsetzt. Laut Caritas sind heute über 5 Millionen Menschen armutsbetroffen und ohne Zugang zu stabilen Gesundheitsleistungen, Wohnraum und Jobmöglichkeiten.
    In diesem Kontext hat gestern der Premierminister Giuseppe Conte die neuen Massnahmen vorgestellt, um die zweite Welle der Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Es wurden einheitliche Regeln für Bars, Pubs und Restaurants entschieden (bis 18h takeaway und bis 24h Betrieb an den Tischen für max. 6 Personen pro Tisch) und den Bürgermeister*innen die Möglichkeit gegeben, Ausgangssperren zu beschliessen. Keine Massnahmen sind hingegen zum Ausbau des öffentlichen Transports vorgesehen, um in Sicherheit zur Arbeit und zur Schule zu fahren; keine einheitlichen Regeln für die Sicherheit an den Schulen und für die Fern-Didaktik, die meist für ärmere Kategorien der Gesellschaft zum Nachteil wird; keine Ausweitung der sozialen Absicherung, um die sich ausweitende Armut zu stoppen; keine zusätzlichen Intensivstationen in den Krankenhäusern, um die schlimmen Corona-Fälle aufzufangen.
    Italiens Krise ist nicht nur gesundheitlicher Natur, sie ist auch politisch und sozial. Wie lange werden die Menschen die ungenügenden politischen Massnahmen gegen die Proletarisierung und die Verarmung breiter Gesellschaftsschichten noch hinnehmen?“ Meldung von Maurizio C. vom 19.10.2020 – wir danken! Siehe auch seinen Thread auf Twitter am 19.10.20 externer Link
  • Covid und zweite Welle: es fehlt an allem!
    Der Anstieg der neuen Covid-Erkrankungen beunruhigt: Italien verzeichnete gestern Mittwoch 14. Oktober mit 7.332 neuen Fälle die höchste Zahl seit Ausbruch der Pandemie im Februar. Auch die Zahl der Todesopfer steigt erneut und hat gestern 43 Personen erreicht. Zudem gibt die rasante Zunahme von Patient*innen in Intensivtherapie zu denken (total 539, + 4.9% in einem Tag). Gesamthaft wurden 152.196 Tests durchgeführt (Rekord). Die Regionen mit den meisten Neuerkrankungen sind die Lombardei und Kampanien, wo nun lokale Lockdowns nicht mehr ausgeschlossen sind.
    Obwohl die Zahl von Neuerkrankungen, Patient*innen in Intensivtherapie und Todesopfer während des ganzen Sommers zurückgegangen waren und sich die nationale und regionale Politik auf die angekündigte zweite Welle vorbereiten konnten, trifft der rasante Anstieg die Gesundheitsstrukturen starkt. Was fehlt sind vor allem neue Tests, um die Virusverbreitung zu monitorieren und die neuen Fälle zu isolieren, Plätze und medizinische Ausstattung in den Intensivtherapien und medizinisches Personal. Wie die Gewerkschaft der Krankenhausärzt*innen Anaao-Assomed mitteilte, fehlen mindestens 10.000 Gesundheitsarbeiter*innen: „Die Regierung hat 16.000 Neueinstellungen versprochen, doch was wir beobachten sind vor allem befristete und prekäre Arbeitsverhältnisse. Es ist inakzeptabel, dass in dieser Krisensituation weiterhin solche Verhältnisse vorherrschen.“ Meldung von Maurizio C. vom 15.10.2020 – wir danken!
  • Italien fällt in eine tiefe soziale Krise
    Die langen Schlangen vor den Gassenküchen sind Ausdruck der tiefen sozialen Krise, in die auch Italien infolge der Corona-Krise gerutscht ist. Laut der Landwirtschaftsvereinigung Coldiretti sind in den letzten drei Monaten 2.7 Mio. Italiener*innen in die Armut gefallen; 20% davon, also rund 530.000 Menschen, leben nur in der Region Kampanien (Hauptort Napoli). 154.200 Menschen sind hier von den karitativen Essensausgaben abhängig. Gerade Familienmütter und -väter sind aufgrund der Schließung der Schulkantinen auf diese Angebote angewiesen, um der Familie eine warme Mahlzeit pro Tag garantieren zu können. Auch die Caritas berichtet, dass in den letzten Monaten eine 114%-ige Erhöhung der Besucher*innen von Gassenküchen gezählt wurde. Laut den karitativen Organisationen liegt das Durchschnittsalter der armutsbetroffenen Menschen zwischen 45 und 50 Jahren, in vier von fünf Fällen handelt es sich um Italiener*innen.
    Während Italien schrittweise gesellschaftliches Leben und Produktion, Handel und Dienstleistungen wiedereröffnet (ab morgen 3. Juni ist es wieder gestattet, Regionen übergreifend zu reisen), werden die Diskussionen rund um die staatliche Intervention in die kriselnde Ökonomie härter. Vor einigen Tagen kritisierte der Präsident des Industrie-Unternehmensverbandes Confindustria Carlo Bonomi die Regierung, die finanziellen Massnahmen gegen die Krise seien unzureichend, forderte gezieltere Finanzierungen und neue industrielle Beziehungen (weniger nationale Tarifverträge, mehr Bedeutung für die betriebliche Verhandlungsebene). Tatsächlich wird von allen Seiten – auch von den großen Gewerkschaften – die „soziale Bombe“ gefürchtet: Ende August läuft die ordentliche Frist der Kurzarbeit ab, jeden Monat kommen 300.000 befristete Verträge ans Ende und viele Sektoren sind bei weitem noch nicht auf das Vorkrisenniveau zurückgekehrt. So verzeichnete die industrielle Produktion im Mai immer noch einen Rückgang von 33.8% gegenüber dem Vorjahr und für den Tourismussektor, der zwischen 15-20% des BIP ausmacht, müssen noch genauere Regeln für die Wiedereröffnung definiert werden. Es sind rund 7 Millionen Arbeiter*innen, die zurzeit Anrecht auf sozialstaatliche Unterstützungsleistungen haben, teilweise jedoch seit Beginn des Lockdowns am 9. März ohne Einkommen leben.Die Gewerkschaften verlangen zwischenzeitlich die Erweiterung der Kruzarbeit und des Kündigungsverbotes bis auf Ende Jahr 2020; die Unternehmen hingegen fordern mehr Liquiditätshilfe und die Ausweitung der Kurzarbeit um 24 Monate. Das Arbeitsministerium hat angekündigt, zweigleisig zu fahren: In den als strategisch definierten Unternehmen soll die Kurzarbeit ausgeweitet und für die produktive Umstrukturierung und die Reorganisierung der Arbeit verwendet werden; für die Unternehmen hingegen, deren Krise tiefer liegt, sind workfare Massnahmen geplant mit dem Ziel, die „Beschäftigungsfähigkeit“ der Arbeiter*innen zu erhöhen. Ob all diese Massnahmen reichen werden, um die vom Coronavirus beschleunigte ökonomische Krise auch nur vorübergehen zu lösen, bleibt jedoch äußerst ungewiss“. Überblickbeitrag von Maurizio C. vom 03. Juni 2020 – wir danken!
  • Wir danken Maurizio C. und empfehlen seinen Twitter-Account externer Link sowie seine Telegram News zu Italien auf Deutsch externer Link
  • Siehe auch:
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=173550
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