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[Internationale Podiumsdebatte über moderne Ausbeutung und gewerkschaftliche Kämpfe] »Amazon sollte zerschlagen werden«

Streik bei Amazon am Prime Day (15. Juli 2019)„… Es geht um den »Krisengewinnler Amazon«. Wie kaum ein anderes Unternehmen hat der Onlineriese von der Coronapandemie profitiert. Während der stationäre Handel in Fachgeschäften und Kaufhäusern zwischenzeitlich praktisch zum Erliegen gekommen ist, wuchsen die Umsätze von Amazon ins schier Unermessliche. Firmeninhaber Jeff Bezos verfügt inzwischen über ein geschätztes Privatvermögen von rund 183 Milliarden US-Dollar. Aber wer zahlt am Ende die Zeche? Die Arbeitsbedingungen in den euphemistisch als Fulfillment-Centern (»Wunscherfüllungszentralen«) bezeichneten gigantischen Lager- und Verteileinrichtungen sind für die Beschäftigten eine reine Zumutung. Arbeitshetze, schlechte und untertarifliche Bezahlung sowie permanente Kontrolle durch intransparente Algorithmen gehören zur gängigen Praxis. Hinzu kommen harte körperliche Belastungen. Die Mitarbeiter werden auf reine Funktionalität reduziert und damit gleichsam zur bloßen Verlängerung der Maschinen – Zustände also, wie wir sie aus dem Manchesterkapitalismus des 19. Jahrhunderts kennen. Dies zwingt Linke aller Couleur weitergehende Fragen auf – auch die nach einer künftigen menschengerechten Gesellschaftsordnung. Es soll heute Abend um das Ausbeutungsmodell von Amazon, um Monopolbildung und um Ansätze erfolgreichen Widerstands gehen, aber auch um eine mögliche Vergesellschaftung solcher Konzerne in einer anderen Gesellschaftsordnung als der kapitalistischen…“ Auszüge in der jungen Welt vom 11.1.2021 aus der Podiumsdiskussion externer Link auf der XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz – siehe Zitate hieraus:

„… Unsere Diskussionsteilnehmer: Zunächst Timothy Bray aus Kalifornien. Der Softwareentwickler war Vizepräsident bei Amazon Web Services EWS, hat sich jedoch von dem Konzern abgewandt und praktisch die Seiten gewechselt. Aus Madrid spricht zu uns Fátima Aguado Queipo, Sekretärin der Gewerkschaft Federación de Servicios de Comisiones Obreras, CCOO. Begrüßen darf ich auch Massimo Mensi, Sekretär für internationale Beziehungen in der Gewerkschaft CGIL in Rom. Last but not least, mein Studiogast in der jW-Ladengalerie, Orhan Akman. Er ist Bundesfachgruppenleiter für den Einzel- und Versandhandel beim Verdi-Bundesvorstand. Zudem ist er zentraler Koordinator der Arbeitskämpfe bei Amazon in der BRD.
(…) [Timothy Bray:] Ich habe für Amazon Web Services gearbeitet, den Cloud-Computing-Bereich des Unternehmens. Als ich das Unternehmen verließ, hatte ich die Funktion eines Vice Presidents. Anfang 2020, als Covid-19 sich ausbreitete, kam es schnell zu Diskussionen zwischen den Arbeitern und dem Unternehmen darüber, ob es am Arbeitsplatz sicher sei. Amazon behauptete, sie geben Hunderte von Millionen Dollar für die Sicherheit aus, aber die Arbeiter sagten: »Wir kennen nicht einmal die Distanz, die wir einhalten müssen.« Einige der Büroarbeiter haben dann Unterstützung für die Lagerarbeiter organisiert, und plötzlich begann Amazon, die Arbeiter und ihre Unterstützer zu entlassen. Auch mir war es nicht mehr möglich, Amazon von innen heraus zu kritisieren: Am 1. Mai habe ich den Konzern verlassen. (…) Amazon ist ja nicht das Problem, sondern nur ein Symptom des Problems, das darin besteht, dass im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts die Ungleichheit an Wohlstand und Macht zwischen den Besitzenden und den Arbeitern inakzeptabel ist. Einzigartig bei Amazon ist nur, wie dort versucht wird, die Debatte zu kontrollieren, indem sie kritische Leute entlassen. Das ist nicht akzeptabel, und das war auch der Faktor, der mich veranlasste, das Unternehmen zu verlassen. [Huth:] Du hast seither internationale Kontakte geknüpft: Gestaltet sich die Praxis in den USA anders als in den Verteilzentren in der restlichen Welt? [Bray:] Ja, die Dinge liegen anders in den USA, insbesondere im Unterschied zu Europa. Als Beispiel mag Frankreich dienen. Zu Beginn der Pandemie haben die Gewerkschaften Amazon dort vor Gericht gezerrt und gesagt, die Bedingungen sind nicht in Ordnung. Amazon hat diesen Prozess verloren. In Europa ist die Position der Gewerkschaften insgesamt wesentlich stärker als in den USA, wo sie im weltweiten Vergleich wahrscheinlich sogar am schwächsten ist. Es gab eine gezielte Politik gegen die Gewerkschaften seit den 70er Jahren, eine gezielte Schwächung der Arbeiterklasse. Vielleicht ändert sich das in der Zukunft, aber derzeit ist die Position schrecklich. Man hat die Effizienz so sehr intensiviert, dass es keinen Moment der Ruhe gibt: Man darf nie innehalten. In einigen Lagern wurden Roboter eingeführt, die den Arbeitern die Waren bringen. In diesen Lagern gib es dann auffälligerweise mehr Verletzungen. Und jede Sekunde, die man steht, muss man etwas tun. Der menschliche Körper ist nicht dafür gemacht, unter solchen Bedingungen zu arbeiten. Die Menschen brauchen Pausen. (…) [Fátima A. Queipo:] Zunächst einmal haben wir in Spanien ein Gesetz, das die Arbeiter doch relativ gut unterstützt, und es gibt noch eine gewisse Stärke der Gewerkschaft. Nach dem Gesetz hat man das Recht, über die Arbeitsbedingungen zu sprechen und die Forderungen der Gewerkschaft vorzutragen. Das Schwierigste ist, Kandidaten für eine gewerkschaftliche Vertretung zu finden. Amazon agiert hier wie ein Chamäleon und versucht, seine eigenen Kandidaten einzuschleusen. Im Moment ist es so, dass wir nur in neun von insgesamt dreißig Arbeitszentren eine gewerkschaftliche Organisierung haben. Und wir haben dieselben Probleme mit Amazon, über die Timothy gerade berichtete. Die haben hauptsächlich mit psychosozialen Problemen infolge der starken Arbeitsauslastung zu tun. (…) Die Praxis von Amazon zwingt zu dem Schluss, dass wir es mit einer Art Monstrum zu tun haben. Als Gewerkschaft haben wir es in diesem Konzern sehr schwer. Welchen Rat kann man geben? Das Beste ist, wenn man sich zusammenschließt. Das heißt, wenn wir ein Netz schaffen, mit dem wir Gewerkschafter uns gegenseitig warnen, etwa wenn man erfährt, dass Amazon versucht, die Gewerkschaftswahlen zu beeinflussen. [Huth:] Danke, Fátima. Schalten wir nach Rom zu Massimo Mensi. Im Frühjahr 2020 war Italien einer der globalen Hotspots der Coronapandemie. Dabei sind auch die Logistikzentren von Amazon in die Schlagzeilen gerückt. Massimo, kannst du uns sagen, wie die Arbeit eurer Gewerkschaft sich unter diesen Bedingungen gestaltet hat und was ihr erreichen konntet? [Massimo Mensi:] Während der ersten Phase der Pandemie im April wurde ein Abkommen geschlossen, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus umgesetzt werden. Amazon hat damals versucht, seine Verpflichtungen zu umgehen und versucht, in die Verhandlungen einzugreifen. In Piacenza, dem ersten Lager, das wir gewerkschaftlich organisiert hatten, haben die Arbeiter einen elftägigen Streik ausgerufen, damit die Maßnahmen vollständig umgesetzt werden. Aber wie meine Kollegin Fátima schon gesagt hat, ist das schwierig, denn Amazon lässt keine Gelegenheit aus, uns zu spalten. In Italien haben wir wesentlich mehr rechtliche Möglichkeiten, uns zu wehren, als in den USA, aber es ist aufgrund der Fluktuation nicht einfach, die Arbeiter zusammenzubringen. Die Beschäftigten bleiben im Durchschnitt vielleicht 18 bis 24 Monate in einem Lager. (…) Dort, wo Amazon sich ansiedelt, ist die Arbeitslosigkeit sehr hoch. Da ist es für den Konzern einfacher, sich in der Region als Wohltäter auszugeben. Das stimmt aber nicht. Die Arbeiter mancher Verteilzentren müssen teils im Auto in der Nähe des Gewerbegebietes schlafen, der Konzern stellt nicht einmal Unterkünfte zur Verfügung. Zudem werden sie im Namen der Effizienz kontinuierlich überwacht und es gibt Berichte über harte Bestrafungen. (…) [Orhan Akman:] Als die Pandemie begann, führte Amazon in den deutschen Firmenzentren für Beschäftigte, die normal zur Arbeit kamen, eine Anwesenheitsprämie von zwei Euro pro Stunde ein. Die galt für die ersten drei Monate, dann wurde sie abgeschafft. Das sollte womöglich einen Anreiz schaffen, sich trotz Symptomen zur Arbeit zu schleppen, und zeigt einmal mehr, dass die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen der Aussicht auf Profit untergeordnet wird. Reglementiert werden die Zahl der Kunden pro Verkaufsfläche im stationären Einzelhandel und der private Kontakt zwischen verschiedenen Haushalten. Aber bei Amazon ist es kein Problem, wenn Personen aus 250, ja 500 verschiedenen Haushalten in einer Schicht zusammenarbeiten. Das ist zynisch. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen und die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen aufs Spiel gesetzt. (…) [Bray:] Eines der Probleme besteht darin, dass Amazon ein Monopolist ist, es ist eine Kombination von Einzelhändler, Cloudcomputingunternehmen und TV-Produktionsunternehmen. Das Cloudcomputing ist unglaublich profitabel. Hier werden achtzig Prozent des Profits generiert, mit dem dann der lokale Einzelhandel angegriffen wird. Herr Akman hat zwar Recht, die stationären Einzelhändler sind nicht ganz so klug, wie sie sein sollten, aber zur Wahrheit gehört auch, dass der Wettbewerb unfair verläuft. Die wichtigste Frage einer progressiven Bewegung wäre der Kampf gegen das Monopol. Und Amazon ist nicht der einzige Monopolist. Amazon sollte zerschlagen werden, aber das gleiche gilt für Google, Microsoft, Facebook und Apple. Die Eigentümerstruktur im Kapitalismus ist viel zu stark konzentriert. Mich interessiert dabei nicht, ob der Eigentümer Jeff Bezos heißt, es geht darum, dass es einer völlig anderen Unternehmensstruktur bedarf…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=184966
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