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Power to the Bauer. Die Protestbewegung der indischen Bauern und Solidarität in Deutschland
„Große und entschlossene Bauernproteste in Indien sorgen international für Schlagzeilen. Um den Anliegen der Protestierenden größere Öffentlichkeit zu verschaffen, finden auch in Deutschland Solidaritätsaktionen statt. Michael Fütterer (tie) sprach darüber mit den Frankfurterinnen Robin Randhawa und Sonia Singh. (…) Bemerkenswert ist, dass Menschen ganz unterschiedlicher Communities zusammenkommen. Gruppen, die sonst von der Regierung gespalten werden, kommen zusammen und handeln gemeinsam. Manche Leute bezeichnen die Proteste deshalb auch als Shaheen Bagh 2.0 (zentraler Ort der Massenproteste gegen den CAA, Anm. MF). Wenn wir mit FreundInnen vor Ort sprechen, haben wir den Eindruck, es gleicht einem Protestfestival. Die Protestierenden organisieren solidarisch ihren Alltag. Das gemeinsame Essen spielt eine zentrale Rolle, auch weil es in der religiösen Praxis der Sikhs bedeutsam ist. Die FarmerInnen haben Vorräte für sechs Monate mitgebracht und teilen das Essen mit allen Anwesenden, sei es mit der Bevölkerung vor Ort oder mit der Polizei, um ihnen zu zeigen, dass sie gegen die Regierung und ihre Agrargesetze protestieren und nicht gegen die PolizistInnen. Die Protestierenden geben auch eine gemeinsame Zeitung heraus, es werden Pressekonferenzen organisiert und auf Bühnen Diskussionsveranstaltungen abgehalten. Da an dem Protest auch Kinder teilnehmen, wird auch Schulunterricht organisiert. Die Protestierenden organisieren auch kollektive Formen von Sicherheit, um die Protestcamps zu einem sicheren Ort für Frauen zu machen, aber auch um Agent Provocateurs der Regierung abzuwehren…“ Interview von Michael Fütterer, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit – 01/2021:
Power to the Bauer
Die Protestbewegung der indischen Bauern und Solidarität in Deutschland
Große und entschlossene Bauernproteste in Indien sorgen international für Schlagzeilen. Um den Anliegen der Protestierenden größere Öffentlichkeit zu verschaffen, finden auch in Deutschland Solidaritätsaktionen statt. Michael Fütterer (tie) sprach darüber mit den Frankfurterinnen Robin Randhawa und Sonia Singh.
Seit mehreren Monaten protestieren FarmerInnen gegen die neue Agrargesetzgebung in Indien. Worum geht es bei den Protesten?
Der Protest der FarmerInnen richtet sich gegen die neue Agrargesetzgebung. Die extrem rechte BJP-Regierung hat im September 2020 im Eilverfahren drei Reformen durchgesetzt, die die Lage der FarmerInnen verschlechtern. Vor der Verabschiedung dieser Gesetze wurden zahlreiche OppositionspolitikerInnen aus dem Parlament für zwei Wochen suspendiert.
Unter anderem wurden die Mindestabnahmepreise für Grundnahrungsmittel abgeschafft. Dadurch wird es für große Agrarunternehmen leichter, kleine und mittelgroße Bauern zu verdrängen. Dazu muss man wissen, dass die Landwirtschaft noch immer eine sehr große Rolle für Indien spielt. Die Landwirtschaft trägt rund 15 Prozent zur indischen Wirtschaftsleistung bei und ist Lebensgrundlage für rund 60 Prozent der 1,3 Milliarden EinwohnerInnen des Landes. So kommt es z.B. vor, dass HochschulabsolventInnen nach ihrem Studium in Ermangelung eines guten Jobs kleine Felder in ihrer Heimat bewirtschaften, um sich irgendwie durchzuschlagen.
Die Regierung versucht die Reformen unter dem Deckmantel der Coronapandemie durchzusetzen. Doch besonders in den nördlichen Bundesstaaten Punjab, Haryana, Rajasthan und Uttar Pradesh regt sich seit September Widerstand der betroffenen FarmerInnen. Teilweise gibt es dort bereits ähnliche Agrargesetze und die Leute sehen, dass diese zu einer weiteren Verarmung der KleinbäuerInnen geführt haben.
Dabei muss man verstehen, dass die Proteste vor dem Hintergrund einer tiefgreifenden Krise des Agrarsektors stattfinden. Weil die Abnahmepreise für die landwirtschaftlichen Güter seit Jahren zu niedrig sind, um ein Überleben der FarmerInnen zu sichern, wächst deren Verschuldung. Zehntausende Suizide von FarmerInnen waren die Folge in den letzten Jahren.
Wie reagiert die Regierung bislang auf die Proteste?
Die Bauernverbände haben am 26. November 2020 mit »Delhi Chalo« aufgerufen, nach Delhi zu ziehen, um friedlich gegen die Gesetze zu protestieren. Auf dem Weg nach Delhi wurden Polizeitruppen an den Grenzen zwischen den Bundesstaaten zusammengezogen, um den Weg für die Protestierenden zu versperren.
Dabei hat die Polizei teilweise auch Autobahnen zerstört, um das Weiterkommen zu verhindern, und sie hat aus liegengebliebenen LKWs Barrikaden gebaut. Als sich die Bauern davon nicht aufhalten ließen, setzte die Polizei Schlagstöcke, Wasserwerfer und Tränengas ein. Auch das hat die Bauern nicht abgeschreckt und sie sind an der Grenze von Delhi angekommen, wo sie seit Mitte Dezember friedlich protestieren.
Sie sind mit über 90.000 Traktoren nach Delhi gekommen und haben alle wichtigen Zufahrtswege blockiert. Offizielle Zahlen gibt es keine, aber es halten sich sicherlich mehrere 100.000 Protestierende an den Stadtgrenzen Delhis auf.
Mittlerweile hat die Regierung auf den Protest reagiert und Gespräche angeboten. Die Protestierenden bleiben aber bei ihrer Forderung, dass die Gesetze komplett zurückgenommen werden müssen. Dazu gibt es für sie keine Alternative. Die Regierung ändert ihre Haltung bislang nicht. Stattdessen hat sie dazu aufgerufen, dass besonders Frauen und ältere Protestierende nach Hause gehen sollen und nur noch das Verhandlungskommitee bleiben soll. Zuletzt hat die Regierung sogar versucht, eigene Bauernverbände zu gründen, die die Agrarreform unterstützen, um den Protestierenden ihre Legitimität abzusprechen.
Die rechte BJP-Regierung hat in den vergangenen Jahren rigoros versucht, die eigenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ziele umzusetzen. Wie stehen die Reformen der Agrargesetze dazu in Verbindung?
Der jetzige Innenminister Amit Shah hat sinngemäß gesagt: Ihr müsst die Chronologie unserer Politik ansehen, dann wisst ihr, was wir wollen. Das haben wir bei der Aufhebung des Sonderstatus von Jammu und Kaschmir gesehen – einer Kernforderung der extremen Rechten in Indien –, jüngst bei den Deregulierungen im Arbeitsrecht und auch bei dem Versuch der Regierung, mit dem Citizenship Amendment Act (CAA) die Rechte von muslimischen InderInnen zu beschneiden. Die Politik der Regierung folgt dabei einem klaren Muster: Einzelne Gruppen werden angegriffen – seien es Muslime, ArbeiterInnen, Frauen, Dalits – und es wird versucht, deren Rechte abzubauen. Nun trifft es die FarmerInnen im Norden, die mehrheitlich der Gemeinschaft der Sikh angehören. Hier verbindet sich die hindunationalistische, ja, faschistische Agenda der Regierung mit dem neoliberalen Umbau des Landes.
Wie sieht der Protest aus?
Bemerkenswert ist, dass Menschen ganz unterschiedlicher Communities zusammenkommen. Gruppen, die sonst von der Regierung gespalten werden, kommen zusammen und handeln gemeinsam. Manche Leute bezeichnen die Proteste deshalb auch als Shaheen Bagh 2.0 (zentraler Ort der Massenproteste gegen den CAA, Anm. MF). Wenn wir mit FreundInnen vor Ort sprechen, haben wir den Eindruck, es gleicht einem Protestfestival.
Die Protestierenden organisieren solidarisch ihren Alltag. Das gemeinsame Essen spielt eine zentrale Rolle, auch weil es in der religiösen Praxis der Sikhs bedeutsam ist. Die FarmerInnen haben Vorräte für sechs Monate mitgebracht und teilen das Essen mit allen Anwesenden, sei es mit der Bevölkerung vor Ort oder mit der Polizei, um ihnen zu zeigen, dass sie gegen die Regierung und ihre Agrargesetze protestieren und nicht gegen die PolizistInnen.
Die Protestierenden geben auch eine gemeinsame Zeitung heraus, es werden Pressekonferenzen organisiert und auf Bühnen Diskussionsveranstaltungen abgehalten. Da an dem Protest auch Kinder teilnehmen, wird auch Schulunterricht organisiert. Die Protestierenden organisieren auch kollektive Formen von Sicherheit, um die Protestcamps zu einem sicheren Ort für Frauen zu machen, aber auch um Agent Provocateurs der Regierung abzuwehren.
Wie auch bei den Protesten gegen CAA werden in Deutschland Solidaritätsproteste organisiert. Warum organisiert ihr die Proteste hier?
Als Angehörige der indischen Community in Deutschland waren wir bislang nicht in Auseinandersetzungen in Indien eingebunden. Für viele von uns ist es das erste Mal, dass wir uns politisch organisieren. Wir haben uns aber schnell gefunden. Ich glaube, dass liegt daran, dass für uns hier auch ein enger Bezug zur Landwirtschaft da ist. Man hat Familie in Indien, die noch etwas Land bewirtschaftet, oder kennt jemanden, auf den das zutrifft. Für viele hier ist es auch immer noch ein Traum, nach dem Arbeitsleben nach Indien zurückzukehren und auf einer Parzelle Land etwas anzubauen und so den Lebensabend zu verbringen.
Mittlerweile gibt es Gruppen in Frankfurt, Stuttgart, Köln, Berlin und Wien. Am 12. November haben wir erstmals einen öffentlichen Protest organsiert, in Frankfurt beispielsweise vor dem Konsulat. Das waren dann jeweils so 50 bis 100 Personen, zumeist aus der indischen Community. Es gab Kundgebungen, Autokorsos, klassische Demonstrationen. Die Corona-Situation macht natürlich alles schwieriger.
Dabei ist es allerdings keineswegs so, dass die indische Community in Deutschland geschlossen hinter den Protestierenden steht. Es gibt teilweise schreckliche Bilder und Botschaften, die über Whatsapp-Gruppen verbreitet werden. Der Premierminister Narendra Modi wird als Gott dargestellt, Muslime und Sikhs als Erzfeinde und ähnliches. Bei manchen hier geht deswegen auch die Angst um, dass sie Ärger bei der Einreise nach Indien bekommen könnten, wenn sie sich zu sehr bei den Protesten exponieren.
Was erhofft ihr euch von den Solidaritätsprotesten hier?
Wir wollen Öffentlichkeit für den Protest erzeugen. Das hilft uns insofern, weil die indische
Regierung an guten wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland und Europa interessiert ist. Wenn wir da etwas Aufmerksamkeit erzeugen können, dann stärkt das den Protest vor Ort.
Es gibt aber ein weiteres wichtiges Ziel: wir wollen den Menschen in Indien zeigen, dass wir hinter ihnen stehen. Die Regierung behandelt sie wie Aussätzige. Wir wollen zeigen, dass wir ihren Kampf unterstützen, der stellvertretend steht für die Auseinandersetzungen von vielen Menschen gegen die Politik der Regierung.
Interview von Michael Fütterer, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit – 01/2021
- Siehe zuletzt im LabourNet Germany: SIE SIND DA! Am Tag der Traktoren-Republik Indien (26.1.): Die Hauptstadt ist von Bauern besetzt („Delhi Chalo“)