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Deutscher Wirtschaftsbesuch in Indien: Gute Geschäfte im Land des „demokratischen“ Fundamentalismus

Matheprofessorin und Gewerkschaftsvorsitzende der Uni Delhi: Soll gesäubert werden für Hindutva FaschismusDa haben sie sich denn getroffen, die Frau Merkel und der Herr Modi, bundesdeutsche Christkonservative und indische Hindukonservativ-Radikale, je an der Regierung – begleitet von einer mittleren Armee an Unternehmen aller Art. Indien ist ja demokratisch – weil man zwischen der einen oder anderen Partei wählen kann, also entfiel zuerst in den Medien, aber auch in weiten politischen Kreisen die übliche (durch heimische Praxis keinesfalls untermauerte) Aufforderung, die Kanzlerin möge sich für Menschenrechte usw einsetzen. Demokratisch? Es gibt in Indien – beispielsweise und das schon lange – ein Ausnahmegesetz für die Armee: Hausdurchsuchungen und Festnahmen ganz ohne Justiz sind darin ebenso erlaubt, wie die Immunität bei Tötungen garantiert wird. Gilt keineswegs nur in Kashmir, sondern in mehreren, meist nördlichen Bundesstaaten, seit rund 15 Jahren. Also kein Produkt des einen Jahres Modi Regierung. Aber: Dass ein Mob einen Mann (muslimischer Tagelöhner) lyncht, weil er Rindfleisch gegessen haben soll – das ist ein Produkt der hindufundamentalistischen Welle, die Modi im Bündnis mit der faschistoiden RSS verstärkt hat, um gewählt zu werden – obwohl noch Prozesse gegen ihn anstehen, wegen seiner Rolle bei den Massentötungen in Gujarat, als er Premier dieses Bundesstaates war. Unsere nachbetrachtende Materialsammlung „Gute Geschäfte mit indischen Fundamentalisten“ vom 19. Oktober 2015 verweist auf noch eine Reihe Sachlagen, die keineswegs die Bezeichnung demokratisches Land rechtfertigen.

„Gute Geschäfte mit indischen Fundamentalisten“

Die schleppenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und Deutschland sollen durch ein Schnellverfahren für deutsche Unternehmen neuen Antrieb bekommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel vereinbarte mit Premierminister Narendra Modi in Neu Delhi die Einrichtung einer neuen Behörde. Am Rande der deutsch- indischen Regierungskonsultationen klagte die hochrangige Wirtschaftsdelegation über Willkür, fehlende Rechtssicherheit für Investoren und Unberechenbarkeit. Beide Seiten unterzeichneten dennoch 18 Abkommen, unter anderem im Bereich der erneuerbaren Energien sowie zum Abbau bürokratischer Hürden“ – aus dem Bericht „Merkel schiebt Firmen durch die Tür“ am 05. Oktober 2015 bei n-tv externer Link, worin auch noch auf kommende Verhandlungen verwiesen wird und dass „Die Regierungen vereinbarten auch, bei der Terrorbekämpfung und der beruflichen Ausbildung eng zusammenzuarbeiten„…

Wie in vielen anderen Berichten auch, wird bei n-tv zum indischen Regierungschef am Ende hinzugefügt: „Der Hindunationalist, der wegen seiner Politik gegenüber der muslimischen Minderheit in Indien umstritten ist, war im Mai 2014 mit dem Versprechen an die Macht gewählt worden, die Wirtschaft zu öffnen und ausländische Investoren ins Land zu holen“. Wobei es keineswegs nur um die muslimische Minderheit geht (immerhin deutlich mehr Menschen als in jedem arabischen Land etwa) und auch nicht nur um die christliche Minderheit, sondern um radikale antidemokratische Mobilisierung. Unter vielem anderem so: „India: IFTU Trade Union office set on fire few days after union leaders visited a former worker Aflaq Ahmed’s home in Dadri (who was killed by a lynch mob on the rumour of eating beef)“ Pressemitteilung des Gewerkschaftsbundes IFTU vom 07. Oktober 2015 externer Link (hier dokumentiert bei Communalism Watch) – das Gewerkschaftsbüro in Greater Noida wurde in Brand gesteckt, nachdem der örtliche Gewerkschaftssekretär zuvor der Familie des ermordeten Aflaq Ahmed einen Kondolenzbesuch abgestattet hatte, zusammen mit Kollegen die bei Denos arbeiten – demselben Unternehmen, in dem auch Aflaq Ahmed lange Zeit als Subunternehmen-Beschäftigter gearbeitet hatte, bevor in der hindufundamentalistische Mob wegen des Gerüchts, er habe Rindfleisch gegessen, ermordete. Zum Mord an Ahmed selbst ist der Komissionsbericht „Dadri Lynching: A Political Crime Borne Out Of Criminal Conspiracy And A Terrifying Lack Of Remorse“ am 05. Oktober 2015 bei Countercurrents externer Link eines selbstorganisierten Fact Finding Teams aus sechs TeilnehmerInnen: Bonojit Hussain (New Socialist Initiative), Deepti Sharma (Saheli), Kiran Shaheen (Schriftsteller and Aktivist), Naveen Chander (New Socialist Initiative), Sanjay Kumar (People’s Alliance for Democracy and Secularism und New Socialist Initiative) und Sanjeev Kumar (Delhi Solidarity Group) – lesenswert, der neben der Mobilisierung des Mobs am Mordtag 28. September auch darauf eingeht, dass anderthalb Wochen später vom feinen Herrn Modi noch kein Wort dazu gesagt worden war. Die offizielle Verlautbarung der Stadtverwaltung, es habe „noch nie“ Probleme zwischen den communities gegeben steht der Tatsache entgegen, dass in der kleinen Gasse, in der das Opfer lebte, alle AnwohnerInnen mitbekommen haben müssen, was da passierte…

Und dass sich diese landesweite Haßmobilisierung keineswegs auf (verbreitete) Moslemhatz beschränkt zeigt etwa der Beitrag „Two Young Dalit Children Burnt Alive In Haryana“ am 20. Oktober 2015 bei Countercurrents externer Link über den Feuertod zweier Dalitkinder bei einer Aktion von Oberkasten-AktivistInnen, die von Modis BJP als zentrale Klientel (und Massenbasis) gesehen werden.

Schon am 20. August 2015 wurde in dem Beitrag „Will Zakia Jafri’s fresh plea for justice take Gujarat riot investigations to Modi’s doorstep?“ von Darshan Desai externer Link (hier dokumentiert bei Scroll-In) über die Aktion der Witwe des ermordeten Abgeordneten Ehsan Jafri berichtet, die den Prozeß um dessen Tod führen will – was auch den Herrn Modi höchstpersönlich betreffen könnte.

Hindutva: Eine allgemeine politische Offensive der Reaktion

In dem Artikel „FTII Strike 100th Day: A Battleground To Preserve The Secular Polity Of India“ von Binu Mathew am 19. September 2015 ebenfalls bei Countercurrents externer Link wird über den Proteste der Studierenden der indischen Film- und Fernsehakademie in Puna berichtet, der sich gegen die Neubesetzung von vier der acht Sitze im Kontrollgremium des Instituts richtet: Alle vier neuen von Modis BJP Partei – und wer die Wichtigkeit von Film und Fernsehen in Indien kennt weiß, dass dies nicht nur ein beliebiges Beispiel von Übernahmeversuchen ist (das auch, insofern es bei weitem nicht der einzige solche Vorgang ist) sondern eine ganz zentrale kulturpolitische Maßnahme. „The Fiction of Fact Finding: Harassment of Delhi University Teachers Union President“ von Sunalini Kumar am 18. Oktober 2015 bei kafila.org externer Link berichtet von der kurzfristig vom Vizekanzler der Universität Delhi angesetzten Anhörung von Nandita Narain (und mobilisiert zum Protest dagegen). Die Professorin für Mathematik ist auch Vorsitzende der Delhi University Teachers Association – und hatte vor wenigen Wochen die Vertretungswahlen gegen die regierungsnahe National Democratic Teachers’ Front deutlich gewonnen. Jetzt soll sie „angehört“ werden – weil sie die Arbeit dreier anderer Professoren „gestört“ habe…

„Statement urging Indian government to stop interference in Nepal“ ist ein Aufruf zahlreicher bekannter indischer Intellektueller und Aktivisten am 05. Oktober 2015 externer Link (hier dokumentiert bei sanhati) gegen die Einmischung Indiens in die Verfassungsdebatten des benachbarten Nepals, die in diesem Sommer, 7 Jahre nach dem Sturz der nepalesischen Monarchie zu Ende kam – die inidsche Regierung (und erst recht die Regierungspartei BJP) versuchte auf verschiedenste Weise, darauf Einfluss zu nehmen, wobei die Aktivitäten der BJP darauf abzielten „Hinduismus“ in die verfassung einzubauen – neben Aufrüstung und diversen Abkommen ein weiterer Hinweis darauf, dass die Modi-Offensive alle Bereiche von Politik und Gesellschaft betrifft.

Das Haus des Mordopfers in Dadri am 28.9.2015 - muslimischer TagelöhnerDer ausführliche Beitrag „Neoliberalism, Hindutva Supremacism and Challenges before Revolutionary Movement“ von Subhash Gatade dokumentiert am 17. Oktober 2015 bei kafila.org ist ein Vortrag auf der Jahrestagung des Human Rights Forum Indiens externer Link – und ausgesprochen lesenswert. Zum einen, weil er die „zwei Beine der BJP-RSS Offensive“ analysiert, die Kombination von Neoliberalismus und Hindufundamentalismus – und deren Fortschritt – und andrerseits auch darauf verweist, dass die gesellschaftlichen Antworten der progressiven Kräfte und der Linken bisher bei weitem nicht ausreichen, um diese Offensive zu stoppen. Ein Teil seiner Analyse gilt dabei vor allem der Massenbewegung RSS (in ihrer Vorgeschichte durchaaus auch geprägt von Hitler- und Mussolinifans und aufgebaut auf militant-aggressiven Texten des Hinduismus) die auf ihre sozialen Forderungen weitgehend verzichtet habe im Tausch gegen das Versprechen der Regierung, die kulturelle Agenda des Verbandes umzusetzen – was nichts anderes bedeutet als die Hinduisierung Indiens entgegen seiner säkularen Verfassung. Einer Verfassung im übrigen, die der RSS bereits 1950 rundweg ablehnte, damals als kleine Minderheit.

In dem Beitrag „Modi Communalises Bihar Elections“ von Vanand Apoor am 10. Oktober 2015 bei kafila.org externer Link wird über die gegenwärtig stattfindenden Wahlen im Bundesstaat Bihar (die sich über mehrere Wochen hinziehen) wird vor allem darauf verwiesen, dass Modi selbst (nachdem er Wochen nach dem Mord an Ahmed diesen „untragbar“ genannt hatte) die „Rindfleischfrage“ (also Hinduhetze) in den Wahlkampf – der für seine Partei nicht gut läuft – trage.

In Kombination mit dem weltweit diskredidierten neoliberalen Programm

Entwicklung nennt Modi sein Programm der Privatisierung und des Abbaus gewerkschaftlicher Rechte. Wobei er dabei durchaus vorsichtig sein muss, den auch die BJP hat, wie alle (zumindest großen) politischen Parteien Indiens eine eigene Gewerkschaft. Einen knappen Überblick über diese Auseinandersetzungen bietet der Beitrag „Quand l’Inde se met en grève – La réforme du code du travail“ von Aude Martenot am 16. September 2015 bei Europe Solidaire externer Link dokumentiert an – rund um den großen Generalstreik gegen die Arbeitsgesetzgebung, der durchaus dazu beigetragen hat, dass sich anläßlich des Besuchs von Frau Merkel deutsche Unternehmer über die Langsamkeit des Prozesses beschwerten.

„Unemployment and attempted suicide: stories from a massive rally against Maharashtra’s beef ban“ ist ein Bericht bereits am 25. März 2015 beim (einzigen) unabhängigen Gewerkschaftsbund NTUI externer Link über den Beschluss der Landesregierung von Maharashtra (Hauptstadt Mumbai/Bombay) das Schlachten von Rindern zu untersagen (und den Protest dagegen). Wobei gerade diese Landesregierung ein Musterbeispiel für die Verbindung der beiden Fundamentalismen, des kapitalistischen und des hinduistischen ist.

„Is Road Transport and Safety Bill, 2015 really about safety?“ am 17. September 2015 bei Thozhilalar Koodam externer Link (ein Blog aus dem Bundesstaat Tamil Nadu) ist ein Interview mit Chandran, dem Sekretär der Transportarbeitergewerkschaft MTC (im Gewerkschaftsbund CITU) von Chennai (früher Madras) über das neue „Verkehrssicherheitsgesetz“ der Regierung Modi. Der Gewerkschafter vertritt darin die Position, dass auch dieses Modi-Gesetz (wie es viele etwa auch über die Reformgesetze und-kampagnen im Bildungswesen sagen) eine Mogelpackung sei: Es gehe in Wirklichkeit um ‚Privatisierung – wenn etwa vorgeschrieben werde, die städtischen Busunternehmen müssten 60% ihrer Fahrzeuge erneuern, dies könne nur mit privatem Kapital passieren.

„Zwischen Boom und Elend“ von Jörg Kronauer am 14. April 2015 in der jungen welt externer Link (hier dokumentiert beim Friedensratschlag) – worin aus dem damaligen Anlaß von Modis Besuch in der BRD das Verhältnis so skizziert wird: „Dort, wo Indiens Stärken liegen, lassen sich in der Tat lukrative Geschäfte machen. Für den deutschen Softwareentwickler SAP zum Beispiel ist das Land, in dem die Löhne geringer sind als in China, inzwischen der zweitgrößte Standort überhaupt. SAP stellt in Indien nicht nur Software her, der Konzern findet dort auch immer mehr Käufer für seine Produkte. Allerdings haben die Verkehrsinfrastruktur des Landes und seine Stromversorgung einen ebenso miserablen Ruf wie seine Bürokratie, und die grassierende Armut frisst – aus der Perspektive kalt kalkulierender Unternehmer betrachtet – fast zwei Drittel der potentiellen 1,2 Milliarden Kunden weg: 730 Millionen Menschen, rund 60 Prozent der Bevölkerung, müssen mit weniger als zwei US-Dollar am Tag auskommen, 300 Millionen haben sogar weniger als 1,25 US-Dollar am Tag zur Verfügung; als Käufer deutscher Waren fallen sie damit weitgehend aus“ – und außerdem noch auf verschiedene Waffendeals verwiesen wird…

Zusammengestellt von Helmut Weiss
23. Oktober 2015

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=88126
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