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Wenn Teile der indischen Bevölkerung ihre Lage in dem Epidemie-Ausnahmezustand etwas erleichtert haben – ist es bestimmt kein „Verdienst“ der Rechtsregierung

Speak Up! Sozialer Aufbruch und Widerstand in Indien„… Am Sonntag, den 23. März verkündete die indische Regierung in Delhi einen harten Lockdown für den kommenden Tag. Geschäfte und Fabriken wurden geschlossen, der öffentliche und private Verkehr untersagt. Dieser plötzliche einschneidende Schritt folgte auf ein wochenlanges Kleinreden der Pandemie und weitgehende Inaktivität bezüglich einer Prävention ihrer Ausbreitung. Am 13. März – zwei Tage nachdem die WHO den Covid-19-Ausbruch zur Pandemie erklärt hatte – behauptete das Gesundheitsministerium noch, dass Covid-19 keine Gefahr sei. Von heute auf morgen standen rund 1,4 Milliarden Menschen unter Ausgangssperre. Viele Gesundheitsexperten und Epidemiologen begrüßten den Schritt. Die Folgen dieses drakonischen Vorgehens für die indische ArbeiterInnenklasse waren jedoch gravierend. Von den rund 470 Millionen ArbeiterInnen (Zahlen von 2015) sind 47% Selbstständige, 36,5% informell beschäftigt und nur 17% in formalen Arbeitsverhältnissen. 92% der Arbeiterinnen und 82% der Arbeiter verdienen weniger als 10.000 Rs (120 Euro) pro Monat und damit nur gut die Hälfte dessen, was das indische Finanzministerium als existenzsichernden Lohn definiert (18.000 Rs pro Monat). Der ILO zufolge verdienen 41% der ArbeiterInnen sogar weniger als den Mindestlohn von Rs 176 (2 Euro) am Tag…“ mit diesen grundlegenden Fakten beginnt der Beitrag „Die Aktionen der indischen ArbeiterInnen während der Rezessions-Pandemie“ am 23. April 2020 bei Solidarisch gegen Corona externer Link worin davon berichtet wird, welche Reaktionen dieser überfallartig diktierte Ausnahmezustand vor diesem sozialen Hintergrund hervorgerufen hat… Siehe dazu auch vier weitere Beiträge über den Ausnahezustand in den Slums von Bombay, die dem Ausnahmezustand angepasste antimuslimische Politik der indischen Rechtsregierung und zu den Reaktionen der Migranten und Migrantinnen auf die Abschließung ihrer Arbeits- und Wohnstätten in den indischen Großstädten:

  • „Das Virus und das Elend“ von Natalie Mayroth am 27. April 2020 in der taz online externer Link über die Auswirkungen von Epidemie und Regierungspolitik in Bombayer Slums: „… Unzählige Menschen passieren täglich die Dhobi-Ghat-Brücke in Mumbai, die den Slum Dharavi mit dem Stadtteil Sion verbindet. Doch seit einigen Wochen ist es an der Brücke sehr ruhig geworden. Die Ausgangssperre aufgrund der Corona­krise hat das normale Leben radikal verändert. Der größte Slum Asiens ist abgeriegelt. „In Sion befinden sich das Krankenhaus und der große Supermarkt. Die Schließung verstärkt die Probleme der Menschen“, sagt der Imbissbesitzer Raphel Paul, ein kräftiger Mann mit Schnauzer. Schon bevor das Virus die Slums von Mumbai erreicht hatte, war er besorgt. „Die Leute leben hier auf engem Raum und haben kaum Zugang zu sauberem Wasser. Die meisten benutzen die öffentlichen Toiletten, weil sie keine eigene haben“, sagt Paul. (…) Zunächst trafen die Corona-Infektionen in Indien nur die Besserverdienenden, jene, die sich Reisen ins Ausland leisten können, oder TouristInnen. Bald folgten Personen in ihrer nächsten Umgebung: ein Taxifahrer, eine Haushaltshilfe, eine Imbissköchin. Nun hat das Virus seinen Weg in die Armenviertel gefunden. Für viele Bewohner ist allerdings die größte Sorge nicht die Krankheit, sondern genug zu essen auf dem Teller zu haben. Mit dem Lockdown haben viele ihr tägliches Einkommen verloren. (…) In Dharavi wird eigentlich gefärbt, genäht, gebacken, geschmälzt und recycelt. Die kleinen Betriebe gehören zum Motor der Stadt, die nun in Zwangspause geschickt wurden. Durch die informelle Wirtschaft kommt der Slum auf einen Jahresumsatz von knapp 1 Milliarde Euro. Doch die meisten Industrien liegen derzeit in Indien flach, nicht nur in Mumbai...“
  • „Arundhati Roy sieht Muslime als Ziele in Corona-Krise“ von Hans Spross am 22. April 2020 bei der Deutschen Welle externer Link zur Reaktion auf einen weiteren, nicht unerwarteten Bestandteil des Ausnahmezustandes der Rechtsregierung: „… In einem Interview mit der DW am vergangenen Freitag hat die bekannte indische Schriftstellerin Arundhati Roy scharfe Kritik an der Regierungspartei BJP geübt. Diese instrumentalisiere die durch die Corona-Epidemie ausgelöste nationale Gesundheitskrise zur verstärkten Unterdrückung der Muslime Indiens, so der Vorwurf. Roy ging noch weiter und zog einen Vergleich der aktuellen Lage in Indien mit Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus und behauptete: „Die Situation erhält allmählich Züge eines Völkermords.“ Zur aktuellen Lage in Indien sagte sie: „Covid-19 hat Dinge über Indien ans Tageslicht gezerrt, über die wir schon vorher Bescheid wussten. Wir leiden nicht nur unter Covid, sondern unter einer Krise des Hungers und des Hasses.“ Die Schriftstellerin sieht diese „Krise des Hasses“ im direkten Zusammenhang mit einem „Massaker in Delhi, welches das Resultat von Straßenprotesten gegen das geänderte Staatsbürgerschaftsgesetz (CAA) war. (…) So sagte der Soziologe Sanjay Srivastava vom Institute of Economic Growth in Neu Delhi: „Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass Indiens Muslime ausgesondert würden wie die Juden im Deutschland des Nationalsozialismus. Aber es trifft definitiv zu, dass die muslimische Bevölkerung in Indien derzeit diffamiert wird.“ Eine ähnliche Sichtweise vertritt Nilanjan Mukhopadhyay, Journalist und Modi-Biograf. Er hält den Vergleich zwischen der Lage der Juden im Nationalsozialismus und derjenigen der Muslime in Indien für „verfrüht“. Allerdings habe die Diskriminierung der Muslime in Indien eine lange Geschichte, die sich bis zur Gründung des Staates 1947 zurückverfolgen lasse…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=171312
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