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Warum der große Kampf der Bauern gegen die indische Rechtsregierung diese ins Wanken bringt – und die Frage nach der Kraft der Gewerkschaftsbewegung neu stellt

Nahezu drei Wochen lang dauern jetzt die Proteste der Kleinbauern Indiens an – und sie finden quer durchs ganze Land statt, auch wenn die mediale Aufmerksamkeit (sofern vorhanden) nahezu ausschließlich der Blockade von Delhi gilt – insofern zu Recht, als die Zehntausende, die da blockieren, dies trotz einer Orgie an Polizeigewalt tun, über die meist weitaus weniger berichtet wird. Was auch den Absichten der indischen Rechtsregierung entspricht: Ihr üblicher rechter Terror soll zurücktreten – hinter einer keineswegs freiwilligen Flut von Angeboten und Versprechungen an die Kämpfenden, die den Rechten keiner glauben mag. Wenn keineswegs nur wir bereits berichtet haben, dass dieser Kampf die indische rechte Regierung erstmals ins Wanken bringt, so bringt dies aber auch die Frage mit sich, warum dies vom Kampf der Bauern herrührt und etwa der Generalstreik vom 26. November 2020 keineswegs dieselben Reaktionen hervor rief, sondern das „Business as usual“ unangetastet ließ. Mit anderen Worten: Die aktuellen Entwicklungen stellen auch erneut die Frage in den Raum, wie es mit der Gewerkschaftsbewegung in Indien eigentlich aussieht, die so viele Menschen mobilisiert und keine Wirkung erzeugt. Jedenfalls keine vergleichbare. Siehe in der Materialsammlung zum Kampf der Kleinbauern und zur Situation der Gewerkschaftsbewegung in Indien einige aktuelle, teilweise kommentierte Beiträge – und den Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zur Blockade von Delhi:

„Hungerstreik gegen die Agrarreform“ von Chandrika Yogarajah am 15. Dezember 2020 in nd online externer Link zu den Gesetzen, auf die dieser Kampf die Reaktion ist: „… Die Agrarreform betrifft circa 16,6 Millionen registrierte Farmer*innen und 131 000 Händler*innen sowie deren Familien – alles in allem ein essenzieller Teil der indischen Gesellschaft und Wirtschaft. Etwa 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukt geht auf die Landwirtschaft zurück, die auf verschiedene Weisen Lebensgrundlage für mehr als die Hälfte der 1,3 Milliarden Inder*innen ist. (…) Die Gesetze wurden als Teil des Finanzstimulierungspakets der Regierung eingebracht, ein »Covid-19-Hilfspaket«, das der Wirtschaft sofortige Erleichterung in der Pandemie verschaffen sollte. Indiens hindunationalistische Regierung unter Premier Narendra Modi argumentiert, die Gesetze würden die Farmer*innen von antiquierten Marktordnungen befreien und ihnen bessere Preise auf dem freien Markt ermöglichen. Die Farmer*innen verweisen auf den Bundesstaat Bihar, der seinen Markt weitgehend liberalisiert hat und wo die Produzent*innen nun ihre Waren mit einem Abschlag von bis zu 30 Prozent verkaufen müssten. Das erste der drei Gesetze der Agrarreform, das »Gesetz zur Förderung und Erleichterung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen«, erlaubt zum ersten Mal den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten außerhalb von staatlich kontrollierten Märkten, den sogenannten Mandis. Private Mandis können nun im ganzen Land eingerichtet werden, jeder kann nun dort landwirtschaftliche Produkte kaufen. Laut der Regierung werden dadurch den Farmer*innen mehr Auswahlmöglichkeiten gegeben, wo und an wen sie ihre Produkte verkaufen können. Theoretisch können so die mächtigen Mittelshändler*innen wegfallen. Die Farmer*innen hingegen befürchten, dass einige wenige private Akteure sich als Kartelle organisieren und die Preise bestimmen werden. Mit dem »Gesetz zur Stärkung und zum Schutz der Landwirte« wird darüber hinaus ein nationaler gesetzlicher Rahmen geschaffen, mit dem Farmer*innen vertraglich verpflichtet werden, ihre Erzeugnisse zu einem vorher festgelegten Preis zu verkaufen. Laut Regierung soll so die Einkommensunsicherheit beseitigt werden. Doch die Landwirt*innen kritisieren, dass so die bestehende Ungleichheit verstärkt werde, da die Abnehmerfirmen, oftmals riesige internationale Lebensmittelkonzerne, Preise diktieren können. Zudem befürchten sie, dass die Vertragslandwirtschaft es den Konzernen ermöglicht, ihr Land zu übernehmen, da das Gesetz keine angemessenen Rechtsbehelfsmechanismen für Farmer*innen enthält. Das verbliebene »Gesetz zur Änderung der Regulierungen über lebenswichtige Güter« würde das Horten von Waren, die folgliche Preisansteigerung und den Schwarzhandel behindern und so die Lieferung bestimmter Waren gewährleisten. Auch dieses Gesetz wird von den Farmer*innen als Begünstigung des Großkapitals abgelehnt. Im Mittelpunkt dieser Proteste ist die Frage des Mindeststützungspreises (MSP, minimum support price), der für 23 Feldfrüchte angekündigt ist. Der MSP ist der Mindestpreis, den die Regierung zahlt, wenn sie eine Ernte von den Farmer*innen kauft – größtenteils Paddy- und Weizen. Die Farmer*innen befürchten, dass die Regierung mit der Agrarreform diese Mindestpreise abschafft…“

„Support the Struggle of the Farmers: It Is Our Struggle Too“ von Neeraj Jain am 13. Dezember 2020 in Janata Weekly externer Link ist ein Beitrag, der vor allen Dinge deutlich macht, dass auch in Indien die Rechtsradikalen heute das Problem haben, dass sie neoliberale Diktate ihrer Herren durchsetzen müssen. Und die regierenden Rechten in Indien tun dies eher ungeschickt – mit der gebetsmühlenartigen Behauptung „die Kräfte des Marktes“ würden den Bauern zugute kommen – was diese einerseits besser wissen, und was zum anderen reichlich plump so tut, als gäbe es bisher in Indien in der Landwirtschaft keinen Markt, was in dem Betrag ausführlich und konkret widerlegt wird. Was es gibt, ist eine eher kleinkapitalistisch zentrierte Landwirtschaft – die jetzt das Agrarkapital und die Handelskonzerne der ganzen Welt erobern wollen, was angesichts der Größe der potenziellen „Kundschaft“ nicht erstaunt…

„Massiver Protest bringt Modi unter Beschuss“ von Gert Cool am 14. Dezember 2020 beim sozialismus.info externer Link zur Reaktion der Regierung auf die Massenbewegung: „… Der Protest der Bäuer*innen findet in Nordindien statt, auch in Bundesstaaten, in denen die BJP stark ist. Bei den nationalen Wahlen 2019 erreichte die BJP in den Bundestaaten Haryana und Rajasthan 58 %. Im Punjab erhielt sie weniger Unterstützung, was auf das historische Misstrauen der Sikh-Bevölkerung gegenüber den Hindu-Nationalisten zurückzuführen ist. Die Staatsregierungen von Rajasthan und Punjab, die von der INC (Indian National Congress, Indischer Nationalkongress, Partei Ghandhi, Anm. d. Übers.) geführt werden, unterstützen die Proteste vor allem aus politischem Kalkül und nicht als Kampf gegen die Politik des freien Marktes der BJP. In Haryana ist das Bündnis zwischen der BJP und der lokalen Partei JPP (Jharkhand People’s Party) angespannt. Auch anderswo ist der Druck auf die Bündnispartner der BJP groß. Auch wenn dies hauptsächlich auf Bundesstaatenebene geschieht, untergräbt es die Position der BJP in der Zentralregierung. Während die beträchtliche Ausweitung der Wahlbasis der BJP in den ländlichen Gebieten entscheidend für ihren Sieg im Jahr 2014 war, sind diese Proteste die größte Herausforderung für Modis Regierung seitens der Bäuer*innen seit sechs Jahren und zeigen, dass sich das Blatt zu wenden beginnt. Der Protest ist sehr gut vorbereitet: Die Bäuer*innen in Delhi sagen, dass sie die Aktion monatelang durchhalten können. Die Demonstration wurde mit Tränengas und Wasserwerfern bekämpft, aber das hat die Bäuer*innen nicht aufgehalten. An den Zufahrtsstraßen nach Delhi sind Camps mit eigenen Versorgungsketten eingerichtet worden. Darüber hinaus gibt es lokale Aktionen von Bäuer*innen in verschiedenen Städten, mit der Bereitschaft, ebenfalls nach Delhi zu ziehen. Die Zeitung „The Hindu“ berichtete über eine solche Aktion in Badbar im Bundesstaat Punjab. Der Anführer der örtlichen Bäuer*innen Parvinder Singh Makkan wies darauf hin, wie wichtig es ist, dass die Frauenkomitees jeden Tag Hunderte von Aktivist*innen mit Lebensmitteln versorgen: „Täglich machen wir über einen Lautsprecher im Dorf Durchsagen über den Bedarf an Lebensmitteln, basierend auf der Anzahl derer, die am Protestort anwesend sind. Es gab noch nie einen Tag, an dem es einen Mangel an Lebensmitteln oder anderen lebenswichtigen Dingen gab. Die Beteiligung der Frauen war ein Schlüsselfaktor für die Stärkung dieser Agitation.“ Eine der Frauen in Badbar drückt die generelle Stimmung aus: „Ich habe das Vertrauen in die Regierung verloren, sie haben uns hintergangen, indem sie die neuen Gesetze eingeführt haben, die nicht in unserem Interesse sind. Ich werde weiterkämpfen, auch wenn es mich mein Leben kostet. Delhi wird uns zuhören müssen, wir werden sie dazu bringen, zuzuhören.“ Die Aktionen sind seit Wochen bis in die kleinsten Dörfer vorbereitet und so organisiert worden, dass sie über einen langen Zeitraum aufrechterhalten werden können. Die Arbeiter*innenbewegung kann davon lernen, sowohl was die Vorbereitung als auch was die Methoden der Aktionen angeht, die nicht auf einen einzigen Tag beschränkt sind…“

Unterstützt in den kommenden Tagen die Proteste in Solidarität mit den Streikenden in Indien! Gemeinsam gegen neoliberalen Kapitalismus und Neokolonialismusam 14. Dezember 2020 im Twitter-Kanal des Internationalistischen Bündnis Frankfurt externer Link ist einer der – mehreren – Aufruf zur Beteiligung an Solidaritätskundgebungen auch in der BRD (gibt es beispielsweise auch für Berlin). Solche Aktionen gab es in den vergangenen Tagen bereits vor allem in solchen Ländern, in denen es eine relativ große indische Community gibt, wie etwa in Großbritannien und auch in Kanada.

Was nun die Wirksamkeit dieser Proteste im Vergleich zum Generalstreik vom 26. November 2020 betrifft (wie auch im Vergleich zu seinen Vorgängern), so sind einige der Gründe dafür in den vorherigen Beiträgen bereits zumindest angedeutet. Grundsätzlich ist es so, dass unter den protestierenden Bauern deutlich mehr BJP-WählerInnen sein dürften, als etwa unter den Gewerkschafsmitgliedern (was sich schon aus der besonders engen Verbindungen der großen Verbände zu ihren jeweiligen „Mutterparteien“ ergibt, die es bei den Bauernorganisationen zwar ebenfalls gibt – aber bei weitem nicht so ausgeprägt). Und dann ist die Wirksamkeit eines eintägigen Streiks natürlich von vorne herein beschränkt – dafür muss man einen Augenblick lang versuchen, dies nicht mit bundesdeutschen Augen zu sehen, wo das Wort Generalstreik nicht nur in Berlin, sondern auch in Gewerkschaftsbüros geeignet ist, Herzprobleme hervor zu rufen, was in anderen Ländern oftmals ziemlich anders ist. Ein eintägiger Proteststreik kann zwar Generalstreik genannt werden, das kann aber auch genauso gut diskutiert werden, ob das geht. Zum anderen ist es natürlich schon nahe liegend, die Stirn zu runzeln, wenn Tage vor dem Generalstreik bekannt gegeben wird, es würden 250 Millionen Menschen dem Aufruf folgen – und diese Zahl dann als ehern weiter gegeben wird. LabourNet Germany hat sich sowohl dieses Mal, als auch bei den vorher gehenden Generalstreiks, von denen ja schon einige als die je bis dahin größten der Weltgeschichte bewertet wurden, bemüht, die Entwicklung möglichst konkret darzustellen. Sowohl, und dies möglichst konkret, was die unterschiedliche Beteiligung in einzelnen Bundesstaaten betrifft, als auch wesentliche Entwicklungen bzw. neue Aspekte. Was etwa die wachsende Rolle unabhängiger Gewerkschaftsverbände ebenso betrifft, wie die unterschiedlichen Schritte, neue Schichten einzubeziehen, insbesondere was in den Jahren 2018 und 2019 etwa die so unendlich vielen im informellen Bereich arbeitenden Menschen betrifft – und dieses Jahr eben die Besonderheit, dass die Bauernverbände den Generalstreik unterstützten. Von daher erscheint es sowohl als übertrieben, im Nachhinein diese Generalstreiks – und insbesondere eben den letzten gerade eben (auch weil er erstmals in der BRD mediale Aufmerksamkeit fand) als etwas abzutun, was eher eine Propagandaschau wäre. Als es auch unangebracht erscheint, mit „offenen Mund“ bewundernd dahin zu starren. Dieser Rahmen erscheint uns als der passende, um die beiden folgenden Beiträge, die die Stärke des Generalstreiks in Frage stellen einordnen zu können.

„Indien: 250 Millionen Streikende?“ von Gilbert Kolonko am 12. Dezember 2020 bei telepolis externer Link betrachtet die Sachlage so: „… Das Prinzip ist jedes Mal gleich: Vor einem Generalstreik kündigen die indischen Gewerkschaften an, dass 200 oder 250 Millionen Menschen teilnehmen werden und das wird dann als Tatsache verkauft. „Wie sieht es in Delhi aus“, fragte ich am 8. Januar 2020 einen Aktivisten in der indischen Hauptstadt, als wieder angeblich 200 Millionen Inder streikten: „Nichts.“ Und in Mumbai: „Ein paar kleinere Kundgebungen, sonst nichts“, antwortete die Kollegin Natalie Mayroth von der tageszeitung. Ich selbst war in Kolkata, Westbengalen. Hier war etwas mehr los, aber für eine Streikhochburg Indiens war es ebenfalls gar nichts. Auch Mamata Banerjee, Chief-Ministerin von Westbengalen und Gegenspielerin von Premierminister Narendra Modi war dem Streikaufruf nicht gefolgt. Eigentlich müsste einem schon Grundkenntnisse über Indien sagen, dass irgendetwas nicht stimmen kann, wenn in einem Land seit Jahren angeblich mehr als 200 Millionen Menschen für bessere Arbeitsbedingungen streiken und für die Durchsetzungen der Forderungen der Kleinbauern auf die Straße gehen, aber 90 Prozent der arbeitenden Bevölkerung im informellen Sektor tätig sind. Wie geht das in einem Land mit einer solch starken Gewerkschaft, dass zum zweiten Mal hintereinander neoliberale Hindu-Nationalisten an die Macht gewählt werden, die weiter Arbeiterrechte einschränken und die tägliche Arbeitszeit auf zwölf Stunden erhöhten? Mittlerweile berichten auch Zeitungen wie die Morgenpost von 250 Millionen Streikenden. Internetseiten empfehlen das ihren Lesern weiter: Eine heftig übertriebene Zahl wird immer breiter gestreut…

„Der größte Streik der Weltgeschichte?“ von Aurel Eschmann am 05. Dezember 2020 in nd online externer Link hatte in derselben Richtung bereits festgehalten: „… Die tatsächliche Lage ist differenzierter: Es hat ein Massenstreik stattgefunden, doch sind jene 250 Millionen Beteiligten eine haltlose Übertreibung. Diese Zahl hatten die Dachgewerkschaften schon lange vor dem Streik in Umlauf gebracht; mit der tatsächlichen Mobilisierung hat sie nur wenig zu tun. Die linken unter den indischen Medien wissen um diese Dynamiken und übernehmen deshalb solche Zahlen nicht mehr. Und hätte tatsächlich ein knappes Sechstel der Bevölkerung gestreikt, wären die Auswirkungen derart massiv gewesen, dass nicht nur die indischen Medien, sondern auch westliche Korrespondent*innen darüber berichtet hätten. In den linken indischen Medien findet sich jedoch – mit Ausnahme der im kommunistisch regierten Kerala – nichts dergleichen. Dies zeigt, dass die Zahlen der tatsächlich Streikenden um ein Vielfaches geringer waren. War also im Grunde gar nichts? Oder doch eine Art welthistorisches Großereignis? Beide »Nachrichtenlagen« zeugen davon, wie eurozentristisch der westliche Blick auf den Staat mit der zweitgrößten Bevölkerung der Welt noch immer ist. Das Nichtberichten im Mainstream zeugt gewiss von einiger Ignoranz gegenüber außereuropäischer Politik. Zu den Intentionen jener Streik-Sensationsberichte in linken westlichen Medien mag es gehören, auf dieses Desinteresse hinzuweisen. Doch geht es auch in diesen Berichten in einem erheblichen Maß nicht um die konkreten Verhältnisse in Indien, sondern darum, in Indien sich selbst zu sehen, um die eigenen Bedürfnisse und Hoffnungen: auf eine neue Sozialistische Internationale, die in Indien ihren Anfang nehmen könnte...“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=183350
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