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Tödliche Kollision von drei Zügen in Odisha/Indien: Zu wenig Personal für fehlende Sicherheitsstandards

Dossier

Indien/Odisha: drei Züge liegen zum Teil auf dem Kopf quer über den Schienen - Aufnahme von obenIn Indien, der Region Odisha in Balsore, sind am 2. Juni 2023 drei Züge ineinander gefahren. Darunter waren zwei Passagier- und ein Frachtzug. Über 300 Menschen verloren dabei ihr Leben, über 1.000 weitere sind zum Teil schwer verletzt. Betroffen sind vor allem arme Wanderarbeiter*innen, die auf der Strecke pendeln. Der Vorfall erinnert an die letzten Unfälle dieses Jahr in USA/Ohio und in Griechenland, wovon sowohl Menschen als auch im Falle der USA die Umwelt betroffen waren, denn auch bei der indischen Eisenbahn wurden Sicherheitsvorkehrungen und Personal in den letzten Jahren eingespart. Die Modi-Regierung im Land mit dem größten Streckennetz der Welt spricht von einem Signalfehler. Doch Unfälle wie diese haben immer systemische, fast immer menschenverachtende Ursachen. Wir dokumentieren dazu weitere Berichte und Solidaritätsbekundungen u.a. der ITF:

  • Die indische Eisenbahn: Presigeprojekte statt Sicherheit und Personal: 300.000 Stellen unbesetzt – Eisenbahngewerkschaft aus Kanada solidarisiert sich nach Unfall in OishaNew
    • Hochgeschwindigkeitszüge statt Investitionen in Sicherheitssysteme und Personal
      „… Warum haben wir so viele Probleme bei der Festlegung der Weichen und der Wartung der wichtigen Gleis- und Signalanlagen? Die indische Eisenbahn verfügt heute nicht über ausreichend Personal für kritische Betriebs- und Wartungsfunktionen. Über 300.000 Stellen sind unbesetzt, ein großer Teil davon für technisches und betriebliches Personal, wie Lokführer*innen, Zugbegleiter*innen und Bahnhofspersonal, einschließlich Wartungspersonal. Das bedeutet, dass wir für wichtige Aufgaben nicht ausreichend geschultes Personal haben oder dass es überlastet ist. Beides sind Rezepte für Unfälle, die nur darauf warten zu passieren. Signalausfälle sind nicht das einzige Sicherheitsproblem bei der indischen Eisenbahn. Der CAG-Bericht weist auch darauf hin, dass von den 1.129 Entgleisungen 422 auf technische Probleme zurückzuführen waren, darunter „Instandhaltung der Gleise“ und „Abweichung der Gleisparameter über die zulässigen Grenzen hinaus“. Während die indische Eisenbahn routinemäßige Wartungsarbeiten vernachlässigt und ihre Mitarbeiter sogar 16 Stunden am Stück arbeiten lässt, hat sie sich ehrgeizige Ziele für neue, schnellere Züge wie den Vande Bharat Express gesetzt. Fünfundsiebzig solcher Züge sollen bis August 2023 in Betrieb genommen werden, jeder im Wert von 115 Millionen Rupien. Am 31. Mai waren bereits 17 dieser Züge in Betrieb. Die indische Eisenbahn plant außerdem eine Hochgeschwindigkeitszugverbindung zwischen Mumbai und Ahmedabad, deren Kosten auf 13 Millionen USD geschätzt werden. Und das alles, während das Sicherheitsprogramm unterfinanziert ist. In Absatz 3.3.1 der Zusammenfassung des CAG-Berichts heißt es, dass die indische Eisenbahn über einen Zeitraum von fünf Jahren 2,4 Mio. USD aus internen Mitteln zu ihrem Sicherheitsbudget beisteuern sollte, zusätzlich zu den 9,7 Mio. USD, die sie von der Zentralregierung erhält. Die CAG stellt fest, dass 78,88 % der insgesamt 2,4 Mio. USD für dieses Sicherheitsbudget – Rashtriya Rail Samraksha Kosh (RRSK) – nicht aus internen Mitteln aufgebracht wurden. Laut CAG wurde damit „das Hauptziel der Schaffung des RRSK, die absolute Sicherheit bei den Eisenbahnen zu unterstützen, verfehlt“.
      Mit anderen Worten: Die indische Eisenbahn hat unverzichtbare Sicherheitsfunktionen vernachlässigt, während sie versucht hat, Prestige- oder Eitelkeitsprojekte durchzuführen – eine völlig falsche Priorität. Und um das zu vertuschen, hat sie ihre Trollarmee mobilisiert, um das Betriebspersonal zu verunglimpfen und das CBI zu bitten, eine mögliche Verschwörung zu untersuchen, noch bevor eine richtige Eisenbahnuntersuchung durchgeführt wurde…“
      Artikel von Prabir Purkayastha vom 11. Juni 2023 auf Peoples Dispatch externer Link („India’s worst train accident in 20 Years: Privileging vanity over safety”)
    • Solidarität aus Kanada mit den Arbeitenden und Opfern der Eisenbahnkatastrophe in Odisha, Indien
      „Im Namen des Kanadischen Koordinierungsausschusses der Internationalen Transportföderation (ITF), der Zehntausende von Beschäftigten im kanadischen Verkehrswesen, einschließlich des Eisenbahnsektors, vertritt, bekunden wir unsere Solidarität mit den indischen Eisenbahner*innen und Gewerkschaften, einschließlich der All India Railwaymen’s Federation (AIRF) und der National Federation of Indian Railwaymen (NFIR). Das tragische Zugunglück im indischen Bundesstaat Odisha – eines der schlimmsten, das das Land seit einem Jahrhundert erlebt hat – hat uns alle erschüttert. Unser tiefes Mitgefühl und Beileid gilt allen Familien, die bei dem Unglück einen geliebten Menschen verloren haben. Auch Kanada ist vor Bahnkatastrophen nicht gefeit. Bald jährt sich die Zugentgleisung von Lac-Mégantic, Quebec, bei der im Juli 2013 47 Menschen ums Leben kamen, zum zehnten Mal. Auf der ganzen Welt kommt es immer wieder zu solchen Zugkatastrophen, weil zu wenig in die Sicherheit im Schienenverkehr investiert wird. Die jüngsten Katastrophen machen deutlich, wie wichtig es ist, dass starke Gewerkschaften auf nationaler und internationaler Ebene weiterhin auf mehr Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen drängen, wie z. B. Maßnahmen gegen Kollisionen, verstärkte Investitionen in die Bahninfrastruktur und -ausrüstung, mehr Inspektionen, härtere Strafen für Unternehmen, die gegen Sicherheitsvorschriften und Arbeitsgesetze verstoßen, und sich gegen die Versuche von Unternehmen und Regierungen zur weiteren Deregulierung der Branche einsetzen. Wir setzen uns gemeinsam mit unseren globalen Gewerkschaftsmitgliedern und Partner*innen dafür ein, dass sich solche Katastrophen nicht wiederholen und dass die Arbeitenden und Gemeinden geschützt werden. Die kanadischen Mitgliedsorganisationen der Internationalen Transportföderation (ITF) trafen sich am 7. Juni in Toronto und gaben diese gemeinsame Erklärung ab. Dazu gehören: Unifor the Union, Teamsters Canada, BCFMWU, CATCA, CMSG, CUPE, ILWU Canada, NUPGE Canada, SIU.“ Pressemitteilung der UNIFOR vom 8. Juni 2023 externer Link (“Solidarity with workers and victims of the Odisha, India rail disaster”)
  • Modi-Regierung spricht von Signalfehler – Opposition wirft Fragen über fehlende Sicherheitssysteme auf
    „Übereinandergestapelte, teils kopfüber liegende Zugwaggons sind auf dem Gleisabschnitt im ostindischen Balasore zu sehen. So schwer war der Zusammenstoß, der sich am Freitagabend auf der viel befahrenen Strecke ereignete. Unter den Wracks sind drei verschiedene Modelle zu erkennen, zwei davon sind Personenzüge. Es ist der Schauplatz des tödlichsten Zugunglücks in Indien seit mehreren Jahrzehnten. Mindestens 288 Menschen kamen nach offiziellen Angaben ums Leben. Etwa eintausend Personen wurden verletzt. (…) Die Angehörigen von Verstorbenen sollen nun von der Regierung eine Entschädigung von umgerechnet rund 11.000 Euro erhalten, Schwerverletze das Doppelte. Die indische Eisenbahn spricht von einer „Signalstörung“ als Auslöser, es habe ein Problem mit einem elektrischen Stellwerk gegeben. Eine Bahnmanagerin sagte am Sonntag, die vorläufigen Untersuchungen hätten ergeben, dass der Schnellzug Coromandel Express zunächst das Signal für eine Weiterfahrt auf dem Hauptgleis erhalten habe. (…) Das Signal sei aber später geändert worden und der Zug sei stattdessen in eine angrenzende Schleife eingefahren, wo er einen mit Eisenerz beladenen Güterzug rammte. Durch die Wucht wurden die Wagen des Coromandel Express auf ein benachbartes Gleis geschleudert, wodurch der aus der anderen Richtung kommende Yesvantpur-Howrah Express ebenfalls entgleiste. Die Personenzüge fuhren der Bahnmanagerin zufolge nicht mit überhöhter Geschwindigkeit.
    Die Opposition fragt, warum auf der Strecke das automatische Zugsicherungssystem Kavach noch nicht installiert worden ist. Dieses hätte die Folgen des Unglücks wohl mildern, wenn nicht gar den Unfall gänzlich verhindern können. Bei der Geschwindigkeit des Aufpralls hätte kein Warnsystem geholfen, erklärte dagegen Jaya Verma Sinha, Mitglied des Eisenbahnvorstands. Die Eisenbahn stand aufgrund von Mängeln ohnehin bereits in der Kritik. In den vergangenen Jahren hatte es Abstriche bei der Sicherheit gegeben, zudem bleiben viele Stellen unbesetzt. Nach dem Unglück fielen am Wochenende zahlreiche Zugverbindungen zwischen Ost- und Südindien aus. Die Reparatur der Strecke ist im Gange. Vor Ort ist nun die Sorge groß, dass die Zahl der Todesopfer noch weiter steigt. Für die Behörden ist es zudem nicht einfach, die Toten zu identifizieren, da sich in dem Zug viele Wanderarbeiter befanden. Sie waren auf der Reise vom ärmeren Ostindien in den Süden des Landes. Ihre Namen sind größtenteils nicht dokumentiert…“
    Artikel von Natalie Mayroth, Mitarbeit Mona Thakka vom 4. Juni 2023 in der taz online externer Link („Zugunglück in Indien: Regierung spricht von Signalstörung“)
  • Solidarität von Transportgewerkschaften weltweit
    • RMT Großbritannien: „RMT drückt ihr Beileid zu dem Zugunglück in Indien aus. Hunderte von Menschen sind in Indien bei einem schweren Zugunglück ums Leben gekommen, nachdem der Coromandel Express, der von Kolkata in Westbengalen nach Chennai in Tamil Nadu fährt, bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h entgleist war. RMT-Gewerkschaft Generalsekretär Mick Lynch sagte: „Die Gedanken aller RMT-Mitglieder sind nach dieser schrecklichen Tragödie bei den indischen Arbeitenden, den Fahrgästen und ihren Hinterbliebenen. Jedes Mal, wenn sich ein Unfall dieses Ausmaßes ereignet, unterstreicht dies, dass die Sicherheit im Eisenbahnverkehr überall höchste Priorität haben muss.“ Thread der RMT vom 3. Juni 2023 externer Link (engl.)
    • ITF International: „Was für eine unaussprechliche Tragödie. Unsere Gedanken sind bei allen, die von diesem schrecklichen Vorfall betroffen sind, einschließlich aller unserer indischen Mitgliedsorganisationen und insbesondere unserer Bahngewerkschaften @airfindia & @nfirindia. Wir stehen bereit, um zu helfen, wo wir können. #Solidarität“ Tweet der ITF vom 3. Juni 2023 externer Link (engl.)
    • CCOO Ferroviario Spanien: “Der Eisenbahnsektor von CCOO bedauert den tragischen Unfall in Indien und spricht den Opfern und ihren Familien sein Beileid aus. #OdishaTrainAccident #Solidarität” Tweet der CCOO vom 3. Juni 2023 (span.)

(Leider) Weiteres zum Thema Zugunfälle im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=212212
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