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Jugendproteste in Indien gegen hohe Erwerbslosigkeit nun – ambivalent – angeheizt durch Verschlechterungen beim Arbeitgeber Militär

Indien 2022: Protestschilder gegen eine neue Militärreform, die Jugendproteste anheizt Die Modi-Regierung hat im Juni 2022 eine Reform der Rekrutierung des Militärs vorgestellt. Der Sektor galt vor allem für ärmere Menschen bisher als Chance für einen sicherer Job. Die Anhebung des Eintrittsalters um zwei weitere Jahre (bis 23) und die Befristung auf vier Jahre werden als Versuch gesehen, spätere Rentenansprüche und Sozialleistungen wie Krankenzahlungen zu kürzen. Insgesamt ist diese Reform jedoch nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Denn die Jugenderwerbslosigkeit ist vor allem auf dem Land besonders hoch. Es kam daher seit Mitte Juni 2022 zu Massenprotesten, insbesondere Busse und Schienenverkehr sind von Brandstiftung betroffen. Die Proteste sind politisch ambivalent, da auch eine nationalistische Stimmung in Bezug auf den Erhalt der indischen Armee in den Bewegungen zum Vorschein kommt. Haben sie vielleicht – dennoch – das Potential, den Rückhalt der Modi Regierung zu brechen? Wir dokumentieren die Hintergründe der Protestwelle:

  • Proteste gegen Rekrutierungsreform
    „… Bisher galt das Militär als sicherer Arbeitgeber für Inder:innen, so sie denn die Aufnahmeprüfung bestanden hatten. Doch mit der Reform namens Agnipath, die im Juni vorgestellt wurde, scheint dieser Traum nun für viele weit entfernt. Denn erstmals sollen die Rekrut:innen nur für vier Jahre fest angestellt werden. Viele Anwärter:innem [sic!] vermuten, dass die Regierung damit Leistungen der Renten- und Krankenversicherung sparen will. Auch wurde das Rekrutierungsalter auf bis zu 23 Jahre angehoben, was jetzt die Zahl der Bewerber:innen erhöht. ‚Wir werden reingelegt‘, sagte ein Anwärter aus Bihar dem TV-Sender NDTV enttäuscht. Er sorge sich, was nach den ersten vier Ausbildungsjahren passieren wird. ‚Wir werden dann arbeitslos sein,‘ fürchtet ein anderer. Bisher war das Rekrutierungsalter bis 21 Jahre beschränkt gewesen. Doch sollen laut der Regierung nun auch Anwärter:innen der vergangenen zwei Pandemiejahre eine Chance bekommen. (…) Die Ankündigung des neuen Nachwuchsprogramms für die Streitkräfte erboste allerdings so viele, dass es von Bihar im Osten bis ins südliche Secunderabad sogar zu gewaltsamen Unruhen kam. Eisenbahnzüge wurden in Brand gesteckt, Busse wurden zerstört. Bisher gab es schon zwei Tote. Die Wut zielt darauf, dass selbst nach einem Erfolg beim Auswahlverfahren die Aussichten auf Weiterbeschäftigung bei Militär samt lebenslanger Krankenversicherung und später einer Pension sinken könnten. (…) Doch letztlich zeigen die Proteste vor allem, wie frustriert Indiens Jugend und wie groß das Problem der Arbeitslosigkeit ist. (…) Generalleutnant Anil Puri erklärte, in die Randale verwickelte Anwärter würden von der Aufnahmeprüfung ausgeschlossen. Laut Verteidigungsminister Rajnath Singh werde die Reform nicht zurückgenommen. (…) Andere Oppositionsparteien, Gewerkschaften und Jugendorganisationen schlossen sich den Protesten an. Versuche, die Wut auf der Straße einzudämmen, haben bisher noch keinen großen Erfolg gebracht.“
    Artikel von Natalie Mayroth vom 20. Juni in der taz online externer Link
  • Hunderte Festnahmen, landesweite Proteste und Angriffe auf Schienen und Busse
    „… In vielen indischen Bundesstaaten gibt es Proteste wegen des umstrittenen Agnipath-Programms der Regierung. Außerdem wurde vor dem Obersten Gerichtshof eine Klage gegen das indische Einstellungsprogramm für das Militär eingereicht, in der es als ‚illegal‘ bezeichnet wird. Die Situation bleibt angespannt: Züge in Bihar werden in Brand gesetzt, in Telangana, Punjab, Jharkhand, Uttar Pradesh und vielen anderen Staaten kommt es zu Gewalt. Die Eastern Railway hat mitgeteilt, dass 29 Züge ausgefallen sind. In Westbengalen erreichten die Demonstrant:innen sogar die Residenz von Mamata Banerjee. Die westbengalische Polizei ist in Alarmbereitschaft. In Uttar Pradesh kam es zu heftigen Protesten mit Brandstiftung und Steinwürfen in mehreren östlichen Bezirken. In den letzten zwei Tagen wurden 269 Demonstrant:innen festgenommen, 168 von ihnen wurden wegen Landfriedensbruchs angeklagt. (…) Auch die Polizeikräfte sind im ganzen Land in höchster Alarmbereitschaft. In mehreren Teilen der Region Delhi-NCR kam es zu massiven Verkehrsstaus, insbesondere an den Grenzen zwischen Delhi und Gurugram sowie zwischen Delhi und Noida, da die Polizei verstärkt Sicherheitskontrollen durchführte. Fast 530 Züge wurden am Montag gestrichen. Darunter befanden sich 348 Personenzüge und 181 Post-/Expresszüge, teilte das Eisenbahnministerium mit. (…) Das Agneepath-Programm ist ein von der indischen Regierung angekündigter Rekrutierungsprozess, bei dem Jugendliche im Alter zwischen 17einhalb und 21 Jahren die Möglichkeit erhalten, bei den indischen Streitkräften zu arbeiten. Es handelt sich um eine vierjährige Verpflichtung, an deren Ende 25 Prozent der Rekruten für den regulären Dienst übernommen werden. Die Rekruten werden als „Agniveers“ bezeichnet. (…) Die Agniveers erhalten ein monatliches Gehalt von Rs 30.000 bis Rs 40.000, wobei 75 Prozent von ihnen, die nach vier Jahren demobilisiert werden, ein „Seva Nidhi“-Ausstiegspaket von Rs 1,17 Millionen erhalten. Angesichts der anhaltenden Proteste und der Verwirrung unter der Jugend hat die Regierung jedoch einige Änderungen an dem Programm vorgenommen. Die obere Altersgrenze wurde nur noch für dieses Jahr auf 23 Jahre angehoben, da es aufgrund der Pandemie Probleme bei der Einstellung von Arbeitskräften gab. Außerdem wurde der Vorschlag angenommen, 10 Prozent der freien Stellen im Verteidigungsministerium zu reservieren. Außerdem hat Unionsminister Amit Shah angekündigt, dass sein Ministerium beschlossen hat, den „Agniveers“, die ihre vier Jahre abgeschlossen haben, Vorrang zu geben. (…)
    Die Jugend ist vor allem darüber besorgt, dass die restlichen 75 Prozent der Rekruten, die demobilisiert werden, keinen Anspruch auf eine Rente haben und eine ungewisse Zukunft vor sich haben, da sie nur vier Jahre lang arbeiten dürfen. Außerdem wird kritisiert, dass die Rekruten nach ihrer Pensionierung keine dauerhaften Arbeitsplätze oder Gesundheitsleistungen erhalten…“ engl. Artikel von Rajnath Singh und Narendra Modi, erschienen am 16. Juni 2022 bei Associated Press/Yahoo News externer Link („Angry protests hit India over new short-term military jobs”).
  • Siehe auch #SatyagrahaForYouth
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=202154
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