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Bye, bye Engelland: Ein EU-Staat weniger mit einer rassistischen und nationalistischen Welle. Und einem Regierungsprogramm, das Terrorismus neu definiert: Greenpeace, Gewerkschafter mit Megafon…

Grafik zum Brexit von Joachim Römer - wir danken!Hatte schon der Erfolg des Brexit im Referendum eine Welle von Nationalismus und rassistischen Ausschreitungen nach sich gezogen, so hat dies der „abschließende“ Wahlsieg der Konservativen (beziehungsweise: Ihrer Rechtsaußen-Fraktion) und der nun erfolgende Austritt aus der EU erst recht – vorangetrieben durch ein politisches Programm der allseitigen Repression, Patronage übelster Geschäftemacher und des Versuchs eines „Empire-Revivals“. Was unterstreichen sollte, dass solche Orientierungen der bürgerlichen Politik im Jahr 2020 wenig damit zu tun haben, ob solch ein Staat EU-Mitglied ist oder nicht. Für weitere Privatisierungen zum Zwecke der Geschäftemacherei jedenfalls braucht die englische Regierung keine EU-Richtlinien. All dies vor dem Hintergrund einer wachsenden Armut und des jahrelangen Abbaus zentraler sozialer Errungenschaften wie in der Gesundheitsversorgung beispielsweise. Eine Materialsammlung zur Regierungspolitik und den Perspektiven in Großbritannien nach dieser Wahl am letzten Tag der EU-Mitgliedschaft:

a) Das Regierungsprogramm Johnsons: Vor allem Repression. Und, selbstverständlich: Verschärfte Ausbeutung

„Boris Johnson vows to ban all-out strikes on public transport“ von Rajeev Syal und Rowena Mason bereits am 05. Dezember 2019 im Guardian externer Link war ein Beitrag zu einem Thema, das in den beinahe zwei Monaten seitdem immer wieder von der britischen Rechtsregierung in den Vordergrund geschoben wurde: Streikverbot im Verkehrswesen. Was Johnson nicht nur hier offen und direkt vertritt.

„Left wing? You may be on police extremism list“ am 17. Januar 2020 im Morning Star externer Link berichtet über Polizei-Dokumente, die an die Öffentlichkeit gekommen waren und hebt dabei unter anderem hervor, welche Gruppierungen von Anti-Terror-Einheiten beobachtet werden: Communist Party of Britain (CPB), Stop the War, Palestine Solidarity Campaign, Campaign Against Arms Trade (CAAT), Campaign for Nuclear Disarmament (CND), Extinction Rebellion (XR) und selbst Greenpeace…

„UK home secretary defends naming Extinction Rebellion as extremist“ von Paul Bond am 17. Januar 2020 bei wsws externer Link behandelt eine Stellungnahme des Innenministers zur aufkommenden Kritik an diesem Beobachtungsprogramm: Zwar habe man den Beobachtungskatalog zurück gezogen, aber Extinction Rebellion als extremistische gefährliche Gruppierung zu betrachten sei vollkommen richtig, so der Minister…

„Defend trade unionists from police prosecution for use of a megaphone“ am 21. Januar 2020 bei Crowd Justice externer Link ist ein (finanzieller) Solidaritäts-Aufruf der Basisgewerkschaft IWGB: Für die Prozesskosten eines Aktivisten, der angeklagt wurde, weil er bei einer Aktion ein Megaphon benutzte. Was nicht nur bei den Autoren des Aufrufs  unter anderem auf die allgemeine massive antigewerkschaftliche Stimmungsmache der Regierung Johnson zurückgeführt wird, die eine entsprechende „Atmosphäre“ schaffe…

„UK gov’t votes against measures protecting child refugees“ am 22. Jannuar 2020 bei Al Jazeera externer Link meldet, dass die Regierung Johnson einen Gesetzentwurf abgelehnt habe, der vorsah, flüchtenden Minderjährigen die Möglichkeit zu geben, mit ihren Familien wieder vereint zu werden…

„Grenfell: Johnson appoints engineer with links to the firm that made the tower’s cladding to the inquiry“ am 16. Januar 2020 beim Morning Star externer Link berichtet von einer personellen Besetzung im Untersuchungsausschuss über den tödlichen Brand in Grenfell: Johnson nominiert einen Ingenieur, der mit jenem Unternehmen zusammen gearbeitet hatte, das die Verkleidung des Hochhauses geliefert hatte, die die Hauptursache der vielen Todesfälle war. Solche Nominierungen der „direkten Art“ hat diese Regierung schon mehrfach unverfroren vorgenommen.

„NGOs protest as DFID foots bill for trade-focused UK-Africa Investment Summit“ von William Worley am 20. Januar 2020 bi Devex externer Link berichtet von Protesten rund um den britisch-afrikanischen „Investitions-Gipfel“ – einer Initiative, mit der die Johnson-Regierung britische Profite in Afrika erhöhen möchte…

„Die Brexit-Wahl und ihre Folgen“ von Christos Katsioulis am 17. Dezember 2019 beim Infosperber externer Link zur Entwicklung der konservativen Partei im Zuge der Brexit-Wahlkampagne unter anderem: „… Der Slogan „Get Brexit Done“ hat viele Wählerinnen und Wähler überzeugt, für die Tories zu stimmen. Dabei haben sie darüber hinweggesehen, dass Johnson vollkommen vage geblieben ist in der Frage, wie das künftige Verhältnis mit der EU gestaltet werden soll. Die Aussicht, mit dieser Wahl den Brexit vom Tisch zu bekommen und damit endlich in die gelobte Zukunft aufbrechen zu können, hat die Agenda von Beginn an dominiert. Weder Labour noch anderen Parteien ist es gelungen, das Thema zu wechseln oder die noch bestehenden Fallstricke aufzuzeigen. Die Tories haben eine schmutzige Kampagne gegen Labour geführt, die hinsichtlich der eigenen Inhalte vollkommen monoton war: Brexit, Brexit, Brexit. Dabei waren fast alle Mittel recht, seien es manipulierte Videos, als Faktcheck getarnte Twitteraccounts, bezahlte Anti-Labour Anzeigen auf Google oder auch das am Wahltag verbreitete Gerücht, dass Wählerinnen und Wähler einen Ausweis brauchen, um wählen zu dürfen. Johnson hat das Trump-Playbook auf das Vereinigte Königreich adaptiert und damit Erfolg gehabt. Das wird die Hoffnungen anderer Rechtspopulisten in Europa beflügeln. Die zerrissenen Tories waren der grösste Stolperstein bei den bisherigen Versuchen, den Brexit zu implementieren. Die gestrige Wahl hat dieses Bild gedreht. Nun ist die Labour-Partei tief gespalten. Der Ausgangspunkt für den gesamten Brexitprozess war eine in sich gespaltene konservative Partei. Die zerrissenen Tories waren auch der grösste Stolperstein bei den bisherigen Versuchen, den Brexit zu implementieren. Die gestrige Wahl hat dieses Bild gedreht. Nun ist die Labour-Partei tief gespalten…“

„Freie Hand im Brexit-Land“ von Peter Stäuber am 19. Dezember 2019 in der WoZ online externer Link (Ausgabe 51/2019) zu weiteren Johnson-Plänen: „… Das Land muss sich auf die rechteste Regierung seit den achtziger Jahren gefasst machen. (…) Bei anderen Versprechen, die der Premierminister gemacht hat, zeigt er sich hingegen flexibler. Vor der Wahl hatte Johnson zum Beispiel beteuert, dass die geltenden Rechte der Angestellten sowie die Umweltauflagen nach dem Brexit beibehalten würden; nach dem Tory-Wahlsieg hat die Regierung aber durchblicken lassen, dass diese Garantien aus der Brexit-Vorlage gestrichen werden könnten. Auch die Zukunft des staatlichen Gesundheitsdiensts NHS ist unsicher – und zwar nicht nur wegen der Abwanderung von Fachkräften, die bereits vor dem Brexit begonnen hat. Johnson hat zwar versprochen, mehr Geld in den NHS zu investieren und die schrittweise Privatisierung zu verhindern. Aber wer ihm diesbezüglich Glauben schenkt, hat aus der Karriere des pathologischen Schwindlers nichts gelernt. Man erinnert sich an die Worte des ehemaligen Tory-Premierministers John Major vor dem EU-Referendum: In den Händen von Johnson und seinen Weggefährten sei der NHS «so sicher wie ein Hamster in Anwesenheit einer hungrigen Python». Zudem könnte bald ein Angriff auf die staatlichen Institutionen folgen. Im konservativen Wahlprogramm heisst es, man werde «die Beziehung zwischen Regierung, Parlament und Gerichten» überprüfen. Gemäss «Guardian» könnte dies darauf hinauslaufen, dass die Regierung die Unabhängigkeit der Justiz und das Menschenrechtsgesetz infrage stellt; ein Manöver, das Johnson mit seiner rechtswidrigen Suspendierung des Parlaments vor den Wahlen schon einmal geübt hat. Auch die öffentlich-rechtliche BBC ist bereits im Visier der Tories: Die Regierung hat beschlossen, das wichtigste Radionachrichtenprogramm zu boykottieren, weil es politisch nicht genehm sei…“

b) Einige – wenige – Aspekte der sozialen Lage vor und nach dem Brexit

„Nach Boris Johnson reitet Großbritannien in einen heroischen Sonnenaufgang“ von Christian Bunke am 29. Januar 2020 bei telepolis externer Link fasst die Situation zum Brexit-Tag so zusammen: „… Am 31. Januar verlässt Großbritannien die EU. Während dieser Vorgang in Brüssel ohne großes Klimbim ablaufen soll, plant Boris Johnson eine Party, Ansprachen an das Volk und ähnliche Erbauungen. Eine neue 50 Pence-Münze wurde hergestellt, um auch zukünftige Generationen an dieses historische Datum zu erinnern. Nach drei Jahren zäher Verhandlungen mit der EU ist nun alles gut. Großbritannien reitet in einen heroischen Sonnenaufgang, eine große Zukunft steht dem Land bevor. Wie im Märchen. Soweit die offizielle Botschaft. In Wirklichkeit weiß Premierminister Boris Johnson natürlich, dass es mit dem Brexit alles andere als vorbei ist. Wenn die Menschen Großbritanniens am Montag aufstehen, werden ihnen am Arbeitsweg dieselben Probleme und Schwierigkeiten begegnen wie schon die vergangenen Jahre auch: Veraltete und überlastete Busse und Züge werden sich verspäten, Obdachlose werden in den Türen leerstehender Ladenzeilen lagern, hohe Mieten werden trotz Job, aber wegen niedriger Löhne zu Monatsende vielleicht nicht bezahlt worden sein, es sei denn man hat zu horrenden Raten einen Kurzzeitkredit aufgenommen. Johnson weiß, dass er nun liefern muss. Im Wahlkampf hat er versprochen, dem Land durch den Brexit mehr Krankenhäuser und mehr Investitionen in die marode Infrastruktur zu liefern. Um symbolisch zu beweisen, dass er nicht vergessen hat, will er das Regierungskabinettstreffen am Brexit-Tag im englischen Norden abhalten – dort, wo die britischen Konservativen 50 Sitze mit dem Slogan „get Brexit done“ gewonnen haben. Mit dem EU-Austritt Großbritanniens beginnt der eigentliche Härtetest für Johnsons Regierung. Er muss nun Handelsverträge mit verschiedenen Großmächten aushandeln, die alle aus unterschiedlichen Gründen auf den britischen Markt schielen. EU und USA haben die Woche vor dem Brexit-Vollzug genutzt, um schon einmal Forderungen zu platzieren – Forderungen, die der britischen Regierung das Leben schwer machen werden. Die EU kämpft um den Erhalt ihrer neoliberalen Gründungsprinzipien…“

„Schweres Erbe“ von Lene Kempe am 21. Januar 2020 in analyse&kritik online externer Link (Ausgabe 656) zur sozialen Situation wie sie sich seit Margaret Thatcher vor 40 Jahren entwickelt hat und ihrer heutigen Fortsetzung unter anderem: „… Thatcher war ohne Frage eine Vorkämpferin der neoliberalen Wende und eine der eifrigsten Verfechter*innen der »Austerity«. In gewisser Weise setzte sie damals allerdings »nur« den herrschenden Zeitgeist um. Neoliberale Ideen waren überall auf den Vormarsch. Sie wurden 1970, während der blutigen Pinochet-Diktatur in Chile erstmals und auf besonders perfide Art und Weise von den »Chicago Boys« in großem Stil umgesetzt. Zudem änderten sich die globalen Rahmenbedingungen für solche Politiken seit Mitte der 1970er Jahren rapide: Der Übergang zu frei schwankenden Wechselkursen und die Liberalisierung der Finanzmärkte hatte neue Akteure in Gestalt großer institutioneller Anleger und global operierender Privatbanken hervorgebracht, die nun Anlagemöglichkeiten rund um den Globus suchten. Viele der Reformschritte, die Thatcher eingeleitet hatte, waren in diesem veränderten globalen Setting kaum noch rückgängig zu machen. Die Rede von der Alternativlosigkeit bekam durch die neoliberale Globalisierung sozusagen einen materiellen Kern. So setzte auch (New-)Labour Thatchers Kurs Ende der 1990er Jahre unter Tony Blair unvermindert fort. Nach zehn Jahren verschärfter »Austerity« im Rahmen der Krisenpolitik nach 2007/2008 allerdings, ist dieses Politikmodell mehr denn je in Verruf geraten. Der Brexit lässt sich vor diesem Hintergrund auch als Suche nach einer gangbaren Alternative interpretieren. Der Versuch Labours, mit einem ambitionierten Wahlprogramm, das unter anderem Rückverstaatlichungen vorsieht, Begeisterung für eine radikale Wende in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik und eine Abkehr von der Austerität zu erzeugen, scheiterte zugleich. Und dass es wiederum mit Boris Johnson ausgerechnet einem rechts-konservativen Politiker gelungen ist, dieses Thema für sich zu vereinnahmen und sich als Anwalt der Abgehängten und Armen zu profilieren, empfinden viele linke Beobachter*innen zurecht als das eigentlich Drama des Brexits.“

„Großbritannien: Immer mehr Menschen auf Tafeln angewiesen“ bereits am 13. November 2019 in der jungen welt externer Link meldete: „… In Großbritannien sind immer mehr Menschen auf die Versorgung durch Lebensmitteltafeln angewiesen. Der Trussel Trust, die größte Wohltätigkeitsorganisation des Landes für die Essensausgabe, hat dazu am Mittwoch einen neuen Bericht vorgestellt. Demnach wurden 823.145 Notfall-Lebensmittelpakete zwischen April und September 2019 an bedürftige Menschen verteilt. Das ist eine Steigerung von 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr und die höchste Steigerungsrate der letzten fünf Jahre, so die Organisation. Sie fügte hinzu, dass allein 301.653 dieser Pakete an Kinder verteilt wurden. Die Hauptgründe, warum die Menschen Notfallnahrung benötigten, seien ein niedriges Sozialleistungseinkommen und Verzögerungen oder Änderungen beim staatlichen Leistungsbezug. »Mehr Menschen als je zuvor werden gezwungen, an die Türen von Lebensmitteltafeln zu gehen«, sagte die Vorsitzende des Trusts, Emma Revie…“

„The ranks of the working poor“ von Justine Doody am 19. Dezember 2019 bei Social Europe externer Link zu einer Entwicklung des modernen Kapitalismus, die kein Brexit verändert: So etwa die offiziell für Großbritannien festgehaltene Zahl, wie viele der seit der Krise 2008 „neu geschaffenen Arbeitsplätze“ in Wirklichkeit Vollzeitarbeitsplätze seien (weil eben die meisten anderen, kürzeren, direkte finanzielle Probleme mit sich bringen). Sage und schreibe: 1 von 40.

„Scraping Together Pennies for a Loaf of Bread“ bereits am 20. Mai 2019 bei Human Rights Watch externer Link waren Interviews mit Menschen, die in Großbritannien leben und schlicht und ergreifend mit Hunger zu kämpfen haben. Und dies waren immer wieder „Beschäftigte“: Mit Nullstunden-Verträgen, also etwa „Springer“, die auf Abruf arbeiten müssen…

„Umkämpfter National Health Service“ von Nicole Tomasek am 02. Januar 2020 in der jungle world online externer Link zu einer der zentralen sozialen Fragen: „… Das britische Gesundheitssystem NHS wird zu 98,8 Prozent aus allgemeinen Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen finanziert, hinzu kommen Gebühren für einige Dienstleistungen. Alle im Vereinigten Königreich wohnhaften Personen haben Anspruch auf medizinische Versorgung im Rahmen des NHS. Kritisiert wird das System oft wegen langer Wartezeiten und Personalmangel. Die konservative Regierung von David Cameron (2010-2016) senkte die Ausgaben für den NHS drastisch. Streiks und Proteste waren die Folge. Camerons Nachfolgerin Theresa May kündigte höhere Ausgaben für den NHS an. Ihr Nachfolger Boris Johnson versprach, den NHS zur Priorität seiner Regierung zu machen. Labour warf Johnson vor, den NHS zum Gegenstand von Verhandlungen mit den USA über ein Handelsabkommen machen und ihn an die USA verkaufen zu wollen...“

„Water privatisation anniversary: £6.8bn in five years for shareholders“ am 01. Juli 2019 bei der Gewerkschaft GMB externer Link war ein Beitrag zum 30. Jahrestag der Wasserprivatisierung. Die Bilanz ist einfach – für die letzten fünf Jahre. In diesem Zeitraum kassierten die Aktionäre 6,8 Milliarden britische Pfund – und die Preise stiegen um 40% mehr, als die Inflation…

c) Zu – ebenfalls einigen wenigen – Ansatzpunkten, bei denen Basisgewerkschaften und soziale Initiativen nicht ausschließlich „Labour-Orientiert“ Alternativen diskutieren oder umsetzen

„Es hilft alles nichts …“ von Gary Young im Freitag, ist die Übersetzung eines Artikels im britischen Guardian vom 13. Dezember 2019 externer Link und skizziert die politische Lage nach dieser Wahlschlappe Labours einleitend so:“… Das verändert alles. Die vierte landesweite Abstimmung innerhalb von vier Jahren hat die Blockade des Parlaments gebrochen – mit verheerenden Folgen. Das Ergebnis der Labour Party in ihren traditionellen Hochburgen – ein einziger Kollaps. All die demographischen, geografischen und sozialen Bindungen, die dieses Bündnis zusammenhielten, haben sich aufgelöst. Ob sie je wieder eine Ganzes bilden werden, muss sich erst noch zeigen. Großbritannien hat die seit Jahrzehnten rechteste Regierung gewählt und einem unübertreffbar prinzipienlosen Spitzenkandidaten eine so große Mehrheit gegeben, dass es ein Jahrzehnt dauern könnte, ihn wieder loszuwerden. Die vergangene Nacht war schlimm. Das Schlimmste aber kommt erst noch. Die Linke muss nun den Raum finden, um zu trauern und gleichzeitig nachzudenken. Es geht nicht um uns. Es geht um eine Gesellschaft voller Hoffnung, wie wir sie schaffen wollen, um die Menschen, mit denen zusammen wir sie schaffen wollen, und um die Dystopie, die die Tories gerade Realität werden lassen. Wir werden so lange nicht in der Lage sein, wieder zu gewinnen, bis wir herausgefunden haben, warum wir verloren haben. Die derzeit geläufigen, einfachsten Antworten darauf, machen allesamt keinen Sinn: Alles Jeremy Corbyn, dem Brexit, den Medien, dem Labour-Wahlprogramm oder taktischem Unvermögen zuzuschreiben, heißt doch nur zu leugnen, dass die Gemengelage komplexer ist. Natürlich spielte der Brexit eine schwerwiegende Rolle. Labour hatte drei Jahre Zeit, um ein kohärentes Angebot zu unterbreiten, um dem Tory-Getöse entgegenzutreten – und scheiterte. Da die Partei die größten Verluste in Regionen erlitt, die 2016 mehrheitlich für den EU-Ausstieg gestimmt hatten, ist es ohne jeden Sinn, jetzt zu argumentieren, Labour hätte sich völlig eindeutig für den Verbleib in der EU und ein zweites Referendum aussprechen sollen. Genau das haben ja die Liberaldemokraten getan, es hat ihnen nichts geholfen…“

„Gewerkschaften beschließen den Kampf gegen die Angriffe auf ihr Streikrecht durch Boris Johnson“ von Charlie Kimber am 08. Januar 2020 bei der Freiheitsliebe externer Link ist eine Übersetzung eines Beitrags aus dem Socialist Worker, worin es zu praktischen Schlussfolgerungen der Gewerkschaften gegenüber der rechten Johnson-Regierung unter anderem heißt: „… Die Gesetzgebung sieht vor, dass in „Mindestleistungsvereinbarungen“ die Leistungen festgelegt werden, die während der Arbeitsniederlegungen der Eisenbahner zu erbringen sind. Jeder Streik, vor dem keine solche Mindestleistungsvereinbarungen getroffen wurden, wird folglich illegal. Und wenn diese nicht eingehalten werden, ist ein Streik ebenfalls illegal und die Gewerkschaften müssen mit Verwarnungen oder der Entrichtung von Schadensersatz rechnen. Über 100 RMT-Gewerkschaftsmitglieder und andere versammelten sich zu einer Demonstration vor dem Parlament kurz nach der Bekanntmachung des Gesetzes. Der RMT-Generalsekretär Mick Cash sagte dazu: „Wir werden nicht tatenlos zusehen und diesen Angriff auf die Rechte der Arbeiter hinnehmen. Die Regierung greift uns alle an, und wir werden kämpfen.“ „Sie haben uns den Fehdehandschuh hingeworfen, und wir heben ihn auf.“ Steve Hedley, assistierender Generalsekretär der RMT, richtete sich in einer persönlichen Erklärung an die Versammlung. Er sprach zu den Protestierenden: „Wie ist es zu diesem Punkt gekommen?  Wegen einer Abstimmung bei der die Arbeiterklasse sich verraten gefühlt hat. 2017 sagte die Labour-Partei, sie würde die Abstimmung über den Brexit respektieren, dieses Mal unterstützte sie aber ein zweites Referendum und desorientierte das Volk mit dieser Politik.“…“

„Abwehr faschistischer Eliten“ von Susann Witt-Stahl am 30. Dezember 2019 in der jungen welt externer Link zu Debatten in der Linken nach der Wahl: „… Viele Linke befürchten nun eine Entgrenzung des von den Tories protegierten antimuslimischen Rassismus – Ikonen der militanten Rechtsradikalen wie Tommy Robinson, die zum Teil offensiv Wahlkampf für Johnson gemacht hatten, haben bereits Masseneintritte in dessen Partei angekündigt. Man habe sich mit nichts weniger zu konfrontieren als mit der Machtübernahme einer »faschistischen Elite«, warnte der marxistische Filmemacher Haim Bresheeth auf einer Konferenz über den wachsenden Islamhass und antidemokratische Tendenzen wenige Tage nach der Wahl. Ein Gastredner aus den USA, Ramón Grosfoguel, Soziologe an der kalifornischen Berkeley-Universität, verwies auf die Funktion der islamophoben Hetze als Legitimationsideologie für die imperialistische Aggression Großbritanniens als − nach dem »Brexit« noch engerer − Partner der USA unter Trump: »Venezuela wird nicht zuletzt als angeblicher Verbündeter des Islamismus angegriffen.«  Als nahezu katastrophal hat sich für die sozialistische Linke erwiesen, dass der Hauptfeind einmal wieder in den eigenen Reihen wütete. (…) Eine der wichtigsten Konsequenzen sei jetzt, »zur Klassenorganisation zurückzukehren« und marxistische Positionen »nicht als Wahlangebot an die Werktätigen, sondern im Zuge gemeinsamer Kämpfe zu vertreten«, fordert die sozialistische Tageszeitung Morning Star. Dass die Arbeiterklasse unter der Führung der Sozialdemokratie nur weiter verlieren kann, wenigstens darüber ist man sich im zersplitterten kommunistischen Lager einig. »Wir brauchen eine marxistische Linke mit eigenen Massenmedien, keine linke Labour-Partei«, sagte Jack Conrad, Chef der heute sehr kleinen Communist Party of Great Britain, in seiner Wahlanalyse und appellierte an seine Genossen, sich für den Kampf gegen die rechteste Regierung der Tories seit hundert Jahren zu wappnen…“

„UK: London cleaners strike — new unions, new tactics“ von Tom Wall bereits am 05. August 2018 bei Europe Solidaire externer Link dokumentiert, ist – obwohl die eine oder andere Wahl vorher verfasst – dennoch ein Hinweis auf einen wesentlichen Punkt eventueller Widerstandskonstellationen: Das Wirken – und das Wachstum – neuer, alternativer, oft von Migration geprägter Alternativgewerkschaften zum „Tanker TUC“.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=162112
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