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Ein Jahr nach der Brandkatastrophe in London: Es wird noch jahrelang weiter untersucht – und Ersatzschuldige werden gefunden

Feuer im Londoner Hochhaus 14.6.2017 - die MiterInnen hatten gewarntBei dem verheerenden Feuer in dem Londoner Grenfell-Hochhaus starben mehr als 70 Menschen. Hunderte verloren ihr Zuhause. Ein Jahr später leben viele ehemalige Bewohner immer noch in Behelfsunterkünften.Es ist der 14. Juni 2017, nachts, halb zwei: Der Grenfell Tower im Londoner Stadtteil Kensington steht in Flammen. Innerhalb kürzester Zeit brennt das gesamte Hochhaus lichterloh. Hilferufe gellen durch die Nacht. Doch für viele Menschen kommt in dieser Nacht keine Rettung mehr. Sie sterben in den Flammen oder springen aus Verzweiflung aus den Fenstern. 72 Menschen verlieren ihr Leben, Hunderte ihr Zuhause – und ihr gesamtes Hab und Gut. (…) Parallel zu den strafrechtlichen Ermittlungen von Scotland Yard versucht auch eine unabhängige Untersuchungskommission herauszufinden, wie es zu der Brandkatastrophe kommen konnte. Ende Mai wurden zunächst die Geretteten und Hinterbliebenen angehört, zu denen auch Marcio Gomes gehört. Seine hochschwangere Frau hat in der Brandnacht zu viel giftigen Qualm eingeatmet, der Junge kam tot zur Welt. „Das hat uns das Herz gebrochen“, sagt der Vater schluchzend. Nicht nur bei der Familie Gomes ist der Schmerz offensichtlich. Zudem haben viele ehemalige Grenfell-Bewohner auch ein Jahr nach dem Unglück noch kein neues Zuhause. 52 Familien leben noch in befristeten Unterkünften, 69 in Hotels. Was luxuriös klingt, ist auf Dauer eine Zumutung“ – aus dem Beitrag „Die offenen Wunden von Grenfell“ von Imke Köhler am 14. Juni 2018 in der tagesschau externer Link (ursprünglich ein Radiobeitrag im Deutschlandfunk). Siehe dazu zwei weitere aktuelle Beiträge zu diesem Jahrestag, sowie zwei Hintergrundbeiträge und den Hinweis auf den bisher letzten unserer Berichte:

  • „Brandunglück „Grenfell Tower“: Ermittlungen gegen Feuerwehr“ am 10. Juni 2018 bei Perspektive Online externer Link ist ein kurzer Überblick darüber, wer bisher zur Verantwortung gezogen werden soll – und wer nicht: „Die Einsatzkräfte der Feuerwehr „London Fire Brigade“ (LFB) hatten die Anweisung („stay put-Regel“) gegeben, vorerst in den Wohnungen des 24-stöckigen Hochhauses zu bleiben. Ein Vertreter äußerte sich dazu kürzlich, dass es „keine offensichtlichere und sicherere“ Alternative gegeben habe. Nach rund zwei Stunden erst hatten die Feuerwehrleute dann eine vollständige Evakuierung eingeleitet – und sehen sich heute massiver Kritik ausgesetzt. Derweil hat es auch mehrere Fälle von versuchtem Versicherungsbetrug gegeben, bei dem sich acht Männer und eine Frau fälschlicherweise als Opfer oder Angehörige von Opfern ausgegeben und auf diese Weise ungerechtfertigt finanzielle Hilfe erschwindelt hätten. In dreien dieser Fälle wurden bereits mehrjährige Haftstrafen verhängt, insgesamt wurden fünf Menschen für schuldig erklärt. Offen bleibt bis heute aber die Frage, wann sich diejenigen verantworten müssen, die aus Kostengründen auf billige Fassadenverkleidung setzten (und wohl weiterhin setzen können) und damit überhaupt erst das Risiko produzierten, dass es zu einem Feuerwehreinsatz diesen Ausmaßes kommen musste“.
  • „»Keine Sicherheit, keine Miete«“ am 14. Juni 2018 in neues deutschland externer Link ist ein Gespäch von Christian Bunke mit Paul Kershaw  (Vorsitzender des Fachbereichs Wohnen bei der Gewerkschaft UNITE in London), worin dieser unter anderem ausführt: „Man weiß inzwischen, dass es eine Reihe von Fehlerquellen gab. Es war nicht nur die Außenverkleidung. Die ursprünglichen Gebäudepläne sind von der Verwendung nicht entflammbarer Materialien ausgegangen. So sollte die Ausbreitung von Wohnungsbränden auf andere Gebäudeteile vermieden werden. Eine Reihe von Sanierungen und Erneuerungen hat das zunichte gemacht. Das Feuer konnte sich über Dächer und Fenster ausbreiten. Brandschutztüren haben nicht funktioniert. Der Rauch konnte nicht entweichen. Alles was schief gehen konnte, ging schief. Das ist das Ergebnis von Einsparungen, Privatisierung und Outsourcing. /Die Londoner Konservativen haben in den Tagen vor dem Jahrestag der Katastrophe versucht, die Schuld am Desaster der Feuerwehr zuzuschieben …/ … und das ist ein großes Ablenkungsmanöver. Tatsache ist, dass die offiziell ausgegebenen Verhaltensregeln für den Brandfall falsch waren. Man hat den Leuten gesagt, sie sollen in ihren Wohnungen bleiben, weil man davon ausging, dass sich ein Brand nicht verbreiten kann. Man wirft der Feuerwehr vor, nicht evakuiert zu haben. So soll Verantwortung für die Katastrophe von den Einsparungen und der Politik des Establishments abgelenkt werden. Übrigens war auch die Evakuierung problematisch. Die Treppenhäuser waren nicht für eine Evakuierung und einen Feuerwehreinsatz gleichzeitig ausgelegt. Und alles war voller giftiger Gase“.
  • „London: Sechs Monate seit dem Brand des Grenfell Towers“ von Robert Stevens und Chris Marsden am 19. Dezember 2017 bei wsws externer Link war ein Beitrag zur Halbjahresbilanz, der zur Anlage der Untersuchungskommission heute noch gültig unterstrich: „Obwohl hier ein schreckliches Verbrechen verübt wurde, ist keine einzige Person oder Organisation für das, was geschehen ist, vor Gericht gestellt worden. Am Tag nach dem Brand begann die Londoner Metropolitan Police eine Kriminaluntersuchung, dennoch ist bis heute keine einzige Person verhört, oder gar festgenommen oder angeklagt worden. In einer Erklärung, die die Polizei in der zweiten Dezemberwoche im Zusammenhang mit der offiziellen Untersuchung der Regierung herausgab, heißt es, dass vor dem Herbst nächsten Jahres keine Aussicht bestehe, irgendeinen „Verdächtigen“ zu verhören, da die forensischen Untersuchungen des Gebäudes noch andauerten. (…) Der die staatliche Untersuchung leitende Richter Sir Martin Moore-Bick hat keine Befugnis, irgendjemanden zu belangen, hat jedoch vollständige Kontrolle darüber, welche Fragen von Rechtsvertretern der Überlebenden oder anderen interessierten Parteien gestellt werden dürfen. Die Vorgaben dieser Untersuchung schließen von vornherein aus, dass irgendwelche „sozialen, wirtschaftlichen oder politischen“ Themen behandelt werden. Eine Petition von Überlebenden und ihren Familien, dass Moore-Brick ein repräsentatives Gremium akzeptieren und ihm nicht erlaubt sein solle, Fragen auszuschließen, konnte 16.000 Unterschriften sammeln. Wie für die polizeilichen Ermittlungen ist auch für seine Untersuchung nicht vorgesehen, vor Herbst nächsten Jahres auch nur Zwischenergebnisse zu der Frage vorzulegen, wie das Feuer begann und sich ausbreitete. Die Skepsis der Öffentlichkeit in die offizielle Untersuchung hat ein Ausmaß erreicht, dass in der zweiten Septemberwoche die britische Organisation zur Überwachung der Menschenrechte, die Equality and Human Rights Commission (EHRC), angekündigt hat, eine eigene Untersuchung durchzuführen. Im Zentrum soll die Frage stehen, warum mehr als 70 Menschen in „staatlich verwalteten“ Wohnungen umkamen. Der Antrag der EHRC, als Hauptteilnehmer der Untersuchung von Moore-Bick zugelassen zu werden, wurde abgelehnt“.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=133494
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