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[Griechenland und Demokratie] Wenn Du Dein Land verlierst

Polizeiaufmarsch gegen Anarchisten in Athen - Anfang August 2019„Das liberale Europa ärgert sich über die autokratisch regierten EU-Mitglieder Ungarn und Polen, weil die zum Schutz ihrer illiberalen Regime ein Veto gegen den EU-Haushalt einlegen. Doch niemandem scheint aufzufallen, dass gleichzeitig Griechenland dabei ist, seine Demokratie abzuschaffen. Anders als früher braucht es dazu keine Panzer (…) Griechenland hat die erste Corona-Welle gut überstanden, aber die zweite Welle traf die Regierung völlig unvorbereitet. Insider in Krankenhäusern in Nordgriechenland, wie der Chef der Intensivstation, mit dem ich gesprochen habe, vergleichen ihre gegenwärtige Situation mit der Lage in Norditalien im Frühjahr. Doch nur wenige Informationen über die gegenwärtigen Schrecken gelangen an die Öffentlichkeit. Ein Grund dafür ist, dass die von der Regierung eingesetzten Krankenhausmanager den Mitarbeitern mit unangenehmen Konsequenzen drohen, wenn sie mit den Medien sprechen. Ein anderer, dass die Medien während der Pandemie völlig abhängig von hohen Zuschüssen geworden sind, die das Informationsministerium nach Gutdünken des Ministers vergibt – Orwell lebt!. In den vergangenen Wochen hat die Polizei Ermittlungen gegen Krankenhausangestellte aufgenommen, die kleine symbolische Streiks angekündigt hatten, um gegen Personalmangel zu protestieren. Als der 17. November näher rückte, der 47. Jahrestag eines antifaschistischen Studentenaufstandes – der alljährlich für Demonstrationszüge in Griechenland genutzt wird –, erließ die Polizei ein viertägiges landesweites Verbot für Versammlungen im Freien mit mehr als vier Personen. Die Pandemie war der Vorwand. Der Grund war, die Äußerung abweichender Meinungen zu unterbinden. (…) Am 25. November, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, legten die Abgeordneten gerade Lippenbekenntnisse zu diesem Thema ab, während die Polizei draußen vor dem Gebäude neun prominente Feministinnen verhaftete, weil sie es gewagt hatten ‒ unter Einhaltung der Abstandsregeln ‒ für ebendiese Sache zu demonstrieren…“ Beitrag von Yanis Vauroufakis vom 7. Dezember 2020 bei der DGB-Gegenblende externer Link (aus dem Englischen von Sandra Pontow), siehe einen weiteren von ihm:

  • Yannis Youlountas: Der autoritäre Wandel in Griechenland und Frankreich
    Heute Abend (6. Dezember, 2020, Enough 14)wird das Exarcheia-Viertel von einer Flut von Waffen und Uniformen heimgesucht. Um jegliche Revolte zu verhindern, hat der griechische Staat ein regelrechtes Armee von Bullen aufgestellt, das von zwei Hubschraubern und mehreren Drohnen unterstützt wird. Hier und da sind Schreie zu hören, und es kommt zu Explosionen. Ein unbewohntes Gebäude steht in Flammen. Seit einem Jahr versucht die griechische Polizei, das Viertel zu schwächen, indem sie viele besetzte Häuser räumt, aber einige leisten immer noch Widerstand, vor allem Notara 26 und K*Vox. Seit heute Morgen hat die neue Polizeiaktion jedoch ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Nicht nur zahlenmäßig, sondern auch in Bezug auf besonders schockierende Handlungen. Am Jahrestag der Ermordung des jungen Anarchisten Alexis Grigoropoulos durch einen Polizisten in Exarcheia am 6. Dezember 2008, hinderten uns die Ordnungskräfte der Herrschenden zunächst daran, uns an den Ort der Gedenkstätte zu begeben, wo sich die Gedenktafel befindet, wo er im Alter von fünfzehn Jahren ermordet wurde! Schlimmer noch: Dutzende von Menschen wurden verhaftet, weil sie versuchten, zu passieren. In wenigen Stunden werden mehr als 160 verhaftungen gezählt! Einer der Bullen riss sogar einen Rosenstrauß ab, der am Tatort zurückgelassen worden war, bevor er ihn vor laufender Kamera zerstörte. Das Filmmaterial fand schnell seinen Weg durch Griechenland und verursachte heute Abend bereits einen Skandal (…)  Darüber hinaus wurden Journalist:innen daran gehindert, weiterhin im Viertel zu filmen, und sie wurden so weit wie möglich von „Polizeieinsätzen“ ferngehalten. Einige mussten mit ansehen, wie ihre Ausrüstung beschädigt wurde, andere wurden gewaltsam verdrängt, darunter meine Freunde, die freiberuflichen Journalisten Alexandros Katsis und Mario Lolos (Der einige der Bilder in diesem Artikel gemacht hat), manchmal mit Schlagstöcken! Die Dutzenden verhafteten Gefährt:innen und Genoss:innen senkten den Kopf nicht und hoben, wer konnte, im Einvernehmen mit der schockierten, aber standhaften Menge die Fäuste. (…) Nichts Neues unter der Sonne: Der Faschismus bleibt der eifrige Hüter des Kapitalismus. Sie stellt keine wirkliche Opposition zum gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen System dar. Im Gegenteil: Sie ist in jeder Krisensituation die ultimative Stufe, im Zuge autoritärer Exzesse. (…) Dasselbe wird zur Zeit auf Kreta versucht, in bescheidenerem Maße, auf einer Insel, auf der der Widerstand sowohl gegen große schädlichen Projekte als auch gegen das politische und wirtschaftliche System insgesamt so gut es geht weiter macht. Orte werden geboren (Später werden wir mehr darüber sprechen) und die Aktionen vervielfältigen sich. Unter anderem wurde gestern Abend auf der Festung des Hafens von Heraklion vor den Augen der Einwohner:innen, Seeleute und Passagier:innen ein großes Transparent aufgehängt: „Keine Polizei wird sie vor Ihrer immensen Verantwortung für die Folgen dieser Pandemie schützen können“. Tatsächlich offenbart diese Pandemie einmal mehr die tiefgreifenden Ungleichheiten angesichts der Eindämmung und ihrer Folgen. Schlimmer noch, Covid19 bietet einen neuen Vorwand für die Herrschenden, um uns das zu rauben, was in dieser zunehmend autoritären Gesellschaft von unserer Freiheit übrig bleibt. Nach dem Terrorismus ist dies die Zeit des Virus. Eilmeldungen reihen sich endlos aneinander. Alle Mittel sind gut, um immer wieder an der Schraube zu drehen und uns brutal in eine dystopische Gesellschaft einzusperren, in der der Staat es wagt, sich in alles einzumischen, was unser Leben ausmacht, von den kleinsten Rissen bis hin zu den Grenzen unserer Intimität. Diejenigen, die noch nicht verstanden haben, was der Staat ist, sollten ihre Augen dafür öffnen: Egal, welchen Krieg er in unserem Namen erklärt, gegen dieses oder jenes, immer sind wir es, die unter seinen Launen, Willkür und Befehlen die aus heiterem Himmel herabgestürzt sind, leiden…“ Artikel von Yannis Youlountas, ursprünglich veröffentlicht von Blog YY externer Link, übersetzt von Enough 14 und dort veröffentlicht am 8.12.2020 externer Link mit Tweets und Fotos
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=183014
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