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„Gegen Spardiktate und Nationalismus!“: Tagebuch der 12. Griechenland-Solidaritätsreise vom 28.9. bis 4.10.2024

Persönliche Reiseeindrücke aus Griechenland von Rainer Thomann„… Griechenland sei das Land in Europa, das am meisten von Veränderungen zum Schlechteren betroffen sei. Griechenland sei an einem kritischen Punkt. Das neoliberale Dogma habe sich durchgesetzt. Einmal politisch mit der Nea Demokratia (ND) als Regierungspartei. Zum anderen und schlimmer, die Gesellschaft habe sich neoliberalisiert. Bis zur Pandemie sei die Durchdringung nicht so tiefgreifend gewesen wie jetzt. Diese Durchdringung beziehe sich auch auf die „Liberalisierung“ der Arbeitsrechte und der Arbeitswelt. (…) Die Gewerkschaften stehen in Griechenland schlechter da als in China. Seit 2012 wurde die Arbeitszeit erhöht, seit dem 1. 7. 2024 ist auch der Samstag Arbeitstag. Das hat Auswirkungen auf das Leben der Beschäftigten: Da Solidarität aufgrund der Tariflosigkeit wegfällt, herrscht individueller Kampf um bessere Arbeitsbedingungen. Wie kann ein eingeschüchterter Arbeitnehmer, schlecht bezahlt, ohne Tarif, politisch aktiv werden mit Aussicht auf Erfolg? Was kann er tun außer auswandern?…“ Aus einem der spannenden Reiseberichte im 1. Teil des diesjährigen Tagebuchs, siehe nun Teil 2 vom Besuch bei der kämpfenden LARCO-Belegschaft bis zum Treffen mit der Seeleute Gewerkschaft PENEN:

Reisetagebuch 2024 „Gegen Spardiktate und Nationalismus!“, Teil 2 New

Mittwochnachmittag, 2. Oktober

Besuch bei der kämpfenden LARCO-Belegschaft

Das Programm für unsere Soli-Woche in Griechenland ist immer mal doppelt belegt. Die Themen Umwelt und gewerkschaftliche Kämpfe sollten nicht zu kurz kommen. So mussten wir uns aufteilen und zwei von uns fuhren nach Volos, wo Umweltthemen in der Szene stets im Mittelpunkt stehen. Auf dem Weg nach Volos hatten wir die Gelegenheit, Kollegen aus der kämpfenden Belegschaft von Larco zu treffen. Der Kampf gegen die Schließung von Larco bzw. die geplante Privatisierung in den letzten Jahren war uns bekannt. Schließlich gab es auch aus Deutschland viele Berichte und Solidaritätsaktionen. Deshalb freuten wir uns über die Gelegenheit uns mit Panagiotis Politis und seinen Kollegen zu treffen. Dass Gewerkschaften auch unter schwierigsten Bedingungen kämpfen können, bewiesen diese Arbeiter.

LARCO
Larco ist ein von der PASOK-Regierung verstaatlichter Betrieb für die Nickelproduktion. Das von uns besuchte Werk liegt bei Larymna am Golf von Euböa. Hier wird Nickelerz im Tagebau gefördert und in dem Stahlwerk verhüttet. Das Endprodukt geht an Edelstahlhersteller wie Thyssen Krupp oder den Kochtopfhersteller Fissler. (Dieser exportiert wiederum teureres Edelstahlgeschirr nach Griechenland.)

Die Produktion ist äußerst energieintensiv. Um das Erz zu schmelzen werden1700 Grad benötigt. Das Werk verbrauchte bis zu 200 Megawatt pro Stunde. Den Strom bezog es vom damals ebenfalls staatlichen Energieerzeuger DEI. Allerdings lag der Strompreis für Larco mit 70 € mehr als doppelt so hoch wie der Industriestrompreis für das Aluminiumwerk Aluminium of Greece bei Distomo (wo wir mit unserer Reisegruppe mehrmals waren). Diese Preispolitik sowie andere dubiose Geschäftspraktiken führten dazu, dass das Unternehmen bis zuletzt mit 350 Millionen verschuldet war. DEI erzwang daraufhin die Insolvenz und am 31.7.22 wurde das Werk stillgelegt. Gegen den erbitterten Widerstand der Belegschaft setzte die reaktionäre griechische Regierung die Stilllegung des Werks in Larymna durch.

Eine verrückte Entscheidung, wenn man bedenkt, dass der Preis für Nickel nach der Invasion Russlands in die Ukraine regelrecht explodiert ist, mit einem Rekordpreis von bis zu 101.365 US-Dollar pro Tonne. Selbst bei einem durchschnittlichen Preis von 20.000 € pro Tonne hätte Larco 700 Millionen einnehmen können.

Anfangs gab es deshalb auch Überlegungen das Werk weiterzuführen. Doch die Regierung beharrte darauf, das Werk in Larymna Ende Juli 2022 stillzulegen und die gesamte Belegschaft von 1.060 Beschäftigten zu entlassen. Ein Grund war sicher auch eine kämpferische Belegschaft loszuwerden.

Ende Januar 2023 erhielt der griechische Mischkonzern GEK Terna den Zuschlag für die Larco-Übernahme (siehe dazu auch: taz vom 4.6.2024 Griechenland nach der Finanzkrise: Kampf ums blaue Gold | taz.de externer Link).

Die Bedeutung des Werks für die Region

Sie kämpfen nicht nur für die Arbeitsplätze, Arbeit würden die Kolleg:innen finden, aber zu schlechterer Bezahlung und schlechteren Bedingungen. Es geht auch um die gesamte Infrastruktur der Gegend:

  • Es gab Werkswohnungen für die Beschäftigten;
  • Ärzte und medizinische Versorgung, alles wurde abgewickelt;
  • selbst die Grundschule und das Gymnasium müssen vielleicht schließen.
  • Es herrscht mittlerweile Wohnungsnot. Es gibt keine Mietwohnungen und die Rate für Wohneigentum würde 600 € pro Monat beanspruchen bei einem Einkommen von 1000 bis 1800 € incl. Schicht und Überstundenzuschlägen.

Dabei ist den Kolleg:innen durchaus bewusst, wie schädlich die bisherige Produktion für Gesundheit und Umwelt ist. Sie fordern daher ein erweitertes Mitbestimmungsrecht über das Was und Wie der Produktion.

Eine ökologische Umstellung der Produktion ist unverzichtbar. Der Strom muss aus regenerativer Energie kommen. Es ist absurd, dass Windkrafträder abgeschaltet werden, anfallender  „überschüssiger“ Strom könnte für Pumpkraftwerke genutzt werden, um bei Flaute die Wasserkraft zu nutzen. Auch der gesamte Produktionsprozess müsste neu organisiert werden. Ein Beweis für die Ineffizienz der Produktion ist, dass das Kühlwasser ins Meer abgeleitet wird, anstatt die Energie für Gewächshäuser oder Fernwärme zu nutzen. Auch die „Abfallprodukte“ wie Rost können verwertet werden Eine Besonderheit ist, dass sich in den nicht genutzten Stoffen Kobalt befindet, der bisher mit verschenkt wurde. Für die Herstellung des Endprodukts wäre eine Modernisierung des Standortes erforderlich.

Um ihre Ziele durchzusetzen haben sich fünf Gewerkschaften des Werks zusammengeschlossen und die vielen Aktionen gemeinsam durchgeführt.

Im Sommer ging der Kampf um die Arbeitsplätze vorläufig in die letzte Runde. Am 7. August gab es eine Vollversammlung aller Arbeiter um über das Sozialplanangebot der Regierung zu entscheiden.  Diese hatte unzureichende Ersatzarbeitsplätze angeboten. Weder die Zahl der angebotenen Jobs wäre ausreichend für die 1136 Arbeitsplätze noch würde auch nur annähernd das bisherige Lohnniveau erreicht. Die Angebote der Regierung werden deshalb abgelehnt.

Den ganzen Sommer über haben die Gewerkschafter mobilisiert. „… Trotz der Hitzewelle und Temperaturen von über 40°C demonstrierten Tausende von Arbeitnehmern mehr als 12 Stunden lang… Gleichzeitig organisierten die Gewerkschaften Solidaritätsaktionen in vielen Städten in ganz Griechenland.“ Solidaritätsaktionen gab es auch von der Internationalen Baugewerkschaft, von der italienischen Basisgewerkschaft USB und von vielen anderen. Spontan beschlossen wir für die Streikkasse der Arbeiter:innen 100 € zu spenden.

Für die Larco-Gewerkschaften der Arbeiter von Larymna ist der Kampf nicht zu Ende. „Wir bereiten uns auf neue Mobilisierungen vor, um den Kampf zu eskalieren.“

Eine lange Kampfgeschichte

Auf welche Kampferfahrung die Arbeiter:innen von Larco seit den 60er Jahren zurückblicken können, berichtete Panagiotis:
1963 wurde Nickel noch unter Tage abgebaut, die Arbeitsbedingungen waren sprichwörtlich unterirdisch. Nach 63 Tagen Kampf konnten Verbesserungen durchgesetzt werden, was Belüftung und Arbeitssicherheit betrifft.
1967 wurde die Gewerkschaft von der Militärdiktatur verboten.

1977 erlebte die Industrialisierung einen Schub, als der größte Industrielle Bodosakis, der auch im Rüstungsgeschäft aktiv ist, das Unternehmen übernahm. Damals erkämpfte die Belegschaft eine Lohnerhöhung von 20 %. Auch damals gab es nach einem Polizeieinsatz Solidaritätskundgebungen aus der ganzen Welt.  Nicht ohne Stolz berichtet Panos, dass sein Vater an diesen Kämpfen beteiligt war. Die Streiks drehten sich um Würde und Selbstbewusstsein der Arbeiter:innen.

Bis Anfang der 70 Jahre hatte es 80 tödliche Arbeitsunfälle gegeben. Verbesserungen für Gesundheit und Arbeitssicherheit wurden durchgesetzt. Auch die Verringerung der Belastung der Umwelt konnte den Bossen abgerungen werden.

Dann gab es den Versuch die Gewerkschaft zu kaufen. In den folgenden 20 Jahren gab es kaum noch Arbeitskämpfe. Seit den neunziger Jahren war die Gewerkschaft defensiv und angepasst.

Erst als zu Beginn der 20er Jahre klar wurde, dass das Unternehmen abgewickelt werden sollte, gab es einen Wechsel an der Gewerkschaftsspitze. Seitdem arbeiten fünf  verschiedene Gewerkschaften zusammen und konnten Erfolge erzielen. Die angebotenen Abfindungen wurden abgelehnt. Es gab ein Jahr bezahlte Freistellung. Der Produktionsstopp konnte nicht verhindert werden. Das Werk war seitdem (von außen) besetzt, obwohl Wasser und Strom abgestellt waren. Es gab harte Verhandlungen mit dem Ministerium und Klagen gegen die unrechtmäßigen Kündigungen. In diesem Jahr verschärfte die Regierung die Arbeitsgesetze noch um Kündigungen zu erleichtern.

Der Kampf von Larco wird von über zehn Organisationen unterstützt und natürlich auch von uns.

(Hans)

2. Oktober, Mittwochabend

Treffen in Volos

Wie erwartet, war der Empfang in Volos herzlich. Neben Anna war auch Romanos da. Er hatte in Ioannina studiert und wir hatten ihn dort bei unserem Besuch 2019 kennengelernt.

Volos war in diesem Jahr durch eine weitere Umweltkatastrophe in die Schlagzeilen geraten. Die gesamte Region war bereits im letzten Jahr durch starke Regenfälle überflutet worden. Der Karla-See, der seit 2010 wieder aufgestaut wurde, nachdem er 1962 trockengelegt worden war, um Felder für den Ackerbau zu schaffen, erreichte fast wieder seine ursprüngliche Größe (der größte See des Landes). Millionen von Süßwasserfischen hatten diesen See nach der Überschwemmung besiedelt. Als das Wasser über einen Kanal in einen Fluss abgeleitet und von dort in den Golf von Volos gespült wurde, begann das Massensterben. Die Fische konnten im Meer nicht überleben und 280 Tonnen Fisch wurden an der Küste von Volos angeschwemmt.

Die eigentliche Katastrophe hatte sich im Jahr davor ereignet, als heftige Regenfälle das gesamte Gebiet überschwemmten, Straßen und Eisenbahnlinien wegspülten und die Menschen von der Versorgung abschnitten. Nach den Überschwemmungen wurden von den Aktivist:innen vom Steki (Aktivistentreff) alle Kräfte mobilisiert, um den betroffenen Menschen zu helfen, indem sie sie mit Lebensmitteln und Wasser versorgten. Menschen aus einem Athener Steki (El Chef Solidarity Kitchen) sowie aus anderen Städten kamen ebenfalls in Solidarität, um zu helfen. (Auch wir konnten einen kleinen Beitrag aus dem Solidaritätsfonds leisten.)

Anna zeigt mir eine nur provisorisch reparierte Straße. Die Eisenbahnverbindung von Larissa nach Volos ist immer noch nicht wieder in Betrieb.  Anna berichtet, dass der korrupte und gerissene Bürgermeister versucht hat, die Solidaritätshilfe für sich zu vereinnahmen. Der Bürgermeister, der seit 2014 an der Macht ist, kommt aus dem Nachtclub-Milieu, besitzt einen Fußballverein, hat unzählige Verbindungen zu dubiosen Strukturen. Er ist auch in die kriminelle Müllverbrennung verwickelt. Er versuchte hier mal wieder sein Image als Wohltäter der Stadt aufzupolieren.  Gleichzeitig bestreitet er stets jede Verantwortung für die Schäden.

Die hiesige Umweltbewegung hatten wir bereits bei unserem Besuch im Jahr 2022 kennengelernt. Sie kämpft gegen die Zementfabrik von Lafarge-Holcim und die damit verbundene Müllverbrennungsanlage, die die Energie liefert.  Kürzlich wurden ganze Schiffsladungen von Abfällen angeliefert, deren Herkunft und Inhalt fragwürdig sind. Die Luftverschmutzung ist enorm und die Häufigkeit von Krebs- und Lungenerkrankungen überdurchschnittlich hoch.

Die Proteste dagegen haben wiederholt zu einem brutalen Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten geführt, was zum Tod von Vasillis Maggos führte. (Hier ist ein Bericht: https://www.jungewelt.de/artikel/479390.reaktion%C3%A4rer-staatsumbau-tod-durch-polizeigewalt.html)

Vom 1. bis 3. November findet außerdem das zweite Aktivistencamp zum Schutz des Pelion-Gebirges gegen den Bau von massiven Windkraftanlagen* statt. Am 13.11. wird der Oberste Staatsrat die von Aktivisten eingereichte Petition zur Annullierung der Entscheidung über die Genehmigung der Umweltbedingungen für die Windturbinen in Mavrovouni in Nord-Pelion anhören. (Hier ist ein älterer Dokumentarfilm „Windbag of Aeolus“ über Windkraftanlagen in Griechenland mit englischen Untertiteln. https://www.youtube.com/watch?v=DOYWmxr4GsM externer Link )

Besuch im Steki

Beim Austausch mit den Aktivist:innen des Steki, einem selbstorganisierten sozialen Zentrum in der Stadt, ging es, wie schon bei unserem ersten Besuch, um Wasser und die Kämpfe, die sowohl in Deutschland als auch in Griechenland geführt werden.

Das Steki, das wir kannten, musste sich vor ca. zwei Jahren wegen der hohen Mietkosten eine neue Bleibe suchen und fand sie in einer Bauruine, die früher als Musikstudio genutzt worden war.
Der neue Ort, der von den Nutzern des Steki selbst liebevoll renoviert wurde, bietet auch die Möglichkeit, einen Gemeinschaftsgarten auf dem Grundstück anzulegen.

Hier gab es eine Info- und Austauschveranstaltung. Der ursprüngliche Plan war, den Diskussionsabend mit einem Filmausschnitt aus „Waterdrops“ zu beginnen, der sich mit der Privatisierung und Kommerzialisierung von öffentlichen Gütern und deren Folgen beschäftigt. (Hier ist der Link zu dem Dokumentarfilm mit englischen Untertiteln https://www.youtube.com/watch?v=2cthF1XWEg) Aber die Version mit englischen Untertiteln funktionierte nicht, so dass wir die Diskussion in offener Runde führten und fast jeder der meist jüngeren Leute kam zu Wort.

Wir berichteten über den erfolgreichen Kampf gegen die Wasserprivatisierung in Berlin, die Re-Kommunalisierung der Wasserbetriebe und dass der Wassertisch weiterhin aktiv ist. Berlin wurde zur „blue community“ und das Bewusstsein für Wasser ist seitdem gestiegen. Der Klimawandel, trockene und heiße Sommer und sinkende Grundwasserspiegel machen die Menschen, aber auch Behörden aufmerksamer für das Thema.

Seit Elon Musk seine Gigafactory in der Brandenburger Landschaft platziert hat, reißen die Proteste gegen Teslas immensen Wasserverbrauch nicht ab. Mit einem Volksbegehren und einer Waldbesetzung wehren sich die Menschen gegen den weiteren Ausbau. Es ist nicht nur der hohe Wasserverbrauch, sondern auch die erhebliche Belastung des Abwassers mit Schadstoffen, die den Widerstand legitimiert.

Auch in den Bergen rund um Volos nehmen die Proteste nicht ab. Das Quellwasser aus dem Peliongebirge wird wie überall in Griechenland mit Chlor versetzt, so dass Wasser aus der Leitung kaum genießbar ist und das Trinkwasser in Plastikfaschen an jeder Straßenecke verkauft wird. Das ist mit ein Grund dafür, dass sich die Dörfer gegen eine Eingliederung in einen großräumigen Wasserverbund wehren.

Das Bedürfnis, sich mehr über die Umweltbewegung und gegen Privatisierung und Kommerzialisierung auszutauschen, war stark und die Atmosphäre war herzlich. Da auch aus Athen eine stärkere Vernetzung angestrebt wird, sind wir optimistisch, dass die Bewegung stärker und internationaler wird.

*Die oft scharfe Gegnerschaft der griechischen Linken und Ökobewegung gegen Windkraft stößt bei uns oft auf Unverständnis, sind wir doch sonst meist für den Ausbau regenerativer Energiequellen. Der Widerstand richtet sich allerdings hauptsächlich dagegen, dass es internationale und nationale Konzerne sind, die vom Ausbau profitieren. Zum besseren Verständnis dieses Widerstandes trägt der Artikel: „Grün bemäntelt Die »ökologische Transition« in Griechenland zerstört Dörfer und Natur…“von Hansgeorg Hermann vom 29.10.24 in der Jungen Welt bei: https://www.jungewelt.de/artikel/486697.griechenland-gr%C3%BCn-bem%C3%A4ntelt.html externer Link

(Anna und Hans)

Mittwochabend, Dachterrasse

Treffen mit Vertreter*Innen aus dem Anti-Nato-Kollektiv in Athen

Erst im Sommer 2024 konnten wir Frauen und Männer des Kollektivs der Anti-Nato-Aktion aus Athen in Deutschland begrüßen. Über die Veranstaltungen während ihrer Reise durch die BRD gibt es eine ausführliche Dokumentation (Die Anti-NATO-Aktion aus Athen zu Besuch in Deutschland – Arbeiterpolitik externer Link). Und die erste antimilitaristische Aktion vor „Motor Oil“ am 28. September 2024, an der wir in  Agioi Theodori teilnahmen, war ebenfalls von der Anti-Nato-Aktion mitorganisiert und durchgeführt worden.

Am Mittwochabend besuchten uns zwei Genossen und eine Genossin aus der Anti-Nato-Gruppe auf der Dach-Terrasse des Hotels. Wir kamen vorab überein, uns bei der Diskussion auf die aktuelle Lage und die neuesten Entwicklungen zu konzentrieren. Die u.E. wichtigste Info vorab: Im Sommer 24 wurde im griechischen Parlament -kaum beachtet und bemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit- neben zahlreichen anderen Gesetzestexten auch die Überstellung griechischer Soldaten an die US-Streitkräfte beschlossen.

Die „Panhellenische Föderation der pensionierten Militäroffiziere“ hatte dagegen Einwände erhoben. In ihrer vorab veröffentlichten Erklärung hieß es:
„In dem entsprechenden Memorandum, das am 11. März 2024 von der Mehrheit der Abgeordneten im zuständigen Ausschuss für Verteidigung und Auswärtige Angelegenheiten des griechischen Parlaments verabschiedet wurde und dem griechischen Parlament zur Abstimmung vorgelegt wird, ist vorgesehen, dass Militärangehörige der griechischen Streitkräfte zur Deckung des operativen Bedarfs an Einheiten der US-Armee in Europa entsandt werden können, und zwar unter anderem unter folgenden Voraussetzungen und Bedingungen:

  • die übernehmende Vertragspartei (d.h. Griechenland) trägt alle Kosten und Ausgaben für das abgeordnete griechische Verteidigungspersonal, einschließlich aller Grundgehälter, Löhne und Zulagen, einschließlich Tagegelder, Reisekosten, Verpflegung, Entschädigung für den Verlust oder die Beschädigung persönlicher Gegenstände, Kosten für die Vorbereitung und Überführung des Leichnams und Beerdigungskosten, Beförderung oder Lagerung des Hausrats, Rückführung und vorübergehenden Dienst.
  • Das Personal untersteht der Leitung und operativen Kontrolle des Befehlshabers der Aufnahmepartei (d.h. der Vereinigten Staaten);
  • die aufnehmende Vertragspartei (d.h. die USA) bestimmt die Arbeitszeit des abgeordneten griechischen Verteidigungspersonals;
  • das abgeordnete griechische Verteidigungspersonal übt keine Disziplinargewalt über das militärische oder zivile Personal der Aufnahmepartei (d. h. der USA) aus;
  • jede Vertragspartei verzichtet auf alle Ansprüche gegen die andere Vertragspartei bzw. gegen die Militärangehörigen und zivilen Bediensteten der anderen Vertragspartei wegen Verletzung oder Tod eines Militärangehörigen oder zivilen Bediensteten der verzichtenden Vertragspartei, sofern sich der Vorfall in Ausübung der vorgesehenen Aufgaben des Militärangehörigen oder zivilen Bediensteten ereignet hat;
  • jede Vertragspartei wird von der anderen Vertragspartei keine Entschädigung für Ansprüche Dritter aufgrund von Schäden, Verlusten, Verletzungen oder Todesfällen verlangen, die auf Handlungen oder Unterlassungen von Militärangehörigen oder zivilen Mitarbeitern der Mutterpartei zurückzuführen sind.“

Die Aktivitäten der Anti-Nato-Aktion bestehen neben der regelmäßigen Teilnahme an Anti-Kriegs-Aktionen vor allem in der Aufklärung über die Ziele der Nato und über die Verstrickung Griechenlands in deren Kriege, wie das vorgenannte Beispiel anschaulich zeigt. Die Regierung und die staatstragenden Medien verschweigen, verschleiern und verharmlosen die Gefahren, die durch die Kriegsbeteiligungen entstehen – sowohl für die an den Einsätzen beteiligten Soldaten als auch für die Bevölkerung Griechenlands im Falle einer Ausweitung des Kriegsgeschehens in der Ukraine wie auch im Nahen Osten. Denn über Griechenland verlaufen zahlreiche Verbindungen zur militärischen Unterstützung der Ukraine als auch Israels.

Der ältere Genosse berichtete über die Anschauungen und Diskussionen in seiner Familie. Für seine Eltern und Großeltern war die antiimperialistische Stimmung und die Ablehnung der Nato und der USA nicht allein das Resultat ideologischer oder theoretischer Betrachtungen; sie entsprangen den praktischen Erfahrungen und Erlebnissen, gewonnen in den Zeiten des Bürgerkrieges von 1944 bis 1949 oder während der Diktatur der Obristen von 1967 bis 1974. In den 1970er und 80er Jahren war die antiimperialistische Bewegung wesentlich stärker als heute und noch geprägt durch diese praktischen Erkenntnisse. Heute, nach den Erfahrungen von 2015, ist es schwieriger geworden, größere Massen für eine antiimperialistische Bewegung oder Anti-Nato-Aktionen zu gewinnen.

Zum einen sind die praktischen Erfahrungen aus Bürgerkrieg und Militärdiktatur verblasst. Dazu kommt die Enttäuschung über Syriza, die sich ja als linke und antiimperialistische Kraft ausgegeben hatte. Enttäuschung und Lähmung seien auch nach fast zehn Jahren noch sehr groß. Als Symbol steht der ehemalige Ministerpräsident Alexis Tsipras, der in seiner Jugendzeit die USA als ein Volk von Schlächtern bezeichnete, aber als Ministerpräsident mit ihnen nicht brechen wollte und die Nato- und US-Stützpunkte sogar ausbaute. Da fühlt man sich doch an den in den 70 Jahren Steine werfenden Joschka Fischer und späteren Kriegstreiber im Jugoslawienkrieg erinnert.

Maßgeblich die Stimmung zu beeinflussen, versucht die gleichgeschaltete Mainstream-Presse, sodass sogar kritische Zeitungen wie die „Zeitung der Redakteure“ (efsyn) Schwierigkeiten hätten, einen klaren Standpunkt zu beziehen. Wir konnten nur anmerken, dass die Presse in Deutschland sich einer ähnlichen, kriegerischen Rhetorik bedient. Und das Pendant zur Bereitstellung griechischer Soldaten unter US-Kommando sei von Seiten der Bundesregierung die Bereitschaft zur Stationierung von Mittelstreckenraketen auf einer US-Base bei Wiesbaden. Über den Einsatz der Raketen bestimmt einzig und allein der US-Präsident – weder eine deutsche Regierung noch dessen Parlament haben darüber zu entscheiden. Der Bundestag wurde auch nicht bei der Vereinbarung über die Bereitstellung für die Mittelstreckenraketen gefragt. Es war die alleinige Entscheidung der Bundesregierung, welche die eigene Bevölkerung der Gefahr eines atomaren Schlages in dem immer stärker vorangetriebenen Rüstungswettlauf aussetzt.

(Ingrid, Andi)

Donnerstagvormittag, 3.10.

Kostas Papadakis

Wir trafen ihn in seinem Rechtsanwaltsbüro, das genau gegenüber den staatlichen Gerichtsgebäuden liegt, ein moderner, neuer, sehr großer Komplex an der Alexandrastraße. Papadakis zeigte uns an Bildern, dass von 1892 bis 1971 an der gleichen Stelle eine große Gefängnisanlage stand, die von der Nazibesatzung auch als Hinrichtungsort genutzt wurde und in der nach 1944 bis 1971 vor allem politische Gefangene eingesperrt waren.

Wir hatten Papadakis letztes Jahr getroffen (siehe Reisebericht 2023), als er bei den Kommunalwahlen als Bürgermeisterkandidat eines kleinen linksradikalen Bündnisses antrat: “Für den Umsturz Athens”. Er selber ist bekannt als Nebenkläger gegen die Funktionäre der Goldenen Morgenröte, die den Rapsänger Pavlos Fyssas 2013 ermordet hatte. Er selber ist parteilos, bezeichnet sich selber aber als Mitglied der außerparlamentarischen Linken.

Das Bündnis mit ihm als Kandidaten hatte bei den Wahlen am 8. Oktober sensationelle sechs Prozent erhalten, was sicher auch mit seiner Popularität zu tun hatte. Aufgrund des Wahlmodus erhielt die Liste nur einen Sitz im Stadtrat, den er bis Ende dieses Jahres einnimmt, danach rotiert ein anderes Bündnismitglied hinein. (Ich hatte letztes Jahr schon geschrieben, dass in Hamburg der Ausnahmezustand ausgerufen würde, wenn eine Liste “Für den Umsturz Hamburgs” sechs Prozent bekäme!)

Im Stadtrat

Wir fragten, welche Möglichkeiten er als einzelner in so einem Stadtrat habe, in dem, wie er sagte, die Rechten (Nea Demokratia) und Sozialdemokraten (Pasok) gemeinsam abstimmten. Er meinte, es sei schon wichtig, da sie Informationen bekämen, an die sie sonst nicht herankommen würden; sie könnten die Öffentlichkeit über die Arbeit des Stadtrats informieren und politisch agitieren.

Ich fragte ihn nach der Zusammenarbeit im Bündnis, da ich letztes Jahr den Eindruck hatte, dass die drei kleinen Splitterparteien sich auf ihn als eine Art Minimalkonsens geeinigt hätten, sie sich aber untereinander ansonsten nicht so besonders grün seien. Er führte aus, dass er nach der Wahl vorschlug, dass die drei Bündnisfraktionen eine Fraktion bilden sollten, was diese aber ablehnten. Das schränke seine Arbeitsmöglichkeiten ein, da er nicht mit jeder einzelnen Fraktion Absprachen treffen könne.

Die Arbeit gegen die faschistische Rechte bildet nach wie vor seinen Schwerpunkt. Bei der letztjährigen Wahl kandidierten auch zwei verurteilte Mitglieder der Goldenen Morgenröte aus dem Knast heraus, unter einem anderen Parteinamen. Die Regierung ließ das zu, weil, so seine Einschätzung, sie so den Nea Demokratia-Kandidaten als Antifaschisten hinstellen konnte.  Diese faschistische Liste erhielt acht Prozent, was eigentlich viel ist, aber deutlich weniger als die 15% bei der Wahl zuvor. Die beiden traten aber ihre Sitze aus Enttäuschung über das Wahlergebnis nicht an. Er wertet es auch als Erfolg, dass die Faschisten sich zur Zeit nicht mehr trauen, offen mit ihren Parolen wie “Blut, Boden, Heimat” aufzutreten, um nicht erkannt zu werden.

Die Goldene Morgenröte

Insgesamt sei der Zustand der “Goldenen Morgenröte”, die 2012 zum Höhepunkt der Krise sieben Prozent der Stimmen fürs Nationalparlament erhalten hatte, desolat. 2020 waren 41 Funktionäre zu Haftstrafen verurteilt worden, darunter der Mörder von Pavlos Fyssas lebenslänglich. Weitere vier sitzen immer noch, der frühere Vorsitzende und seine rechte Hand und zwei hochrangige Kader. Es laufen noch Widerspruchsverfahren, denen er allerdings keine großen Chancen einräumt.

Es gibt weiterhin rechtsextreme bis faschistische Parteien, die allerdings keine Gewalt ausüben. 2023 waren Griechenland und Portugal die einzigen europäischen Länder, in denen die Rechtsextremen unter zehn Prozent blieben. Bei den diesjährigen Europawahlen waren es allerdings zehn Prozent.

Er setzt eine gewisse Hoffnung darin, dass es in Griechenland nie eine faschistische Bewegung gab, nur faschistische Wahlparteien. Das betrachtet er als Erfolg der linken und Arbeiterbewegung.

Die Erstarkung der Rechten sieht er als Folge des Zerfalls der sozialdemokratischen Positionen, deren Parteien immer weiter nach rechts rücken. Die Linke ist zur Zeit nicht in der Lage, das Vakuum zu füllen.

Im Unterschied zu Deutschland und der AfD ist die Rechte in Griechenland nicht in gewerkschaftliche Strukturen eingedrungen, stellt keine Listen auf, auch nicht in Berufsvertretungen wie z.B. der Rechtsanwaltskammer.

Auf unsere Frage nach einem Parteienverbot, das bei uns wieder diskutiert wird, führt er aus, dass in Griechenland die einzige Partei, die über viele Jahre verboten war, die Kommunistische Partei war. Er ist dagegen Ideen zu verbieten, weil man diese nicht verbieten könne, wohl aber müsse man Straftaten verfolgen und ahnden wie bei der Goldenen Morgenröte.

Zukunft

Unsere Frage, ob er sich aufs nächste Jahr freue, wenn er nicht mehr im Stadtrat sitze, beantwortete er mit ja und nein. Seine Vorstellung war schon gewesen, mehr zu bewegen, da sei er enttäuscht aus den oben angeführten Gründen. Auch habe er jetzt wieder Zeit für seine rechtsanwaltliche Tätigkeit, weil er als Nebenkläger gegen die Goldene Morgenröte nichts bekomme, im Unterschied zu Deutschland, wo im NSU-Prozess die Nebenkläger 400€ pro Tag erhielten. Auch könne er sich wieder mehr der allgemeinen politischen Arbeit widmen. Z.B. werde die Wohnungsfrage immer mehr zu einer Hauptfrage, unter anderem durch die Umwidmung vieler Wohnungen in AirBnB-Wohnungen für Touristen. Hier müsse eine Begrenzung eingeführt werden, auch eine Art Mietpreisbremse tue not.

(Manfred)

Donnerstagabend, Dachterrasse

Rechtsstaatlichkeit in Griechenland?

Eurydike kam zu uns auf die Dachterrasse. Wir kennen sie schon seit 2012. Damals kam sie spontan zu unserer Soligruppe, um uns zu unterstützen. Sie war zu der Zeit noch Journalistin bei Kathimerini, so was wie die griechische FAZ. Diese verließ sie vor einigen Jahren, um sich dem Projekt Reporters United anzuschließen, wo sie Recherchen und Journalismus ohne redaktionelle und verlegerische Zwänge ausüben kann. Siehe https://www.reportersunited.gr/en/ externer Link

Letztes Jahr berichtete sie uns über das schreckliche Zugunglück im Februar 23 in Tempi mit 57 Toten und den politischen Verantwortlichkeiten.  Wir schrieben darüber in unserem Tagebuch 23. Siehe dazu auch ihren Artikel: https://www.reportersunited.gr/en/10709/greek-crash-tempi/ externer Link

Dieses Jahr war das Thema Rechtsstaatlichkeit in Griechenland, besser gesagt: Aushebelung des Rechtsstaats. Aktueller Anlass ist der sogenannte Predator-Skandal, der 2022 aufflog. Damals wurde bekannt, dass u. a. Journalisten, Politiker und Militärs mit Hilfe einer Spionagesoftware einer israelischen Firma vom griechischen Geheimdienst ausgespäht worden waren. Das war insbesondere deswegen brisant, weil direkt nach der Wahl 2019 und dem Regierungsantritt der Nea-Demokratia Ministerpräsident Mitsotakis sich persönlich den Geheimdienst unterstellt hatte.

Natürlich behauptet Mitsotakis seither beharrlich, von alledem nichts gewusst zu haben. Als Bauernopfer mussten einige hochrangige Beamte, u. a. der Neffe des Ministerpräsidenten, ihren Stuhl räumen. Im Juli dieses Jahrs erklärte die Staatsanwältin beim Obersten Gericht, es gebe keine Verbindungen zwischen dem Geheimdienst und dem Predatorskandal. Auch die Regierung habe damit nichts zu tun; das Ganze sei von vier Personen der Firma durchgeführt worden, die die Software an den Geheimdienst verkauft habe. Diese vier werden jetzt angeklagt. Aber was sollen die für ein Interesse gehabt haben?

Besonders pikant ist, dass zunächst zwei Staatsanwälte eines unteren Gerichts die Untersuchung leiteten, bis ihnen 2023 kurz vor Abschluss der Ermittlungen und Anklageerhebung der Fall plötzlich entzogen wurde. Die Staatsanwältin am obersten Gericht, die kurz zuvor von der Regierung ernannt worden war, zog den Fall an sich. Sie hörte ganz wenige Zeugen, kaum Betroffene, und kam nach über einem Jahr zu dem oben erwähnten erstaunlichen Ergebnis, dass die Regierung unschuldig ist: „Auf der Grundlage der zahlreichen Beweise ist es unbestritten, dass keine Regierungsbehörde, insbesondere nicht der Nationale Nachrichtendienst (EYP) , die Anti-Terror-Behörde und im Allgemeinen die griechische Polizei oder irgendein Regierungsbeamter, mit der Predator-Spähsoftware oder einer anderen ähnlichen Software zu tun hatte“. (https://griechenlandsoli.com/page/3/ externer Link) Allerdings ist der entlassene Neffe von Mitsotakis zum Gegenangriff übergegangen, indem er Journalisten und eine Zeitung wegen Verleumdung auf Schadenersatz verklagte. Reporters United und die Zeitung der Redakteure, kurz EfSyn, sollen in einer ersten Klage jeweils über 100 000€ bezahlen, eine zweite Klage geht sogar in die Millionen. (Die EfSyn ist ein 2012/13 gegründetes genossenschaftliches Projekt, an dem wir uns damals als Soligruppe mit zwei Genossenschaftsanteilen beteiligt haben.)

Worum geht es?

Reporters United hatten herausgefunden, dass über das Telefon von Grigoris Dimitriadis, des Neffen und Büroleiters von Mitsotakis, SMS an die später abgehörten Personen verschickt worden waren, in denen die Spysoftware enthalten war. Dies hatten sie veröffentlicht und die EfSyn hatte das übernommen.

Ein Erfolg der Klagen würde den Ruin der beiden Organe bedeuten, was natürlich die Absicht ist. Zudem müssen die Journalisten bei Reporters United, wie Eurydike berichtet, sich jetzt die ganze Zeit mit diesem Rechtsstreit befassen, statt sich um journalistische Recherche kümmern zu können.

Tod im Polizeigewahrsam

Achim berichtete von dem Fall des im Polizeigewahrsam ermordeten Pakistani Mohammed Kamran Asik. Dieser lebte schon seit 20 Jahren in Griechenland, wurde von der Polizei wegen einer Anzeige wegen häuslicher Gewalt festgenommen, aber sofort wieder freigelassen, da die Frau keine Anzeige stellte. Dann wurde er von der Polizei gleich wieder inhaftiert, auf fünf verschiedene Polizeistationen verfrachtet, und schließlich nach einem neuntägigen Martyrium mit schwersten Verletzungen auf einer berüchtigten Polizeiwache tot aufgefunden. Auf dieser Polizeiwache sind alle Räume videoüberwacht, bis auf einen, und in diesem wurde der Tote aufgefunden. Welch ein Zufall! (Siehe auch: https://griechenlandsoli.com/2024/09/27/polizisten-schlagen-pakistani-tagelang-auf-funf-verschiedenen-wachen-bis-er-schlieslich-stirbt/#more-24075 externer Link)

(Manfred)

Nachtrag 18. Oktober, die erste Klage wurde abgelehnt:

„Das Gericht erster Instanz von Athen wies am Donnerstag eine Klage ab, die der ehemalige Direktor des Büros des Premierministers, Grigoris Dimitriadis, der auch der Neffe des Premierministers ist, gegen die griechische Zeitung EFSYN, das investigative Medienunternehmen Reporters United und den Journalisten Thanasis Koukakis eingereicht hatte, der von der illegalen Spyware Predator überwacht wurde.

Die Klage wurde weithin als SLAPP oder Strategic Lawsuit Against Public Participation bezeichnet. [Strategische Klage gegen Öffentliche Teilnahme]“ (Übersetzt aus: Greek Court Dismisses Lawsuit Against Journalists Reporting Surveillance Scandal | Balkan Insight externer Link)

 

4. Oktober 2024, Gewerkschaftshaus in Piräus

Treffen mit der Seeleute Gewerkschaft PENEN

Bei fast all unseren Terminen kam der israelische Genozid in Palästina zur Sprache. So auch bei unserem Besuch bei PENEN, deren Gewerkschaftsbüro sich in Piräus befindet. Sie organisiert nach eigenen Angaben 1.700 der 5.500 auf Schiffen beschäftigten griechischen Seeleute. Was uns sofort ins Auge fiel, waren die zahlreichen politischen Aushänge und Plakate, die die Räume schmückten, darunter eine Stellwand für den palästinensischen Widerstand gegen Vertreibung und Genozid in Gaza. Das wäre in einem Büro der DGB-Gewerkschaften undenkbar.

Der Gewerkschaftsvorsitzende war zu einem Besuch in der libanesischen Botschaft geladen und ließ sich entschuldigen. Mit seinen beiden Stellvertretern und dem Gewerkschaftskassierer sowie drei Kollegen aus der Rentner-Sektion hatten wir eine ausführliche Diskussion über die aktuelle Lage im Nahen Osten. Vor allem die älteren Kollegen erläuterten, sie hätten gewerkschaftliche Arbeit nie allein als Angelegenheit zur Regelung von Arbeitsbedingungen und Löhnen begriffen. Deshalb würden sie sich nach Beendigung ihres Arbeitslebens nicht bequem auf der Couch ausruhen, sondern ihre gesellschaftspolitischen Aktivitäten auch als Rentner innerhalb der Gewerkschaft fortsetzen. Zur aktuellen Lage im Krieg im Nahen Osten bemerkte ein Kollege, die US-Regierung würde versuchen Israel davon abzuhalten, die iranischen Erdöl- und Gasfelder zu bombardieren. Dies hätte eine Erhöhung der Energiepreise zur Folge, die vor allem der russischen Regierung zu Gute käme. Der Zusammenhang zwischen den beiden Kriegen der westlichen Wertegemeinschaft – im Nahen Osten und in der Ukraine – wird also gesehen und in die Betrachtungen einbezogen.

Zur sozialen Lage

Die soziale Situation in Griechenland hat sich nach den Memoranden nicht verbessert. Die Inflation und die Verteuerung des Lebensunterhaltes sind strukturelle Probleme des Kapitalismus und konnten nicht von der Regierung gelöst werden. Im Organisationsbereich der PENEN, den Seeleuten an Deck ausgenommen Offiziere, gibt es seit 2010 kaum Tarifverträge. Nur die Besatzung der Schiffe des innergriechischen Schiffsverkehrs (wie z.B. Fähren) und Beschäftigte von italienischen Reedereien arbeiten noch nach Tarifvertrag. In diesen Bereichen konnte der Ausgleich der Inflation durch Lohnerhöhungen teilweise erkämpft werden. Die PENEN hat 1700 wahlberechtigte Mitglieder und ist eine Berufsgewerkschaft auf der ersten Ebene. Insgesamt geht die Gewerkschaft von 5.200 beschäftigten Seeleuten in Griechenland aus, viele davon auf kleinen, unorganisierten Schiffen.  Auf der zweiten Ebene, der Branchengewerkschaften, haben allerdings auch „gelbe“ Gewerkschaften Einfluss, die aufgrund der rechtlichen Regelungen trotz geringer Mitgliedschaft den gleichen oder einen größeren Einfluss als die PENEN ausüben können. Auf dieser Ebene fließen viele Gelder, von denen die PENEN allerdings nicht profitieren kann. Hier sei der Parteieinfluss ein Problem und die Gewerkschaft arbeitgebernah. 1982 wurde das Gewerkschaftsrecht unter der sozialdemokratischen PASOK-Regierung geändert, von den progressiven Änderungen wurden die Seeleute allerdings ausgenommen. Für sie gilt weiterhin die Gesetzgebung der Junta. Die PENEN kritisiert die internationalen Tarifverträge, die keine spürbaren Verbesserungen für die Seeleute und eine Zwangsmitgliedschaft mit sich brächten, sodass das Geld von Seeleuten aus dem globalen Süden in die Taschen der „gelben“ zweiten  Ebene der griechischen Gewerkschaften fließt.

Teil der PENEN ist auch die Rentnergewerkschaft, in der alte Seeleute nach wie vor aktiv bleiben und sich politisch engagieren. Durch die Memoranden wurden viele Rechte geschleift und die Renten um 40 % gesenkt. Die 2,5 Millionen RentnerInnen Griechenlands haben seit 10 Jahren erstmalig eine nominale Rentenerhöhung bekommen, die aufgrund der Inflation allerdings nicht spürbar ist. Früher bekamen RentnerInnen 70 % ihres alten Lohnes inklusive Zulagen, ein erkämpftes Recht, das jetzt allerdings geschleift wurde.

Die griechischen Werften wurden von deutschen Reedern gekauft, die keine neuen Schiffe mehr bauen lassen und die nur hinter den Auftragsbüchern her waren. Die Kriege in der Ukraine und in Palästina zeigen, dass die Herrschenden nicht auf den Frieden hinwirken, sondern unbeirrt an der Unterstützung der NATO festhalten. PENEN beteiligte sich an den Protesten gegen Motoroil, einem Unternehmen, das Öl für das amerikanische und israelische Militär liefert. (Siehe unseren Bericht zu Samstag, 28.9.) Anfänglich, unter dem Eindruck des Angriffes der Hamas am 7. Oktober, gab es in der (gewerkschaftlichen) Öffentlichkeit keine klare Position zur aktuellen Lage im Nahost-Konflikt. Im Zuge des brutalen Krieges der israelischen Armee im Gazastreifen kam es aber zum Umschwung der öffentlichen Meinung und die Seeleute-Gewerkschaft demonstrierte für Frieden und gegen die griechische Außenpolitik. Anders als in Deutschland gab es bislang keine Repressionen gegen die Palästinasolidarität. Die PENEN hat versucht, die KKE und die PAME für die Demo gegen die Raffinerie zu gewinnen, aber diese wollten das Thema Internationalismus in den Hintergrund drängen, hauptsächlich die Arbeitssicherheit bei Motoroil thematisieren und den Protest zu deren eigenen Bedingungen durchführen. Auch das PAME-nahe Arbeiterzentrum von Piräus, deren Vorsitzender bei Motoroil beschäftigt ist, hat den Protest nicht unterstützt. Die Seeleute-Gewerkschaft will weitermachen und geht davon aus, dass sich die Situation weiter verschärfen wird.

(Andi und Hauke)

Freitagabend, im Park Navarino

Politische Entwicklung in Deutschland

Unsere griechischen Freunde hatten wie die letzten Jahre auch wieder eine öffentliche Veranstaltung organisiert, auf der wir über Deutschland berichteten. Sie hatten auch ein schönes Plakat hergestellt, das sie im Viertel verklebt hatten. Es waren etwa 30 Leute da, was nicht so viel ist, aber deutlich mehr als letztes Jahr. Natürlich waren viele Bekannte gekommen, die uns in den letzten Jahren kennengelernt haben. Aber es gab auch einige unbekannte Gesichter.

Wir hatten im Vorwege einen Text von Andi zur politischen Lage in Deutschland an Jennifer geschickt, den sie übersetzt und ausgedruckt hatte. Der lag allen vor, so dass die Leute mitlesen konnten. Ich fand’s etwas schwierig, einen so langen Text (drei Seiten) vorzulesen, aber die Griechen schien das nicht zu stören. Kern des Papiers war der Kriegskurs und die zunehmende Repression im Innern.

Ingrid berichtete dann von der Aktion „Rheinmetall entwaffnen!“ im September in Kiel mit vielen Workshops und Aktionen.

Hauke hatte einen etwas längeren Vortrag zur sozialen Lage vorbereitet, den Jennifer auch schon übersetzt hatte, so dass Haukes mündlich gekürzte Version auf Griechisch erheblich länger war. Da müssen wir uns in Zukunft besser absprechen. Hauke stellte vor allem heraus, dass die Aufrüstung und Kriegskosten zur Kürzung des Sozialstaates führen.

Dann kamen die Nachfragen. Diese befassten sich mit den kurz vorher stattgefundenen Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Natürlich ging es Richtung AfD, aber vor allem zum BSW. Das war schon in der ganzen Woche so gewesen. Wenn das Thema Deutschland angesprochen wurde, kamen sofort Fragen zu Wagenknecht. Es wird sehr aufmerksam registriert, was in Deutschland passiert. Es scheinen einige etwas Hoffnung zu verbinden mit den Wahlerfolgen des BSW, Hoffnungen in die Richtung, dass sich an der deutschen Politik etwas zum Positiven verändern könnte. Das mochten wir auf der Veranstaltung von unserer Seite nicht so bestätigen, wir äußerten da eher Skeptisches. Was wir auf jeden Fall als positiv bestätigen konnten, war, dass beim Thema Frieden das BSW konträr zu den übrigen Parteien liegt. Deshalb sind auch viele bekannte Persönlichkeiten aus der Friedensbewegung dahin gegangen. Wie weit das tragen wird, konnten und wollten wir aber nicht vorhersagen.

Hinterher gingen die Diskussionen in der Kneipe noch angeregt weiter.

(Manfred)

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Reisetagebuch 2024 „Gegen Spardiktate und Nationalismus!“, Teil 1

Samstagmorgen, 28. September

Motor Oil

Mit der seit 2012 stattfindenden Reise der gewerkschaftlichen Solidaritätsgruppe „Gegen Spardiktate und Nationalismus“ verlängerten wir in diesem Jahr nicht nur den in Deutschland zu Ende gegangenen Sommer. Für eine gute Woche, von Ende September bis Anfang Oktober 2024, „entflohen“ wir auch dem politischen Klima in Deutschland, das gekennzeichnet ist von der deutschen Staatsräson für die Existenz des israelischen Staates mit der entsprechenden Propaganda und Repression. Damit wurden und werden pro-palästinensische Betätigungen kriminalisiert, verfolgt bzw. verboten. Diese typisch deutsche „Vergangenheitsbewältigung“, besser als Verdrängung bzw. Verdrehung der eigenen Geschichte bezeichnet, gibt es in Griechenland nicht – und damit auch nicht die damit einhergehende Repression.

Einen ersten Eindruck davon bekamen wir am ersten Tag der Solidaritätsreise, am Samstag, dem 28. September, auf einer Kundgebung gegen die Unterstützung Israels in der Kleinstadt Agioi Theodori bei Korinth. Von dort läuft die Versorgung der israelischen Armee mit Benzin und Treibstoff; dort betreibt Motor Oil (Hellas) eine große Raffinerie. Über seine Raffinerie in Korinth kontrolliert Motor Oil 35 % des Raffineriesektors in Griechenland. Die Firma betreibt die zweitgrößte Raffinerie in Europa. Außerdem besitzt sie die Tankstellenketten Avin, Shell und Cyclon mit mehr als 2.000 Tankstellen in Griechenland sowie eine Reihe anderer Gas- und Energieunternehmen. Mehrheitsaktionär von Motor Oil sind zwei Holdinggesellschaften (Petroventure und Motor Oil Limited mit 40,97 %). Sie gehören der prominenten griechischen Familie Vardinogiannis. Ihren Reichtum (1,9 Milliarden Dollar) scheffelte sie hauptsächlich über Beteiligungen in der Erdölindustrie und Schifffahrt. Sie besitzt aber auch Anteile an insgesamt über 90 in- und ausländischen Unternehmen und ist eng mit dem US-amerikanischen Kennedy-Clan und entsprechenden transatlantischen Denkinstituten verbunden.

Die Seeleutegewerkschaft PENEN hatte die Aktion organisiert. Ihrem Aufruf hatten sich einige Gruppen angeschlossen, darunter die Gewerkschaft palästinensischer Arbeiter und die Palästinensische Gemeinde. Um halb neun war Treffpunkt am Omonia, drei Busse waren organisiert, Motor Oil ist kurz vor Korinth, also gut 70km entfernt. Es dauerte aber bis gegen halb elf, bis es losging, gegen 12 hielten wir in Agioi Theodoroi, etwa zehn Kilometer vor Korinth, einem kleinen Städtchen an der Küste, wo auf dem zentralen Platz vor der Kirche die Kundgebung stattfand gegen die griechische Unterstützung für Israels Völkermord in Palästina. Was mich nach den Erfahrungen aus Berlin total überraschte: Es fehlte der martialische Aufmarsch der Polizei, die in Deutschland jede anti-israelische Aktionen begleitet und gegebenenfalls auflöst. Nichts davon hier in dieser griechischen Kleinstadt; die wenigen zu sehenden Polizisten waren abgestellt für den reibungslosen Ablauf des Spartathlon, einem der härtesten Ultramarathons, die es gibt. Die Läufer*innen passierten die Stadt zeitgleich mit der Kundgebung. Sie hatten dort etwa 60 der insgesamt 246 Kilometer langen Strecke von Athen nach Sparta zurückgelegt.

Ein riesiger alter Baum vor der Basilika spendete den drei bis vierhundert Teilnehmenden an der Kundgebung Schatten. Es folgten zahlreiche Reden der beteiligten Organisatoren, immer wieder unterbrochen durch palästinensische und griechische Widerstandslieder. Was mich ein klein wenig an Berlin erinnerte, waren die Sprechchöre palästinensischer Frauen und Kinder, die sich lautstark für ein befreites Palästina einsetzten und den Genozid der israelischen Streitkräfte anprangerten.

Im Hafen von Agioi Theodoroi werden die Benzin- und Treibstofflieferungen für die israelische Armee verschifft. Der Versuch, den Protest vor die Tore der Raffinerie und des Hafens zu tragen, wurde allerdings durch die Polizei vereitelt. Sie hatte die Straßen zum Gelände weiträumig abgesperrt, so dass die Charterbusse schließlich nach Athen zurückkehren mussten.

(Andi)

Samstagabend, Dachterrasse

Treffen mit Dimitri von BDS Griechenland

Auf der Dachterrasse trafen wir Dimitri von BDS Griechenland. Mittlerweile waren auch Hauke und Rieke und Christos eingetroffen.

Vorab zu BDS International: Boycott, Divestment and Sanctions ist eine internationale politische Kampagne, die auf den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch Druck ausübt, um ihre im Jahr 2005 beschlossenen Ziele durchzusetzen: Israel muss die Okkupation und Kolonisierung allen arabischen Landes beenden, das Grundrecht seiner arabisch-palästinensischen Bürger auf volle Gleichheit anerkennen und das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf eine Rückkehr in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum gemäß UN-Resolution 194 schützen und fördern.

Die BDS-Bewegung nutzt die historisch erfolgreiche Methode gezielten Boykotts, inspiriert von der südafrikanischen Anti-Apartheid-Bewegung, der US-Bürgerrechtsbewegung und dem indischen, antikolonialen Kampf.

BDS in Griechenland

Die Initiative BDS-Griechenland wurde Anfang 2019 als Kollektiv gegründet. Sie handeln offen, halten ihre Unabhängigkeit von jeder anderen politischen Formation aufrecht und agieren im Rahmen der internationalen BDS-Bewegung.

Das Anliegen des kleinen Kollektivs besteht in der Unterstützung des Kampfes für ein freies Palästina gegen die aggressive Siedlungspolitik seitens des israelischen Apartheidregimes. Die strategische Partnerschaft der westlichen Staaten – der USA, einschließlich des griechischen Staates – mit Israel führt zu einer anhaltenden Verletzung des Völkerrechts, zur Destabilisierung der Region und zur Kultivierung eines Klimas der Militarisierung und Unterdrückung.

BDS Griechenland hat sich zur Aufgabe gemacht, die Verbrechen, begangen im Namen des angeblichen “Selbstverteidigungsrechtes“ Israels, öffentlich bekannt zu machen und zu bekämpfen. Dabei nutzen sie ihre Kontakte zu linken, antikapitalistischen Organisationen und Basisgewerkschaften.

Vorweg erklärte uns Dimitri, dass es in Griechenland keine historische Tradition einer Boykottbewegung gab/gibt. Deshalb war die Beteiligung am Boykott gegen “Carrefour“ ein erster Schritt: Im März 2022 kündigte die französische Gruppe “Carrefour“ eine Franchise-Partnerschaft mit Electra Consumer Products (ECP) und der ECP-Einzelhandelstochter Yenot Bitan an. Beide betätigen sich am illegalen israelischen Siedlungsausbau. “Carrefour“ ist ein französischer Einzelhändler mit mehr als 3.400 Geschäften weltweit. ECP ist ein börsennotiertes israelisches Unternehmen, das sich mehrheitlich im Besitz der Holding Elco Ltd. befindet. Die Tochtergesellschaft der Carrefour-Gruppe, Carrefour-Israel, unterstützt mit persönlichen Geschenken an israelische Soldaten den Völkermord in Gaza.

Die eigenständige Recherche innerhalb Griechenlands spielt für die relativ junge Gruppe

eine bedeutende Rolle. Bei dem Musikfestival “AnimaSyros International Animation Festival“ welches vom 23. bis 29. September 2024 auf der Insel Syros stattfand, gehörte diesmal die israelische Botschaft zu den Unterstützern. Ein Juror des Festivals war Mitbegründer des israelischen Unternehmens Animation Studio „The Hive“. Die Verwaltung des Festivals wurde aufgefordert umgehend auf die Unterstützung der israelischen Botschaft zu verzichten und den Produzenten und Gründer der Firma “The Hive“ der Jury zu verweisen. Aus Bedenken vor einem möglichen Publikumsboykott und somit den Ruf des Festivals nachhaltig zu beschädigen, fiel die Entscheidung gegen eine Zusammenarbeit mit der israelischen Botschaft in der Hauptstadt der Kykladen. Dies ist ein Sieg für BDS Griechenland und alle Gruppen, die dafür mobilisierten. Durch die Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen und Einrichtungen hat die Kampagne zum Erfolg geführt, erklärte Dimitri.

Angesichts der aktuellen Lage

Der explizite Völkermord in Gaza wütet mehr als ein Jahr. Tausende Menschen sind ermordet, liegen unter Trümmern begraben, Millionen wurden aus ihren Häusern vertrieben, eine Infrastruktur gibt es nicht mehr.

Ein Ende der israelischen Angriffe ist nicht in Sicht. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hält es für “plausibel“, dass Israel in Gaza einen Völkermord begeht.

Ungeachtet dessen produzieren und liefern internationale Rüstungsfirmen profitträchtig weiterhin Waffen und Waffenbestandteile für Israel und machen sich somit in Mittäterschaft schuldig an den unzähligen Kriegsverbrechen, die das israelische Regime tagtäglich begeht.

Das griechische Establishment unterstützt den Völkermord auch auf ideologischer Ebene durch die Verbreitung der israelischen Kriegspropaganda. Um diesen Verbrechen ein Ende zu setzen finden jeden Samstag Kundgebungen auf dem Syntagma-Platz in Athen statt.

Zu ihren Mitgliedern gehören zahlreiche linke Gruppierungen, Basisgewerkschaften, wie zum Beispiel die griechische Gewerkschaft der Seeleute “PENEN“ und die Konföderation palästinensischer Arbeiter in Griechenland. Eine Feindseligkeit wie in Deutschland gegenüber BDS gibt es hier so nicht, generell sind die Griechen palästinafreundlich eingestellt.

Neben den wöchentlichen Protestkundgebungen ist der kulturelle und politische Boykott eines der Instrumente, die zur Verfügung stehen, um die Solidarität mit den Völkern Palästinas, Libanons und Syriens auszudrücken.

Siehe auch: https://bdsgreece.net externer Link

(Corinna)

 

Sonntagabend, 29.9.

Willkommenstreffen auf der Dachterrasse

Mittlerweile war auch Hans eingetroffen, so dass wir vollzählig waren, abgesehen von einem Genossen aus Berlin von der Polisario, der schon ein Flugticket gebucht hatte, aber eine Delegationsaufgabe übernehmen musste.

Gekommen waren unsere Organisatorinnen Alexandra und Jennifer, die uns den Wochenplan vorstellten. Dann kamen Tinos mit seiner neuen Freundin Xenia, Nikos von Buch und Paper, Achim natürlich, Giorgos, den wir im Sommer kennengelernt hatten beim Gegenbesuch. Einige hatten leider abgesagt. Wir diskutierten natürlich die zunehmende Kriegsentwicklung in Nah-Ost, die immer bedrohlicher sich mit dem Ukrainekrieg zu einem Krieg verbindet, der nach 3. Weltkrieg riecht. Dann noch BSW, was die Griechen besonders spannend finden, weil sie etwas Hoffnung in dem Bündnis sehen als Opposition gegen die Regierung, die sie seit 2010 in schlimmer Erinnerung haben. Viel Hoffnung konnten wir ihnen diesbezüglich aber nicht machen.

Danach luden wir sie noch ins Rosalia ein.

(Manfred)

 

Montagmittag, 30.9.

Ausstellungsbesuch: „Athen feiert seine Freiheit, 1974 & 1944“

Achim hatte die Idee, dass wir diese Ausstellung im Freiheitspark besuchen über den 80. Bzw. 50. Jahrestag der Befreiung Athens, einmal von der Nazi-Wehrmacht, einmal von der Militärdiktatur. Es ist eine kleine, aber feine Ausstellung, die –wie ich vermute- etwas mit dem seit Oktober neu gewählten sozialdemokratischen Bürgermeister von Athen Stadt zu tun hat. Ich glaube nicht, dass sein konservativer Vorgänger sie unterstützt hätte.

Die zwei Teile – 1944 und 1974- bestehen aus vielen Dokumenten, Fotos, Zeitungen, auch Filmaufnahmen zum einen über die Jahre davor, der Terror, die Repression, der Widerstand und dann der Moment der Befreiung, wo alle im Freudentaumel auf den Straßen sind. Dass 1944 der Bürgerkrieg folgte, wird etwas angedeutet, 1974 kam dann ja eine rechte Regierung zustande. In beiden Fällen folgte dem Sieg des Volkes sozusagen die Verarschung, aber das ist jetzt von mir, nicht von der Ausstellung.

Auf jeden Fall ein interessanter Blick in die griechische Geschichte der letzten 100 Jahre.

(Manfred)

 

Dienstagmorgen, 1. Oktober

Treffen mit Apostolis Kapsalis: Der große Exodus

Apostolis ist ein alter Bekannter unserer Soligruppe. Über ihn bekamen wir 2012 die ersten Kontakte zu Gewerkschaften und Aktivisten. Er ist u.a. Assistenzprofessor an der Panteion Universität und Arbeitsrechtsanwalt. Er arbeitet besonders zu Gewerkschafts- und Arbeitsrechten, arbeitete lange mit dem Gewerkschaftsdachverband für den Öffentlichen Dienst zusammen, bis dieser ihn wegen seiner Analysen kaltstellte.

Er erinnert sich an unser letztes Treffen 2021 und meint, seither habe sich viel verändert. Griechenland sei das Land in Europa, das am meisten von Veränderungen zum Schlechteren betroffen sei. Griechenland sei an einem kritischen Punkt. Das neoliberale Dogma habe sich durchgesetzt. Einmal politisch mit der Nea Demokratia (ND) als Regierungspartei. Zum anderen und schlimmer, die Gesellschaft habe sich neoliberalisiert.

Bis zur Pandemie sei die Durchdringung nicht so tiefgreifend gewesen wie jetzt. Diese Durchdringung beziehe sich auch auf die „Liberalisierung“ der Arbeitsrechte und der Arbeitswelt.

Rechts von der ND gebe es ein rechtsradikales Spektrum von etwa 20% Wählerstimmen, und das, obwohl die Führungsfiguren der faschistischen „Goldenen Morgenröte“ im Gefängnis sitzen.

2020/21 gab es eine Diskussion über „das große Aufgeben“, d.h. dass man den Widerstand aufgibt gegen die neoliberale Zerstörung.

Zum ersten Mal, soweit er das überblicken könne, verließen Menschen den Öffentlichen Dienst, weil sie mit den Löhnen nicht mehr auskommen! Dabei war das immer ein griechischer Traum: Sicherheit im Öffentlichen Dienst. Ein anderes Beispiel: Studierende wandern vor dem Examen aus.

Die jetzige Phase bezeichnet er als die Phase des

„Großen Exodus“.

Dieser zeige sich sowohl physisch als auch politisch.

  1. a) physisch.

Die Auswanderung zwischen 2011 und 2021 betrug 650 000 Menschen. Etwa die Hälfte sind junge, gut ausgebildete GriechInnen, die zweite Hälfte MigrantInnen, die in Griechenland 20-30 Jahre gearbeitet hatten; viele davon aus Albanien, Handwerker, die vielfach auf dem Bau gearbeitet hatten, wo jetzt ein großer Mangel herrscht.

Seit 2022 hat die Auswanderung zugenommen, 2023 alleine ca. 160 000. Insgesamt seit 2011 etwa eine Million (von etwa elf Millionen 2011). Schätzungen gehen davon aus, dass 2050 in Griechenland noch sieben Millionen leben werden.

Dazu kommt die Landflucht in die Städte und von den Regionalstädten nach Attika (die Region Athen und Umland), wo jetzt schon 50% der Bevölkerung leben. Das Land stirbt aus.

Griechenland sei europaweit am stärksten vom Klimawandel betroffen: Es hat die größte Fläche an verbrannter Erde (absolut und relativ), dazu kommen die größten zerstörten Überschwemmungsflächen. Zwischen `20 und `23 gab es innerhalb Griechenlands 300 000 Klimaflüchtlinge.

Die Brände von 2024 sind noch gar nicht mitgezählt. Aktuell wüte bei Korinth eine Feuerfront von 35 km Länge. Die Zahlen stammten alle von europäischen Instituten, da es in Griechenland dazu keine Institute gebe. Die Toten durch Brände und Überschwemmungen werden nicht gezählt.

Dieses Jahr sei der heißeste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, europaweit sei hier der Trockenheitsrekord. Griechenland zähle weltweit zu den trockensten Regionen.

  1. b) politisch

Er sei jetzt 50 Jahre alt, seit er 15 war, sei er politisch aktiv. Aber so etwas wie dieses Jahr habe er noch nicht erlebt: kein Widerstand! Es gibt zwar vereinzelt Widerstand, aber niemand glaube an eine grundsätzliche Änderung. Der autoritäre Neoliberalismus habe sich seit 2010 endlich durchgesetzt, TINA hat gewonnen (Thatcher: There Is No Alternative, Es gibt keine Alternative). Noch schlimmer sei die Stimmung. Lohnt es sich überhaupt nach Alternativen zu suchen?

Ein Beispiel seien die Gewerkschaften, Arbeitsrechte, Tarifrechte. Griechenland nehme in der EU den letzten Platz ein, was Tarifvereinbarungen betreffe. Z.B. seien in Skandinavien 100% der Beschäftigten tarifgebunden, in Deutschland 50%, in Griechenland zehn Prozent. D.h. neun von zehn Beschäftigten in Griechenland arbeiten ohne Tarifvertrag und Arbeitsrechte, haben lediglich individuelle Arbeitsbedingungen.

Der Mindestlohn liegt bei 830 € brutto (ca. 3,50€/Stunde), ca. 750 € netto. Es gibt keine Aufstockung wie in Deutschland. Die Durchschnittsrente liegt bei 750 € netto (auch hier keine Zuschüsse).

Die Normalarbeitszeit liegt bei 40 Stunden, die reale Arbeitszeit liegt aber weit darüber, da viel schwarz gearbeitet wird. Viele arbeiten mit Teilzeitverträgen, müssen aber schwarz darüber arbeiten ohne Vergütung.

Wo gibt es Tarifverträge? Nicht im Öffentlichen Dienst! Das einzige Land in Europa ohne Tarifverträge im Öffentlichen Dienst, seit 200 Jahren. Tarifverträge gibt es in Kommunen, Banken, privatisierten öffentlichen Unternehmen. Ca 14% der Beschäftigten arbeiten unter dem Mindestlohn.

Die Gewerkschaftsbindung ist europaweit die niedrigste, offiziell seien es 10 %, im öffentlichen Bereich 25%, im privaten etwa drei Prozent.

Nächste Woche habe er ein Gespräch bei der Telekom, die etwa 10 000 Beschäftigte habe, davon seien etwa 5-600 in der Gewerkschaft.

Bei Lieferdiensten, NachhilfelehrerInnen, im privaten Gesundheitsbereich seien null Prozent organisiert bei harten Arbeitsbedingungen. Die Basisgewerkschaften, die in diesen Bereichen existieren, werden statistisch nicht erfasst, da sie nicht zu den beiden Dachverbänden gehören. In großen Hotel- und Restaurantketten gibt es etwas gewerkschaftliche Organisation.

Die Gewerkschaften stehen in Griechenland schlechter da als in China. Seit 2012 wurde die Arbeitszeit erhöht, seit dem 1. 7. 2024 ist auch der Samstag Arbeitstag.

Das hat Auswirkungen auf das Leben der Beschäftigten: Da Solidarität aufgrund der Tariflosigkeit wegfällt, herrscht individueller Kampf um bessere Arbeitsbedingungen. Wie kann ein eingeschüchterter Arbeitnehmer, schlecht bezahlt, ohne Tarif, politisch aktiv werden mit Aussicht auf Erfolg? Was kann er tun außer auswandern?

Die Eltern bereiten die Kinder schon auf die Auswanderung vor. Auch seine Tochter wolle den Schulabschluss im Ausland machen. Von seiner Fakultät (Politik, Sozialwissenschaften, Soziologie) werden 92% der AbsolventInnen arbeitslos. Bei Fragebögen zur Arbeitssuche gibt es kein Kästchen für Sozialwissenschaft.

In Griechenland gibt es 450 000 offene Stellen für Köche, Bedienungen, Landarbeiter, LKW-Fahrer, Bauarbeiter usw. Warum geht niemand auf solche Stellen? Man bekommt 500 € maximal, die Wohnung kostet schon 700 €, also ab nach Deutschland.

Aus dem Gesundheitswesen sind alleine 2023 ca. 22500 Fachkräfte ausgewandert. Vor kurzem starb eine Touristin auf einer Insel an einem Herzinfarkt vor der Gesundheitsstation, da der Kardiologe am Sonntag keinen Dienst hatte und weg war. Warum gibt es keinen zweiten Kardiologen? Die meisten Wohnungen werden über AirBnB an Touristen vermietet, so dass sie unbezahlbar sind.

Es gibt trotz zehn Prozent Arbeitslosigkeit 500 000 offene Stellen. Tatsächlich arbeiten sehr viele schwarz. Griechenland hat in Europa die höchste Schwarzarbeitsquote.

Seit 2007 können MigrantInnen zum ersten Mal einen legalen Aufenthaltsstatus erwerben. Das endet zum Jahresende. Die Hoffnung ist, dass einige hierbleiben. Zum ersten Mal schließt Griechenland Abkommen mit anderen Ländern (Bangladesch, Ägypten) zur legalen Einwanderung. Das Interesse ist aber gering.

2022 beschloss die EU eine fantastische Direktive zu Tarifverträgen: Bis zum 14.11.2024 sollen alle Länder ein Minimum an Tarifverträgen haben. Die Länder müssen bis dahin ihre Gesetzgebung an einen Minimalstandard anpassen:

  • Tarifverträge im Öffentlichen Dienst;
  • Schwerpunkt Branchentarifveträge (gibt es in Griechenland nicht);
  • In drei Jahren sollen 70% der Beschäftigten tarifgebunden sein.

Seit zwei Jahren hat sich weder eine Gewerkschaft noch die Regierung mit dieser Direktive beschäftigt. Das zuständige Ministerium hat noch nichts erarbeitet, verspricht aber, in zwei bis drei Wochen eine Gesetzesvorlage zu erarbeiten. Es gab noch keinerlei Gespräche zwischen Regierung, Unternehmern und Gewerkschaften dazu.

Die Hälfte dieser Direktive umzusetzen käme schon einer Revolution gleich.

Vor kurzem hielt Ministerpräsident Mitsotakis eine Rede: Es gebe eine halbe Million offene Stellen, die Migration müsse neu bewertet werden, die Arbeitgeber müssten jetzt die Löhne erhöhen, die Regierung habe alles getan. Von der EU-Direktive kein Wort.

Auf Nachfrage von uns führt er zu Arbeitskämpfen in den letzten Jahren einiges aus.

Betriebsvereinbarungen gibt es dort, wo Gewerkschaften sind, Tarifverträge akzeptieren die Unternehmer in der Regel nicht. Bei kleineren Betrieben und Lieferdiensten gibt es auch keine Betriebsvereinbarungen.

Zur PAME, der Gewerkschaftsfraktion der kommunistischen Partei KKE:

Diese kontrolliert das Metall- und Baugewerbe. Vor zwei Jahren schloss sie einen Tarifvertrag im Baugewerbe ab mit akzeptabler Lohnerhöhung. Aber PAME vereinbarte, dass alle neueingestellten ausgenommen sind und erst nach zwei bis drei Jahren Beschäftigung die Erhöhung bekommen.

PAME nutzt ihre Popularität nicht für Bewegungswiderstand, z.B. führt sie keine Diskussion um gesellschaftsweite Tarifverträge. Dort, wo sie nicht stark ist, passiert nichts. PAME und KKE nehmen nicht Teil an Initiativen gegen die Folgen des Klimawandels. Generell sind sie nirgendwo dabei, wo sie schwach sind.

Die Kämpfe der letzten Jahre im Hafen und bei Malamatinas (Weinproduktion) waren keine „Leuchttürme“, da sie isoliert blieben. Die PAME hat bei COSCO im Hafen viel erkämpft, sie kontrolliert das Arbeiterzentrum Piräus, aber das Gebäude bleibt für andere Gruppen und Kämpfe geschlossen. Sie versucht nicht neue Kämpfe zu initiieren oder zu unterstützen, z.B. von anderen Betriebsgewerkschaften. So gibt es in der Kommune Piräus zwar ein Linksbündnis, aber selbstverständlich ohne PAME. 

Es gab 2021 Kämpfe beim Lieferdienst E-Food (wir berichteten darüber in unseren Reiseberichten). Es gab eine große Unterstützung in Athen. Der Gewerkschaftsvorstand bestand dort aus Linken und Anarchisten. Sie wollten Tarifverhandlungen, das Unternehmen lehnte ab. 30 000 FahrerInnen fuhren durch Athen, Forderung nach Festanstellung statt Scheinselbstständigkeit. In der Bevölkerung gab es eine große Solidarität, 100 000 löschten die E-Food-App von ihren Smartphones, was ein großer Schaden für das Unternehmen war. Der Kampf wurde gewonnen, aber die Schlacht verloren. Zwar wurde ein großer Teil fest angestellt, aber der Gewerkschaftsvorstand trat wegen interner Streitigkeiten zurück, der Tarifvertrag wurde nicht abgeschlossen, der alte Zustand trat wieder ein.

Die Anarchisten sind die einzigen, die sich um die EU-Direktive bezüglich scheinselbstständiger LieferfahrerInnen kümmern, die für sie vorteilhaft wäre.

(Manfred)

 

Dienstagmittag, 1.10.

Verein der Archäologen

Despina, die Vorsitzende des Vereins, kam direkt zum Treffpunkt mit Kapsalis, so dass wir direkt mit ihr das Gespräch fortsetzen konnten.

Sie erzählte den anderen, vom letzten Jahr war nur ich dabei, kurz die Vorgeschichte. Der Verein, quasi die Gewerkschaft, vertritt die ArchäologInnen, die beim Kultusministerium angestellt sind. Aufgrund ihrer politischen Aktivitäten gegen die Militärdiktatur bekam der Verein von der damaligen Kultusministerin Melina Mercouri ein staatliches Gebäude zur Verfügung gestellt, das vorher als Tankstelle genutzt worden und vor der Renovierung ziemlich heruntergekommen war. Der Verein nutzte das Gebäude und den dazu gehörigen Garten sowohl sozial wie politisch, d.h. es fanden Ausstellungen, Veranstaltungen, Vorträge usw. statt, nicht nur für progressive Gruppen. Z. B. veranstaltete die mexikanische Botschaft eine Feier, die Stadt Athen hielt Cocktailpartys ab oder führte Filmvorführungen durch, ein Vizepräsident der griechischen Regierung hielt eine Kundgebung ab, Institutionen des Kultusministeriums nutzten es, kurz ein öffentlicher Raum.

Der Knackpunkt: Das Bootsverbrechen von Pilos

Im Juni 2023 verursachte die griechische Küstenwache den Untergang eines mit über 700 Menschen vollgeladenen Flüchtlingsschiffs vor der griechischen Küste bei Pilos, bei dem etwa 600 Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder ertranken. Der Verein veranstaltete im Garten im Juli darauf eine Kundgebung unter dem Titel “Das Verbrechen von Pilos”.

Wenig später flatterte ein Schreiben des Kultusministeriums ins Haus, der Verein habe mit der Veranstaltung die Nutzungsbedingungen verletzt, deswegen werde ihnen das Nutzungsrecht entzogen. Der entsprechende Ministerialerlass folgte zehn Tage später. Der Verein weigerte sich, das Gebäude zu räumen und warb um Unterstützung. Die bekam er auch, vor allem aus der Kulturszene. Es gab zwei sehr gut besuchte Solidaritätskonzerte im Garten und auf der Straße davor, weil so viele Leute kamen.

Natürlich ist das Ministerium befugt, das Gebäude zurück zu fordern, es gab aber keinen anderen Nutzer. Der Verein zog deshalb vor das oberste Verwaltungsgericht.

Vor Gericht

Sie führten zwei Gründe an, weshalb der Räumungserlass abzuweisen sei:

  • Es kann wegen einer Kundgebung zu einem Verbrechen keine Räumung erfolgen; schließlich hatte die Regierung nach dem Unglück sogar eine dreitägige Staatstrauer angeordnet.
  • Der Verein hatte das Gebäude immer als öffentlichen Raum genutzt. Das Kultusministerium wusste davon, schließlich hatten deren Institutionen in dem Haus auch Veranstaltungen durchgeführt. Es konnte also keine Rede davon sein, dass sie das Haus zweckentfremdet hätten, wie der Vorwurf lautete.

Dem Gericht fiel es schwer, diese Argumente zu entkräften, obwohl das Urteil schon im Vorhinein feststand. Das Gericht legte dem Kultusministerium nahe, dem Verein ein anderes Gebäude zur Verfügung zu stellen, dann könnte es die Klage abweisen, da kein Schaden entstanden sei. Es gibt enge Verbindungen zwischen Politik und Gericht, so war die heutige Staatspräsidentin früher Vorsitzende des obersten Verwaltungsgerichts.

Im November wurde der Antrag auf eine einstweilige Verfügung abgelehnt, im Juli erfolgte die Abweisung der Klage im Hauptverfahren.

Die politische Hand wäscht die private

Das ihnen vom Kultusministerium zur Verfügung gestellte Gebäude hat 100m² Nutzfläche, das alte hatte 900m². Den Garten dürfen sie nicht nutzen, der alte Garten hatte 1000m². Sie nutzen das neue Gebäude nur als Abstellraum, sie können das Gebäude einer anderen Basisgewerkschaft nutzen.

Seit ihrem Auszug ist das alte Gebäude verschlossen und wird nicht genutzt. Die Kultusministerin hatte einem privaten Investor versprochen, es als Hotel und Restaurant zu nutzen (Akropolisblick!).

Die Ministerin ist seit 1997 im Ministerium, gehört dort zur korrupten Bürokratie. Sie beauftragte eine Ingenieurin einen Kostenvoranschlag für die Renovierung des sich im guten Zustand befindlichen Gebäudes zu machen, um den Verein der Archäologen zu diskreditieren. Diese errechnete einen Betrag von 1,5 Millionen Euro. Allerdings flog die Ingenieurin wenig später wegen Korruption auf und landete im Gefängnis.

Wegen dieses öffentlichen Skandals kann die Ministerin das Gebäude im Moment nicht wie gewünscht verscherbeln.

Zwei Welten treffen aufeinander

Die eine Welt ist die der Rechten, der Profitmacher, die mit dem Gebäude Geld machen wollen und die den Verein für ihre Kundgebung zu Pilos bestrafen wollen.

Die andere Welt ist die der Nachbarschaft, der Schulen, der Kultur, des Widerstands gegen die Gentrifizierung.

Im Ministerium selbst gibt es auch Auseinandersetzungen. So versuchte die Ministerin die Beschäftigten aufzuhetzen und unter Druck zu setzen, bei der Neuwahl des Gewerkschaftsvorstands Despina abzuwählen. Aber Despinas Fraktion erhielt mehr Stimmen als bei der Wahl zuvor, während die Fraktion der Ministerin zwei Sitze verlor.

Der Verein der Archäologen kämpft auch gegen die Privatisierung der staatlichen Museen, was offiziell nicht möglich ist, aber schleichend passiert. So veranstaltete die Tochter des früheren Königs ihre Hochzeitsfeier im byzantinischen Museum, was früher undenkbar war. Sie machten das bekannt und organisierten eine Demo vor dem Museum.

Sie führten einen Kampf gegen die Nutzungsbedingen der fünf großen staatlichen Museen. Bis 2023 waren diese der archäologischen Behörde unterstellt, die Vorstände wurden gewählt. 2023 änderte die Regierung das: Die Vorstände werden von ihr eingesetzt. In denen ist jetzt kein Archäologe mehr vertreten. Begründung: Die Vorstände müssten “unabhängig” sein. So ist jetzt im Vorstand des archäologischen Museums ein Funktionär der Regierungspartei ND, in Kreta sitzt im Vorstand der Besitzer der Aegean-Fluggesellschaft, in Thessaloniki die Besitzerin einer Hotelkette auf Chalkidiki, im byzantinischen Museum, wo man lange gegen kirchlichen Einfluss kämpfte, die rechte Hand des Erzbischofs. Lauter unabhängige Persönlichkeiten! Der Charakter der Museen, der früher auf möglichst breiten öffentlichen Zugang, auch für arme Menschen, ausgerichtet war, ändert sich: Es geht ums Geldverdienen.

Da Griechenland ein Staat des Welterbes ist, kann man nicht die Akropolis privatisieren. Was passiert? Es sind jetzt gegen 5000€ Eintritt private Veranstaltungen auf der Akropolis möglich!

Despina sieht noch einen Widerstand gegen diese Entwicklung in der Bevölkerung, zwar nicht so stark wie noch vor 20 Jahren, vor allem nach 2015 gab es einen Einbruch, aber sie erfahren Unterstützung aus dem kulturellen und wissenschaftlichen Bereich. Aber es gibt keine politische Partei, die ihren Kampf aufnimmt. Deshalb ist ihr Widerstand auch ein politischer Kampf.

(Manfred)

 

Dienstagabend, 1. 10., Dachterrasse

Treffen mit Eisenbahngewerkschaftern

Giorgos und Panagiotis kennen wir schon seit zwei Jahren, sie sind beide bei der noch nicht privatisierten Bahngesellschaft, die für die Infrastruktur zuständig ist (defizitär, deshalb noch staatlich; der profitable Fahrbetrieb wurde an die italienische Eisenbahngesellschaft RAI verkauft). Giorgos kommt von der PAME, was für die ungewöhnlich ist, da sie meistens ihr eigenes Ding macht. Dazu kam jetzt noch Wassilis von der Ingenieurgewerkschaft (auch Infrastruktur) (früher mal Syriza nahe).

Alexandra, die für uns übersetzte, berichtete zuerst über neuere Nachrichten zum schrecklichen Eisenbahnunglück letztes Jahr mit über 50 Toten („Bahnverbrechen“): Der Güterzug, mit dem der Personenzug zusammengestoßen war, hatte Sprengstoff (für die Ukraine wahrscheinlich) geladen. Deshalb waren 30 der Toten verbrannt. Die Regierung versucht das zu vertuschen.

Die drei berichten:

Letztes Jahr gab es gewaltige Überschwemmungen, die zwei Regionallinien zerstörte, die noch nicht wieder repariert sind.

Auch die Hauptlinie Athen – Saloniki wurde beschädigt, sie war drei Monate außer Betrieb. Nach der Reparatur war die Signaltechnik defekt, sie funktioniert nur in eine Richtung, deshalb ist der Verkehr hier nur eingleisig. Es wäre erlaubt, die Züge auch ohne automatische Signalanlagen zu fahren, aber dafür müssten alle Bahnhöfe mit Personal besetzt werden. Das gibt es aber nicht.

Die Gewerkschaft fordert die Instandsetzung der zerstörten Linien, sie schätzt dafür etwa 300-500 Mio. € Kosten. Woher soll das Geld kommen?

Ebenso fordert die Gewerkschaft Einstellungen, sie sind nur noch 600 Kollegen. Neueinstellungen erfolgen, wenn überhaupt, nur befristet. Aber sie fordern Festeinstellung aus mehreren Gründen:

  • Befristete haben weniger Rechte;
  • Befristete dürfen nicht alle Arbeiten machen, d.h. die Hauptlast bleibt bei den Festangestellten;
  • Befristete haben keinen Urlaubsanspruch;
  • Befristete gelten als Freiberufler (müssen sich also selbst versichern usw.).

Seit dem Zugunglück beobachten sie, dass viele der Befristeten Kinder von Festangestellten sind. Sie haben den Verdacht, dass damit das Schweigen der Eisenbahner zum Zugunglück erkauft werden soll.

Nach dem Zugunglück wurden die fehlenden Signalanlagen (die zum Unglück geführt hatten), auf einmal installiert, was sie vorher über Jahre nicht fertiggebracht hatten. Aber diese Signalanlagen sind veraltet, da für die neuere Technik die Fachleute fehlen!

Sie vergleichen Griechenland, was die Privatisierung angeht, jetzt mit Chile in den Jahren 1974 – 79 (nach dem Pinochet-Putsch).

Wer profitiert?

Der Zugverkehr in Griechenland geht kaputt, als erste profitieren die Busunternehmen. Die Lizenzen für den Busverkehr wurden unter der Militärjunta (1967 – 74) vergeben und nie zurückgenommen. Deren Unternehmer sind meistens Rechte. Es ist eine einflussreiche Lobby, die auch dafür sorgte, dass das Eisenbahnnetz nicht ausgebaut wurde. Nach 1890 gab es Verbindungen bis in kleine Städte.

Das Gleiche gilt für Fluggesellschaften. Olympic Air (Onassis) war profitabel, deshalb kein Ausbau der Eisenbahn. Fluggesellschaften werden auch subventioniert. So erhielt Aegean Air während Corona 130 Mio, die Bahn sollte vier Mio bekommen, bekam sie aber nicht.

In Griechenland beträgt der Anteil der Bahn am Verkehrsaufkommen ein Prozent. Bei Ländern mit vergleichbarer Bevölkerungszahl wie Estland und Kroatien beträgt er 4,7%.

Eine weitere Gruppe, die profitiert, ist der private Autobahnbetreiber. Er gehört einem Oligarchen, der ein enger Verwandter der Nr. 2 in der Regierung ist.

Nachfrage nach COSCO, die den Hafen von Piräus übernommen hat, um von dort Güter nach Südeuropa zu transportieren:

COSCO hat große Probleme mit der Bahn. Die großen Konkurrenten Rotterdam, Antwerpen verhindern über die EU, dass hier die Eisenbahn ausgebaut wird. Die Containerverschickung erfolgt deshalb über LKWs. Es gibt pro Tag zwei Güterzüge von COSCO nach Saloniki.

Es ist unwahrscheinlich, dass das Eisenbahnnetz ausgebaut wird. Z. B. wurde eine riesige Brücke über den Golf von Korinth von Patras auf die Peleponnes gebaut. Was gibt es nicht? Eine Bahnlinie! Ähnliches auch anderswo.

Vor der Zerschlagung der Eisenbahngesellschaft OSE 2007 in mehrere Betriebe war sie im Plus. In den nächsten Jahren häufte sie ein Defizit von zehn Milliarden an! Wieso? Es wurden der Bahn Staatsausgaben angerechnet, damit der Staatshaushalt nicht defizitär war. Die Gewerkschaft brachte deswegen eine dicke Akte zur Staatsanwaltschaft, woraus aber nichts folgte.

Aussichten?

Letzte Woche gab es zum ersten Mal seit dem Zugunglück einen 24h-Streik, weil es bisher keine Verbesserungen gegeben hat. Der Streik wurde nicht verboten, weil der Richter nicht schuldig werden wollte an zukünftigen Unglücken.

Insgesamt ist die Situation der Gewerkschaften schwierig. Es braucht immer eine große Anstrengung, um die Leute zum Mitmachen zu bewegen. Ehrenamtliche Posten zu besetzen wird immer schwieriger. Von insgesamt 3000 sind vielleicht 20 ernsthaft aktiv. Die OSE selbst ist eine kämpferische Basisgewerkschaft im Unterschied zum Dachverband. Der dämonisiert Streiks.

(Manfred)

 

Mittwochmorgen, 2. Oktober, Dachterrasse

Flüchtlingsproblematik mit Achim

Wir haben uns mit dem Anwalt Achim Rollhäuser getroffen, der seit über 30 Jahren in Athen lebt und in der Flüchtlingssolidarität aktiv ist. Zusammen mit anderen Einzelpersonen und politischen Gruppen ist er Teil der Push-back Assemblee, die sich gegen das Morden an den europäischen Außengrenzen wendet. Zwischen 2016 und 2019 war er an der Besetzung des „City Plaza“ Hotels beteiligt, mit dem Ziel eine menschenwürdige Unterkunft für Geflüchtete zu schaffen. Ein Kampf, der viel Aufmerksamkeit und auch prominente Unterstützung erhielt (wir berichteten in unseren früheren Reisetagbüchern). Achim ist schon seit längerem mit der Griechenlandsolidaritäts-Reisegruppe befreundet und fester Teil des Programms. Dieses Jahr hat er über die aktuellen Entwicklungen der EU-Grenzpolitik sowie zur Situation Geflüchteter in Griechenland berichtet.

Die Lager auf den ostägäischen Inseln Samos und Kos, in denen lange Zeit Flüchtlinge aus sogenannten Drittstaaten eingesperrt waren, wurden geschlossen. Mittlerweile wurden das Bürgerkriegsland Syrien und das sich unter der Herrschaft der Taliban befindende Afghanistan zu „sicheren Herkunftsländern“ erklärt, damit Geflüchteten der Asylstatus verweigert werden kann. Trotzdem erhalten viele Menschen durch Gerichtsurteile Asyl, diese reisen dann meistens weiter Richtung Deutschland. In Griechenland zu bleiben ist für die allermeisten keine Option, denn dort gibt es keinerlei Sozialleistungen, sodass auch EU-Gerichte die hiesigen Zustände als menschenunwürdig deklariert haben. Das hat zur Konsequenz, dass es keine innereuropäischen Abschiebungen nach dem Dublin-Verfahren nach Griechenland mehr geben darf. Bislang verfällt die Frist für solche Dublin-Abschiebungen nach 6 Monaten Aufenthalt, danach können Schutzsuchende nicht mehr in das Erstaufnahme-Land zurückgeschickt werden. Durch die GEAS-Reform sollen Rückführungen nach sechs Monaten legal sein. Es drohen weitere Freiheitseinschränkungen und die Inhaftierung von geflüchteten Menschen, die in Griechenland schon jetzt in „geschlossenen Zentren“ untergebracht werden. [1] Der griechische Staat erhält durch diese Grenzlager und die Abschottungsmaßnahmen viel Geld durch die EU.

Diese Gesetzesverschärfungen wurden zu einer Zeit beschlossen, in der die Anzahl der Ankünfte von Schutzsuchenden in Griechenland halbiert ist, während die Hetze gegen Geflüchtete weitergeht. Die Gründe für das Sinken der Ankunftszahlen liegen unter anderem in den enorm hohen Kosten für die Flucht über das Mittelmeer und dem brutaler werdenden Grenzregime Europas, welches sich in dem Handeln der griechischen Küstenwache und Frontex widerspiegelt. In der Türkei grassiert der Rassismus gegen syrische Geflüchtete, diese werden mittlerweile auch in das Bürgerkriegsland abgeschoben. Die griechisch-türkische Festlandgrenze ist mit Zäunen befestigt, der Grenzschutz arbeitet mit faschistischen Banden zusammen und in den illegalen Lagern herrscht Folter und Gewalt. Die Insel Lesbos wird weiterhin von Schleusern angefahren, mittlerweile werden die Flüchtlinge allerdings gezwungen das Boot selbst zu steuern. Hintergrund sind die harten Strafen gegen Schlepper, die mittlerweile 10 Jahre Knast pro Passiere (maximal 25 Jahre) betragen. Dieses Risiko wollen die Schlepper auf der türkischen Seite der Küste nicht mehr länger selbst eingehen. In der Folge machen diese Geflüchteten mittlerweile die zweitgrößte Gruppe unter den Insassen griechischer Gefängnisse aus.

Die Situation von Geflüchteten und Migrant*innen in Griechenland

Früher hielten sich 60.000 Geflüchtete in Griechenland auf, doch die meisten ziehen weiter. Die Balkanroute ist sehr gefährlich, die kostspielige Alternative ist es, mit falschen Pässen einen Flieger zu besteigen. Mittlerweile kontrollieren allerdings Bundesbeamte an griechischen Flughäfen. Personen mit Asylstatus in Griechenland genießen ebenfalls keine Reisefreiheit. Menschen die in GEAS-Lagern einkaserniert sind können dort 18 Monate festgehalten werden, Freigang haben sie erst nach 30 Tagen Aufenthalt. Die Türkei nimmt keine Geflüchteten mehr zurück. Das Abkommen aus dem Jahr 2016, dass sechs Milliarden Euro Fördergelder, die Weiterverteilung von Geflüchteten in der EU und Visa für türkische Staatsbürger im Gegenzug für die Schließung der Grenzen nach Europa in Aussicht stellte, wurde nie umgesetzt. 2020 ist es offiziell geplatzt, die Türkei transportierte Geflüchtete an die griechische Grenze, worauf Griechenland Militär schickte und scharf geschossen wurde.

Illegalisierte Migranten in Griechenland selber sollen sich bis Ende 2024 legalisieren lassen können. Hatten sie humanitäre Gründe vorzuweisen, war das auch bisher schon möglich. Trotzdem sind Migranten immer wieder Opfer von Gewalt durch Faschisten oder die Polizei. Dieses Jahr wurde ein pakistanischer Migrant tot in einem Polizeirevier aufgefunden (siehe unseren Bericht über „Rechtsstaatlichkeit“, Donnerstagabend).

Pushbacks – „State organized murder“

Die griechische Küstenwache setzt Flüchtlinge, die auf dem Wasser aufgegriffen werden, teils ohne Boot auf dem offenen Meer aus. Im Fall von Pylos konnte das Geschehen aufgedeckt werden. Ein völlig überfüllter Fischkutter mit 700 Geflüchteten erlitt auf dem Weg von Libyen nach Italien einen Motorschaden und trieb auf dem Meer. Für diese elenden Zustände hatten die Passiere pro Kopf 4000 US-Dollar an den Schlepper bezahlt. Die griechische Küstenwache schickte ein Schiff, begleitete das Boot und schickte andere Schiffe weg, die das weitere Vorgehen hätten beobachten können. Die Küstenwache machte sich daran das Boot abzuschleppen und fuhr dabei zu schnell für den Kahn, der dieses Tempo bauartbedingt nicht halten konnte. Das Boot kenterte und ging unter. Für die Passiere auf den unteren Etagen bedeutete das den sicheren Tod, lediglich 100 Menschen überlebten und nur 80 Leichen wurden geborgen. Die Küstenwache hätte auch noch diese Menschen ertrinken lassen und machte in den folgenden 30 Minuten keine Rettungsversuche. Erst die Ankunft eines privaten Bootes, das beim Anblick der Seenot selbst mit der Rettung begann, zwang die Küstenwache dazu, selbst zu handeln und Flüchtlinge aufzunehmen.

Der mörderische Abschleppversuch wird geleugnet. Erst die Aufforderung des EU-Parlaments den Vorfall zu untersuchen zwang die griechischen Behörden zu ermitteln. Nach einem Jahr Zeugenanhörung wurde Anzeige beim Marinegericht in Piräus erstattet. Die griechische Regierung hingegen will den Fall aussitzen. Bereits nach ihrer Ankunft wurden den Überlebenden die Handys weggenommen, nur durch Zufall sind ein paar davon wiederaufgetaucht. Auch die Kameras des Schiffes der Küstenwache waren entgegen den Vorschriften „zufällig“ ausgeschaltet. Die Pylos-Zeugen werden von politischen Anwälten unentgeltlich bei der Klage gegen die Behörden als auch bei ihren Asylverfahren unterstützt.

(Rieke)

[1] Siehe https://www.proasyl.de/news/innenministerium-plant-unter-deckmantel-der-geas-umsetzung-massive-verschaerfungen-im-asylrecht/ externer Link

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=224117
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