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Geoffroy de Lagasnerie: «Wir sollten die Gilets jaunes umarmen»

Foto von Bernard Schmid der Demo in Paris am 24.11.2018Seit Mitte November halten die «Gelbwesten» Frankreich in Atem, am Wochenende kam es in Paris erneut zu schweren Ausschreitungen. Der französische Philosoph und Soziologe Geoffroy de Lagasnerie warnt davor, der Bewegung von oben herab zu begegnen. Geoffroy de Lagasnerie: Ich habe nicht nur Sympathie für die Bewegung, ich unterstütze sie voll und ganz. Wir erleben einen entscheidenden Moment des sozialen Protests, eine Revolte der populären Gesellschaftsklassen. Unter Intellektuellen führt oft ein Klassendünkel dazu, dass sie zu solchen Bewegungen auf Distanz gehen. Die Bewegung zu unterstützen, bedeutet nicht, alles an ihr gutzuheissen. Doch man sollte sie nicht vorschnell ablehnen, nur weil man sich in ihren Ausdrucksformen nicht gleich wiederfindet oder weil ihrer politischen Ausrichtung die ideologische Reinheit fehlt. (…) Die Ursache für die Proteste ist nicht nur ein Gefühl der steuerlichen Ungerechtigkeit, sondern die Armut. Es ist eine Armenbewegung. Die Gilets jaunes sind Leute, die nicht in Gewerkschaften oder Parteien sind, Leute, die keinen Zugang zur Politik, zu Medien oder zum Arbeitsmarkt haben. Es sind die Abwesenden der Politik der letzten zwanzig Jahre – diejenigen, die man als rassistisch und zurückgeblieben bezeichnet. Nun drängen sie auf ihre eigene Weise in den Vordergrund. Inzwischen geht es nicht nur um Steuern, sondern um Ausbeutung und die Verteilung des Reichtums. (…) Es ist eine Bewegung, die den Grundbedürfnissen entspringt: Jemand, der in Frankreich vom Mindestlohn lebt, hat monatlich rund 32 Euro für Freizeitaktivitäten zur Verfügung. Macrons Erhöhung des Benzinpreises frisst diesen Leuten rund 16 Euro weg, also die Hälfte dieses Freizeitbudgets. Die Pariser Bourgeoisie kann sich schlecht vorstellen, was das bedeutet. Es ist also eine sehr materialistische Bewegung. Hinzu kommt die Erstickung der Demokratie durch die Regierung. In den letzten zwei Jahren haben die Eisenbahner protestiert, die Studenten, die Krankenpfleger und viele andere. Doch der rigide Macronismus hat keinem der Proteste nachgegeben. Das hat jetzt diesen Wutausbruch provoziert. (…) Im Kern sind die Gilets jaunes eine linke Bewegung: Die Leute fordern nicht die Abschaffung des Parlamentarismus, sie wollen essen und sich fortbewegen. Das ist ein linkes Problem…“ Interview von Yves Wegelin in der WoZ vom 06.12.2018 externer Link

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