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Frankreich: Fortgang der „Gelbwesten“-Proteste beim Akt XII
„Aktionstag am Samstag (02.02.19): Thema „Polizeigewalt“ im Mittelpunkt – Zahlen zur Teilnahme in Paris und frankreichweit – Dieses Mal bestand eine sichtbare „Antifa“-Präsenz; militante Faschisten konnten nicht erneut zuschlagen, streuten jedoch im Anschluss Gerüchte (die sofort dementiert wurden) – Perspektiven vor dem Streikaufruf am morgigen Dienstag, den 05. Februar 19: durchwachsene Aussichten?…“ Artikel von Bernard Schmid vom 4.2.2019 – wir danken!
Emmanuel Macron versucht es mit einem neuen Mittel der Flucht nach vorne gegenüber der anhaltenden Protestbewegung, mit einem eilends festgezurrten neuen Vorhabe: Dieses Mal soll es ein Referendum sein, also eine Volksabstimmung. Stattfinden soll es voraussichtlich am 26. Mai 19, also zeitgleich mit den kommenden Europaparlamentswahlen. (Zu ihnen sollen überdies, das Regierungslager hat diesbezüglich die Hoffnung nicht aufgegeben, eine oder mehrere Listen unter der Bezeichnung „Gelbe Westen“ anzutreten, um das Protestpotenzial aufzusaugen und zugleich Marine Le Pen auf der Rechten und Jean-Luc Mélenchon auf der Linken zu schwächen. Die Initiative zu solchen Kandidaturen ging eindeutig vom Macron-Lager aus und nicht von der Protestbewegung, inzwischen sind jedoch zwei Listen angekündigt, eine von ihnen angeführt für die seit Dezember 18 halbprominente „Gelbwesten“-Trägerin Ingrid Levavasseur; die andere unter der Bezeichnung „Union jaune“, also „Gelbe Union“. Was die Levavasseur-Liste betrifft, so sind bislang nur die Bewerber/innen für die ersten zehn Listenplätze bekannt, darunter zwei Prominente, die bislang zum Macron-Lager gezählt wurden.)
Die Idee mit dem Referendum wurde erst am gestrigen Sonntag, den 03. Februar 19 bekannt, durch die Sonntagszeitung JDD (Le journal du dimanche), unter Berufung auf die engste Umgebung Emmanuel Macrons. Dieser denkt demnach darüber nach, schon in allernächster Kürze den Druckauftrag für eine Referendumsvorlage zu erteilen. Die Crux dabei ist, dass bislang der Öffentlichkeit – doch vielleicht soll selbige ja überrumpelt werden – völlig unbekannt ist, welche Frage oder Fragen überhaupt zur Abstimmung gestellt werden soll(en). Allem Anschein nach geht Macron jedoch davon aus, dass die Antwort der Stimmbevölkerung auf die Frage(n) entweder die anhaltende Krise rund um die „Gelben Westen“ in Wohlgefallen auflöst, oder aber den Regierenden hinreichende Legitimität verleiht, um wieder fest im Sattel zu sitzen.
Ähnlich im Hau-Ruck-Verfahren ging Macron bereits beim Start der seit dem 15. Januar 19 offiziell laufenden „Nationalen Debatte“ vor. Kurz zuvor hatte das Staatsoberhaupt einen „Brief an die Franzosen“ vorgestellt, welcher – ausgedruckt – für die Kleinigkeit von fünf bis sieben Millionen Euro an alle französischen Staatsbürger/innen versandt werden sollte. Mittels dieses Schreibens gab Macron den Rahmen der Debatte vor. Es enthält 35 Fragen, von denen mindestens einige suggestiv sind und/oder vor allem die Wahl zwischen schlechten Antworten lassen („Welche Staatsausgaben sollen bevorzugt gekürzt werden?“), andere potenziell gefährliche Themen in die Debatte einführen (‚„Sollen wir Obergrenzen für Einwanderung einführen, wenn wir unsere Verpflichtungen im Bereich Asyl einmal erfüllt haben?“).
Seitdem wabert die „Große nationale Debatte“ frankreichweit vor sich hin, wobei die Präfekten (juristische Repräsentanten des Zentralstaats in den Départements) auswählen, wer von denjenigen Personen, die jeweils die Ausrichtung einer örtlichen Debatte in ihrer Kommune anbieten, dafür zugelassen wird. Die ersten beiden Auftritte Emmanuel Macrons – am Morgen des ersten Debattentags befand er sich am 15. Januar etwa zum Start des angeblichen nationalen Dialogs in der Kleinstadt Grand-Bourgtheroulde in der Normandie – waren jeweils von Tränengasnebeln begleitet, weil einige Protestwillige ebenfalls gekommen waren. Seitdem kommt es zu unterschiedlichen örtlichen Situationen; mal boykottiert das Protestspektrum, etwa die örtlichen „Gelben Westen“, mal protestiert es am Ausgang des Saals, mal nimmt es drinnen an der Diskussion teil. Was Gewerkschaften betrifft, so hat die CGT frankreichweit ihren Boykott erklärt.
Streiktag am morgigen 05. Februar
A propos CGT: Am morgigen Dienstag, den 05. Februar d.J. ruft diese ja nun zu einem landesweiten Streik- und Aktionstag auf. Es handelt sich nicht um den ersten Aktionstermin, den die CGT seit dem Beginn der „Gelbwesten“-Proteste im November 2018 bekannt gab, faktisch um Mobilisierungsschienen parallel zu den „Gelben Westen“ und unabhängig von ihnen einzuziehen; es hat den 1. Dezember 18 gegeben (seit längerem geplanter Aktionstag v.a. für die Rechte der Erwerbslosen, mit eher geringer Beteiligung), den 14. Dezember (Aktionstag der CGT mit 15.000 Demonstrierenden, eher geringer Erfolg). Nun gibt es den 05. Februar mit einem Streikaufruf auf breiterer Front.
Neu daran ist jedoch, dass sich seit Mitte Januar d.J. mehrere Spektren, jenseits des ursprünglichen Aufrufers „Dachverband CGT“, nunmehr jeweils auf diesen Appell zu beziehen begannen und dadurch die Chance zu entstehen schien, eine gemeinsame Dynamik zu erzeugen. So erfolgten Aufrufe zum „allgemeinen Streik“ oder „Generalstreik“ (letzter Ausdruck ist insofern mit Vorsicht zu genießen, als er in Abwesenheit eines entsprechenden Kräfteverhältnisses leicht zur beschwörend klingenden Leerformel verkommt – was viele verbalradikale „Generalstreik“appelle in den letzten zwanzig Jahren oftmals waren) seitens des „Gelbwesten“-Prominenten Eric Drouet (ja, der Fernfahrer), seitens Olivier Besancenot von der undogmatischen radikalen Linken („Neue Antikapitalistische Partei“) und des Linkssozialdemokraten / Linksnationalisten Jean-Luc Mélenchon (Wahlplattform LFI, „Das unbeugsame Frankreich“). Auch der linksalternative Gewerkschaftszusammenschluss Union syndicale Solidaires ruft mit auf.
Die CGT selbst spricht allerdings von einem Aufruf zum Streik und zum Demonstrieren und nimmt nicht das Wort „Generalstreik“ in den Mund, auch aus (grundsätzlich berechtigter) Furcht, dass der Begriff sich abnützt, wenn er in unglaubwürdig-oberflächlicher Art und Weise beschworen wird, ohne dass das erforderliche Kräfteverhältnis es erlauben würde. Der Dachverband CGT ruft zu einer 24stündigen Periode von Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen auf, mit von vornherein fest stehender zeitlicher Begrenzung.
Umgekehrt nahm Eric Drouet – er ist bislang, mit Verlaub, eher für sein verbalradikales Draufgängertum denn für seine zuverlässigen materialistischen Analysen bekannt – von Anfang an das Wort vom „unbefristeten Generalstreik im ganzen Land“ in den Mund. Eine Schwierigkeit dabei besteht, dass ein Aufruf sich nur zum Teil an Lohnabhängige richtet. In diversen Whatsapp-Gruppen im Zusammenhang mit den „Gelben Westen“ zirkulieren nunmehr seit der vorletzten Januarwoche 2019 auch mehrere Aufrufe, von denen einige jedoch derart formuliert sind, dass etwa „ouvriers“ (Arbeiter), „étudiants“ (Studenten) und „patrons“ (Unternehmer/Unternehmenschefs) gleichermaßen „zum Streik“ aufgerufen sind. Hinzu kommt etwa bei Eric Drouet auch, dass er seinerseits die CGT mit keinem Wort erwähnt, wenn er sich an das Datum 05. Februar anhängt.
Kurz: Welche Dynamik aus dem morgigen Aktionstag erwächst, und wie viel daran wirklich unterschiedlichen Protestspektren (etwa: Gewerkschaften einerseits und „Gelbe Westen“ andererseits) gemeinsam ist oder auch nicht, bleibt es zum jetzigen Zeitpunkt abzuwarten. Und am Abend oder am folgenden Tag gilt es eine ehrliche Bilanz daraus zu ziehen (- und bitte, bitte kein triumphalistisches-doch-von-jeglicher-Wirklichkeit-abstrahierendes „Generalstreik In Frankreich!“-Krakelen in linken deutschsprachigen Medien, das im Tonfall mal wieder so klingt, als fände gerade die bewaffnete Revolution statt; lieber erst einmal wirklich hingucken).
Was sich im Augenblick abzeichnet, sind Arbeitsniederlegungen bei der französischen Eisenbahn mit einigen Zugausfällen; Störungen des öffentlichen Nahverkehrs an manchen Orten, allerdings kaum Auswirkungen auf den Métro- und Busverkehr in der Hauptstadt Paris; und Arbeitsniederlegungen in manchen Schulen und einer Reihe von öffentlichen Diensten. (Vgl. einen Überblick am Vorabend auf der Webseite des öffentlich-rechtlichen TV: https://www.francetvinfo.fr/politique/grand-debat-national/manifestations-perturbations-dans-les-transports-et-les-ecoles-a-quoi-va-ressembler-la-journee-de-greve-de-mardi_3174487.html ) Bislang relativ wenig tangiert scheint hingegen die Industrie und Privatwirtschaft.
Eine genauere Bilanz wird an diesem Mittwoch, den 06. Februar zu ziehen sein.
Samstag, „Akt Zwölf“
Und noch ein kurzer Rückblick auf den „Akt Zwölf“, also den zwölften Mobilisierungs-Samstag in Folge. Dieses Mal zählte das französische Innenministerium frankreichweit 58.600 Protestierende auf den Straßen. Es waren demnach weniger als am Samstag, den 26. Januar (laut derselben Quelle: 69.000) und an den beiden Samstag zuvor, also am 12. und 19. Januar 19 (laut derselben Quelle: je 84.000). In Paris waren es demnach 4.000 Demonstrierende. Ein unabhängiges Medienkollektiv sprach jedoch, bezogen auf die Hauptstadt allein, seinerseits von 13.800 Teilnehmenden. (Vgl. https://www.liberation.fr/france/2019/02/02/acte-xii-des-heurts-a-paris-et-bordeaux-en-fin-de-manifestation_1707041 )
Stark im Mittelpunkt der Demonstration, der öffentlichen Wahrnehmung und auch der Medienberichterstattung standen dabei die „gueules cassées“ (wörtlich: „zerschlagene Fressen“; so nannte man in Frankreich in früheren Zeiten einmal Kriegsversehrte), also die Personen, die bei Polizeieinsätzen und insbesondere durch den Einsatz des mittlerweile in der Öffentlichkeit relativ stark umstrittenen Hartgummi-Abschussgeräts LBD 40 alias flash-ball verletzt worden sind. (Vgl. bspw. https://www.rtl.fr/actu/debats-societe/gilets-jaunes-une-marche-des-gueules-cassees-a-paris-7796426062 )
Bis zum jetzigen Zeitpunkt verloren vier Personen im Zusammenhang mit den Protesten – respektive der Polizeigewalt im Vorgehen gegen dieselben – je eine Hand, zwanzig Menschen je ein Auge. Laut Angaben von Innenminister Christophe Castaner aus der zweiten Hälfte der vergangenen Woche wurden die Hartgummigeschosse bis dahin, allein im Zusammenhang mit der Protestbewegung der „Gelben Westen“, 9.228 mal (ja, doch: neun tausend zwei hundert achtundzwanzig mal) eingesetzt. (Vgl. https://www.europe1.fr/societe/plus-de-9000-tirs-de-lbd-depuis-le-debut-du-mouvement-des-gilets-jaunes-3848678 )
Der Conseil d’Etat (wörtlich: „Staatsrat“), also das höchste französische Verwaltungsgericht oder Gericht im öffentlichen Recht – ungefähr vergleichbar mit dem deutschen Bundesverwaltungsgericht -, lehnte am vorigen Donnerstag, den 31. Januar 19 eine Eilklage ab, die darauf abzielte, die Hartgummigeschosse bei den Demonstrationen per Einstweilige Verfügung zu verbieten. (Vgl. https://actu.orange.fr/france/le-tribunal-administratif-de-paris-refuse-de-suspendre-l-usage-du-lbd-CNT000001ciVbF/photos/un-policier-muni-d-un-lanceur-de-balles-de-defense-lbd-le-12-janvier-2019-a-paris-lors-d-une-manifestation-des-gilets-jaunes-246cf846b14be02fec28193143b6b17c.html ) Eine Umfrage erbrachte zu dem Zeitpunkt allerdings auch nur dreißig Prozent Zustimmung unter den Befragten für ein Verbot (vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2019/01/30/97001-20190130FILWWW00103-gilets-jaunes-30-des-francais-pour-l8217interdiction-du-lbd.php ).
Nach der faschistischen Attacke auf einen linken Block in Paris, in der Nähe des „Lyoner Bahnhofs“, am vorausgehenden Samstag, den 26. Januar d.J. (vgl. in Bildern: https://twitter.com/Julesbdo/status/1089162166551363585 )- hatten an diesem Samstag, den 02.02.19 die antifaschistischen Milieus vergleichsweise stark zu der Demonstration mobilisiert und, vor allem, dort sichtbare Präsenz gezeigt. Beim Eintreffen des Demonstrationszugs auf der place Félix Eboué im Pariser Südosten (zwölften Bezirk) gingen dann einige Menschen aus diesen Reihen relativ energisch auf mehr oder minder bekannte Figuren aus dem militant-faschistischen Spektrum los, unter ihnen wohl Victor Lenta, der zuvor im Januar 19 z.T. „Ordnerdienste“ auf Pariser Demonstrationen der „Gelbwesten“ verrichtet und zuvor als pro-russischer Söldner im Donbass freiwillig gedient hatte. (Vgl. über ihn auch: https://jungle.world/artikel/2019/03/ein-soeldner-als-ordner )
Seit dem Abend verbreitete sich daraufhin über Internet und soziale Medien das Gerücht – das zuerst durch den eher „rechtenfreundlichen“ pro-russischen Drecks-, pardon, staatsnahen Sender RT sowie die aggressive faschistische Webseite Riposte Laïque (ungefähr: „Gegenschlag der Anhänger einer Trennung von Religion und Staat“) aufgebracht worden war -, wonach „Antifa-Aktivisten Jérôme Rodrigues angegriffen haben“. In anderen Varianten hieß es: „der schwarze Block“. Rodrigues ist ein bereits älterer Herr und steht einerseits dem Draufgänger Drouet persönlich nahe, ist zugleich andererseits geradezu eine Ausgeburt von Friedfertigkeit. Er verlor am vorausgehenden Samstag (26. Januar) ein Auge durch den Einsatz eines Hartgummigeschosses, wir berichteten. Rodrigues selbst bezeichnete kurz darauf die, bereits gestreute, angebliche Information über einen Angriff von Antifaschisten auf ihn als „beschissenes Gerücht“. (Vgl. u.a. https://www.liberation.fr/checknews/2019/02/03/le-gilet-jaune-jerome-rodrigues-a-t-il-ete-agresse-par-les-black-blocs_1707124 )
Verletzt, in diesem Falle am Fuß und mutmaßlich durch ein Hartgummigeschoss (oder eine Polizeigranate?), wurde an diesem Samstag, den 02. Februar d.J. der Vorsitzende der Oberschüler/innen/gewerkschaft UNL, Louis Boyard. (Vgl. https://www.huffingtonpost.fr/2019/02/02/gilets-jaunes-louis-boyard-le-president-de-lunl-se-dit-blesse-par-un-tir-de-lbd_a_23659565/ und http://www.leparisien.fr/faits-divers/gilets-jaunes-louis-boyard-president-de-l-unl-blesse-au-pied-02-02-2019-8002677.php ) Er erstattet Strafanzeige (https://www.lexpress.fr/actualite/societe/blesse-samedi-le-president-de-l-unl-porte-plainte_2060586.html ). Boyard befand sich in einer Gruppe von Demonstranten und trug laut eigenen Angaben selbst keine Gelbe Weste als Erkennungsmerkmal.