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Einwürfe zu der Bewegung der Gilets Jaunes in Frankreich
„… Alle Vermittlungsinstanzen haben sich in Luft aufgelöst. Der gesamte keynesianische Apparat, der im letzten Jahrhundert aufgebaut wurde, haben nun für den nackten Staat und seine sozialen Organismen keine Bedeutung mehr. (…) Es kann sein, dass mit den Bränden im Westen von Paris auch unsere Tarifverträge und Verhandlungsmechanismen mit in Flammen aufgegangen sind. In diesem Zusammenhang beginnen ‘Forderungen’ etwas ganz anderes zu bedeuten. Es geht nicht mehr darum, unsere kollektive Macht an einen Vertreter zu delegieren (die Bewegung innerhalb des Staates oder den Staat innerhalb der Bewegung). ‘Forderungen’ bilden nun die Grundlage für horizontale Assoziationsformen, die für sich selber kämpfen und – wenn das Schweigen der Behörden strukturell wird – sogar zum vollständigen Sturz des Bestehenden führen können. Deshalb reichte keine der abschreckenden Maßnahmen aus, um die Bewegung zu schwächen, obwohl diese Maßnahmen von allen politischen Parteien und Gewerkschaften (mit Ausnahme von Solidaires) unterstützt wurden. (…) Seit Wochen machen die Prozesse gegen Tausende von Festgenommenen schmerzhaft deutlich, dass es die so genannten “professionellen gewalttätigen Randalierer” nicht gibt. In Paris wie anderswo kommen die prekär Beschäftigten von der gleichen Baustelle, oder sie sind Krankenschwestern, Tischler, Gabelstaplerfahrer, ehemalige Soldaten und, nicht selten, die Kinder von Polizisten…“ Text der ‘Agenten der Imaginären Partei’ erschien am 19.12.2018 auf Lundi Matin, hier in der Übersetzung durch Sebastian Lotzer am 22.12.2018 bei non.copyriot , auch wichtig darin:
- „… Was die Gewerkschaften betrifft, die immer noch ihren keynesianischen Staat nachtrauern, wurden sie wie Kinder von ihrem Lehrer herbeigerufen. Nachdem sie mit ihrer gewalttätigen Konfrontation gegenüber der Bewegung (unterstützend, dann dissoziativ, dann wieder unterstützend) fertig waren, so haben sie sich am Ende prächtig positioniert – natürlich zum Vorteil der Regierung. All diese Kompromisse, Abwesenheiten und Verleumdungen werden nicht so schnell vergessen werden. (…) Die gegenwärtigen politischen Unruhen dienen auch als Vorwand für den Kampf unter den höchsten Repräsentanten des Staates, der durchaus einen langfristigen Sieg für den Finanzminister und seine angestrebten “Reformen” bedeuten könnte. Wenn wir “zu viele Steuern” ablehnen, sehen wir vielleicht eine noch größere Lähmung der “linken Fraktion” des Staates, die zu einer weiteren Zerstörung der letzten Sicherheitsnetze für die Armen führen könnte. (…) Es wurde immer wieder gesagt, dass die Gilets Jaunes in erster Linie an das Ende des Monats denken. Nichts könnte übertrieben simpler sein. Die Angst der nächsten Generation vor einer weiteren Deklassierung, vor einer sozialen Versorgung, die nicht nur stärker eingeschränkt wäre, sondern auch existenziell, und noch mehr die Angst nicht nur vor den wirtschaftlichen, sondern auch vor den ökologischen und vor allem den ethischen Beeinträchtigungen der Lebensbedingungen, belastet fast alle Menschen. (…) Es ist nur ein scheinbares Paradoxon, dass der Geist einer Bewegung (natürlich, wenn sie noch neu ist) nicht in ihren Forderungen, sondern in ihren Praktiken liegt. Die Bedeutung einer politischen Sequenz hängt nicht an ihren Ideen, sondern an ihren Handlungen. In diesem Sinne, wenn eine Bewegung unersättlich ist, wenn die Menschen nicht sagen konnten, was es braucht, um sie erfogreich und damit überflüssig werden zu lassen (die brennende Frage, die alle banalen Reporter den Teilnehmern aller Bewegungen unaufhörlich stellen), zeigt dies gut genug, dass es um etwas mehr geht als um Fragen der Geschwindigkeit oder Langsamkeit, des Benzinpreises, der Kaufkraft oder sogar der demokratischen Erneuerung – etwas mehr als 42 Punkte oder ein politisches Programm. Was ist das “etwas mehr”? Es ist ‘der Ort’, die politische Macht der Lokalität, wie wir es bei der ZAD gesehen haben, und an jedem ‘Ort’ der führerlosen Aufstände des letzten Jahrzehnts (vielleicht ohne die Kunstfertigkeit jener ‘Orte’, an denen es keine bereits bestehenden Beziehungen gab). Hier liegt die Frontlinie. Macron weiß es. Da er glaubte, das Ende aller Mediation des “Sozialen” gesehen zu haben, sieht er sich nun mit echten Solidaritäten konfrontiert, schwach, erodiert und zitternd, aber nicht verschwunden. Ihre Konsistenz ist lokal, in den verschiedenen Zwischenräumen des Landes, zwischen Städten und Landschaften. Es werden zweifellos diese bereits bestehenden Beziehungen und Verbindungen sein, die in ein vertrautes, zugängliches und vorstellbares Milieu integriert sind, die eines Tages, in dieser oder in einer anderen Bewegung, die endgültigen Grundlagen für eine neu definierte ökologische Politik bilden werden, eine Politik, die über die alte und nagende sozialistische Frage hinausgeht, indem sie sie transformiert…“