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Ringen um die Arbeitsrechts-„Reform“ unter Macron – Teil 7: Soziale Demagogie & Verwirrspiele – Was sagt eigentlich die extreme Rechte zur geplanten „Reform“?
Artikel von Bernard Schmid vom 18.9.2017
Zu den politischen Problemen für gesellschaftliche Protestbewegungen im letzten Vierteljahrhundert in Frankreich zählt, dass seit den frühen 1990er Jahren auch die dortige extreme Rechte in Gestalt des Front National – nachdem dieser Abstand von seinen vormaligen wirtschafsliberalen/neoliberalen Positionen der 1980er Jahre genommen hatte – vordergründig „soziale“ Diskurse an den Tag legt. Soziale Demagogie zu betreiben, dies wurde für die neofaschistische Partei nach 1989 (als mit dem Ende des Kalten Krieges bei den rechtsextremen Strategen die Erwartung einherging, mit dem „Tod des Kommunismus“ sterbe auch „der marxistische Klassenkampf“ ab) zum Kerngeschäft. Zunächst inspiriert durch den damaligen Chefideologen Bruno Mégret, bevor dieser 1999 durch Jean-Marie Le Pen gefeuert wurde und seine politische Karriere ab 2002 begraben durfte. Später wurde das Konzept wieder aufgegriffen durch die, im Januar 2011 in den Parteivorsitz gewählte, jetzige Vorsitzende Marine Le Pen.
Da bei Umfragen regelmäßig auch relevante Teile der rechtsextremen Wählerschaft zu den Verteidigern anti-wirtschaftsliberaler Positionen oder zu den „Reformgegnern“ (bei geplanten Einschnitten etwa ins Arbeitsrecht) gezählt werden, wirft dies ernsthafte Positionierungsprobleme für progressive Kräfte auf. Muss es für diese doch darum gehen, unter anderem die gewerkschaftliche Basis dagegen zu „immunisieren“, in die Versuchung einer Stimmabgabe für die extreme Rechte zu kommen. (Eine Stimmabgabe, die seit den 1990er Jahren in Teilen der Basis – unter den Sympathisant/inn/en stärker als unter den Mitgliedern – des Gewerkschaftsdachverbands FO – Force Ouvrière – sowie des christlichen Gewerkschaftsdachverbands CFTC verbreitet ist und dort regelmäßig rund zwanzig Prozent beträgt. Neu hingegen ist, dass diese Tendenz in diesem Jahrzehnt auch an Teilen der Sympathisantenbasis der CGT und sogar der linken Union syndicale Solidaires durchschlägt, wobei die Europaparlamentswahl vom 25.05.2014 dabei bislang einen traurigen Höhepunkt darstellt.)
Stärker noch drängt diese Fragestellung sich dann auf, wenn die Neofaschisten – oder Teile unter ihnen, da sie in strategischen Fragen insbesondere bei der Sozial- und Wirtschaftspolitik untereinander zerstritten bleiben – „unsere“ Demonstrationen aufsuchen oder in „unseren“ sozialen Protestbewegungen auftauchen. Allerdings hatte die extreme Rechte es bislang schwer, auch tatsächlich körperlich vor Ort aufzutauchen, wenn soziale Protestzüge oder –aktionen stattfinden. Unter anderem der Ordnerdienst der CGT bildete bislang ein schlagendes Gegenargument dafür…
Zum ersten Mal scheint nun eine solche Schwelle – auf niedrigem Niveau – überschritten worden zu sein. Allerdings glücklicherweise in einer Situation, in welcher die extreme Rechte selbst sich hochgradig zerstritten, ja zerfleddert zeigt. Infolge ihrer unerwartet deutlichen Wahlniederlage, besonders in der Stichwahl um die Präsidentschaft am 07. Mai dieses Jahres, hat die extreme Rechte bislang ihre wichtigsten strategischen Fragen in keiner Weise übereinstimmend beantwortet.
Tatsache ist, dass erstmals seit langem einzelne Funktionsträger des rechtsextremen Front National – unerkannt und ohne sichtbare Kennzeichen – in die Gewerkschaftsdemonstrationen vom 12. September 17 einschlichen und sich mit Selfies photographieren ließen. Es handelt sich um der Öffentlichkeit unbekannte Parteivertreter wie Maxime Thiébaut und Nathalie Desseigne. (Vgl. auch http://www.lemonde.fr/politique/article/2017/09/14/face-a-la-reforme-du-code-du-travail-le-fn-affiche-ses-divisions_5185315_823448.html ) Wäre ihre Präsenz bekannt gewesen, hätten die anwesenden Gewerkschaften sie höchstwahrscheinlich hinausgeworfen.
Allerdings liefen sie auch gar nicht bei den Gewerkschaftsblöcken mit, sondern in einem gesonderten Block von Zirkusleuten, Schaustellern und Jahrmarkt-Budenbesitzern.
Diese sattelten ihr ureigenes Anliegen – sie protestieren gegen eine neue Verordnung vom April 17, die die Stadt Paris zwingt, öffentliche Ausschreibungen für die Vergabe von Schauplätzen vorzunehmen, um die Preise zu kontrollieren – flugs auf den allgemeinen Sozialprotest drauf und schlossen sich der Demonstration an. In dieser politisch schillernden Berufsgruppe gibt es jedoch, vor allem unter den Kleinunternehmern, ausgeprägte rechte Sympathien (während eine Minderheit innerhalb des Berufsstands traditionell linke, vor allem anarchistische und z.T. auch trotzkistische, Traditionen aufweist). Insbesondere hängt die eher „rechts-freundliche“ Ausrichtung von Teilen des Gewerbes mit dem Namen von Marcel Campion zusammen, einer schillernden Persönlichkeit, welcher gerne als „König der Schausteller“ tituliert wird. (Vgl. http://www.lemonde.fr/politique/article/2017/09/04/marcel-campion-le-roi-des-forains-appelle-a-bloquer-le-pays-le-12-septembre-contre-la-reforme-du-code-du-travail_5180921_823448.html ) Er und seine Leute hatten am Vormittag des ersten gewerkschaftlichen „Aktionstags“ gegen die Arbeitsrechts„reform“ am Dienstag, den 12. September eine Reihe von Blockadeaktionen durchgeführt. (Vgl. http://actu.orange.fr/france/des-forains-perturbent-la-circulation-a-paris-CNT000000NsmJs.html )
Nachdem der FN-Vizevorsitzende Florian Philippot die verbalradikale Aufforderung von Campion, beim ersten Protesttag am 12. September „das ganze Land zu blockieren“, auf Twitter unterstützt hatte, kamen heftige Vorwürfe aus der eigenen Partei. So meinte der rechtsextreme Bürgermeister von Béziers, Robert Ménard, Philippots Verhalten sei „schlimmer als das des übelsten Linksradikalen“. (Vgl. http://actu.orange.fr/politique/pour-menard-philippot-est-pire-que-le-pire-des-gauchistes-magic-CNT000000N6leG.html ) Schon zuvor verglich er ihn wörtlich mit einem „Anführer der CGt“ (vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2017/08/24/97001-20170824FILWWW00194-menard-compare-le-pen-a-un-leader-de-la-cgt.php ). Seitdem setzt sich der Streit munter fort.
Ein anderer Vizevorsitzender der rechtsextremen Partei, Louis Aliot (zusätzlich Lebensgefährte der Chefin Marine Le Pen), warf bei Twitter den Demonstrierenden vom 12. September 17 seinerseits vor, „einmal mehr die Leute, die arbeiten, zu belästigen“. Dagegen ließ sein Co-Vizevorsitzender Philippot sich am Vormittag desselben Tages persönlich am Rande der Blockaden von Marcel Campion und dessen Jahrmarktbuden-Besitzern ablichten. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/politique/le-scan/2017/09/12/25001-20170912ARTFIG00099-code-du-travail-philippot-se-mobilise-malgre-les-consignes-du-fn.php )
An ihrer Spitze versucht die rechtsextreme Partei, obwohl ihre südfranzösischen Bürgermeister sich eher zu Sprechern eines reaktionären und wirtschaftsliberalen Kleinunternehmertums aufschwingen, als Opposition – ja, vermeintliche Speerspitze derselben – gegen die geplante neue Arbeitsrechts„reform“ zu erscheinen. (Vgl. https://www.humanite.fr/extreme-droite-lhypocrisie-xxl-du-front-national-sur-la-loi-travail-640825 und http://www.lefigaro.fr/social/2017/08/31/20011-20170831LIVWWW00030-en-direct-code-du-travail-syndicats-Muriel-Penicaud-Macron-patronat-medef-ordonnances-accords-entreprises.php – dort die Abschnitte zu den Reaktionen Philippots im Namen des FN – und im Originalton: https://www.facebook.com/MarineLePen/videos/1821054804577502/ ) Die, innerparteilich umstrittenen, doch offiziell oppositionellen Positionen der neofaschistischen Partei zur geplanten Arbeitsrechtsnovelle beruhen vor allem auf zwei (unrichtigen) Behauptungen:
- Diese nutze nur wenigen börsennotierten Großunternehmen, und nicht „den zahlreichen französischen kleinen und mittleren Unternehmen“;
- Die Reform sei durch die Europäische Union von außen Frankreich (wo sie im Kern so gut wie niemandem nutze) aufgezwungen worden.
Dies ist eine absolute Lüge. Denn zwar sprechen die EU-Kommission – oder auch, am vergangenen Freitag (15. September 17) Angela Merkel – entsprechenden „Reformen“ in Frankreich ihre warmherzige Unterstützung aus. Doch mehrere Eckpunkte der „Reformen“ im Arbeitsrecht von 2016 und 2017 wurden längst, teilweise seit Texten aus dem Jahr 1985, innerhalb Frankreichs durch die Kapitalverbände eingefordert.
Ein vorläufiges Fazit: Als Partei (insgesamt) wird der Front National jedoch diesen Profilierungsversuch nicht nutzen können, denn dazu fliegen in den eigenen Reihen zu sehr die Fetzen. An der Frage der Haltung zum Sozialprotest haben sich die Positionen dort stärker denn je polarisiert. Allerdings gilt als möglich, dass jemand wie Florian Philippot in den kommenden Monaten – rund um den im März 2018 in Lille organisierten Kongress – aus der Partei fliegt, wo er mittlerweile als angeblicher „Linker“ viele Feinde aufweist. Abzuwarten bliebe in einem solchen Fall, wo sich dieser Versuch einer „sozialen“ Organisierung rund um die extreme Rechte neu kristallisiert.
- Siehe zuvor: Ringen um die Arbeitsrechts-„Reform“ unter Macron – Teil 6: Demonstrationsbericht zu Paris, Angaben zu weiteren Städten und Versuch einer generellen Einschätzung. Artikel und Fotos von Bernard Schmid vom 13.9.2017