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Rebellion auf der Inselgruppe Neukaledonien: Wankt die koloniale Ordnung in Frankreichs Westpazifik-Gebiet?
„Der Staat verbreitet Siegesmeldungen: Am vorigen Freitag, den 31. Mai verlautete, „alle Stadtteile“ der Inselhauptstadt – oder eher: Archipel-Hauptstadt – Nouméa seien, nach den vorausgegangenen Unruhen, durch französische Sicherheitskräfte wieder unter Kontrolle gebracht worden. (…) In Gewerkschaftskreisen, also bei der neukaledonischen USTKE und der eng mit ihr kooperierenden CGT in Festlandfrankreich, zirkulieren unterdessen Zahlen, die am Pfingstmontag von in Wirklichkeit bereits 26 Getöteten sprachen (…) Ihr Ausbruch hängt unmittelbar damit zusammen, dass die französische Nationalversammlung in Paris an Dienstag, den 14.05.24 ein Gesetz annahm, das weitreichende Auswirkungen auf die Zukunft der Inselgruppe haben könnte. (…) Frankreichs Mächtige ihrerseits sehen keine Schuld für den Ausbruch der Unruhen bei sich liegen – bei denen es im Kern darum geht, dass die altansässige melanesische Bevölkerung sich um das Versprechen der Unabhängigkeit geprellt fühlt...“ Aus dem Artikel von Bernard Schmid vom 5. Juni 2024 – wir danken!
Rebellion auf der Inselgruppe Neukaledonien:
Wankt die koloniale Ordnung in Frankreichs Westpazifik-Gebiet?
Der Staat verbreitet Siegesmeldungen: Am vorigen Freitag, den 31. Mai verlautete, „alle Stadtteile“ der Inselhauptstadt – oder eher: Archipel-Hauptstadt – Nouméa seien, nach den vorausgegangenen Unruhen, durch französische Sicherheitskräfte wieder unter Kontrolle gebracht worden. (Vgl. Afp-Meldung dazu: https://www.lefigaro.fr/actualite-france/nouvelle-caledonie-tous-les-quartiers-de-noumea-ont-ete-repris-par-les-forces-de-l-ordre-20240531 ) Dazu kursierten alsbald Videoaufnahmen, welche brutale Polizeigewalt gegen Menschen, die bis dahin Barrikaden hielten, zeigen. Doch prompt folgten zu Anfang der laufenden Woche neue Meldungen über heftige Auseinandersetzungen vor Ort. Am Montag, den 03. Juni 24 verlautbarte, Gendarmen hätten zwei Männer verletzt. Laut Staatsanwaltschaft seien die Uniformierten zuvor angegriffen worden. (https://www.francetvinfo.fr/france/nouvelle-caledonie/crise-en-nouvelle-caledonie-deux-hommes-blesses-par-des-gendarmes-dans-une-fusillade_6582156.html )
Frankreich hat derzeit 3.000 bewaffnete Einsatzkräfte, rechnet man jene von Polizei, Gendarmerie und Armee zusammen, auf der Inselgruppe Neukaledonien mit unter 300.000 Einwohner/innen im aktive Einsatz. Diese Zahl ist höher als jene der französischen Militärs, die derzeit dauerhaft auf dem afrikanischen Kontinent stationiert sind.
Was ist los auf Neukaledonien? Darum soll es in den folgenden Ausführungen gehen. Neukaledonien ist eine Inselgruppe im Westpazifik. Den Namen verliehen ihr einstmals, im 17. oder 18. Jahrhundert, britische Seefahrer. Caledonia war der lateinische Name, den die Alten Römer dem heutigen Schottland verliehen (nicht zu verwechseln mit Calzedonia, das ist ein französischer Unterwäschehersteller…). Deswegen existiert im deutschsprachigen Raum auch die mittlerweile veraltete Bezeichnung „Neuschottland“. Frankreich unterwarf die Inselgruppe 1853.
Frankreich unterhält eine ständige Armeebasis auf Neukaledonien mit rund 1.500 Militärs; diese sind nicht alle derzeit im Einsatz im Zusammenhang mit den Unruhen, gegen die überwiegend Polizei, Gendarmerie und Spezialkräfte des Innenministeriums mobilisiert werden, unterstützt allerdings auch durch Armeeangehörige an neuralgischen Punkten. Aufgrund der permanenten französischen, politischen und militärischen Präsenz dort unterhält Frankreich ein maritimes Hoheitsgebiet im Pazifik, das vier mal so ausgedehnt ist wie jenes des europäischen Frankreich (in Ärmelkanal, Atlantik und Mittelmeer). Die einzigartige, da endemische, Tier- und vor allem Pflanzenwelt Neukaledoniens ist überdies in französischen Museen, Gewächshäusern und Aquarien stark präsent; dies ist noch die sympathische Seite. Wenn aber das französische Kapital, wie das anderer Länder, in näherer Zukunft an die Ausbeutung untermeerischer Rohstoffvorkommen gehen wird, dann drohen weitaus härtere Konsequenzen. Ansonsten verfügt Frankreich derzeit über die zweitgrößte maritime Hoheitszone der Welt aufgrund seiner Hoheitsgewässer im Pazifik (Neukaledonien, Wallis & Futuna, Französisch-Polynesien) aber auch im Indischen Ozean und in der Karibik.
Hintergründe
„Die Insel, die am nächsten am Paradies liegt, ist zur am nächsten bei der Hölle liegenden geworden.“ Diese starken Worte sind in einer gemeinsamen Erklärung der katholischen und der protestantischen Kirche von Neukaledonien – in Wirklichkeit allerdings keine einzelne Insel, sondern ein Archipel – zu lesen, die am Pfingstsonntag, den 19.05.24 in der Kathedrale der Hauptstadt Nouméa auf der zentralen Insel Grande-Terre verlesen wurde. (https://la1ere.francetvinfo.fr/nouvellecaledonie/emeutes-en-nouvelle-caledonie-l-ile-la-plus-proche-du-paradis-est-devenue-la-plus-proche-de-l-enfer-declare-l-archeveque-de-noumea-1489391.html )
Der Text bezieht sich auf die Unruhen, die erstmals in der Nacht vom Montag zum Dienstag, vom 13. zum 14.05.24 ausbrachen und seitdem anhielten. Seitdem wurden offiziell sechs Tote verzeichnet, darunter vier Angehörige der melanesischen altansässigen Bevölkerung, welche sich selbst als Kanaken (Menschen) bezeichnet – der Name des Archipels bei den Unabhängigkeitsbefürworter lautet deswegen Kanaky – und zwei Gendarmeriebeamte, von denen einer laut behördlichen Angaben durch Schüsse seiner eigenen Kollegen sprach. Die Leichen der beiden Beamten trafen am Pfingstmontag früh am südfranzösischen Militärflughafen in Istres ein, am Mittwoch wurden ihnen zu Ehren ein Staatsakt in Paris gegeben.
Die Namen der beiden Beamten, Nicolas Molinari und Xavier Salou, sind den französischen Fernsehzuschauern längst bekannt. Nicht so die der melanesischen Einwohner; der des 19jährigen Jybril wurde durch die Internetzeitung Mediapart bekannt. (https://www.mediapart.fr/journal/france/190524/les-circonstances-de-la-mort-de-jybril-tue-par-un-civil-noumea )
Die getöteten Melanesier wurden laut übereinstimmenden Berichten durch Bürgerwehren europäischstämmiger Bewohner von Neukaledonien erschossen, was indirekt auch der oberste französische Staatsvertreter auf der Inselgruppe einräumte: Louis Le Franc, der amtierende „Hochkommissar der Republik für Neukaledonien“. Er sprach davon, die Opfer seien „nicht durch Sicherheitskräfte getötet worden, sondern durch Private, die möglicherweise Selbstschutz betrieben“. Diese angebliche Selbstverteidigung besteht aus der Bildung ethnisch weißer Milizen, die infolge der massiven Sachbeschädigungen der ersten Tage – kein Weißer wurde unterdessen schwer verletzt oder getötet – zu Prügel- und Schusswaffen griffen. 96.000 Feuerwaffen sind legal auf Neukaledonien registriert, wo in allen Bevölkerungsgruppen Jagd auf die heimische Tierwelt betrieben wird.
In Gewerkschaftskreisen, also bei der neukaledonischen USTKE und der eng mit ihr kooperierenden CGT in Festlandfrankreich, zirkulieren unterdessen Zahlen, die am Pfingstmontag von in Wirklichkeit bereits 26 Getöteten sprachen, darunter auch sechs Angehörige von nicht-kanakischen Bevölkerungsteilen, etwa zugewanderte Polynesier.
Vor diesem Hintergrund zirkuliert die Befürchtung, eine tendenziell Wiederholung „der Ereignisse“, wie die bürgerkriegsähnlichen Konfrontationen zwischen 1984 und 1988 mit damals insgesamt rund 90 Getöteten bezeichnet werden, könnte drohen.
Die Staatsmacht reagierte mit der Verhängung von Ausgangssperren ab 18 Uhr seit Mittwoch, rund 200 Festnahmen im Laufe der ersten Woche der Unruhen und die Entsendung von 1.000 zusätzlichen Angehörigen von Polizei und Gendarmerie, die zu den 1.700 vor Ort im Einsatz befindlichen hinzukommen. Dazu gehören 100 Mann des GIGN, einer Eliteeinheit, die mit der deutschen GSG9 verglichen werden kann. Ein Ausrücken der Armee aus ihren Kasernen, um „Häfen und den Flughafen zu sichern“. Am Montag Abend, den 20.05.24 beschloss der rund um Staatspräsident Emmanuel Macron versammelte Krisenstab, nun auch öffentliche Gebäude durch die Armee bewachen zu lassen. Jedenfalls so lange die Unruhen andauern würden.
Ihr Ausbruch hängt unmittelbar damit zusammen, dass die französische Nationalversammlung in Paris an Dienstag, den 14.05.24 ein Gesetz annahm, das weitreichende Auswirkungen auf die Zukunft der Inselgruppe haben könnte. Diese bildet eines der drei derzeit zu Frankreich zählenden Territorien im Pazifik, neben der kleineren Inselgruppe Wallis und Futuna sowie dem weitaus bekannteren Französisch-Polynesien, dessen Inselparlament und -regierung seit 2023 durch Befürworter der Unabhängigkeit und einer Loslösung von Frankreich binnen 10 bis 15 Jahren geführt werden.
In Neukaledonien existieren ebenfalls starke Bestrebungen eines Zugangs zur Unabhängigkeit, die jedoch ebenfalls auf starke Gegenkräfte treffen und just durch die jüngste Gesetzesinitiative blockiert zu werden drohen.
Dieses, im März d.J. durch den Senat – das konservativ dominierte Oberhaus in Paris – und am Dienstag nun durch die Nationalversammlung verabschiedete Gesetz öffnet die Wählerverzeichnisse für künftige Unabhängigkeitsreferenden auch für französische Staatsangehörige, die sich in jüngerer Zeit auf der Inselgruppe niederließen, was bislang durch Vereinbarungen mit Verfassungsrang blockiert wurde.
Das bis dahin durch eine melanesische Bevölkerung bewohnte Neukaledonien war 1853 durch Frankreich unterworfen worden. Anders als die Mehrzahl der französischen Kolonien, die vor allem zum Rohstofferwerb dienten, wurde die Inselgruppe – ähnlich wie das von 1830 bis 1962 durch Frankreich kontrollierte Algerien – hingegen als Siedlungskolonie behandelt; wobei in den ersten Jahrzehnten vorwiegend politische und andere Sträflinge dort angesiedelt wurden, später jedoch mehr und mehr freiwillige Siedler hinzukamen. Dabei drängten die Kolonisatoren die sich selbst als „Kanaken“ (Menschen) bezeichnende melanesischen Einwohner auf der Hauptinsel immer mehr in den gebirgigen und landwirtschaftlich schwer nutzbaren Teil, also die Nordhälfte von Grande Terre ab. Die weitaus furchtbarere Südhälfte der Insel sowie die städtischen Zonen, vor allem die Hauptstadt Nouméa, blieben angesiedelten Weißen vorbehalten. Entsprechend gestalteten sich lange Zeit die Lebensbedingungen für die altansässige Bevölkerung.
Der frühere Berater im französischen „Überseeministerium“, Henri Soupa, sprach deswegen vergangene Woche beim Fernsehsender BFM TV von einer „Situation der Quasi-Apartheid“ (vgl.: https://www.tiktok.com/@ngomajosly/video/7369910316215323937 – 1 Minute und 15 Sekunden; der Beitrag verschwand kurioserweise aus dem Archiv des TV-Senders, der eifrig die europäischstämmige Lobby aus Neukaledonien zu Wort kommen lässt…). Im Unterschied zu Südafrika vor 1994 bestehen allerdings keine Gesetze zur „Rassentrennung“, wohl aber die Folgewirkungen von langdauernder faktischer, ökonomischer Diskriminierung und Segregation.
Anders als während des Quasi-Bürgerkriegs von 1984 bis 1988, damals gab es insgesamt rund neunzig Tote, wohnen heute allerdings viele Kanaken auch in der Inselhauptstadt. Diese wurde früher Nouméa la Blanche („Nouméa, die Weiße“) genannt. Heute weist sie jedoch ein Viertel kanakische Bevölkerung auf, eher in den peripheren Stadtteilen denn in der Kernstadt.
Die melanesische Bevölkerung siedelte bis dahin in Dörfern, Armenvierteln und Hochhaus-Sozialghettos rund um die Hauptstadt, war weitestgehend vom Bildungssystem ausgeschlossen und damit auch vom Zugang zu besseren Arbeitsmöglichkeiten. Ein Teil driftete – ähnlich wie bei Bevölkerungsgruppen etwa in so genannten Indianerreservaten in Nordamerika, wobei die Kanaken allerdings im Gegensatz zu den Ureinwohnern der USA rund die Hälfte der Gesamtbevölkerung darstellten – in Alkoholismus und Perspektivlosigkeit ab.
Erstmals wurde infolge von Massenprotesten 1988 ein Abkommen zwischen der Regierung in Paris, den „Loyalisten“ (also den in der weißen Inselbevölkerung verankerten Befürwortern eines Verbleibs bei Frankreich) und den in der Befreiungsbewegung FLNKS sowie der Gewerkschaft USTKE zusammengeschlossenen Unabhängigkeitsbefürwortern geschlossen. Es sah eine zehnjährige Übergangsperiode bis zu einer endgültigen Entscheidung über die Unabhängigkeit vor. Nach zehn Jahre wurde es 1998 durch ein neues Abkommen, die „Vereinbarung von Matignon“ – das Hôtel Matignon in Paris ist der Amtssitz der Premierminister und Premierministerinnen – abgelöst.
Dieses sieht erneut eine fünfzehn- bis zwanzigjährige zusätzliche Übergangsfrist vor. Es erkannt explizit die Perspektive eines Übergangs zur Unabhängigkeit an. Die Zeit bis zu einer erneuten Entscheidung über diese Frage, die frühestens 2013 und spätestens 2018 eingeleitet werden sollte, war sollte dabei für Verbesserungen der Lage der kanakischen Bevölkerung, die Hebung ihres Bildungsstands und die Heranbildung von Führungskräften aus ihren Reihen genutzt werden. Zur Erinnerung: Beim ersten Abkommen, der „Vereinbarung von Nouméa“ von 1988, gab es nur einen einzigen Arzt und zwei Ingenieure aus den Reihen der kanakischen Bevölkerung. Bis 1988 waren immerhin 344 Führungskräfte ausgebildet worden. Allerdings war parallel dazu die Zahl der Führungskräfte auf der Insel mit europäischer Abstammung von 2.000 auf 4.500 erhöht worden.
Das „Abkommen von Matignon“ sah ebenfalls vor, dass die spätere Entscheidung über die Unabhängigkeit von jenen, die zum Zeitpunkt seines Abschlusses (1998) bereits seit zehn Jahren, also seit dem Jahr des „Abkommens von Nouméa“ auf der Inselgruppe lebten, aber auch deren dort geborene Kinder getroffen werden sollte. Nach 1988 dort angesiedelte französische Staatsbürgerinnen und -bürger hingegen sollten zwar bei Frankreich betreffenden Wahlen wie Präsidentschafts- und Parlamentswahlen mitstimmen dürfen, jedoch nicht bei Unabhängigkeitsreferenden und bei der Wahl des Inselparlaments, um nicht die bisherige Bevölkerung durch die Schaffung neuer Fakten mittels Zuzugs zu majorisieren.
Die Inselbevölkerung besteht zu gut vierzig Prozent aus melanesischen „Kanaken“, zu weiteren zehn Prozent aus Pazifikbewohnern von anderen Insel – wie etwa Wallis und Futuna -, zu rund vierzig Prozent aus europäischstämmigen Einwohner/inne/n sowie zu circa zehn Prozent aus weiteren Einwanderern, besonders aus Asien.
Dieses, damals mühsam ausgehandelte Gleichgewicht bricht nun die französische Seite mit dem Ansinnen, 20 bis 25.000 in jüngeren Jahren auf der Insel angesiedelte Franzosen – deren Ankunft auch durch staatliche Subventionen, günstige Flugtickets und Kredite begünstigt worden war – künftig mitstimmen zu lassen. Dies steht im Einklang mit einem Schreiben des damaligen Premierministers Pierre Messmer von 1972 (https://blogs.mediapart.fr/alaincastan/blog/171020/kanaky-caledonie-lire-relire-et-faire-connaitre-la-circulaire-messmer-de-1972 ) an seinen damaligen Staatssekretär für „Übersee“gebiete, in denen der Regierungschef das Ziel ausgab, auf Dauer die altansässige Bevölkerung durch systematische Neuansiedlung von Europäern zu majorisieren.
Voraus gingen drei Referenden zur Unabhängigkeit, die, wie die Vereinbarung von Matignon von 1998 es vorgesehen hatte, 2018 (also im spätest möglichen Jahr), dann 2020 und 2021 durchgeführt worden. Das Abkommen hatte drei aufeinander folgende Referenden vorgesehen, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Kanaken zuvor in relevanten Teilen nicht in die Wählerverzeichnisse eingetragen waren. 25.000 von ihnen fehlten 2018 noch in den Wählerverzeichnissen, 2023 waren es noch 11.000.
Das erste Referendum 2018 brachte einen Stimmenanteil von 43 Prozent für die Unabhängigkeit, das zweite (2020) zwischen 46 und 47 Prozent. Viele Beobachter erwarteten für das dritte einen knappen, möglicherweise für die Unabhängigkeit positiven Ausgang. Es wurde dann aber im Herbst 2021 unter Bedingungen abgehalten, die von der Covid-Epidemie – diese tötete kurz zuvor 300 Menschen in der insgesamt 110.000 Personen zählenden kanakischen Bevölkerung -, damit zusammenhängenden Versammlungsbeschränkungen sowie der Trauer in der kanakischen Bevölkerung geprägt waren. Die traditionelle Kultur sieht eine einjährige Trauerperiode vor. Die Unabhängigkeitsbefürworter forderten damals eine sechsmonatige Aufschiebung des letzten Referendums. Die französische Staatsmacht verweigerte dies. Letztlich boykottierten die Unabhängigkeitsbefürworter die Abstimmung, die Beteiligung fiel von 86 Prozent (2020) auf 43 Prozent im Jahr 2021. Die dann erreichten, scheinbaren 96 Prozent für den Verbleib bei Frankreich konnten unter diesen Umständen kaum gewertet werden.
Die weitere Entwicklung hätte nun Gegenstand von Aushandlungen sein müssen. Dass die französische Staatsmacht nun doch einseitig, durch die Veränderung des Wählerregisters – diese müsste noch im Juni durch eine verfassungsändernde Parlamentarische Versammlung bekräftigt werden – eine einschneidende Veränderung durchzog, legte das Feuer an die Lunte.
Im europäischen Frankreich existiert eine Solidaritätsbewegung, die etwa beim diesjährigen 1. Mai sichtbar präsent war und durch den Gewerkschaftsdachverband CGT unterstützt wird. Am Samstag dieser Woche soll auch in Paris in Unterstützung für die Unabhängigkeitsbewegung demonstriert werden.
Eine Medienzensur findet nicht statt
Macht Manipulation am Bildschirm böse? Diese Frage scheint aufgeworfen, wenn derzeit die französische Regierung zum Teil den Kurznachrichtendienst TikTok für die schweren Unruhen auf verantwortlich macht. Angeblich bis zu eine Milliarde Euro Sachschäden (lt. Regierungszahlen, andere Angaben belaufen sich auf circa 450 Millionen Euro) wurden dort in anderthalb Wochen Riots im Mai dieses Jahres, getragen vor allem von der jüngeren Generation der melanesischen Bevölkerung, verzeichnet; Staatspräsident Emmanuel Macron persönlich (https://www.lavoixdunord.fr/1464666/article/2024-05-23/nouvelle-caledonie-emmanuel-macron-promet-des-decisions-des-ce-jeudi-pour-le ) traf gegen 23.30 Uhr am Abend des Mittwoch, den 22. Mai d.J. auf der Inselgruppe im Westpazifik ein, wo einen 24stündigen Aufenthalt absolvierte. (https://la1ere.francetvinfo.fr/nouvellecaledonie/direct-emmanuel-macron-en-nouvelle-caledonie-suivez-la-visite-du-president-de-la-republique-qui-arrive-sur-le-territoire-apres-onze-jours-d-emeutes-1490180.html )
Die Nutzung von TikTok war circa zwei Wochen lang, seit der Verhängung des Ausnahmezustands auf dem Archipel verboten. Am 28. Mai d.J., dem Dienstag voriger Woche, wurde dieses Verbot wieder aufgehoben. (https://www.lemonde.fr/pixels/article/2024/05/29/l-interdiction-de-tiktok-levee-en-nouvelle-caledonie_6236184_4408996.html )
Am Dienstag, den 21. Mai fand dazu eine Anhörung vor dem höchsten Verwaltungsgericht des Landes, dem Conseil d’Etat – einige seiner zahlreichen Funktionen entsprechen denen des deutschen Bundesverwaltungsgerichts -, statt. Geklagt hatte eine altehrwürdige NGO, die Liga für Menschenrechte (LDH). Diese wurde 1898 im Zuge der Kampagne gegen die Verurteilung des Unschuldigen Alfred Dreyfus, welche antisemitisch motiviert war und zu einer mehrjährigen Staatskrise führte, gegründet worden. Seit dem Pfingstmontag dieses Jahres, 20.05.24 hat die LDH eine neue Vorsitzende (https://www.ouest-france.fr/monde/droits-de-l-homme/qui-est-nathalie-tehio-la-nouvelle-presidente-de-la-ligue-des-droits-de-lhomme-67541bda-1778-11ef-89e1-9d0ea397ae43 ), die just aus Neukaledonien stammt und selbst Anwältin ist, Nathalie Tehio.
Die LDH sieht eine grundlegende Frage von Freiheitsrechten hinter dem TikTok-Verbot. Bei einer Anhörung am Dienstag, den 21.05.24 räumte der Conseil d’Etat, der in einem Eilverfahren eine Einstweilige Verfügung zum Thema erlassen soll, der Regierung 24 Stunden Zeit (https://www.bfmtv.com/tech/tiktok/interdiction-de-tiktok-en-nouvelle-caledonie-le-conseil-d-etat-demande-au-gouvernement-de-justifier-sa-decision-sous-24-heures_AD-202405210826.html ) ein, um ihren Verbotsbeschluss zu begründen. Laut Angaben von Nathalie Tehio, die am späten Mittwoch Abend (22.05.24) im Nachtprogramm des Senders BFM TV interviewt (https://www.bfmtv.com/replay-emissions/90-minutes-aurelie-casse/macron-a-noumea-quel-comite-d-accueil-22-05_VN-202405220958.html ) wurde, konnte die Regierung daraufhin nur höchst dürftige Beweismittel vorlegen. Die Staatsvertreter legten ihr zufolge Screen Shots von Smartphones vor, aus denen aber lediglich hervor ging, dass Kommunikationsteilnehmer einander rieten, diesen oder jenen Ort in der Inselhauptstadt Nouméa lieber zu meiden. Laut Regierungsinterpretation wies dies darauf hin, das Riot-Teilnehmer einander Tipps gaben und sich über den Nachrichtendienst gegenseitig anfeuerten. Nathalie Tehio wiederum sieht es so aus, dass alle möglichen Personen sich solche Hinweise untereinander geben konnten, um etwa Verkehrshindernisse durch Barrikaden – die junge, zornige Melanesier in den letzten Tagen vielerorts errichteten – zu umfahren.
Das oberste Verwaltungsgericht, also der Conseil d’Etat, hielt mittels einer Einstweiligen Verfügung das TikTok-Verbot jedoch aufrecht.
Frankreichs Mächtige ihrerseits sehen keine Schuld für den Ausbruch der Unruhen bei sich liegen – bei denen es im Kern darum geht, dass die altansässige melanesische Bevölkerung sich um das Versprechen der Unabhängigkeit geprellt fühlt, indem man künftig in jüngerer Zeit angesiedelte Europäer bei Inselangelegenheit mitstimmen lässt.
In Paris sieht man jedoch neue Medien und geopolitische Rivalen Schuld an den Unruhen tragen. China wolle den Zugriff auf die Nickel-Vorräte, die auf Neukaledonien lagern – im Jahr 2023 war (https://fr.statista.com/statistiques/565212/principaux-pays-producteurs-de-nickel/ ) der Archipel die drittgrößte Nickelförderstätte auf dem Planeten, hinter Indonesien und den Philippinen. Die Vorräte sollen (https://ressources-naturelles.canada.ca/nos-ressources-naturelles/mines-materiaux/donnees-statistiques-et-analyses-sur-lexploitation-miniere/faits-mineraux-metaux/faits-sur-le-nickel/20601 ) die fünftgrößten sein, hinter denen in Indonesien; Australien, Brasilien und Russland. TikTok steht in chinesischem Besitz, wie etwa Google in US-amerikanischem. Und fertig ist die Beweisführung, was die chinesische Rolle hinter den Unruhen betrifft..?
Frankreich beschuldigt daneben auch Aserbaidschan, die Unruhen in dem französischen so bezeichneten „Überseegebiet“ – vor 1946 nannte man Neukaledonien noch offiziell eine Kolonie, und der Ausdruck „Übersee“ ist überdeutlich kolonial geprägt, liegt Neukaledonien jedoch nur aus von Europa aus gesehen und nicht aus eigener Sicht „jenseits des Meeres“ – zu schüren. Als Mitglied der Blockfreienbewegung hat der aserbaidschanische Staat Stellung zu der Neukaledonien-Problematik bezogen und die Entkolonisierungsforderung unterstützt, seine Medien prangerten im Internet „die Gewalt des französischen Kolonialismus“ an; daraufhin tauchten auch ein paar aserbaidschanische Flaggen in Nouméa auf. Im Hintergrund steht natürlich die Tatsache, dass das Regime in Baku ein paar außenpolitische Hühnchen mit den Regierenden in Paris zu rupfen hat. In dessen Konflikt mit dem Nachbarland Armenien um die im Vorjahr durch Aserbaidschan eroberte Enklave Berg-Karabakh geht es seit langem nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ zu: Die Türkei unterstützt Baku, aber auch Israel, weshalb wiederum das iranische Regime das christliche Armenien (und nicht etwa das zu einem Drittel schiitische Aserbaidschan) unterstützt. Paris hielt in jüngerer Zeit auch zu Armenien. Dazu schickt Baku nun die Rechnung. (https://www.tf1info.fr/international/ingerence-etrangere-a-t-on-des-preuves-des-manoeuvres-de-l-azerbaidjan-en-nouvelle-caledonie-denoncees-par-gerald-darmanin-2299695.html und https://www.lexpress.fr/monde/europe/emeutes-en-nouvelle-caledonie-les-dessous-de-linfluence-azerbaidjanaise-46MGUQ7BCFHVTARNPF63PUUSJM )
Solche Kalküle internationaler Regierungen existieren selbstverständlich. Dass allerdings junge Menschen auf Neukaledonien allein deswegen ihr Leben riskieren – die französische offizielle Seite spricht derzeit von sechs Toten auf der Inselgruppen, die Gewerkschaft USTKE von einer Liste von 26 Getöteten, viele von Bürgerwehren europäischstämmiger Einwohner -, weil jemand in Peking oder Baku etwas will, ist eher unwahrscheinlich. Oder würden junge Menschen in Deutschland allein deswegen randalieren, weil, sagen wir, die Regierung von Botswana sie dazu aufforderte?
Artikel von Bernard Schmid vom 5. Juni 2024 – wir danken!
Siehe auch:
- USTKE – Union syndicale des travailleurs Kanak et des exploités mit vielen Infos zu aktuellen Kämpfen
- Cpc Flnks Pt – Commission politique et citoyenneté du FLNKS et Nationalistes auf Twitter
- Mouvmnt Nationaliste Indépendantiste Souverainiste auf Twitter
- #NonAuDegelDuCorpsElectoral oder #Kanakyforpeace
- Paris ist eine Welt entfernt
„Im pazifischen Kanaky eskaliert ein Konflikt über eine geplante Verfassungsänderung, die die Macht Frankreichs über die Insel stärken könnte…“ Artikel von Volker Böge vom 21. Mai 2024 in ak 704 - Neukaledonien: TikTok-Sperre auf französischem Boden
„Im französischen Überseegebiet Neukaledonien protestieren Separatisten derzeit gewaltsam gegen eine geplante Wahlrechtsreform. Die französische Regierung verhängt den Ausnahmezustand – und sperrt TikTok. An der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung gibt es Zweifel…“ Beitrag vom 21.05.2024 in Netzpolitik
Siehe auch unser Dossier von 2020: Auch im sogenannten Neu-Kaledonien (Kanaky) prügelt Frankreichs Polizei: Proteste gegen zwei weltweit berüchtigte Unternehmen sollen unterdrückt werden