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Frankreichs umkämpfte Arbeitsrechts-„Reform“, Teil 21
Artikel von Bernard Schmid vom 4. Mai 2016
Parlamentarische Beratung über die „Reform“ hat am gestrigen Spätnachmittag begonnen / Paris: Protest vor der Nationalversammlung weitgehend verpufft / Doch starke Aktionen in Toulouse, Rennes… / Platzbesetzung wird fortgesetzt (auch wenn die Anzahl psychopathischer Redner/innen momentan steigt) trotzt diversen Hetzkampagnen und steht vor internationalen Aktionstagen / Aktionen in Bahnhöfen, Unternehmen… / LKW-Streik, Streik im Bildungswesen, erneuter Bahnstreik im Mai.. ? / Aufregung um zweites CGT-Plakat über Polizeigewalt…
Zumindest manche Feinde zu haben, bedeutet „viel Ehr“. So lässt sich die intensive Hetzkampagne deuten, die ein Teil des bürgerlich-konservativen Lagers in Frankreich gegen die sozialen Protest- und insbesondere gegen die aktuelle Platzbesetzerbewegung losgetreten hat. Die extreme Rechte ohnehin; so fordert der neofaschistische Front National (FN) seit Wochen eine umgehende polizeiliche Räumung der Platzbesetzer/innen auf der Pariser place de la République. Und sein vormaliger Pariser Spitzenkandidat bei den Regionalparlamentswahlen im Dezember 2015 (Wallerand de Saint-Just) erklärte sich „solidarisch“…, aber mit den Polizisten, die er pauschal als arme Opfer von Gewalttaten darstellte. (Vgl. http://lelab.europe1.fr/wallerand-de-saint-just-denonce-les-violences-faites-aux-policiers-en-relayant-la-photo-dun-policier-thailandais-datant-de-2014-2732425 ) Leider nur stellte sich heraus, dass er – wie manche anderen Quellen auch – für eine solche Behauptung manipulierte oder bewusst falsch interpretierte Bilder benutzt. Dazu zählen etwa Aufnahmen, die aus einem ganz anderen Kontext stammen, zum Teil auch verletzte Polizisten aus… Thailand zeigen, und oft Jahre alt sind. (Vgl. zur Aufdeckung einer Reihe solcher Manipulationen: http://www.lemonde.fr/les-decodeurs/article/2016/05/02/les-fausses-photos-d-incidents-dans-les-manifestations-contre-la-loi-travail_4912178_4355770.html )
Von Seiten des konservativen Bürgerblocks hat der Law-and-Order-Spezialist und langjährige Wadenbeißer Eric Ciotti – Abgeordneter im französischen Parlament für den reaktionär geprägten Raum Nizza – eine „Petition für das Verbot“ der Platzbesetzerbewegung Nuit debout sowie für die polizeiliche Räumung der Pariser place de la République lanciert. (Vgl. http://www.nicematin.com/politique/eric-ciotti-lance-une-petition-pour-faire-interdire-le-mouvement-nuit-debout-45485 ) Über das 1. Mai- Wochenende und bis Anfang der Woche erhielt er dafür rund 10.000 Unterschriften. (Vgl. http://www.nicematin.com/politique/plus-de-10000-signatures-pour-la-petition-deric-ciotti-contre-nuit-debout-45872 ) Nuit debout gibt es unterdessen u.a. auch in Nizza, auch wenn dort vor Ort jedenfalls in den Anfangstagen querfrontlerische oder gar rechtsextreme Trittbrettfahrer das Bild mitprägten. Anderswo werden sie hinausgeworfen, wenn sie enttarnt werden, auch wenn sie es immer wieder probieren. Am gestrigen Dienstag trat etwa ein Anhänger des berufsmäßigen, gewerblichen Antisemiten Alain Soral in Paris mit einem kurzen Redebeitrag auf. Er beeilte sich, zum Schluss zu kommen und rief zum Ende aus, Frankreich sei „seit 1789 dominiert“, und zwar „von Freimaurertum und Zionismus“ (sic), war dann aber bereits vom Mikrophon weg, bevor man ihm selbiges entziehen konnte. Leider wurde versäumt, ihm auf die Schnauze zu hauen.
Der regierende Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi, zeichnete sich in diesen Tagen ebenfalls durch hetzerische Äußerungen, Falschdarstellungen und Übertreibungen (betreffend vergangene Auseinandersetzungen mit der Polizei) gegen die Platzbesetzerbewegung hervor. In der liberalen Presse wurden einige seiner Behauptungen jedoch richtiggestellt (vgl. http://www.lemonde.fr/les-decodeurs/article/2016/05/03/les-exagerations-d-estrosi-sur-les-policiers-blesses-et-les-degradations-de-nuit-debout_4912889_4355770.html ). Und in der wirtschaftsliberalen Tageszeitung L’Opinion leitartikelt deren Gründer (im Jahr 2013) Nicolas Beytout, früher Redaktionsleiter bei der konservativen,Prawda’ – dem Pariser Le Figaro -, Nuit debout sei „ein Alptraum für Uns Alle“. (Vgl. http://www.lopinion.fr/edition/politique/nuit-debout-cauchemar-tous-101878 ) Worauf die Platzbesetzerbewegung in einer Presseaussendung antwortete: „Nicolas Beytout, wir sind Dein Alptraum!“
Bei einer Internet-Umfrage für die Boulevardzeitung Le Parisien, die ebenfalls ein eventuelles Verbot der Pariser Nuit debout zum Gegenstand hatte, ergab sich allerdings bei einer Gesamtzahl von rund 35.000 (online) Abstimmenden eine satte Mehrheit von 70,3 Prozent für ein „Nein. (Vgl. http://www.leparisien.fr/faits-divers/faut-il-interdire-nuit-debout-29-04-2016-5755005.php ) Dies ist schon beinahe erstaunlich, da die Platzbesetzerbewegung seit Wochen jedenfalls in vielen Leitmedien – allen voran bei mehreren TV-Sendern – fast nur in Form von Negativberichterstattung vorkommt: in Zusammenhang mit „Gewalt“, Sachbeschädigungen, Auseinandersetzungen… Auch wenn manch andere Medien, wie die Pariser Abendzeitung Le Monde oder auch der öffentlich-rechtliche regionale Fernsehsender France 3 (eine Mitarbeiterin dieses Senders sprach am gestrigen Dienstag Abend auch als Publikumsteilnehmerin auf der Place de la République) relativ ausgewogen bis teilweise relativ anständig berichten. Die Sensations-TV-Kanäle, wie bspw. der Privatfernsehsender BFM TV, und andere Gossenmedien sehen sich hingegen in der Sozialprotestbewegung zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt.
Die Aufzählung der hetzerisch und verleumderisch auftretenden Gegner/innen der aktuellen Platzbesetzerbewegung wäre jedoch unvollständig, würde die Erwähnung eines „superlinks“ auftretenden feindseligen Gegners fehlen. Stalinistenpack in der ältesten Variante, in Gestalt der griechischen „kommunistischen“ Sektiererpartei KKE (Kuka Kuka Epsilon), erdreistete sich soeben, die französische – und über Frankreich hinaus ausstrahlende – Bewegung Nuit debout als „durch die Sozialdemokratie und das internationale Kapital kooptiert (= übernommen)“, also gesteuert, zu bezeichnen. Natürlich wird die Sozialbewegung sich hüten müssen, sich in irgendeiner Form unter die Fittiche der europäischen Sozialdemokratie zu begeben: Alles, nur das nicht! Nein, sie wird diesbezüglich Wachsamkeit üben. Aber sie wird es nicht an die Seite von Stalinistengesocks, das seit 1953 nie etwas hinzugelernt hat, tun.
Platzbesetzerbewegung wird fortgeführt
„Trotz Allem“ geht in Paris und anderswo die Platzbesetzerbewegung weiter. Allerdings unter steigendem behördlichem Druck, und während sie seit Beginn der Woche wachsenden Verbotsauflagen ausgesetzt ist. (Vgl. http://www.leparisien.fr/societe/nuit-debout-a-paris-alcool-musique-corteges-restent-interdits-a-certaines-heures-29-04-2016-5755119.php sowie http://www.lemonde.fr/politique/article/2016/05/03/l-etau-se-resserre-autour-de-nuit-debout_4912920_823448.html ) Es fing mit einem Alkohol(verkaufs)verbot an, worüber man noch geteilter Auffassung sein konnte – der Verf. dieser Zeilen konnte im angesichts mancher vorheriger Zustände auch positive Seiten abgewinnen, und es wird ohnehin auch weiterhin Alkohol konsumiert -, doch es erstreckt sich längst auch auf Musik, die Benutzung von Lautsprecheranlagen, und andere Lebensäußerungen. Und natürlich auf Spontandemonstrationen, die von dem Platz ihren Ausgang nehmen (auch wenn es nach wie vor welche gibt, etwa am Dienstag Abend zur Unterstützung einer Schulbesetzung in der Nähe der Pariser Métrostation Saint-Paul).
Am Montag dieser Woche, den 02. Mai 16 wurde bekannt, dass die Pariser Polizei nun alle Aktivitäten auf dem bislang allabendlich besetzten Platz ab 22 Uhr verbietet. (Vgl. http://www.prefecturedepolice.interieur.gouv.fr/Nous-connaitre/Salle-de-presse/Communiques-de-presse/Manifestations und http://www.lemonde.fr/societe/article/2016/05/02/apres-les-incidents-a-nuit-debout-la-prefecture-durcit-les-conditions-de-rassemblement_4912317_3224.html ) Derzeit sieht es so aus, dass die offiziellen polizeilichen Anmelder nun gegen 22 Uhr – am gestrigen Dienstag war es allerdings eher 22.45 Uhr – formal die Auflösung der Versammlung erklären. Dennoch wird sie faktisch, und mit der Einigkeit von quasi Allen, einfach fortgesetzt. Allerdings unter Abbau der Lautsprecheranlage und nur mit einem Megaphon…
Trotz der Räumung des besetzten Platzes unter Einsatz erheblicher Gewalt, die am vergangenen Donnerstag sowie am Sonntag, den 1. Mai erfolgte, geht dort die Besetzung derzeit allabendlich weiter. Am Abend des Donnerstag, den 28. April ging es vor allem darum, einen als „Schloss“ bezeichneten festeren Aufbau auf dem Platz – den Kunststudierende im Laufe des Abends nach der nachmittäglichen Demonstration errichtet hatte – wegzubekommen. Am Sonntag Abend nahm die Polizei Glasbruch zum Anlass, um alle Anwesenden noch deutlich vor 23 Uhr einzugasen und wegzuküppeln; dabei bekam auch ein Krückenträger, dem es nicht gelang, schnell genug aufzustehen und wegzubekommen, den Schlagstock ab.
Am Montag, den 02. Mai kehrte eine allgemeine Beruhigung und eine Kräftesammeln ein, sowohl bei der Besetzerbewegung als auch bei der Polizei, die sich bedeckt und Abstand hielt. An einer Vollversammlung nahmen rund 300 Menschen teil. Am folgenden Abend (Dienstag, den 03. Mai) fiel sie mit 1.000 bis 1.500 Teilnehmenden wieder größer aus. Allerdings stieg die Anzahl der mehr oder minder als psychopathisch oder selbstdarstellerisch ausfallenden Beiträge gegenüber den Vortagen an. Unter anderem dann, wenn ein Redebeitrag mit „Seit zehn Jahren komme ich nicht dazu, zu sagen…“ oder mit „Seit zwanzig Jahren warte ich auf diese/auf eine solche Gelegenheit…“ beginnt, dann folgt in aller Regel nicht viel Gutes. Und manchmal hält sich auch ein Einzelner, wie am Montag Abend, für Charles de Gaulle im Juni 1940 und lässt das freie Frankreich, auf das die Völker dieser Welt blicken, hoch. (Seufz)
Am Wochenende des 07. und 08. Mai werden nun internationale Gäste auf der place de la République erwartet. Und am 15. Mai wird zu internationalen Aktionen mit Platzbesetzungen möglichst überall aufgerufen – natürlich im Zusammenhang mit dem fünften Jahrestag des Beginns der „Empörten“-Bewegung in Spanien und der Platzbesetzung an der puerta del Sol in Madrid.
Unterdessen ergibt sich aus einem Informationspapier, das am gestrigen Dienstag Abend in Paris auf dem besetzten Platz verteilt wurde, dass es derzeit in 14 Pariser Vor- oder Trabantenstädten (banlieues) ebenfalls Nuit debout-Ereignisse gibt; in wechselndem Rhythmus und mit unterschiedlichem Erfolg Und dabei fehlte noch zumindest die Vorstadt Malakaff (im Süden). Noch in dieser Woche wird es von unserer Seite einen Vorort-Bericht dazu geben.
Proteste gegen das „Arbeitsgesetz“ und Streikinitiativen /-pläne
Am gestrigen Dienstag, den 03. Mai 16 begann aber auch die Parlamentsdebatte über den Entwurf für das „Arbeitsgesetz“. Die amtierende Arbeitsministerin Myriam El Khomri – die 38jährige, jüngste Ministerin im französischen Kabinett hatte auf seinen Inhalt allerdings wenig Einfluss und hält vor allem politischen ihren Kopf dafür hin – sprach dazu in der Nationalversammlung. (Vgl. http://www.lemonde.fr/politique/article/2016/05/03/loi-travail-l-assemblee-a-commence-l-examen-du-texte_4913125_823448.html ) Kurz zuvor kündigte sie an, der Entwurf solle bereits „in sechs Monaten“ in Kraft treten (vgl. http://www.lepoint.fr/politique/la-loi-travail-sera-appliquee-dans-les-six-mois-selon-el-khomri-01-05-2016-2036202_20.php ) – ein überaus ambitioniertes Ziel, wenn man an die zahlreichen Ausführungsbestimmungen und –verordnungen denkt, welche erforderlich sein werden.
Auch ist die Parlamentsdebatte noch nicht abgehakt. Dort liegen 5.000 Änderungsanträge zu dem Text vor, die die Debatte ein bisschen in die Länge ziehen dürften. Bislang will die Regierung allerdings erklärtermaßen auf die „Waffe“ des Verfassungsartikels 49-3 eher verzichten – einen antidemokratischen Mechanismus, welcher es erlaubt, einen Gesetzesentwurf ohne jegliche Sachdebatte durch das Parlament zu peitschen, welch Letzteres nur entweder die Regierung durch einen Misstrauensantrag stürzen oder den Text geschlossen hinnehmen kann. Im vergangenen Jahr war diese „Waffe“ durch die Regierung eingesetzt werden, um die Loi Macron durchzudrücken, einen vom amtierenden Wirtschaftsminister Emmanuel Macron vorgelegten Kraut-und-Rüben-Gesetz, in dem es u.a. auch um die Erleichterung von Sonntags- und Nachtarbeit ging. Er trat am 06. August 2015 in Kraft.
Die Verwendung des Artikels 49-3 eröffnet allerdings in der Regel eine politische Krise, da es grundlegende Rechte des bürgerlichen Parlaments aushebelt, welches in einem solchen Fall in der Sache schlichtweg nichts mehr zu sagen hat. In einem Interview für die Wirtschaftszeitung Les Echos vom 18. Februar 16, das formal durch die Arbeitsministerin El Khomri gegeben, real jedoch vom Amtssitz des Premierministers nachträglich „korrigiert“ und umgeschrieben worden, kündigte die Regierungsspitze die neuerliche Verwendung des Artikels 49-3 für das „Arbeitsgesetz“ an. (Pro forma stammten die Worte von Myriam El Khomri, in Wirklichkeit waren sie jedoch vom Amt des Premierministers hinein redigiert worden.) Der nachfolgende Aufschrei, der auf das gleichzeitige Bekanntwerden des Inhalts dieses „Arbeitsgesetz“-Entwurfes am 17. Februar d.J. folgte, hat die Regierung jedoch zurückrudern lassen. François Hollande erklärte kurz darauf persönlich, er halte diesen Einsatz des Artikels 49-3 für, nun ja, keine sonderlich gute Idee. An diesem Montag, den 02. Mai erklärte die Regierung nun offiziell, seine Verwendung sei nicht „die bevorzugte Hypothese“, was allerdings nichts definitiv ausschließt. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/politique/le-scan/coulisses/2016/05/03/25006-20160503ARTFIG00054-loi-travail-valls-veut-eviter-le-493-el-khomri-recoit-les-frondeurs.php und http://www.lopinion.fr/video/phrase/loi-travail-valls-el-khomri-calment-jeu-recours-493-102094 )
Am Dienstag Nachmittag fand in Sichtweite der französischen Nationalversammlung, auf dem Pariser Invaliden-Platz, eine Kundgebung statt. (Vgl. http://www.lemonde.fr/emploi/video/2016/05/03/militants-syndicalistes-et-etudiants-protestent-contre-le-projet-de-loi-travail_4912993_1698637.html ) Zu ihr hatten für die Zeit der Mittagspause auch die Gewerkschaftsverbände CGT und Union syndicale Solidaires aufgerufen. Nur kurze Zeit nach dem Redebeitrag ihres Vorsitzenden Philippe Martinez und dem Verzehren der an Ort & Stelle zu kaufenden Sandwichs brach die CGT allerdings, noch vor 14 Uhr, ihre Zelte wieder ab und verließ den Platz zum überwiegenden Teil. Zurück blieben rund 400 oft jüngere und/oder radikalere Demonstrant-inn-en, die den starken Polizeikräften ins Auge blickten, es jedoch im Anschluss vorzogen, einmal um den Block zu ziehen. „Drinnen“ begann die Parlamentsdebatte jedoch erst gegen 16.3O Uhr.
Man kann also behaupten, dass in Paris der gestrige Protest weitgehend verpuffte. Nicht so beispielsweise in Toulouse, wo u.a. eine „Gratistransport“-Aktion, eine Aktion zur Unterstützung von Arbeitskämpfen in einem Krankenhaus sowie eine mehr oder minder spektakuläre McDo-Besetzung stattfanden. (Wegen der Arbeitsniederbedingungen in der Fastfoodbranche; nicht aufgrund v. Antiamerikanismus, in Paris wird etwa die in nicht in US-Besitz, sondern in belgisch-französischer Hand befindlich und deswegen gerne als „europäische Alternative“ auftretende Fastfoodkette Quick ebenso Ziel von Aktionen.) (Vgl. zu Toulouse u.a. https://www.facebook.com/media/set/?set=a.243925682633340.1073741863.215770982115477&type=1&l=6cfebf9b91 sowie https://www.facebook.com/NuitDeboutToulouse/videos/244160809276494/ )
Neben Toulouse im Südwesten des Landes zählte auch das westfranzösische Rennes in den letzten Tagen zu den Schwerpunkten der Sozialprotestbewegung. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/actualite-france/2016/05/03/01016-20160503ARTFIG00270-loi-travail-pourquoi-la-contestation-se-durcit-a-rennes.php ). Dort musste u.a. eine Tagung des Stadtparlaments wegen der Gegner/innen des geplanten „Arbeit, jawohl! Arbeit!“-Gesetzes und infolge einer Saalbesetzung abgebrochen werden. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2016/05/02/97001-20160502FILWWW00341-rennes-le-conseil-municipal-annule-par-des-opposants-a-la-loi-travail.php und http://www.ouest-france.fr/bretagne/rennes-35000/rennes-des-opposants-la-loi-travail-occupent-la-salle-de-la-cite-4202715 )
In Paris planen die Oppositionellen, die Platzbesetzer/innen und andere Kräfte im Sozialprotest unterdessen weitere Aktionen, um die sozielen Widerstände an und in die Betriebe, Bahnhöfe, Häfen und anderswo hin zu tragen. Am 08. April hatte etwa eine Flugblattaktion im Pariser Nordbahnhof (in der Gare du Nord) stattgefunden; am 12. April eine andere in der Pariser Gare Saint-Lazare. Dort fand auch ein Zusammentreffen von Platzbesesetzer/inne/n mit Eisenbahnbeschäftigten statt. (Vgl. http://www.huffingtonpost.fr/2016/04/12/nuit-debout-gare-saint-lazare-paris-cheminots-photos_n_9670964.html ) Am Entwicklungszentrum oder,Technocentre’ von Renault in Guyancourt, westlich von Paris, kam es mehrfach zu Aktionen, weil ein dort beschäftigten Lohnabhängiger von Entlassung bedroht wurde, nachdem er bei den sozialen Medien für den Film,Merci, patron!’ geworben hatte. Die Mobilisierung von Sozialprotestbewegten hin zu dem Renault-Zentrum wurde von den dort Arbeitenden positiv aufgenommen. Am gestrigen Dienstag wurde erneut auf der place de la République über solche und weitere Aktionen berichtet.
Ein harter Kern von sozialprotestierenden Lehrkräften im französischen Schulsystem will nun für einen Ausstand am 12. Mai mobilisieren, die Idee wurde ebenfalls am Dienstag Abend auf der Pariser place de la République präsentiert. Ab dem 18. Mai wollen Eisenbahnbeschäftigte ihrerseits in den – alle 24 Stunden in Personalversammlungen verlängerbaren – Streik eintreten, falls die schändlichen Pläne der Leitung bei der Bahngesellschaft SNCF u.a. zu bahninternen Arbeitszeitregelungen bis dahin nicht zurückgezogen werden. (Stichworte: 10 bis 21 Ruhetage pro Jahr weniger,; nur noch 30 statt 52 Doppelruhetage jährlich, und eine mögliche Abänderung von Wochen-Dienstplänen noch einen Tag vorher…) Voraus wird am 10. Mai eine landesweite Eisenbahner/innen-Demonstration am Pariser Montparnasse-Bahnhof gehen – jedoch ohne Streikaufruf, um die Anfahrt zu der Demonstration nicht zu gefährden..
Das Datum 18. Mai könnte nun in einer Reihe von Sektoren als Stichtag gewählt werden, um ebenfalls Streikplanungen an diesem Datum aufzuhängen und solcherart Kräfte gegen die geplante „Reform“ des französischen Arbeitsrechts zu bündeln. Allerdings will zumindest die stärkste Einzelgewerkschaft bei der Eisenbahn, die CGT-cheminots (neben den eher „moderat“-rechtslastigen Gewerkschaften CFDT und UNSA) von einer über das Unternehmen hinausgehenden „Konvergenz der Kämpfe“ bislang eher herzlich wenig wissen. Sicherlich, bei der linken Basisgewerkschaft SUD-Rail (SUD Schienenverkehr) sieht das anders aus! Auf dem jüngsten CGT-Kongress in Marseille vom 18. bis 22. April hatte sich die Eisenbahn-Branchengewerkschaft der CGT eher als Schrittmacher des rechten Flügels präsentiert.
Und für die Tage ab dem 16. Mai 16 gibt es nun auch einen Streikaufruf für die LKW-Branche (vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-eco/2016/04/29/97002-20160429FILWWW00189-loi-travail-menace-d-une-greve-des-routiers.php ) gegen das geplante „Arbeitsgesetz“. Allerdings bislang von der Branchengewerkschaft des Dachverbands Force Ouvrière/FO ausgehend, der nicht gerade als linker Flügel des französischen Gewerkschaftsbewegung durchgehen kann, sondern unter einem „unpolitischen“ Deckmantel zwischen (manchmal) verbalradikal und (oft) gegenüber dem Kapital kooperationswillig bedenklich schillert. Doch „immerhin“ hatte FO sich am diesjährigen 1. Mai, zum ersten Mal seit dem Frühjahr 2009, zu gemeinsamen Maidemonstrationen u.a. mit der CGT und Solidaires eingefunden, statt getrennte Aktionen wie in den Jahren dazwischen durchzuführen.
Streit um Polizeigewalt – und um ein Plakat dagegen
Last but not least: Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen gibt es nun wieder Streit um ein Plakat einer Mitgliedsgewerkschaft der CGT im Mediensektor, welche die Polizeigewalt anlässlich der Demonstrationen thematisiert (vgl. nebenstehend und den Artikel: http://www.lexpress.fr/actualite/societe/violences-policieres-la-cgt-recidive-avec-une-deuxieme-affiche-sanglante_1788477.html )
Unterdessen häufen sich die Initiativen, die darauf abzählen, alle Vorfälle von Polizeigewalt in Frankreich – die sich vor allem seit dem 17. März dieses Jahres häufen – aufzulisten und zu publizieren. (Vgl. etwa https://rebellyon.info/Une-cartographie-des-violences-policieres-16143 ) Während viele Kamera- oder Presseleute inzwischen, wie am 1. Mai 16 in Paris, mit Schutzhelmen und Extra-Aufschrift „Presse“ zu Demonstrationen kommen, als müssten sie sich durch ein Kriegsgebiet bewegen… Ein solches Phänomen hatte man zuletzt vereinzelt am Rande der Ant-CPE-Bewegung im März 2006 gesehen…
Einen Todesfall, vor dem manche bereits warnten, hat es bislang (glücklicherweise) nicht gegeben. Wohl aber verlor ein 20jähriger junger Demonstrant im westfranzösischen Rennes unwiederbringlich sein Augenlicht auf einem seiner beiden Augen, wie inzwischen offiziell bestätigt wurde. (Vgl. http://www.liberation.fr/direct/element/manif-loi-travail-a-rennes-le-parquet-confirme-la-blessure-a-loeil-de-letudiant_36255/ ) Er wurde zuvor einer Kugel aus einem so genannten flash-ball-Gewehr, also einem Gummigeschoss, ins Gesicht getroffen. Darüber zu berichten, kommt auch die Boulevardpresse mitsamt Gossenzeitungen mittlerweile nicht mehr umhin. (Vgl. etwa http://www.metronews.fr/info/etudiant-blesse-a-rennes-le-parquet-confirme-la-perte-totale-de-la-vision-d-un-il/mpdC!vcQDyaeNMSYXg/ ) Dies führte inzwischen v.a. in Westfrankreich zu einer breit geführten Debatte über den Einsatz dieser Geschosse. (Vgl. http://www.letelegramme.fr/france/flash-ball-des-politiques-et-intellectuels-s-engagent-contre-leur-usage-01-05-2016-11051073.php und http://www.bfmtv.com/societe/rennes-le-lanceur-de-balles-de-defense-est-il-trop-dangereux-970868.html ) Auch andere Akteure wie die französische Linkspartei stellen immer lauter werdende Fragen dazu. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2016/04/30/97001-20160430FILWWW00132-defilesviolences-le-pg-demande-des-comptes.php ) Inzwischen wurde die Dienstaufsicht (IGPN) eingeschaltet. (Vgl. http://lci.tf1.fr/france/faits-divers/loi-travail-un-etudiant-gravement-blesse-a-l-oeil-a-rennes-la-police-8737573.html ) Der Regionalpräfekt verteidigt bislang die Haltung und Handlungen der ihm unterstellten „Sicherheitskräfte“ (vgl. http://www.leparisien.fr/rennes-35000/manifestation-loi-travail-le-prefet-de-bretagne-defend-l-action-de-la-police-30-04-2016-5757833.php ), auch wenn er ebenfalls proklamiert, man wolle einer „Eskalationsspirale der Gewalt“ Einhalt gebieten (vgl. http://www.ouest-france.fr/bretagne/rennes-35000/manifestation-rennes-le-prefet-veut-enrayer-le-cycle-de-violence-4195504 ).
In Marseille wurde am Donnerstag, den 28. April 16 der Block der linksgewerkschaftlichen Union syndicale Solidaires mit flash-balls (Gummigeschossgewehren) beschossen. Ein Aktivist der Basisgewerkschaft musste mit einer solchen, im Hals steckenden Gummikugel in die Notaufnahme eines Krankenhauses eingeliefert werden. – Und mittlerweile sprechen Gerüchte auch davon, in Paris habe ein Journalist ebenfalls (am Sonntag, 1. Mai) ein Auge verloren wie im obigen Fall. Bislang konnte der Verf. dieser Zeilen jedoch für die letztgenannte Information keine Bestätigung auffinden.
Die politische Verantwortung für all das ist mutmaßlich geteilt. Zwar hat die rechtssozialdemokratische Regierung die Repressionskräfte von der Leine gelassen, doch zum Teil scheint sie selbst nicht mehr Alles unter Kontrolle zu haben, was aus dem Apparat heraus unternommen wird. Im Vorfeld des diesjährigen 1. Mai hatte der sozialdemokratische Innenminister Bernard Cazeneuve den Pariser Polizeipräfekten und die übrigen Präfekten dazu ermahnt, einerseits keine „Rechtsbrüche“ hinzunehmen, andererseits jedoch auch keine unnötige oder maßlose Gewalt walten zu lassen. (Vgl. u.a. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2016/04/30/97001-20160430FILWWW00114-1er-mai-les-mesures-du-ministere-de-l-interieur-afin-d-eviter-les-debordements.php ) Aus Sicht der Regierung darf das Ausmaß der repressiven Gewalt ja zumindest nicht politisch kontraproduktiv werden – wie es prinzipiell der Fall sein könnte, wenn es etwa „einen Toten“ gäbe, wie manche immer lauter werdenden Stimmen nun befürchten (vgl. unseren Teil 20). Aber die Interessen der Regierung sind dabei nicht jene sämtlicher Teile des Apparats. Erinnert sei daran, dass laut einer Umfrage vom Januar dieses Jahres zum damaligen Zeitpunkt 51 Prozent der befragten Polizisten Wähler(/innen) des rechtsextremen Front National gewesen sein sollen (vgl. http://www.rfi.fr/france/20160108-france-51-policiers-militaires-voteraient-fn-etude-cevipof-fonctionnaires oder http://www.lesechos.fr/08/01/2016/lesechos.fr/021606314542_le-vote-fn-explose-chez-les-policiers-et-les-militaires.htm ). Und wenn zumindest einigen Fraktionen im Repressionsapparat also an einer Eskalation gelegen sein sollte, auch dann, wenn es für die Regierung dabei dann politisch dumm läuft?