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Massenproteste gegen rassistische Polizeigewalt in Frankreich führen zu (ersten, kleinen) Zugeständnissen der Regierung – bereits dagegen entwickelt sich Polizeiprotest. Basisgewerkschaft SUD: „Die Polizei ist wütend? Wir auch!“

Foto von Bernard Schmid: Szene mit einer Gruppe der (sehr progressiven) «Gelbwesten-Frauen Großraum Paris» (femmes gilets jaunes Ile-de-France) am 20. Juli 19 in Persan-Beaumont, anlässlich des Protests zum Todestag von Adama Traoré„… Zum Hintergrund sei zunächst ausgeführt, dass rassistische Polizeigewalt in Frankreich im Grunde ein altes Thema ist. Um das Phänomen sichtbar werden zu lassen, brauchte es nicht erst einen Anlass aus den USA: Vielmehr dürfte eines ihrer international schlimmsten Beispiele überhaupt sich in der französischen Hauptstadt zugetragen haben. Am Abend des 17. Oktober 1961 und in der darauffolgenden Nacht töteten dort Polizeieinheiten, die durch den damaligen Pariser Polizeipräfekten (und vormaligen Nazikollaborateur) Maurice Papon befehligt wurden, um die 300 Algerier mitten in Paris: in der Seine ertränkt, von Brücken geworfen, totgeschlagen. (…) Doch rund um den fünfzigsten Jahrestag des Massakers platzte die Hülle, die das Schweigen bewahrte, endgültig. Auch prominente Spitzenpolitiker etablierter Parteien bekannten sich erstmals zur historischen Verantwortung des französischen Staates an diesem Punkt. Die meisten französischen Zeitungen erwähnten den Jahrestag in jenem Oktober 2011, und Tausende von Menschen demonstrierten bei einem Gedenkmarsch. Heute gibt es an mehreren Orten Gedenkplaketten für die Opfer, etwa an der Saint Michel-Brücke in Paris. Zwei Stränge treffen zusammen, wenn es um die Analyse solcher und späterer Gewalttaten und der sie ermöglichenden Strukturen geht. Auf der einen Seite steht die postkoloniale Struktur von Staat und Gesellschaft in Frankreich, die ein Gefühl, oder eine Ideologie rassischer und/oder kultureller Überlegenheit immer einschloss. Andererseits steht die – auch in Staaten ohne Kolonialvergangenheit zu beobachtende und hinterfragende – Dimension der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (französisch: le maintien de l’ordre) notfalls auch mit repressiven Mitteln, die wiederum in aller Regel umso repressiver ausfallen, je mehr Ungleichheiten und, objektive und/oder empfundene, Ungerechtigkeiten eine Gesellschaft aufweist...“ – aus dem Beitrag „Frankreich: Protest gegen Rassismus und Ungerechtigkeit“ von Bernard Schmid am 13. Juni 2020 bei telepolis externer Link – worin neben den aktuellen Gründen für die massiven Proteste auch in Frankreich auch eine Skizze der historischen Entwicklung des rassistischen (kolonialistischen) Polizeistaats seit dem Massenmord an Algeriern 1961 gegeben wird. Siehe dazu vier weitere aktuelle Beiträge, auch zu den Zugeständnissen der Regierung und der basisgewerkschaftlichen Reaktion auf Polizeiproteste dagegen – sowie eine nachbarschaftliche Gemeinschaftserfahrung: Was so alles passieren kann, wenn man Polizeigewalt filmt…

  • „Polizei blockiert BLM-Demo“ von Rudolf Balmer am 13. Juni 2020 in der taz online externer Link zur polizeilichen Reaktionen auf die Proteste gegen sie unter anderem: „… Am Samstag wurden in Paris und anderen französischen Städten trotz Versammlungsverbot zahlreiche Kundgebungen gegen Rassismus und Polizeigewalt organisiert. In Paris hinderte aber die Polizei rund 20.000 Personen daran, wie angekündigt friedlich von der Place de la République zur Place de l’Opéra zu marschieren. Die Begründung war, dass für die Kundgebung keine Bewilligung erteilt worden sei. Einen zusätzlichen Anlass lieferte den Behörden Provokationen von rechtsradikalen Gegendemonstranten der Gruppe „Génération identitaire“. Nach etwas mehr als zwei Stunden begannen die Ordnungtruppen, die den großen Platz abgeriegelt hatten, die antirassistische Kundgebung mit Tränengaseinsatz zu räumen. Zur Rechtfertigung erklärte ein Polizeisprecher den Medien, unter den friedlich Versammelten habe es aggressive Gruppen von „Ultralinken“ gegeben. (…) Wütend sind auch viele Polizisten. Sie fühlen sich durch die Gewalt- und Rassismusvorwürfe der Demonstrierenden und Medien pauschal „beschmutzt und verunglimpft“, wie ein Polizeigewerkschaftssprecher sagte. Vor zahlreichen Kommissariaten protestierten Polizeibeamte in Uniform und Zivil, indem sie demonstrativ ihre Handschellen zu Boden schmissen. Innenminister Christophe Castaner hatte zu Wochenbeginn angeordnet, dass der potenziell tödliche Würgegriff bei Festnahmen in Zukunft nicht mehr praktiziert und auch in der Polizeiausbildung nicht gelehrt werden solle. Auch drohte Castaner Polizeibeamten künftig mit „sofortiger Suspendierung vom Dienst“ bei „bestätigtem Verdacht von Rassismus“ – unabhängig von eventuellen Strafverfahren oder Disziplinarmaßnahmen…“
  • „La police nationale est en colère ? nous aussi !“ am 12. Juni 2020 beim Gewerkschaftsbund SUD Solidaires externer Link ist ein Flugblatt der alternativen Föderation zu den Protesten gegen Polizeigewalt, in dem auch ausführlich und konkret zu den Protesten der Polizei gegen die Zugeständnisse der Regierung – die, wie darin betont wird, ohnehin minimal seien – Stellung genommen wird, deren „Wut“ bewertet wird, als die massive Forderung, weiterhin ohne Konsequenzen gewalttätig sein zu können: „Die sind wütend? – Wir auch!“ so der eindeutige Tenor der Stellungnahme, mit der weitere Maßnahmen gegen Polizeibrutalität eingefordert werden.
  • Siehe zum Thema zuletzt am 03. Juni 2020: Frankreichs George Floyd heißt Adama Traoré: Massenproteste gegen Rassismus und Polizeiterror im ganzen Land. Artikel mit Photos von Bernard Schmid vom 3.6.2020
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=174027
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