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Ein Jahr nach dem Tod von Steve Caniço: Massiver Protest gegen Polizeigewalt in Frankreich trotz Einschüchterungsversuchen

5 Wochen galt er als "vermisst", nun wurde Steve Canico tot aufgefunden - ein weiteres Opfer der französischen Polizei. In der ganzen Zeit wurde gefragt "Wo ist Steve?"Am 21. Juni 2020 versammelten sich in Nantes mehrere Tausend Menschen: Im Gedenke an Steve Maia Caniço, der vor genau einem Jahr beim Musikfest in der Stadt bei einem Polizeieinsatz ums Leben kam. Der 24-jährige war in der Loire ertrunken und alles spricht dafür, dass ihn die Polizei bei ihrem Einsatz dort hinein gejagt hat. Die Familie des Todesopfers hatte unter anderen zu diesem „weißen Marsch“ aufgerufen und sich bei der Abschlusskundgebung bei den Teilnehmenden bedankt. Bei den zahlreichen Zwischenkundgebungen sprachen auch immer wieder andere Opfer der damaligen Polizeijagd, die das Glück hatten, zu überleben – und es wurde wieder und wieder der Zusammenhang mit den zahllosen polizeilichen Gewalttaten hergestellt, die vor allem in Frankreich, aber auch in den USA und in vielen anderen Ländern Alltag sind – und die man nicht mehr ertragen möchte. Der Bericht „Nantes. L’hommage à Steve chargé d’émotion“ am 21. Juni 2020 bei Ouest-France externer Link ist eine ausführliche Chronologie dieses Tages in Nantes, versehen mit zahlreichen Fotos und Videos. Siehe dazu auch einen Aufruf gegen die Einschüchterungsversuche im Vorfeld, einen Videobericht von der Demonstration und einen Beitrag über die Arbeit des Komitees für Adama, der die sozialen Umstände der Polizeigewalt in Frankreich deutlich macht:

  • „Toutes et tous à Nantes dimanche 21 juin !“ am 19. Juni 2020 bei expansive.info externer Link war die Dokumentation des Aufrufs von Nantes revoltée zur Beteiligung an der Gedenkdemonstration,die von den Hinterbliebenen organisiert wurde – was erst recht nötig sei, nachdem der Bürgermeister von Nantes am 17. Juni erklärt hatte, alle größeren Veranstaltungen seien nach wie vor verboten. Das wurde als plumper Einschüchterungsversuch bewertet, der keine Wirkung haben dürfte…
  • „„Worte reichen uns nicht, wir wollen Taten““ von Romy Straßenburg am 20. Juni 2020 im Freitag online externer Link (Ausgabe 25/2020) ist ein Porträt von Assa Traoré, deren Bruder Adama durch die politische Arbeit des Komitees, in dem auch seine Schwester mitwirkt, der vielleicht bekannteste Fall eines Todesopfers der Polizeigewalt in Frankreich ist. Darin wird über Assa Traoré  unter anderem ausgeführt: „… Ihre Geschwister beschreiben sie, die 35-jährige dreifache Mutter und ausgebildete Erzieherin, als bescheiden, besonnen, aber willensstark. Nicht nur in Ivry-sur-Seine südlich von Paris, wo sie mit ihrer Familie lebt, wird sie mittlerweile auf der Straße erkannt. Nachdem sie als Reaktion auf George Floyds Tod 40.000 Menschen zu einem Protestmarsch in Paris mobilisieren konnte, sind auch internationale Medien auf sie aufmerksam geworden. Während der Pressekonferenz fragt ein italienischer Journalist, was für ein Mensch ihr Bruder gewesen sei. „Er mochte Fußball und ist sogar nach Italien gereist, um seine Lieblingsmannschaft zu sehen“, antwortet Assa Traoré – wohl wissend, dass sie auch gegen das schlechte Image ihrer Familie argumentieren muss, die von konservativen Medien noch immer als Kleinkriminelle mit Bandenstruktur gebrandmarkt wird. Ihren Heimatort Beaumont-sur-Oise soll die Familie regelrecht terrorisiert haben. Tatsächlich sind einige der Traoré-Brüder schon früh mit der Polizei in Berührung gekommen, vier von ihnen müssen noch Haftstrafen absitzen, wegen Diebstahls, Drogenhandels oder Gewalt. Ihre Geschichte passt ins Klischee von französischen Vorstadtjugendlichen, von Parallelstrukturen, in denen nicht die gleichen Gesetze gelten wie im weißen, bürgerlichen Frankreich. Es ist komplexer, Schuld und Unschuld sind nicht so einfach zuzuweisen. Da ist der Familienvater aus Mali, mit 46 Jahren verstorben, weil er als Baustellenchef jahrelang Asbest ausgesetzt war. Da sind seine vier Frauen, 17 Kinder und Dutzende Enkelkinder, die er zurücklässt. Und da ist Assa Traoré als mütterliche Anführerin, die ganz natürlich als neues Familienoberhaupt angesehen wird. Untereinander sprechen sie in der Familie neben Französisch auch Azayr, die Sprache der westafrikanischen Soninke, die überwiegend Muslime sind. Assa hält die Geschwister zusammen, sagen die Traorés. Nimmt sich jedes ihrer Probleme zu Herzen und hilft, wenn nötig, mit ihrem bescheidenen Verdienst von 1.600 Euro. Die Rolle ihres Lebens findet sie mit dem Tod ihres Bruders Adama. „Wir sind unfreiwillig Soldaten geworden“, sagt sie heute, vier Jahre später. „Wir erleben eine weltweite Revolution, die Welt danach begann in Frankreich an diesem 2. Juni!“ Es war der Tag des großen Protestmarsches. Wieso das Komitee sich nicht mit anderen Bewegungen, besonders der Organisation SOS Racisme zusammenschließt, wollen französische Journalisten wissen. Statt Assa Traoré greift einer ihrer Mitstreiter zum Mikrofon: „Den Fehler von 1983 werden wir nicht wiederholen. Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen!“ Es ist eine Anspielung auf den „Marche de Beurs“, die große Welle des Widerstands im Herbst 1983, nach dem Tod mehrerer maghrebinischer Jugendlicher – der Geburtsstunde der Anti-Rassismus-Bewegung in Frankreich. Die Bewegung fiel auseinander, weil sie überwiegend von der sozialistischen Partei beansprucht und gezähmt wurde, zum Ärger der maghrebinischen Community, die sich verraten fühlte. Dieses Mal soll alles anders sein, die Wut, der Hass und die Entschlossenheit nicht durch ein paar politische Schönheitskorrekturen entkräftet werden...“
  • Siehe für weitere Berichte #SteveMaiaCaniço
  • Siehe zum Hintergrund unseren ersten Bericht vom 31. Juli 2019: Nach über 5 Wochen tot aufgefunden: Steve Maia Caniço, ein weiteres Opfer der Polizeigewalt in Frankreich
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=174337
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