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Neuwahlen in Frankreich: Rechte Partei Rassemblement National auf dem Weg zur Macht – kann der (gewerkschaftlich unterstützte) „nouveau front populaire“ sie aufhalten?

Dossier

FrontPopulaire in Frankreich 2024: VEREINT, UM ZU GEWINNEN (Grafik von Dugudus)In Frankreich löste Staatspräsident Emmanuel Macron am Abend des 09. Juni 24, eine knappe Stunde nach Bekanntgabe der ersten Ergebnisse aus der Europaparlamentswahl, die Nationalversammlung – d.h. das „Unterhaus“ des französischen Parlaments – auf und ordnete Neuwahlen keine drei Wochen danach auf. Deren erste Runde findet am 30. Juni dieses Jahres, die Stichwahl im zweiten Durchgang am 07. Juli statt. Dahinter steht das Vorhaben, die extreme Rechte an der politischen Macht zu „testen“ und gegebenenfalls in knapp drei Jahren wieder aus dem Sattel zu werfen. Zugleich ging es klar darum, das Heranwachsen einer anderen, insbesondere linken Alternative zu verhindern. Dementgegen schafften es die ansonsten ziemlich auseinanderstrebenden linken Parteien jedoch, sich schon in den 48 Stunden nach der Auflösung der Nationalversammlung auf eine Wahlbündnis, später auf eine gemeinsame Programmatik zu verständigen. Und die Gewerkschaften dabei? Und soziale Bewegungen? Und die antifaschistisch motivierten Proteste…? Ausführlicheres dazu in geplanten mehreren Teilen (Teil 1, Teil 2, Teil 3 und Teil 4 sowie Teil 5 und Teil 6 sowie Teil 7  und Teil 8 sowie Teil 9 und Teil 10 – siehe auch die (Grund)Informationen ganz unten im Dossier) und nun den Teil 10 und Teil 11 sowie Teil 12 der Artikelreihe von Bernard Schmid: Teil 13 (und Ende): Frankreichs neue Regierung: Austerität als Hauptspeise, zum Nachtisch gibt’s Rassismus. Sparhaushalt 2025 markiert die endgültige Niederlage des Linksbündnisses NFP New

Frankreichs neue Regierung: Austerität als Hauptspeise, zum Nachtisch gibt’s Rassismus.
Sparhaushalt 2025 markiert die endgültige Niederlage des Linksbündnisses NFPNew

Neues Ausländergesetz ist in Planung – ja, „schon wieder“, wird ja auch nur das 32. innerhalb von vierzig Jahren. Unterdessen wird eifrig eingespart, beim Bildungs- und Gesundheitswesen zum Beispiel

In Frankreich sind einige Industriezweige, vor allem aber öffentliche Dienstleistungen, akut und ernsthaft bedroht. Zuletzt wurde im Laufe des Wochenendes bekannt, die Herstellung der seit Jahrzehnten zur medizinischen Standardproduktion im Land zählenden, Kopfschmerzen bekämpfenden und fiebersenkenden Paracetamol-Tabletten der Marke „Dolipran“ – Deutsche würden an dessen Stelle oft Aspirin nehmen – werde künftig unter US-amerikanische Kontrolle fallen und durch den bisherigen Fabrikanten Sanofi abgegeben. Der in Frankreich ansässige Chemiekonzern möchte sich lukrativeren Sparten hingeben (weil Dolipran zwar in jedem Haushalt konsumiert und täglich irgendwo an kranke Kinder verabreicht wird, aber für zwei Euro die Packung verkauft wird und wenig neuen Profit verspricht), nachdem er schon in den letzten Jahren vor allem seine Forschungssparte kaputtsparte, weswegen Sanofi auch 2021 den Anschluss an den Impfstart bei Covid-19 grandios verpasst hat. Natürlich bangen nun die abhängig Beschäftigten um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze in Frankreich, und die Patient/inn/en darum, ob das Medikament künftig leicht verfügbar sein wird oder auch dort Versorgungsengpässe auftauchen werden wie bei zahlreichen anderen Arzeimitteln.

Die Bullshitproduktion ist nicht bedroht

Eine Branche braucht sich jedoch keine Sorge zu machen und ist nicht bedroht, sondern florierend. Es handelt sich um die Bullshitproduktion. Gut aufgestellt in dieser Sparte ist das gesamte derzeitige Regierungspersonal, Topchampion zweifellos der amtierende Innenminister.

Noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen ist unterdessen der dazugehörige Regierungschef. Am vorigen Dienstag, den 08. Oktober schlug die französische Nationalversammlung das Misstrauensvotum der Linksopposition, das durch den sozialdemokratischen Parti Socialiste (PS) eingebracht worden war, mit klarer Mehrheit aus. 197 Abgeordnete stimmten ihm zu, 289 hätten es sein müssen, damit es durchkommt.

Zweifel daran hatte es insofern wenig gegeben, als die Oppositionsparteien auf der Rechten – die von den Konservativen abgespaltene Union des droites pour la République (UDR, Union der Rechtskräfte für die Republik) sowie der neofaschistische Rassemblement national (RN, Nationale Sammlung) -, aber auch in der Mitte in Gestalt der aus Bürgerlichen und „Übersee“-Abgeordneten bestehenden Fraktion LIOT im Vorfeld ihre Nichtzustimmung ankündigten. Entscheidend dabei war letztendlich die Haltung des RN als zahlenmäßig stärkster einzelner Oppositionsfraktion. Hätte diese Partei unter ihrer Fraktionschefin Marine Le Pen der neuen Regierung von Michel Barnier (https://www.telepolis.de/features/Frankreichs-Demokratie-Farce-Links-gewaehlt-rechts-regiert-9952270.html externer Link) ihr Misstrauen ausgesprochen, dann wäre sie nun weg vom Fenster.

Die Linksparteien ihrerseits versuchten, diese Situation zu nutzen, um vorzuführen, die Rechtsextremen seien in Wirklichkeit gar nicht in der Opposition gegen eine Politik des regierenden Kabinetts, die die Bessergestellten begünstige. PS-Chef Olivier Faure bezeichnete die aus wirtschaftsliberalen Macron-Anhänger/inne/n und Konservativen, hauptsächlich von der Partei Les Républicains (LR), bestehende Regierung vor diesem Hintergrund als „Geisel der extremen Rechten“. (Vgl. https://www.laprovence.com/article/politique/2357195221450414/rejet-de-la-motion-de-censure-deposee-par-la-gauche-michel-barnier-est-otage-et-complice-dune-extreme-droite externer Link)

Diese toleriert das Kabinett jedoch, ohne selbst mitzuregieren, was ihr eine komfortable Ausgangssituation bietet, um Druck aufzubauen und sich günstig zu profilieren, ohne jedoch die Regierung am Regieren zu hindern. So verhielt es sich bei einer der ersten sozialen Schandtaten, die durch das neue Kabinett angekündigt worden ist: die Verschiebung der bereits angekündigten Anhebung der Renten um sechs Monate vom 1. Januar auf den 1. Juli kommenden Jahres.

Staatshaushalt 2025

Dieser Beschluss findet sich, wie zuvor angekündigt, im am Abend des Donnerstag, den 10.10.2024 im Laufe des Abends vorgestellten neuen Staatshaushalt für 2025 wieder.

Dieser enthält ansonsten sehr erhebliche Einsparungen. Grob gesagt soll das Staatsbudget 2025 – im Kontext eines erheblichen Defizits, in Höhe von drohenden sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts, statt in den EU-Regeln theoretisch vorgesehenen drei Prozent, und einer stark gewachsenen Staatsverschuldung – insgesamt sechzig Milliarden Euro für das kommende Jahr hereinholen. Dabei sollen 19 Milliarden durch zusätzliche Einnahmen hereinkommen, etwa durch zusätzliche Steuern auf Zeit auf Unternehmen mit über einer Milliarde Euro jährlichem Umsatz und auf die einkommensreichsten Haushalte, hingegen 41 Milliarden Euro durch Einsparungen.

Was die einkommensreichsten Haushalte (etwa die von Managern und Spitzenpersonal von Unternehmen) betrifft, so war ursprünglich angekündigt, 65.000 sollten von ihnen künftig stärker besteuert. Am Wochenende war, hoppla, plötzlich nur noch von ihrer 24.300 die Rede. (Vgl. https://www.lefigaro.fr/conjoncture/contribution-sur-les-hauts-revenus-24-300-foyers-en-seraient-redevables-au-lieu-des-65-000-annonces-20241012 externer Link)

Was die sonstige Steuer-, also Einnahmen-Seite betrifft: Dagegen geht allerdings der Macron-Flügel des Regierungslagers (das aus einem Mix aus wirtschaftsliberalen Macron-Anhänger/inne/n und Konservativen besteht, mit einer faktischen Tolerierung durch den rechtsextremen RN in der Nationalversammlung) in eine fundamentaloppositionelle Abwehrhaltung, bspw. versucht der bis vor kurzem amtierende frühere Macron’sche Innenminister Gérald Darmanin mit einer harten Anti-Haltung gegen jegliche Steuererhöhungen zu profilieren.

Auf der Austeritäts-, also Einsparungs-Seite stehen insbesondere die geplante Streichung von über 4.000 Lehrerinnen- und Lehrer-Stellen im öffentlichen Bildungswesen sowie die bereits erwähnte Aufschiebung der zuvor bereits angekündigten Erhöhung der Renten vom 01.01.25 auf den 01.07.2025. Dies wird die Bezieher/innen unterer und mittlerer Renten bis dahin im Durchschnitt rund zwanzig Euro monatlich kosten. Ferner sollen die Gehälter in den öffentlichen Diensten für 2024 und 2025 eingefroren bleiben.

Hinzu kommt die geplante Einsparung von fünf Milliarden bei den Gebietskörperschaften (d.h. Städten und Gemeinden, vgl. https://www.cgt.fr/actualites/france/legislation/budget-2025-les-salariees-et-les-retraitees-ne-veulent-plus-payer externer Link), sowie von vier Milliarden Euro bei der gesetzlichen Krankenversicherung, also im Gesundheitswesen. Insbesondere soll der Selbstbehalt von Patient/inn/en bei Arzt- oder Ärztin-Besuchen von dreißig auf vierzig Prozent erhöht werden; private Zusatzversicherungen können diesen Anteil übernehmen, werden jedoch dann ihrerseits ihre Beiträge anheben. Auch wird angekündigt, über die neuerliche Einführung von (2014 abgeschafften) Karenztagen, also unbezahlten Krankheitstagen nachzudenken.

Rentenerhöhung hinausgeschoben

Offiziell gerechtfertigt wurde die oben zitierte Maßnahme zur Aufschiebung der Rentenerhöhung, die je nach Angaben zwischen 1,8 und 3,6 Milliarden Euro einsparen soll, neben dem Sparimperativ auch mit der Behauptung, einer Studie zufolge sei die soziale Lage von Rentner/inne/n im Durchschnitt besser als die von abhängig Beschäftigten. (https://www.la-croix.com/france/report-de-la-revalorisation-des-pensions-les-retraites-seront-ils-perdants-20241008 externer Link) Nur, dass diese Darstellung inzwischen korrigiert werden musste, weil sie falsch war: Verrentete haben insgesamt doch weniger und nicht mehr Geld zur Verfügung als Erwerbstätige oder wirtschaftlich Aktive. (https://www.liberation.fr/checknews/les-retraites-sont-ils-vraiment-plus-aises-que-les-gens-qui-travaillent-comme-laffirme-eugenie-bastie-20240926_YGI5VTCGIJFDNOA5C4G5BOITH4/ externer Link)

Mehrere Oppositionsparteien forderten zum Ende vorletzter Woche zur selben Zeit, dass diese Einsparung zu Lasten der Pensionsempfänger/innen zurückgenommen werden müsse – konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Die Reaktion von Premierminister Michel Barnier ließ jedoch ein Muster durchblicken, von dem sich erkennen lässt, dass die Herrschenden und Bessergestellten es in naher Zukunft des Öfteren anwenden dürften. Marine Le Pen von der extremen Rechten, Politiker aus den Reihen der halb mitregierenden und halb oppositionellen Konservativen sowie alle Parteien des Linksbündnisses Nouveau front populaire (NFP) hatten gleichzeitig Barnier aufgefordert, von dem Plan abzulassen. Premierminister Barnier zitierte jedoch ausschließlich Marine Le Pen vom RN, als er am Freitag mit den Worten reagierte, er habe die Botschaft „von Frau Le Pen“ sehr wohl vernommen (https://www.bfmtv.com/replay-emissions/bfm-story-week-end/story-6-retraites-le-pen-dit-non-a-barnier-04-10_VN-202410040850.html externer Link) und biete ihr an, darüber zu diskutieren, ob es alternative Einsparungspotenziale gebe. (Solche sieht der RN immer, und zwar systematisch bei jenen Sozialausgaben, die angeblich „vorwiegend Ausländern zugute kommen“.) Abgeordnete der Linksparteien wie Antoine Léaument vn der Wahlplattform LFI – „Das unbeugsame Frankreich“ – mussten in den darauffolgenden Stunden in TV-Talkshows und energisch darauf hinweisen, die eigenen Abgeordneten hätten dies doch aber auf gefordert, und nicht allein die Neofaschisten.

Ihrer Majestät genehme Opposition darf sich also freuen. Aber auch sonst hat die extreme Rechte einigen Grund zu jubeln, werden doch von Regierungsseite einerseits ihre Thesen – auch noch die härtesten, die sie offiziell vortragen kann, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten – gerade quasi offiziell bestätigt, während andererseits das Kabinett Marine Le Pen die bequeme Gelegenheit gibt, sich daneben gar noch als moderat aufzuführen.

Und so liefen die Tanzschritte bei dieser beeindruckenden Choreographie ab.

Ein neuer Tanz: der Rechts-Zwo-Rechts-Rechts-Marsch. (Aber nicht Rechtsstaats-…)

Einer will den unverfälschten und ungebrochenen Volkswillen repräsentieren, notfalls auch gegen lästige Komplikationen durch rechtsstaatliche Mechanismen. Dumm nur, wenn der erklärte Feind zumindest einiger Aspekte des Rechtsstaats gleichzeitig amtierender Innenminister und damit oberster Chef der Polizei des Landes ist. Diese Funktion nimmt er in der neuen Regierung von Michel Barnier ein, der Premier (https://jungle.world/artikel/2024/37/frankreich-macron-michel-barnier-unter-druck-von-rechts externer Link) legte am Abend des 21. September d.J. seine Kabinettsliste vor. Doppelt dumm, wenn er dabei von der so genannten Ausländerpolitik spricht; einem Themenfeld also, bei dem auch relevante Teile der Bevölkerung gerne einmal bereit wären, Grundrechte und Verfahrensgarantien hintan, ja zur Disposition zu stellen.

Auch ein Mann, der jahrelang quasi täglich mit den Notwendigkeiten der Terrorismusbekämpfung und damit oft realen Belastungen rechtsstaatlicher Normen – die auf diesem Gebiet mitunter hart auf die Probe gestellt werden – konfrontiert war, zeigt sich schockiert. „Ich habe Schwierigkeiten, zu verstehen, wie man solche Reden schwingen kann. (…) Der Rechtstaat ist notwendiger Bestandteil der Demokratie, weil er ein Instrument zur Eingrenzung der Staatsgewalt darstellt, um die Ausübung der Grundrechte zu ermöglichen. Natürlich sind diese Äußerungen beunruhigend“ erklärte François Molins dazu am vorigen Dienstag, den 1. Oktober gegenüber dem westfranzösischen Regionalfernsehsender France bleu Loire Océan. Der 71jährige war von 2011 bis 2018 Oberstaatsanwalt von Paris und ermittelte in dieser Eigenschaft zu den jihadistischen Attentaten von Mohamed Merah im Frühjahr 2012, gegen Charlie Hebdo und im Konzertsaal Bataclan 2015 sowie in Nizza 2016 – damals war die Staatsanwaltschaft Paris noch frankreichweit für Terrorismus-Straftaten zuständig, wofür inzwischen jedoch eine eigenständige Behörde geschaffen wurde. Später war Molins dann bis zu seiner Pensionierung 2023 Generalstaatsanwaltschaft an der Cour de cassation, dem obersten Gerichtshof in Straf- und Zivilsachen.

Er reagierte mit diesen Worten direkt auf Aussprüche des seit dem 23. September amtierenden Innenminister Bruno Retailleau. Jener hatte fünf Tage nach seinem Amtsantritt in der mittlerweile klar durch die extreme Rechte kontrollierten Sonntagszeitung JDD (vgl. https://jungle.world/artikel/2023/28/unerwuenschter-chef externer Link) erklärt: „Der Rechtstaat ist weder unantastbar noch heilig. (.…) Aber die Quelle des Rechtsstaats, das ist die Demokratie, das souveräne Volk.“ (https://www.lessurligneurs.eu/letat-de-droit-est-il-ni-intangible-ni-sacre-comme-laffirme-bruno-retailleau/ externer Link)

Was er damit meinte, war unmittelbar, dass man nicht zu lange fackeln und sich zu viel mit Verfahrensfragen aufhalten solle, wenn der Volkswille denn weniger Ausländer im Land wünsche. Auch ein Referendum, also eine Volksabstimmung zu just dieser Frage hält der Minister für wünschenswert (https://www.liberation.fr/politique/bruno-retailleau-veut-un-referendum-sur-limmigration-la-double-peine-et-doute-de-la-societe-multiculturelle-20240930_MLUW4DS5BRAFTJDLOK56BQQRZM/ externer Link), und greift dadurch eine traditionelle Kernforderung der extremen Rechten in Frankreich auf.

Inzwischen unterstützten 170 Abgeordnete und vor allem Senatoren der seit kurzem mitregierenden konservativen Partei Les Républicains (LR) diese jüngsten Aussagen in einem gemeinsamen Gastbeitrag für die Tageszeitung Le Figaro. (https://www.lejdd.fr/politique/letat-de-droit-na-jamais-ete-fige-170-parlementaires-signent-une-tribune-en-soutien-bruno-retailleau-150189 externer Link) Die Partei LR ist im Senat, dem parlamentarischen „Oberhaus“, derzeit wesentlich stärker vertreten als in der Nationalversammlung. Retailleau saß bis zu seiner jüngsten Ernennung als Minister der Senatsfraktion der Rechtspartei vor. Historisch kommt er allerdings nicht aus den Reihen von LR oder deren Vorläuferpartei, der 2002 gegründeten UMP von Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy – zu ihr stieß Bruno Retailleau erst 2012 -, sondern aus einer weiter rechts stehenden Kleinpartei: dem Mouvement pour la France (MPF, „Bewegung für Frankreich“) des rechtskatholischen Grafen Philippe de Villiers. Jener versuchte seit den frühen neunziger Jahren eine Scharnierposition zwischen Konservativen und Rechtsextremen einzunehmen. Im Wahlkampf 2021/22 wurde de Villiers einer der Hauptberater des neofaschistischen Präsidentschaftskandidaten Eric Zemmour.

Auch der Parlamentskandidat des rechtsextremen Rassemblement national (RN) vom Frühjahr und Anwalt Pierre Gentillet begrüßte am vorigen Donnerstag, den 03. Oktober bei der Sonntagszeitung JDD die „mutigen Äußerungen“ des Ministers und kommentierte diese mit einem Wortspiel: Heute gebe es keinen Rechtsstaat – Etat de droit – mehr, sondern nur noch einen „Haufen Recht“, tas de droit. Ihrerseits erklärte Sarah Knafo, Europaparlamentarierin der inzwischen zusammengeschrumpften Partei Reconquête (Rückeroberung) von Eric Zemmour und dessen Lebensgefährtin bei dem ihrer Strömung nahe stehenden Privatfernsehsender CNews: „Er (Retailleau) hat uns glücklich gemacht.“ (https://www.lefigaro.fr/politique/propos-de-retailleau-sur-l-etat-de-droit-il-nous-a-rendu-heureux-se-rejouit-sarah-knafo-20241001 externer Link)

Das letzte Schrittchen vollzog dann Marine Le Pen: Um in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, sie selbst sei doch völlig gemäßigt, warf sie dann im Laufe des vorigen Wochenendes ein, die Rechtsstaatlichkeit sei aber doch echt wichtig und müsse respektiert werden. (https://www.20minutes.fr/politique/4113954-20241006-gouvernement-barnier-marine-pen-dit-avoir-profonde-divergence-bruno-retailleau-etat-droit externer Link)

Damit profilierte sie sich am Sonntag bei einer Veranstaltung in Nizza. Zwar sind ihre eigene öffentlichen Positionen in der Sache auf vielen Feldern noch radikaler als die des amtierenden Innenministers. (https://www.francetvinfo.fr/replay-radio/l-edito-politique/edito-les-declarations-de-marine-le-pen-sur-l-etat-de-droit-representent-elles-un-simple-rideau-de-fumee_6796033.html externer Link) Doch der PR-Coup ist gelungen.

Günstige Gelegenheit durch ein jüngstes Verbrechen

Retailleaus Grundpositionen sind mitnichten neu. Eine günstige Gelegenheit, um mit ihnen vorzupreschen, bot ihm in den ersten Tagen nach seiner Ernennung die „Philippine-Affäre“.

Am 21. September d.J. war die Leiche der 19jährigen Studentin Philippine Le Noir de Carlan, die zum Opfer eines Sexualverbrechens geworden war, im Pariser Stadtwald Bois de Boulogne erstickt aufgefunden worden. Drei Tage später wurde ihr mutmaßlicher Mörder, der 22jährige marokkanische Staatsbürger Taha Oualidat, in Genf festgenommen und sitzt dort seitdem in Auslieferungshaft. Schnell wurde bekannt, dass der 2002 in Oujda geborene, 2019 nach Spanien und von dort nach Frankreich gekommene junge Mann bereits mit einer Ausreiseverpflichtung und Abschiebungsdrohung, allgemein unter dem Kürzel OQTF – Obligation de quitter le territoire français – bekannt, belegt worden war. Er war bereits 2021 wegen einer früheren Vergewaltigung zu sieben Jahren Jugendstrafe verurteilt worden. Der französische Staat hatte jüngst einen Versuch unternommen, ihn nach Marokko abzuschieben, und ihn dafür aus dem Gefängnis in eine Abschiebehaftanstalt überstellt.

Doch die dort Eingesperrten darf die Behörde nur maximal neunzig Tage im Abschiebegewahrsam festhalten. Das marokkanische Konsulat sandte zwar ein Passersatzdokument, das für die erzwungene Ausreise erforderlich ist, doch traf dieses – auch infolge vorheriger behördlicher Schlampereien auf französischer Seite – drei Tage zu spät ein. Anfang September hatte eine zuständige Richterin ihn, unter Anwendung geltender Regeln, aus dem Gewahrsam in eine Art Hausarrest überstellt, ihn also freigelassen, ihm eine obligatorische Wohnadresse zugeteilt und ihn unter polizeiliche Meldeauflagen gestellt.

Diese hielt Oualidat nicht ein, worauf eine Haftdrohung steht, doch bevor er wieder festgenommen werden konnte, war er bereits zur Tat geschritten. Oualidat, der ersten Medienberichten zufolge als intelligent und bildungshungrig gilt, soll unter massiven psychischen Problemen leiden: Seine Mutter starb unerwartet und plötzlich während seiner Kindheit, sein Vater fuhr ihn als Sechzehn- oder Siebzehnjährigen nach Spanien und setzte ihn dort buchstäblich auf der Straße aus.

Hilfsorganisationen für Opfer sexueller Gewalt wie auch Solidaritätsgruppen im Ausländerrecht empören sich nun über mangelnde psychiatrische Beobachtung und Behandlung – notfalls auch durch Einweisung in eine Anstalt – von Sexualstraftätern und die Verletzung von Aufsichtspflichten nach der Haftentlassung, obwohl Taha Oualidat als potenziell gefährlich, aber auch suizidgefährdet eingestuft worden war.

Hingegen tobt nun zeitgleich eine heftige Kampagne, die darauf hinausläuft, Abschiebung hätte das Problem gelöst, wäre der 22jährige doch dann nicht mehr in Frankreich gewesen. Nachdem auch der Chef der Französischen kommunistischen Partei (des PCF), Fabien Roussel, eine solche Position tendenziell unterstützt hatte, brach daraufhin ein Proteststurm in Teilen seiner eigenen Partei aus. Deren Lyoner Parteisektion kritisierte diese Haltung unter anderem mit den Worten ihrer Vorsitzenden Aline Guitard: „Das bedeutet, dazu aufrufen, dass Vergewaltigungen und Morde schlicht anderswo passieren sollen.“ (https://actu.fr/auvergne-rhone-alpes/lyon_69123/mort-de-philippine-et-oqtf-fabien-roussel-met-le-feu-au-parti-communiste-lyonnais_61658977.html externer Link)

Die Gelegenheit war jedoch perfekt für rechte Bürgerliche und Rechtsextreme aller Couleur, nunmehr die Herkunft, die Nationalität oder den Aufenthaltsstatus von Sexualtätern als den einzig wahren Kern des Problems hinzustellen. Dieselben vernimmt man seit Wochen viel weniger, um den auch international Aufsehen erregenden, auf vier Monate angesetzten Vergewaltigungsprozess von Avignon zu kommentieren. Zuvor hatte ein französischer Ehemann, Dominique Pélicot, seine Ehefrau Gisèle Pélicot zehn Jahre lang regelmäßig mit so genannten KO-Tropfen betäubt und von im Internet dafür rekrutierten Dritten vergewaltigen lassen. Vor Gericht stehen deswegen nun 51 Männer – Journalist, Klempner, Feuerwahrmann, Polizist, Arbeitsloser. Einige der Angeklagten stellen sich selbst als verführte Opfer des Ehemanns hin, andere reagieren aggressiv – einer von ihnen schlug bei einer Reportage des Privatfernsehsenders BFM TV dessen Kamera live kaputt. Dazu fanden feministische Demonstrationen, aber auch eine maskulinistische Gegenkampagne statt.

Die sich als feministisch ausgebende, bereits in der Vergangenheit mit gezielten Kampagnen allein gegen „ausländische Vergewaltiger“ auffällig gewordene und zu den „Identitären“ zählende Frauengruppe Nemesis startete dazu eine Plakatkampagne und hielt eine Pariser Kundgebung ab, auf der Berichten eines Reporters der Tageszeitung L’Humanité zufolge auch ausgerufen wurde: „Ich hätte gerne, dass man nach Algerien geht, um dort zu vergewaltigen. Das gehört zu deren Brauchtümern/Gebräuchen.“ (https://www.humanite.fr/politique/affaire-philippine/meurtre-de-philippine-jaimerais-bien-quon-aille-en-algerie-violer-ce-que-lon-a-entendu-lors-du-rassemblement-du-collectif-identitaire-nemesis externer Link)

Als im Jahr 2021 Teile der „identitären Bewegung“ in Frankreich mit einer Verbotsverfügung belegt wurden, hatte Retailleau dieses Verbot kritisiert und hinzugefügt, die Regierung könne gegen solche Gruppen etwas tun, indem sie „die Einwanderung beendet“. (https://jungle.world/artikel/2021/11/ein-verbot-mit-tuecken externer Link) Seine Positionen haben sich seit seinem Regierungseintritt nicht verändert.

Mittlerweile hat Bruno Retailleau sich explizit positiv auf das Modell der Ausländerpolitik der italienischen post-, neo- oder sonstwie-faschistischen Premierministerin Giorgia Meloni bezogen. (https://www.lemonde.fr/international/article/2024/10/05/la-france-se-rapproche-de-l-italie-sur-la-question-migratoire_6344028_3210.html externer Link und https://www.lemonde.fr/societe/article/2024/10/09/bruno-retailleau-annonce-deux-circulaires-pour-reduire-l-immigration_6347291_3224.html externer Link) Umgekehrt bezog sich Ungarns völkisch-konservativer Premierminister Viktor Orban lobend auf ihn, den Franzosen. (https://www.euractiv.de/section/innenpolitik/news/orban-ueberrascht-mit-lob-fuer-frankreichs-innenminister/ externer Link) Nun, sag‘ mir, mit wem Du Umgang treibst…

Post scriptum: Am Sonntag, den 13. Oktober d.J. verkündete Regierungssprecherin Maud Bregeon anlässlich eines TV-Interviews, es werde Anfang 2025 einen Entwurf für ein weiteres neues Ausländergesetz geben (Vgl. https://www.europe1.fr/politique/une-nouvelle-loi-immigration-est-necessaire-en-2025-annonce-la-porte-parole-du-gouvernement-4272720 externer Link und https://www.liberation.fr/societe/immigration/une-nouvelle-loi-immigration-est-necessaire-en-2025-annonce-la-porte-parole-du-gouvernement-maud-bregeon-20241013_XZT3VXA5QNCG7DMM2BOMULN4SM/ externer Link) Das war nun wirklich, nun ja, dringend nötig (das bislang letzte datiert vom 26. Januar 2024, Datum des Inkrafttretens), und es wird sich auch nur um das zweiundreißigste innerhalb der letzten vierzig Jahre handeln. Erwartet wird, dass die Bestimmungen, die den Zugang zu Sozialleistungen wie u.a. Kindergeld, aber auch Hausbetreuung für behinderte Personen, unter bei französischen oder EU-Staatsangehörigen nicht geltende Sonderkonditionen für Nicht-EU-Ausländer/innen stellen – je nach Typ der betroffenen Sozialleistungen z.Bsp. unter die Bedingung vorausgegangenen mindestens fünfjährigen legalen Aufenthalt – und im Januar 2024 überwiegend aus Verfahrensgründen vom Verfassungsgericht geknickt bzw. aus dem bis dato letzten Ausländergesetz (Loi Darmanin) gestrichen wurden, nun wieder aufgelegt werden.

Artikel von Bernard Schmid vom 14. Oktober 2024 – Teil 13 und (trauriges) Ende der Artikelreihe

Siehe von Bernard Schmid speziell zum extrem rechten, wenn auch indirekten, Teil der Regierung:

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Teil 12: Frankreichs neue Regierung ist eine rechte Mischung aus all dem, was verhindert werden sollte:
Danke für nichts… oder war dies nun das Ende vom Lied?

Noch einmal sei der Film kurz von vorne aufgerollt, bevor die vorläufige Schlussszene eingeblendet wird. Also noch mal kurz vom Anfang: Die Französinnen und Franzosen stimmten, im Juni und Juli dieses Jahres, weil sie keinen Emmanuel Macron mehr wollten oder jedenfalls nicht länger seine Politik. Dies war vor allem im ersten Wahlgang der diesjährigen Parlamentswahlen (am 30. Juni d.J.) markant. Im zweiten Durchgang am 07.07.d.J. stimmten die Französinnen und Franzosen mehrheitlich, um den rechtsextremen Rassemblement national – RN, „Nationale Sammlung“ – am Durchmarsch zum Regieren zu hindern. Dabei nahmen es linke Wähler/innen auch in kauf, Wirtschaftsliberale zu wählen, um Rechtsextreme zu verhindern; zum Teil auch umgekehrt, wenngleich in geringerem Maße.

Im Endergebnis wurde das Bündnis der Linksparteien zur stärksten parlamentarischen Kraft, wenn auch nur mit einer relativen Mehrheit von 32 % der Sitze; die Liberalen wurden zur zweitstärksten Kraft, die Rechtsextremen unerwartet und dank eines spontanen antifaschistischen Reflexes nur zur drittstärksten. Noch dahinter schnitten die Konservativen ab, mit 5,7 Prozent für ihre zentrale Partei (Les Républicains, LR) und ein paar Zerquetschten für ihre Verbündeten von kleineren bürgerlichen Parteien, insgesamt rund sieben Prozent.

Und was gibt es nun zum Dank? Genau, erraten: eine Mischung aus all dem, was verhindert werden sollte. Ein Drittel Konservative mit betont reaktionärer Ausrichtung, eine Hälfte Wirtschaftsliberale und einen tüchtigen Schuss Rechtsextreme – Letztere regieren zwar nicht mit, von ihrer Tolerierung dürfte aber das kürzerfristige Überleben dieser Regierung abhängen. Links durfte bekanntlich nicht zum Zuge kommen.

Also, und nun die Schlussszene in der Zusammenfassung: Am Samstag Abend, den 21. September, sozusagen pünktlich zum Herbstanfang, stellte der bereits am 05. September durch Staatspräsident Macron ernannte  Michel Barnier (vgl. Teil 10) seine seit Tagen mit Macron ausgehandelte Kabinettsliste vor. Am heutigen Montag Vormittag und um die Mittagszeit fand die Amtseinführung der neuen Minister/innen, bzw. die Übergabe durch ihre Amtsvorgänger/innen statt, die live bei manchen TV-Sendern übertragen wurde.

Von neunzehn Vollminister/inne/n dieser neuen Regierung – über die Zahl von Vollhorsten und Vollpfosten schweigen wir uns vorläufig aus –, zu denen dann noch neunzehn Staatssekretär/inne/en hinzuzählen sind, gehören sieben der wirtschaftsliberalen Macron-Partei Renaissance an und drei der konservativen Hauptpartei Les Républicains (LR), abzüglich jenes Flügels von Eric Ciotti, welcher sich seit dem 10. Juni d.J. explizit dem rechtsextremen RN angeschlossen hat. Letzterer muss aber nun tolerieren, nämlich die Regierung, damit es für diese gut geht.

Sieben Regierungsmitglieder sind ferner Übrigbleibende aus der Vorgängerregierung unter Emmanuel Macron, jener von Gabriel Attal (Januar bis September 2024), welch selbiger allerdings wegen der Parlaments- und damit auch Regierungs-Auflösung der letzten Monate über Macron erzürnt ist, auf den Fraktionsvorsitz wechselte und auf Revanche schwört.

So viel zum Thema politische Erneuerung.

Das „einzige politische Schwergewicht“ laut den Worten des TV-Journalisten und Polit-Analysten Bruno Jeudy ist dabei allerdings der vom rechten Flügel der Konservativen kommende künftige Innenminister (und bisherige Vorsitzende der Senatsfraktion von LR), Bruno Retailleau. Er wird das politische Profil der Regierung in den, für Teile der seit Jahr und Tag zu diesen Themen aufgeheizten und -hetzten öffentlichen Meinung wichtigen, Fragen der „Inneren Sicherheit“ sowie der Einwanderung maßgeblich prägen. Bei seiner Amtseinführung am Montag früh betonte er, er stehe „für eine Rückkehr zur Ordnung: Ordnung auf den Straßen, und Ordnung an den Grenzen.“ Leicht komisch nur, dass diese Worte irgenwie einen Klang wie Bellen hatten.

Jawoll, mein Bruno

Bruno Retailleau kommt ursprünglich nicht einmal aus der UMP – der unmittelbaren Vorläuferpartei (zwischen 2002 und 2015) der jetzigen konservativen Hauptpartei Les Républicains, LR – sondern aus einer rechten Splitterpartei unter dem Namen Mouvement pour la France (MPF). Es handelte sich um die Kleinpartei des rechtskatholischen Vicomte (Grafen) Philippe de Villiers, der sich in den frühen Neunziger Jahren von der rechtsliberalen Sammelpartei UDF abspaltete und erstmals bei der Präsidentschaftswahl vom April 1995 mit 4,74 Prozent der abgegeben Stimmen einen Achtungserfolg erzielte.

Der MPF versuchte eine Scharnierfunktion zwischen der konservativen und der extremen Rechten, bei jener Wahl 1995 respektiert verkörpert zwischen Jacques Chirac und Jean-Marie Le Pen, einzunehmen. In seinen Reihen war unter anderem der damalige Bürgermeister der Pariser Vorstadt Montfermeil, Pierre Bernard (Jahrgang 1934, lebt noch), aktiv; auf ihn wurde die breitere Öffentlichkeit aufmerksam, als er am 25. Juli 1996 persönlich an der Beerdigung des Anführerers der Miliz unter dem Vichy-Regime (1940 bis 44), Paul Touvier, teilnahm. Touvier starb, nach einer Verurteilung wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, in Haft. Dass auch der Parteigründer selbst mit mindestens einem Bein bereits der extremen Rechten angehörte, bestätigte sich später auf die unzweideutigste Weise, denn Philippe de Villiers gehörte 2022 dem Wahlkampfstab des explizit rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Eric Zemmour an.

Qualmt der Bruno aus den Ohren, fing er in der Hölle an zu schmoren

Zu Retailleau, 63 Jahre ist er alt, noch ein paar Schlaglichter:

  • Von ihm stammt der Ausspruch während der urbanen Revolten oder Riots im Juli 2023 infolge des Todes des 17jährigen Nahel Merzouk in der Pariser Vorstadt Nanterre: „Wir haben es mit Franzosen dem Papier nach zu tun. Aber leider sehen wir, dass Angehörige der zweiten, dritten Generation zu ihren ethnischen Ursprüngen zurücksinken (wörtlich: régresser, deutsch auch: regredieren).“ Dies konnte nur dann Sinn machen, wenn man davon ausgeht, ihre Vorfahren seien von Natur aus gewalttätige Wilde gewesen, zu denen die Reise nun zurückginge.
  • Retailleau stimmte bei der auch international vielbeachteten Abstimmung vom 08. März 2024 (vgl. https://jungle.world/artikel/2024/11/recht-auf-abtreibung-frankreich-verfassungsrang-ein-sieg-der-frauenrechte externer Link ) als einer von fünfzig Konservativen gegen die Aufnahme des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch in die französische Verfassung. Jedoch stimmte er auch in der Vergangenheit u.a. gegen das gesetzliche Verbot und die Abschaffung von so genannten „Konversionstherapien“, d.h. so genannten Therapien, bei denen Angehörige oder von ihnen Beauftragte versuchen, jungen Homosexuellen ihre Homosexualität auszutreiben, was oft einer Form psychischer (in anderen Ländern allerdings mitunter auch physischer) Folter gleichkommen kann..

Retailleau hat bereits angekündigt, die insgesamt 33 Artikel aus dem verschärften Ausländergesetz vom 26. Januar dieses Jahres, die vom Verfassungsgericht kassiert wurden – allerdings zum Gutteil aus verfahrensrechtlichen Gründen bei ihrer Verabschiedung – nun, ohne Verfahrensfehler, in einen neuen Gesetzentwurf zu packen. Allerdings spielte sein Chef, Premierminister Michel Barnier, bei seinem ersten Interview am gestrigen Sonntag Abend im öffentlich-rechtlichen TV zwar auch auf die „Ausländerpolitik“ (sowie auf die neu eingeführten deutschen Grenzkontrollen) an, jedoch nicht auf einen etwaigen neuen Gesetzestext.

Fortsetzung folgt garantiert….

Artikel von Bernard Schmid vom 23.9.2024

  • Neue Regierung : ein falsches Signal, das keine Antwort gibt auf soziale und ökologische Notlagen
    „… Für die Union syndicale Solidaires sind die Rücknahme der Rentenreform, Lohnerhöhungen, Steuergerechtigkeit, Investitionen in öffentliche Dienstleistungen und der ökologische Übergang dringend erforderlich. Es sind diese Forderungen, die wir tragen werden. Angesichts dieser Provokation und dieser Verweigerung der Demokratie gibt es nur eine mögliche Antwort. Der Gewerkschaftsbund Solidaires ruft zum Streik und zur Demonstration am 1. Oktober auf. Es ist dringend notwendig, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mobilisiert werden, um die Rentenreform rückgängig zu machen, öffentliche Dienstleistungen wieder aufzubauen, die den sozialen Bedürfnissen entsprechen, und für echte Lohnerhöhungen.“ franz. Stellungnahme von Solidaires vom 21 septembre 2024 externer Link und:
  • Wir sehen uns a. #1erOctobre überall in Frankreich!
    Ab jetzt Streiks & breite Mobilisierung für eine starke soziale Bewegung um alles zu ändern! Aufhebung der Rentenreform, Erhöhung der Löhne & Gehälter, Ausbau der Öffentliche Dienste & Daseinsvorsorge für alle!..“ Aufruf der Union Solidaires externer Link

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Teil 11: Frankreich: Erste Proteste gegen Macrons neuen Oberheinz am Samstag, 7. September in rund 150 Städten – Streik im Schulwesen am 10. September

"Freund der Mächtigen, Feind der Migranten - Barnier, Charlatan" - Plakat bei der Demo am 7.9.2024 in Paris (Foto: Bernard Schmid)

„Freund der Mächtigen, Feind der Migranten – Barnier, Charlatan“ – Plakat bei der Demo am 7.9.2024 in Paris (Foto: Bernard Schmid)

Rund fünfzigtausend Menschen demonstrierten am Samstag in Paris, wohl um die 200.000 in ganz Frankreich protestierten gegen die Regierungsbildung unter bzw. durch Staatspräsident Emmanuel Macron. Nächste Termine für gesellschaftliche Protestbewegungen werden der Streik im Schulwesen am morgigen 10. September und die gewerkschaftlich unterstützten Demonstrationen am „Aktionstag“ vom 1. Oktober zur Rentenpolitik werden

Am frühen Nachmittag sah es anfänglich nach geringer Beteiligung aus. Doch hauptsächlich wohl auch deswegen, weil Linke ganz gerne mal unpünktlich sind (…oder?). Gegen 15 Uhr jedenfalls sah es am zurückliegenden Samstag, den 07. September in der französischen Hauptstadt bereits ein wenig besser aus. Letztendlich war es dann doch ein relativ stattlicher Demonstrationszug, welcher sich auf den Weg von der place de la Bastille in Richtung place de la Nation machte, über die langgezogene rue du Faubourg Saint-Antoine.

Aber, also, erst einmal der Reihenfolge nach. Zuerst hatte Staatspräsident Emmanuel Macron am vorigen Donnerstag, den 05. September dem konservativen Spitzenpolitiker Michel Barnier zugerufen: „Willst Du mir den Oberhorst machen?“ Jener rief zurück: „Ja, in Ordnung, ich will Dir gerne eine Regierung bilden.“ Dem Vernehmen nach darf er dies allerdings auch wieder nicht allein, jedenfalls wird Staatschef Macron bei der Auswahl der Minister/innen ein Wörtchen mitzureden, jedenfalls ein Vetorecht einzulegen haben. Auch wenn in der Verfassung der Fünften Republik eigentlich steht, dass der Präsident das Staatsoberhaupt ist, doch der Premierminister die Richtlinien der Politik bestimmt (Artikel 20, 21) und „einen Teil seiner Vollmachten an die Minister delegieren kann“, laut Artikel 21 Absatz 2. Längst wurde die Veranstaltung in der Praxis zu einer Art Wahlmonarchie umgebaut, was nicht unter Emmanuel Macron – im Amt seit Mai 2017 – anfing, sich unter ihm jedoch noch beträchtlich verschärft hat.

Andere waren daraufhin wiederum zum Protest aufgerufen. Zunächst noch  riefen die Veranstalter/innen gegen die damals ausbleibende Ernennung einer Regierung durch Republikmonarch Emmanuel Macron auf, dann, bei Eintreffen des Termins, jedoch gegen die erfolgte Ernennung eines wirtschaftsliberal-konservativen Premiers in Gestalt von Michel Barnier.

Dessen Partei, Les Républicains, erhielt bei den zurückliegenden Parlamentswahlen stolze rund 7 Prozent der Stimmen, darf nun jedoch den Premierminister stellen. Hauptsache, eine drohende Linksregierung wurde verhindert. Letztere hätte sich – als stärkste parlamentarische Kraft, die jedoch auf vier Parteien verteilt ist – auf rund 32 Prozent der Parlamentssitze stützen können und wäre damit minoritär geblieben, hätte jedoch danach gestrebt, sich auf soziale Mehrheiten zu stützen, notfalls gegen formale politische Mehrheiten, weil die abhängig Beschäftigten in der Wähler/innen/schaft auch anderer Parteien ebenfalls für eine Erhöhung des Mindestlohns und gegen die Anhebung des Rentenmindesteintrittsalters eintreten; dies hätte die übrigen Parteien entsprechend unter Druck gesetzt. Aus diesem Grunde auch vermied Macron es wie der Teufel das Weihwasser, die Kandidatin des Linksbündnisses NFP (Nouveau front populaire, für „Neue Front der kleinen Leute“ oder „Neue Front derer da unten“; nein „Volks“front ist gebräuchlich aber unkorrekt übersetzt), auf die die vier Parteien sich im Juli d.J. mehr oder minder mühsam einigen konnten, Lucie Castets, ins Amt der Premierministerin einzusetzen.

Realistisch abgeschätzt, waren an diesem Samstag Nachmittag in Paris um die 50.000 Menschen zum Protest unterwegs, mit Spielraum vielleicht bis 60.000. Von Veranstalter/innen/seite sprachen die Oberschüler/innen/gewerkschaft USL (Union syndicale lycéenne), welche zuerst zum Protest aufrief – andere Organisationen und Verbände folgten – sowie die dann ebenfalls unterstützende linke Wahlplattform LFI (La France insoumise, „Das unbeugesame Frankreich“) ihrerseits von „160.000“. Nun ist es mit Veranstalterangaben, die doch meist propagandistischer Natur sind, so eine Sache.. Die ausgewählte Demo-Route hätte es jedenfalls eine nicht erlaubt, eine solche Zahl von Menschen gleichzeitig zu fassen, ohne dass ein Teil der Menge auf andere Plätze hin hätte ausweichen, oder mit dem Loslaufen bis zur Auflösung eines anderes Teils abwarten müssen. Die Polizeipräfektur von Paris ihrerseits sprach von „26.000“. Auch mit behördlichen Zahlen ist es bei Demonstrationen so eine Sache…  Erfahrungsgemäß liegt die Wahrheit, gewiss nicht bei den Inhalten, wohl aber bei quantitativen Messungen oft irgendwo in der Mitte. Realistisch sind in diesem Falle 50.000, mit Tendenz nach oben hin offen bis vielleicht 60.000, auf der Grundlage der Paramater: Länge des Vorbeiziehens (knapp zwei Stunden an der Métro-Station von Faidherbe-Chaligny), Straßenbreite, Dichte und Geschwindigkeit.

Frankreichreichweit wurde insgesamt in rund weiteren 150 Städten demonstriert, am zahlenmäßig stärksten wohl in Nantes (8.000 Menschen laut Veranstalter/inne/n), Marseille..

Laut Innenministerium kamen dabei insgesamt „110.000“ Menschen zusammen, laut Veranstaltern ihrer „300.000“, was auf eine reale Größenordnung in der Nähe von zwohunderttausend hindeutet.

Dies ist für einen Auftakt zum „Jahresbeginn“ – in französischer Zeitrechnung beginnt nach der tiefen Ruhepause des politischen Lebens im August das Jahr mit der Rentrée (Rückkehr) von Anfang September quasi noch einmal neu – nicht wirklich schlecht. Zumal an einem 07. September vielerorts noch keine Mitgliederversammlungen der Gewerkschaften stattgefunden hatten oder nur die allerersten, ohne dass man schon zum Auspacken und Verteilen der Flugblätter an die Leute gekommen wäre. Um einer Regierung politisch oder sozial gefährlich zu werden, reicht es selbstverständlich bis dahin nicht aus.

Positiv zu vermerken ist, dass die Protestzüge jedenfalls in Paris eher überdurchschnittlich jung wirkten; dies ist kein Aufruf zur Altersdiskriminierung, wohl aber ein Hinweis darauf, dass es nicht nur um langjährige „übliche Verdächtige“ handelt, sondern auch viele Unorganisierte darunter waren. Auch wurde vielfach eine gewisse persönliche Fantasie beim An- und Ausmalen von Protestslogans an den Tag gelegt, was die Demo von manchem müden, von reinem Pessimismus getragenen Protest an manch anderem Ort positiv unterschied. Nun lässt sich manche Parole nur unzureichend, oder gar nicht ins Deutsche übersetzen. Es sei den Leser/inne/n jedoch versichert, dass es zahlreiche Wortspiele und ironische Anspielungen gab; nur ein paar davon seien zitiert, was durch die Übersetzung mühsamer wirkt, als es ist:

  • E-barnier nous ça (von Barnier = épargnez-nous, „erspart uns das“)
  • Bar-nier la démocratie (Barnier und nier la démocratie: „Die Demokratie leugnen“, oder verleugnen)

Undsoweiter undsofort. Zahllose Slogans spielten auch auf die faktische parlamentarische Tolerierung der jetzig in Bälde wohl feststehenden Regierung durch den rechtsextremen Rassemblement national (RN, „Nationale Sammlung“ an). Dessen Chefinnen und Chefs, allen voran Marine Le Pen und Jordan Bardella, verschärften unterdessen im Laufe des Wochenendes ihren Tonfall und sprachen von einem Premierminister „unter demokratischer Überwachung“ ihrer Partei.

Na ja, immerhin, so lange sie noch schön artig das Adjektiv „demokratisch“ einfügen… (Vgl. pars pro toto zum Demonstrations-Samstag: https://www.francetvinfo.fr/politique/les-manifestations-contre-michel-barnier-et-emmanuel-macron-ont-rassemble-110-000-personnes-en-france-selon-le-ministere-de-l-interieur-300-000-selon-la-france-insoumise_6768823.html externer Link)

Viel wird nun davon abhängen, wie es genau weiter geht mit der Auswahl der Regierungsbildung, der Vorstellung ihres Programms – vor der Nationalversammlung, die ab dem 1. Oktober wieder tagen wird – und den genaueren sozialen Inhalt.

Am morgigen 10. September kommt es unterdessen zum Streik an vielen Schulen für mehr Mittelausstattung, gegen Klassenschließungen usw.: http://www.communcommune.com/2024/09/mardi-10-septembre-greve-pour-des-moyens-pour-l-ecole-publique.html externer Link

Wie wir bereits berichteten, werden viele französische Gewerkschaften, jedoch ohne die CFDT, am kommenden 1. Oktober gegen die Aufrechterhaltung der Renten“reform“ protestieren.

Näheres folgt…

Artikel von Bernard Schmid vom 9. September 2024 – wir danken!

  • Die größte Auswahl an Fotos und Videos landesweit gibt es bei Marcel auf Twitter externer Link und unter #MarcheDestitution, #MacronDestitution oder #BarnierDemission

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Teil 10: Der [willige] Willi des Jahres. Emmanuel Marcon findet seinen Premierminister – jenseits von Links

Die gute Nachricht ist die schlechte zugleich. Das sich allmählich elend hinausziehende Warten auf einen neuen Premierminister, es hätte auch eine Premierministerin werden können – dem Linksbündnis Nouveau front populaire, als stärkster parlamentarischer Kraft, zufolge auch sollen – hat ein Ende gefunden. Nun die schlechte Nachticht, die in derselben steckt. Der neue Premierminister heißt Michel Barnier.

Er ist nicht wirklich das Gesicht der Jugendrevolte. Am gestrigen Donnerstag Abend übergab der bislang jüngste Premierminister im Amt, Gabriel Attal, er war bei Antritt des Amts im Januar d.J. 34 und bei dessen Rückgabe 35, an den bis dato ältesten Premierminister ab. Der Mann ist 73. Das Alter ist dabei aber nicht das Problem, sondern nur ein Symbol. Der Barnier vorauseilende Ryf der Humorlosigkeit ebenfalls.

Wichtiger, entscheidender jedoch ist: Macron wirft die bis in vergangenen Tagen noch verfolgte Strategie, eine Mehrheit aus dem rechteren Teil der (früheren Regierungs-)Sozialdemokratie in Gestalt des Parti socialiste, PS, und eher moderaten Konservativen zu basteln, auf. Mit ihr waren bis zu Wochenanfang die Namen von Bernard Cazeneuve (ehemals PS), früherer Premierminister im Zeitraum 2016/17, und Xavier Bertrand – bürgerlicher Regionalpräsident in Nordfrankreich – verbunden.

Stattdessen setzte Macron zuletzt darauf, den Mechanismus zur Mehrheitsfindung zu aktivieren, welcher am 19. Dezember 2023 zur Verabschiedung der jüngsten Ausländerrechts-Novelle führte. Es wurde gemeinsam durch wirtschaftsliberale Macron-Anhänger/innen, Konservative und Neifaschisten vom Rassemblement national (RN) mit ihren gebündelten Stimmen angenommen. Dieses verschärfte AusländerGesetz trat am 26. Januar d J., nach teilweiser Zensur durch das Verfassungsgericht (C.C.), in Kraft. Das Linksbündnis NFP hatte i.Ü. eine Rücknahme der Novelle im Wahlprogramm stehen.

Michel Barnier wiederum gilt, wie die sozialdemokratische Tageszeitung ‚Libération‘ in den letzten Stunden titelt, als „Hardliner in Sachen Immigration“. Als Anwärter, 2021/22, für die Präsidentschaftskandidatur der konservativen damaligen Oppositionspartei Les Républicains, er schnitt damals innerparteilich als Dritter hibter Valérie Pécresse und Éric Ciotti ab, hatte er sich in dieser Hinsicht eher weit aus dem Fenster gelehnt. Er forderte u.a. in Sachen „Ausländerpolitik“ einen grundsätzlichen Vorrang nationalen Rechts vor supranationalen Normen, wie EU-Recht. Und dies, obwohl er selbst EU-Kommissar war und auf Seiten der Union mit der britischen Regierung über die Ausgestaltung des Brexit hart verhandelte. Das liberale Wochenmagazin ‚L’Express‘ erinnerte in diesem Zusammenhang in den letzten Stunden, unter Bezugnahme auf Barniers Sprüche im innerparteilichen Wahlkampf bei LR,  an „das Abdriften eines früheren EU-Kommissars“, wie die EU-freundliche Zeitschrift es nennt.

Michel Barnier stimmte 1981 als Parlamentarier gegen die Abschaffung der letzten Strafrechtsnormen, die Homosexualität unter bestimmten Umständen gesetzlich unter Strafe stellten. Und 1999 gegen die Einführung der eingetragenen Lebensgemeinschaft PACS. Er zählte also in dieser Hinsicht zum rechten Flügel der Konservativen.

Barnier verfügt über keine Sitzemehrheit, denn die Abgeordnetenstimmen von Macron-Anhängern und Konservativen reichen für eine absolute Mehrheit nicht aus. Doch der rechtsextreme RN kündigte an, er werde Barnier nicht durch ein Misstrauensvotum zu Fall bringen, wie er es gegen andere Politiker (u.a. Cazeneuve aber vor allem auch Xavier Bertrand, weil jener sich in der Vergangenheit geringschätzig, despektierlich über die Partei äußerte) androhte. Zuvor hatte Marine Le Pen, um die Mitwirkungsmöglichkeiten und Zünglein-an-der-Rolle ihrer Partei zu unterstreichen, selbst im Laufe der Woche „akzetable“ konservative Kandidaten ins Gespräch gebracht. Insbesondere David Lisnard, den Bürgermeister von Cannes, u.a. wegen markiger Sprüche gegen tatsächlichen o. vermeintlichen Islamismus.

Ihr Parteifreund und Abgeordneter Jean-Philipppe Tanguy qualizierte hingegen Barnier am Mittwoch freundlich als „Fossil“. Am darauffolgenden Tag interessierte das Geschwätz von gestern dann nicht länger. Der RN-Abgeotdnete Philippe Schreck, heißt so, kündigte am Donnerstag Abend beim Sender ‚France 24‘ an, eine Spar-/Austeritätspolitik – die Barnier einschlagen könnte, müsse ja nicht notwendig schlecht sein. Es komme nur sehr darauf an, wo (d.h. bei wem) eingespart wird.

Die Linkskräfte sind samt und sonders erzürnt, wobei die innerparteiliche Rechtsopposition beim PS dem Rest vorwirft, nicht genügend seriös aufgetreten zu sein, um Cazeneuve bei Macron durchzubringen.

Fortsetzung folgt alsbald.. nach den angekündigten Protesten vom Wochenende!

Artikel von Bernard Schmid vom 6. September 2024 – wir danken!

Siehe zur Mobilisierung für morgigen Samstag bzw. 1.10.:

  • Samstag, 14 Uhr in Bastille.  Großer Marsch für die Demokratie, gegen Macrons Putsch. Überall in Frankreich: Versammlungen vor Präfekturen.“ franz. Aufruf der Union Syndicale Lycéenne (USL) auf Twitter externer Link und  ebd.: „Die USL ruft die Jugend zu einer breiten demokratischen Mobilisierung gegen den Putsch von Emmanuel Macron auf, der sich weigert, den Sieg von #NFP anzuerkennen.“ – dies nur als Beispiel, siehe
  • Michel Barnier in Matignon: Erzwingen wir den Wandel durch Kampf!
    Emmanuel Macron hat soeben die Ernennung von Michel Barnier zum Premierminister bekannt gegeben. Der Präsident der Republik versucht, den liberalen Kurs der vorherigen Regierungen um jeden Preis fortzusetzen, ohne die massive Ablehnung seiner Politik sowohl bei den letzten Parlamentswahlen, die er selbst herbeigeführt hat, als auch bei der historischen sozialen Bewegung gegen die Rentenreform zu berücksichtigen. Diese Ernennung ist keine Antwort auf die sozialen und ökologischen Notlagen. Da die gleichen Ursachen die gleichen Wirkungen hervorrufen, würde die Fortsetzung dieser Politik die Unsicherheit, die Spaltungen, die Ungleichheiten und die soziale Verzweiflung verschärfen. Sie würde die extreme Rechte weiter stärken.
    Für die Union syndicale Solidaires bestätigt dies die Notwendigkeit, ein Kräfteverhältnis aufzubauen, um Maßnahmen für soziale und ökologische Gerechtigkeit durchzusetzen: Aufhebung der Rentenreform, den Mindestlohn (SMIC) erhöhen, die Löhne erhöhen und an die Preise binden, öffentliche Dienstleistungen im ganzen Land ausbauen. Die Union syndicale Solidaires ruft dazu auf, sich an den Arbeitsplätzen zu versammeln, um die Mobilisierung zu organisieren. Solidaires ruft zum berufsübergreifenden Streik am 1. Oktober auf.“ franz. Aufruf von Solidaires vom 5.9.2024 externer Link
  • CGT mobilisiert ebenfalls für den 1.10. externer Link

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Teil 9: 47 Tage ohne Regierung in Frankreich, 47 Tage Blockade durch Macron
– die linke Wahlsiegerin und Gewerkschaften uneinig über Verfahren oder Protesttermin

Frankreich blieb bis heute 47 Tage ohne Regierung: Emmanuel Macron blockiert bislang die Ernennung einer/s Premierministerin/s und ist vor allem darum bestrebt, eine Anwendung des Programms des Linksbündnisses tunlichst zu verhindern. Insbesondere Steuererhöhungen stören ihn, während Gesundheitsnotstand herrscht… Diskussionen auf der Linken, in der radikalen Linken und bei Gewerkschaften.

Der Herr schuf die Welt in sieben Tagen, und am Abend des siebten Tages sah er, dass es gut war. Ungefähr so lautet der biblische Schöpfungsmythos über die Entstehung der Erde und des Lebens auf ihr. Daran darf man nun persönlich glauben oder auch nicht – selbst wenn nebenbei wissenschaftlich ganz gut belegt ist, dass es mit dem Auftauchen des Menschen seit der Entstehung der ersten Lebewesen auf dem Planeten doch ein bisschen länger ging (zwischen drei und vier Milliarden Jahren; https://www.sueddeutsche.de/wissen/evolution-hinweise-auf-frueheste-lebensformen-der-erde-entdeckt-1.3400523 externer Link) als sieben Tage. Wobei die Strömung des so genannten Kreationismus etwa in den USA und der Türkei Lehrkräfte an Schulen dazu verpflichten will, die Sieben-Tage-Lehre zu verbreiten, weil es halt so in der Bibel und im Koran stehe. Kurz und gut.

Auch wenn er sich derzeit gerne ein wenig wie ein Gottkönig aufführt, schuf Emmanuel Macron – der Staatspräsident im Elysée-Palast, den die Verfassung der französischen Fünften Republik mit reichlich Machtvollmachten ausstattete – in sieben Tagen rein gar nichts. Jedenfalls keine neue Regierung, auch wenn dieser Schritt tatsächlich in breiten Kreisen von ihm erwartet wurde, denn die letzte trat bereits vor anderthalb Monaten offiziell zurück. Der Präsi sprach, es werde Licht; doch fand er den Schalter nicht…?

47 Tage ist es am heutigen Sonntag, den 1. September her, dass Frankreich ohne offiziell amtierende Regierung auskommen muss. Sieben Tage (genauer neun Tage, von denen man jedoch einen zweitägigen Staatsbesuch im Ausland abziehen kann) ist es her, dass Staatspräsident Macron einen Zyklus von „Konsultationen“ mit den Parteiführungen der unterschiedlichen, im Parlament vertretenen politischen Kräfte startete.

Vordergründig mochte Macron zunächst erst einmal die Olympischen Spiele abwarten: die diesjährigen Sommerspiele fanden (https://www.labournet.de/internationales/frankreich/gewerkschaften-frankreich/bilanz-der-olympiade-in-frankreich-unter-besonderer-beruecksichtigung-von-arbeitsrecht-gewerkschaften-oekologischer-kritik-und-reaktionaer-faschistischer-kampagne/) vom 26. Juli bis 11. August in Frankreich statt.

Am Freitag voriger Woche, den 23. August eröffnete Macron dann den Reigen von „Konsultationen“ mit den Spitzen des Linksbündnisses Nouveau Front populaire NFP eröffnete – d.h. denen der „Neue Front der kleinen Leute“, die Namensgebung der im Juni d.J. vor den Parlamentswahlen gebildeten Allianz erfolgte unter Anlehnung an die historische, antifaschistische Linkskoalition von 1936. Am selben Tag, also dem 23. August d.J., empfing er am Nachmittag auch Vertreter der ebenfalls heterogenen Unterstützerkoalition des eigenen Präsidentenlagers wie Gabriel Attal, Edouard Philippe und François Bayrou, die liberal-konservativen, Parteien unterschiedlicher Schattierungen angehören: Renaissance, Horizons und MoDem. Am Montag dieser Woche, den 26. August fuhr er mit einem Empfang für Marine Le Pen und Jordan Bardella vom rechtsextremen Rassemblement national (RN) fort. Am Vormittag hatten auch die Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern, Nationalversammlung und Senat, bei ihm vorgesprochen.

Doch am Abend erklärte er, keinen hinreichend tragfähigen Konsens gefunden zu haben, und startete einfach eine neue Runde von Konsultationen. Damit konnte es im Laufe dieser Woche auch nichts mehr mit der Ernennung einer neuen Regierung werden; denn nicht nur, dass Emmanuel Macron am Mittwoch die bis zum 08. September die Jeux paralympiques (die Olympischen Spiele für Menschen mit Behinderungen oder körperlichen Einschränkungen) eröffnete, die aufgrund des generellen Erfolgs der Olympiade nun ebenfalls auf die Aufmerksamkeit des Publikums hoffen dürfen. Daraufhin ging Macron am Donnerstag und Freitag auch noch auf einen seit längerem geplanten Staatsbesuch in Serbien, zu dessen Abschluss, wie es sich für einen zünftigen Präsidentenbesuch gehört, auch der Verkauf von französischen Kampfflugzeugen (https://www.lexpress.fr/monde/europe/la-serbie-achete-12-avions-de-combat-rafale-macron-salue-un-changement-strategique-XOMZJ4XBRBCC5MS47KRLEUATEQ/ externer Link), dieses Mal zwölf an der Zahl (nein, nicht wegen der Apostel), besiegelt wurde. Konkret wurden Kampfflugzeuge vom Typ Rafale verhökert. Also war es vorläufig erst einmal Essig mit der Regierungsbildung.

Gewaltenteilung? Haha

Dabei ging es unmittelbar zunächst um die seit Wochen auf Eis gelegte Frage der Ernennung eines neuen Premierministers oder einer neuen Premierministerin. Diese hatte Macron schon seit dem Ausgang der Parlamentswahlen vom 30. Juni zum 07. Juli immer wieder hinausgeschoben, und dabei die vorherige Regierung im Amt behalten. Das seit Januar dieses Jahres amtierende Kabinett des jungen Premierministers Gabriel Attal hatte infolge der, durch das Präsidentenlager in Gestalt des Mehrparteienbündnisses Ensemble verlorenen Parlamentswahl (vom 30.06. und 07.07.24) am 16. Juli dieses Jahres offiziell seinen Rücktritt eingereicht. Seitdem amtiert es nur noch kommissarisch, aber dies seit schon Wochen, was auch zu der kuriosen Situation führte, dass – geschäftsführend amtierende – Regierungsmitglieder auf den Parlamentsbänken als Abgeordnete mitstimmten, als etwa zwischen dem 18. und dem 20. Juli in der Nationalversammlung über die Besetzung der Posten der Parlamentspräsidentin und der Vizepräsidenten abgestimmt wurde. In Frankreich ist es, anders als in Deutschland, Regierungsmitgliedern im Namen der Gewaltenteilung verfassungsrechtlich verboten, Abgeordnetenmandate wahrzunehmen. Doch die Macron-Anhängerin Yaël Braun-Pivet wurde dabei als alt-neue Parlamentspräsidentin (https://www.marianne.net/politique/presidence-de-l-assemblee-yael-braun-pivet-s-impose-face-a-andre-chassaigne externer Link) wiedergewählt, wobei ihre Mehrheit mit 13 Stimmen Vorsprung so knapp ausfiel, dass sie ohne die mit abstimmenden 17 Kabinettsmitglieder gegen den NFP-Bewerber Alain Chassaigne unterlegen wäre. Die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive lässt Grüße bestellen. (Die Fraktionsvorsitzende der linkssozialdemokratischen und linkspopulistischen Wahlplattform LFI, Mathilde Panot, hat diesbezüglich eine Verfassungsbeschwere angekündigt.)

Vor allem schafft die am heutigen Sonntag seit 47 Tagen im Amt bleibende Rücktritts-Regierung – diese Dauer ist ein absoluter historischer Rekord in den Annalen der Fünften Republik und darüber hinaus (vgl. https://www.ouest-france.fr/politique/gouvernement/provisoire-depuis-38-jours-le-gouvernement-attal-bat-un-record-datant-de-la-ive-republique-17a50b38-5ef6-11ef-bec7-8be7cc76b107 externer Link) – unterdessen Fakten. Attal legte etwa in der vorletzten Augustwoche einen Haushaltsentwurf für den, bis 1. Oktober dieses Jahres zu verabschiedenden Staatshaushalt vor, welcher ein konstantes Ausgabenniveau (https://www.lefigaro.fr/conjoncture/budget-gabriel-attal-propose-la-reconduction-des-credits-de-l-etat-a-l-identique-en-2025-20240820 externer Link) gegenüber 2023 vorsieht, also die Ausgaben einfriert, aber auch keine Steuererhöhungen vornimmt. Berücksichtigt man die Inflationsrate, bedeutet diese jedoch eine Senkung der Ausgaben in vielen Bereichen. Inzwischen stellte sich allerdings heraus, dass Attals Entwurf in Wirklichkeit im Bereich des Arbeitsministeriums sogar Streichungen in Höhe von drei Milliarden Euro (https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/08/29/gabriel-attal-veut-raboter-le-budget-du-travail-de-3-milliards-d-euros_6298188_823448.html externer Link) vorsieht. Danach werden auch im Umweltbereich, im Umweltministerium massive Kürzungen geplant. (https://www.latribune.fr/economie/france/travail-ecologie-matignon-propose-des-coupes-drastiques-1005081.html externer Link)

Gesundheitsnotstand

Dieser Kurs trifft vor allem den Gesundheitssektor hart, in welchem es ohnehin akute Probleme gibt. In den letzten Tagen rief es etwa in breiten Kreisen Empörung hervor, dass in der Notaufnahme des Krankenhauses von Nantes offenkundig vier Menschen verstarben, weil sie zu spät in Behandlung kamen, wegen personeller Unterbesetzung. Gleichzeitig wurde bekannt, dass Personalmitglieder im Krankenhaus von Brest eine „Mauer der Schande“ (https://www.francetvinfo.fr/sante/hopital/crise/crise-de-l-hopital-le-mur-de-la-honte-du-chu-de-brest-agrandi-avec-les-noms-des-personnes-agees-qui-ont-attendu-plus-de-12-heures-aux-urgences_6735459.html externer Link) eingerichtet hatten, das bedeutet, durch Aufschriften an einer Stellwand publik machten, wie viele Menschen mehrere Dutzend Stunden warten mussten, bevor sie in einer Notaufnahme behandelt wurde. Laut Angaben des Gewerkschaftsverbands CGT warteten zwischen dem 10. Juli und dem 20. August d.J. in diesem Krankenhaus insgesamt 130 – mehrheitlich ältere – Menschen über zehn Stunden, von ihnen rund vierzig über zwanzig Stunden (https://www.francebleu.fr/infos/sante-sciences/le-mur-de-la-honte-aux-urgences-de-brest-les-plus-de-75-ans-restes-plus-de-12-heures-sur-des-brancards-3689572 externer Link) auf eine medizinische Behandlung dort, auf Liegen ausharrend. Verschärft werden die Probleme derzeit noch dadurch, dass aufgrund einer jüngst erfolgten Änderung in der Prüfungsordnung im Medizinstudium viele Ärztinnen und Ärzte in der Ausbildungsphase sich dazu entschieden, ein Jahr mit ihrer Krankenhausstation abzuwarten, um nicht zum jetzigen Zeitpunkt ein schlechtes Prüfungsergebnis einzufahren. 1.500 Ärztestellen im öffentlichen Krankenhausdienst bleiben deswegen derzeit unbesetzt.

In einem solchen Kontext haushaltspolitische Weichenstellungen vorzunehmen, ist also kein technisches „Tagesproblem“, das sich „geschäftsführend“ mit einer ministeriellen Unterschrift abhandeln ließe. Das Linksbündnis fordert deswegen, in sensiblen Bereichen wie Gesundheit und Bildung müsse endlich eine handlungsfähige Regierung mit Richtlinienkomptenz her. Gleichzeitig will es die Staatsausgaben und die Steuern für die oberen Einkommen und Vermögen erhöhen.

Genau dies ist jedoch der springende Punkt. Denn die der Linksallianz entgegenstehenden politischen Kräfte stören sich, wie in den letzten Tagen erstmals unmissverständlich geäußert wurde, vor allem an ihrem Programm. In dem vom 11. bis 14. Juni dieses Jahres, also in Windeseile (in den Tagen nach der Parlamentsauflösung vom 09. Juni) zwischen den wichtigsten Linksparteien vereinbarten Wahlprogramm werden einige Sofortmaßnahmen gefordert wie die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns um vierzehn Prozent – auf 1.600 Euro netto monatlich -, die Rücknahme der Rentenreform von 2023 sowie jene des im Januar d.J. verschärften Ausländergesetzes gefordert. Zugleich hatten die Linksparteien, wenn auch mühsam, am 23. Juli d.J. auf eine gemeinsame Kandidatin für das Amt der künftigen Premierministerin geeinigt, die Pariser Stadtbeamtin und Finanzexpertin Lucie Castets. Letztere trat am Donnerstag diese Woche nun auch von ihrem Posten bei der Pariser Stadtverwaltung (https://x.com/BFMTV/status/1829049475454648505 externer Link ) zurück, um auch wirklich für das Amt der Premierministerin zur Verfügung zu stehen.

„Extremismus“quark? Der Vorwand zieht nicht länger. Übergang von Regierungsbeteiligung zu Tolerierungsmodell für Linkspartei

Zunächst beriefen die übrigen Parteien sich darauf, die NPF-Komponente La France insoumise (LFI, „Das unbeugsame Frankreich“), also die linkssozialistische bis linkspopulistische Wahlplattform von Jean-Luc Mélenchon, sei wegen dieser Äußerung oder wegen jener Führungsmethode von Mélenchon – dessen tatsächlich oft undemokratischer Führungsstil führte zum Rücktritt von mehreren LFI-Prominenten wie François Ruffin, die „Dissidenten“ sitzen nun in der Grünenfraktion – problematisch. Auch beriefen sich die bürgerlichen Parteien dabei auf einen angeblichen Extremismus von LFI.

Insgesamt bildet die, selbst durchaus heterogen zusammengesetzte, Wahlplattform LFI in ihren konkreten Programmforderungen jedenfalls im sozio-ökonomischen Bereich durchaus weitgehend den linken Flügel innerhalb des Wahlbündnisse NFP, ohne vollständig mit ihm deckungsgleich zu sein (während jedenfalls die Parteiapparte des PS aber auch mit Abstrichen des PCF, also der „Sozialistischen Partei“ wie auch der „Französischen kommunistischen Partei“, dessen rechten Flügel formen und die Grünen eher dazwischen stehen).

Neben LFI stehen links übrigens noch die bislang außerparlamentarischen, doch beim Nouveau front populaire mitziehenden Teile der Bewegungslinken und der antikapitalistischen oder radikalen Linken. Dies gilt bspw. für den größeren Teil der seit Dezember 2022 in zwei Hälften gespaltenen „Neuen Antikapitalistischen Partei“ (des NPA), die aus der 1968er Linken und dem undogmatischen Trotzkismus kommt – ihr kleinerer Teil verharrt auf einer eher relativ sektiererischen Position außerhalb des Nouveau front populaire und präsentierte eigene Parlamentskandidaturen gegen ihn, die durchweg mikroskopische Ergebnisse erzielten – oder die Antifabewegung La Jeune Garde. Letztere ist nun auch, über eine Kandidatur bei LFI (d.h. in einem ihr durch LFI zur Verfügung gestellten Wahlkreis in Avignon) und den darüber gewählten jungen Abgeordneten Raphaël Arnault, in der Nationalversammlung vertreten. Getrennt davon zu behandeln wären die sich gänzlich aus dem Nouveau front populaire heraushaltenden, teilweise auf klar sektiererischen Positionen verharrenden übrigen Teile der radikalen Linken wie die Kleinparteien Lutte Ouvrière (LO, „Arbeiterkampf“, eher altertümlich trotzkistisch) und Révolution permanente mit einem stark avantgardistisch-bolschewistischen Anspruch. Diese Splitter der radikalen Linken vermögen den NFP und die mit ihm verbündeten Kräfte – zu dessen Wahl riefen immerhin unter anderem die CGT, die traditionsreiche, 1898 während der Dreyfus-Affäre gegründete Liga für Menschenrechte (LDH) und die Nichtregierungsorganisation ATTAC auf – und ihre Entwicklungsrichtung dementsprechend kaum zu beeinflussen.

In der bürgerlichen Öffentlichkeit und vor allem ihren Leitmedien bekam und bekommt vor allem LFI ihr Fett ab. Neben inhaltlich in Teilen berechtigter und in Teilen auch irgendwo aus der Linken geäußerter Kritik an, verkürzt ausgedrückt – die Problematik lässt sich an dieser Stelle nicht mit gebührender Komplexität behandeln – die Probleme mit Hamas ausblendenden und insofern zu einseitigen Äußerungen zum Israel-Palästina-Konflikt kommt dabei längst eine unbestreitbare, hässliche Hetzkampagne hinzu. Diese verläuft im Sinne eines Art Pendants zur deutschen „Extremismusdoktrin“, wonach Linke ein Spiegelbild zu und mindestens so schlimm wie Rechtsextreme seien; eine solche Scheißhaus-Doktrin war in Frankreich aufgrund des historischen Gewichts der KP nach 1944 Jahrzehnte hindurch undenkbar, anders als in der Bundesrepublik, wo sie Jahrzehnte hindurch quasi Staatslehre (oder -Leere) war, setzt sich jedoch seit dem Amtsantritt Macrons zunehmend durch.

Dabei hat die ursprünglich berechtigte Kritik an manchen außenpolitischen Projektionen von Teilen der Linken auf die Nahost-Region längst den Boden rationaler Diskussion verlassen. Kurz vor den Parlamentswahlen vom Juni & Juli d.J. behauptete etwa der liberale Jet-Set-Philosoph Raphaël Enthoven bei X-ehemals-Twitter, der LFI-„Koordinator“ (also Parteichef) Manuel Bompard bekenne sich durch das Tragen eines roten Dreiecks am Revers seiner Jacke angeblich zu Anschlagszielen der Hamas. Zwar benutzt die palästinensische islamistische Bewegung tatsächlich rote Dreiecke zur Feindkennzeichnung, doch viel klarer verfehlen konnte ein Möchtegern-Intellektueller die Realität nun wirklich nicht. Es schien nicht nur höchst unwahrscheinlich, dass Bompard sich etwa selbst als Anschlagsziel kennzeichnet, vor allem hat der rote Winkel eine lange Geschichte in der antifaschistischen und gewerkschaftlichen Linken: Nach dem Ersten Weltkrieg war ein gleichschenkliges rotes Dreieck ein Symbol für die Unterstützung der Forderung nach dem Acht-Stunden-Tag – also nach je acht Stunden Schlaf, acht Stunden Arbeit und acht Stunden arbeitsfreier Zeit am Tag -, später dann wurde der rote Winkel das Kennzeichen für politische Häftlinge aus der Arbeiterbewegung in den nationalsozialistischen KZs. Bompard trug schlicht (im Kontext der Parlamentswahlen, bei denen 27 von 29 Umfragen zunächst einen Wahlsieg der extremen Rechten prognostizierten) ein Antifa-Abzeichen, was bis dahin auch noch niemand verkannt hatte. Heute sind der hetzerischen Agitation gegen das grundsätzliche Erbe der Linken jedoch keine Grenzen mehr gesetzt, geht es darum, der extremen Rechten im Vergleich dazu einen moralischen Persilschein im Namen ihrer „Normalisierung“ auszustellen. Das Gefasel von Quatschphilosoph Enthoven, zum Beispiel, ist nicht nur hinterfotzig; sondern nur toxisch. Und dumm, strohdumm und aggressiv.

Doch am vorigen Wochenende, dem des 24./25. August, erklärten zuerst Mélenchon selbst, dann die übrigen Mitgliedsparteien des Nouveau front populaire, dieses Hindernis in Gestalt einer eventuellen Regierungsbeteiligung von LFI sei nun ohnehin beseitigt: Der LFI-Chef machte nämlich explizit den Weg frei (https://www.lejdd.fr/politique/nous-ne-serons-jamais-du-cote-du-probleme-melenchon-ouvre-la-porte-un-gouvernement-nfp-sans-lfi-148784 externer Link) für die Bildung einer Linksregierung ohne Beteiligung seiner eigenen Partei an den Ministerposten, also mit einem parlamentarischen Tolerierungsmodell. Dies entspricht im Übrigen der Konstellation während des historischen Front populaire, denn unter der durch Léon Blum geführten Linksregierung von Léon Blum 1936 tolerierte die Kommunistische Partei Frankreichs (Vorläuferin/Vorgängerin der heutigen Französischen kommunistischen Partei) das Kabinett im Parlament, ohne Minister in ihm zu stellen. Was im Übrigen, nebenbei bemerkt, auch für eine kapitalismuskritische – und im Unterschied zur damaligen KP auch nicht-stalinistische – Linke sogar im Prinzip die Optimalposition darstellt, insofern, als man nicht selbst als Minister/in unter dem Druck steht, ohne die kapitalistischen Produktionsverhältnisse im Kern antasten zu können, doch in der Verwaltung des Bestehenden dringliche Entscheidungen im Rahmen bestehender Eigentumsverhältnisse treffen zu müssen. Behält man doch auf diesem Wege die Freiheit zur Kritik, ebenso wie die Freiheit, ggf. sozialdemokratische Programmversprechungen einzuklagen, die durch aus der Linken kommenden Minister/innen nicht umgesetzt werden können, wenn die Kapitaleigentümer es nicht zulassen und mit ihren Machthebeln drohen.

Der Vorsitzende des Parti Socialiste (PS), Olivier Faure, erklärte dazu dann etwa am Sonntag, den 25. August, ab nun „existier(e) der Vorwand“, man verweigere dem NFP einen Regierungseintritt wegen angeblichen Extremismus‘ von LFI, „nicht mehr“.

Doch Eric Ciotti von der gespaltenen konservativen Partei Les Républicains (LR), die Fraktions- und Parteivorsitzenden des RN – Le Pen und Bardella – wie auch Angehörige des Macron-Lagers erklärten unisono, auch ohne LFI-Beteiligung wolle man keine Linksregierung, deren Programm man grundsätzlich ablehne. Und schon Mitte voriger Woche benannte die frühere Regierungssprecherin Maud Bregeon in einer TV-Talkshow vor allem Steuerhöhungen, „die Frankreichs Attraktivität für Kapitalanleger senken“, als Problem. Dass der NFP keine Mehrheit an Parlamentssitzen für die Annahme seines Programms haben würde, denn das Linksbündnis verfügt ebenso wenig wie sonst jemand über eine absolute Mehrheit an Sitzen, das wussten dessen Anführerinnen und Anführer. Allerdings wollten sie andere politische Kräfte vor die Wahl stellen, entweder populären Programmforderungen wie der Erhöhung des Mindestlohns zuzustimmen oder aber vor der Öffentlichkeit die Verantwortung für ihre Ablehnung zu übernehmen.

Am Montag Abend (26.08.24) erkläre Macron, den NFP mit der Regierungsbildung zu beauftragen, komme nicht in Frage: Die anderen politischen Kräfte (Wirtschaftsliberale, Konservative, Rechtsextreme) seien alle dagegen. Olivier Faure kündigte am Dienstag früh an, der PS werde sich an den, von ihm als „Farce“ bezeichneten, neuen Konsultationen bei Macron nicht beteiligen; im Laufe des Tages folgten ihm sämtliche Mitgliedsparteien des Nouveau front populaire. Diese blieben weiteren Beratungen im Elyséepalast zur Regierungsbildung also fern.

Heraus zum Protest? Nun ja? CGT nicht warm, CFDT strikt dagegen….

Die Wahlplattform LFI rief unterdessen (https://www.francetvinfo.fr/politique/refus-d-un-gouvernement-nfp-lfi-et-des-syndicats-etudiants-appellent-a-manifester-le-7-septembre_6746593.html externer Link) für den Samstag kommender Woche – den 07. September – zu Massenprotesten gegen Macrons Gebaren auf. Voraus ging dem ein Aufruf (https://fr.news.yahoo.com/lfi-syndicats-etudiants-et-lyceens-les-appels-a-manifester-le-7-septembre-contre-le-coup-de-force-de-macron-se-multiplient-110416496.html externer Link) von Studierenden- und Oberschüler/innen-Gewerkschaften (Union étudiante und Union syndicale lycéenne) zum Protest an diesem Datum.

Allerdings halten sich die Gewerkschaften von abhängig Beschäftigten bislang bedeckt oder lehnen es ausdrücklich ab, sich in diesen Protest ausdrücklich einzuklinken; die CGT, in deren Pariser Stadtverband am gestrigen Donnerstag, den 29. August eine mehr oder minder heftige Debatte zur rentrée (also dem „Jahresbeginn“ nach der, in Frankreich deutlich markierten sommerlichen Urlaubspause) stattfand, beruft sich in ihrer Mehrheitsposition auf die Unabhängigkeit von Gewerkschaften und Politik. Allerdings hatte der gewerkschaftliche Dachverband CGT im Juni und Juli d.J., ebenso wie etwa die Liga für Menschenrechte (LDH) oder die Nichtregierungsorganisation ATTAC, unmissverständlich zur Wahl des Linksbündnisses aufgerufen. Verhaltener zeigte sich damals, im Namen ihrer parteipolitischen Unabhängigkeit, die linkere, vor allem aus den Basisgewerkschaften vom Typ SUD bestehende Union syndicale Solidaires. Diese, ohne größeren Apparat auskommende und relativ linkeste Gewerkschaftsvereinigung im Land unterstützte inhaltliche Forderungen des NFP, rief jedoch (im Unterschied zur CGT) nicht explizit zu dessen Wahl auf.

Nun beruft sich ein beträchtlicher Teil etwa der CGT jedoch auf die „Charta von Amiens“ von 1906. Dabei handelt es sich um einen bei einem damaligen Gewerkschaftskongress der CGT angenommenen Grundlagentext, dessen Titel neben einigen aus dem Zusammenhang gerissenen Kernsätzen bei französischen gewerkschaftlichen Debatten & Kontroversen oft von ziemlich unterschiedlichen Seiten heranzitiert werden, oft ohne den zeithistorischen Kontext zu berücksichtigen. Die „Charta von Amiens“ beruft sich auf eine parteipolitische Unabhängigkeit der CGT, allerdings im Kontext der damaligen anarcho-syndikalistischen Dominanz innerhalb des Dachverbands, die mehr oder minder bis zum Ersten Weltkrieg anhielt. (Später, in den 1920er Jahren dann war eine Hälfte der, bis zum Front populaire des darauffolgenden Jahrzehnts organisatorisch zweigeteilten CGT durch die Sozialdemokratie dominiert, die andere Hälfte durch eine sich alsbald rasant stalinisierende KP Frankreichs.) Gewerkschaftliche Unabhängigkeit gegenüber den Parteien bedeutete in diesem Kontext von 1906 nicht politische Neutralität, sondern die Weigerung, Rücksichten auf staatspolitische Notwendigkeiten einer in „Regierungsverantwortung“ strebenden Sozialdemokratie zu nehmen. Daneben enthält die „Charta von Amiens“ aber auch das Bekenntnis zum Generalstreik als zentralem Mittel notwendiger Gesellschaftsveränderung und die Forderung nach ihm. Beide Elemente wurden und werden in späteren Debatten nicht immer im Zusammenhang zitiert. Dies müsste man jedoch, auch wenn man den 1906 noch dominierenden Anarcho-Syndikalismus seinerseits einer kritischen Bilanz unterziehen müsste (…denn einige seiner Vertreter wurden in anderen Phasen dann vom Frühfaschismus angezogen).

Sicherlich ist die CGT derzeit zum weiteren Vorgehen gespalten, lehnt jedoch mehrheitlich eine Eingliederung in die auf den 07. September d.J. programmierten Proteste ab. Darüber ließe sich sicherlich trefflich diskutieren, auch völlig ohne Gewerkschaften als Vorfeldorganisationen von politischen Parteien auftreten lassen zu wollen.

Letzter Stand ist, dass die CGT-Dachverbandsführung dazu erklärt, sie rufe nicht zum Protesttag am 07. September auf, wünsche jedoch dessen Erfolg. (Vgl. https://www.bfmtv.com/economie/economie-social/nouveau-gouvernement-la-cgt-n-appelle-pas-a-la-manifestation-du-7-septembre-mais-espere-qu-elle-sera-reussie_AD-202408280706.html externer Link und https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/08/29/rentree-sociale-la-cgt-ne-defilera-pas-avec-la-france-insoumise-le-7-septembre-mais-voit-l-initiative-d-un-bon-il_6298380_823448.html externer Link) Dies könnte auch einen innerverbandlichen Formelkompromiss darstellen.

Daneben ruft die CGT, neben anderen Gewerkschaften, zu einem Aktionstag für die Rücknahme der regressiven Renten„reform“ am, naja, eher fernen 1. Oktober d.J. auf. (Vgl. https://www.humanite.fr/social-et-economie/abrogation-loi-retraites/la-cgt-appelle-a-une-riposte-sociale-le-1er-octobre externer Link, in der KP- und CGT-nahen Presse, sowie in der arbeitgeberfreundlichen Wirtschaftspresse: https://www.lesechos.fr/economie-france/social/comment-la-crise-politique-va-renforcer-le-poids-des-partenaires-sociaux-2115765 externer Link. Und O-Ton CGT im Wortlaut: https://www.cgtetat.fr/societe-959/autres/elections-legislatives-2024/article/appel-du-ccn-de-la-cgt-nous-avons-evite-le-pire-gagnons-le-meilleur-prenons-les externer Link oder https://www.cgt.fr/comm-de-presse/nous-avons-evite-le-pire-gagnons-le-meilleur-prenons-les-choses-en-main; vgl. auch das jüngste Interview von CGT-Generalsekretärin Sophie Binet: https://www.francetvinfo.fr/replay-radio/8h30-fauvelle-dely/ouverture-des-jeux-paralympiques-rentree-sociale-smic-a-1-600-euros-le-8h30-franceinfo-de-sophie-binet_6714300.html externer Link)

Hingegen entschied sich der rechtssozialdemokratisch geführte gewerkschaftliche Dachverband CFDT dazu, weder zum 07. September noch zum 1. Oktober d.J. aufzurufen, sondern beide Male dem Protest fernzubleiben. (Vgl. https://www.francetvinfo.fr/economie/retraite/reforme-des-retraites/rentree-sociale-la-cfdt-n-appelle-pas-a-manifester-le-1er-octobre-avec-la-cgt_6755275.html externer Link und https://www.lefigaro.fr/politique/nouveau-premier-ministre-la-cfdt-n-appelle-pas-a-manifester-le-1er-octobre-20240830 externer Link sowie https://www.ouest-france.fr/economie/syndicats/cfdt/la-cfdt-nappelle-pas-a-manifester-avec-la-cgt-le-1er-octobre-contre-la-reforme-des-retraites-3233ae3c-66e4-11ef-9827-8f066c8ca511 externer Link)

Debatte Links

Diskutiert wird auch auf der Linken und radikalen Linken eifrig. Aus dem linkeren oder linkesten Teil des Nouveau front populaire etwa schlugen einige Stimmen, wie die des bei dem Bündnis mitmachenden Mehrheits-Teils des NPA (vgl. oben), die Bildung von Basiskomitees des NFP vor. Also gemeinsame örtliche Komitees, in denen Anhänger/innen aller unterschiedlichen Strömungen der heterogenen Linken vertreten sein können. Dies in der strategischen Hoffnung, die Basis könne die Apparate insgesamt „überborden“, wie dies beim historischen Front populaire 1936 der Fall war, dessen Wahlprogramme zwar nicht das Recht auf bezahlten Urlaub ausdrücklich vorsahen – wo jedoch die, durch die Dynamik des Wahlsiegs der Linken ausgelöste, in der Euphorie stattfindende Streikbewegung dann das Recht auf Jahresurlaub erkämpfte. Allerdings herrschte damals Euphorie, heute wählen Menschen oft aus der Defensive heraus und desillusioniert Links…

Anlässlich der jüngst zu Ende gegangenen, fast gleichzeitig tagenden „Sommeruniversitäten“ der unterschiedlichen Linkskräfte mit ihren Mitgliedern, Sympathisant/inn/en und Neugierigen (die von LFI vom 22. bis 25. August in Valence, die der französischen Grünen vom 22. bis 24. August in Tours, jene der Französischen KP vom 23. bis 25. August in Montpellier, die des NPA vom 25. bis 28. August in Port-Leucate in den Ostpyrenäen; sowie die des Parti Socialiste/PS vom 29. bis 31. August in Blois) wurde über das weitere Vorgehen ebenfalls eifrig diskutiert. Anlässlich jener des NPA in Port-Leucate lehnte etwa die auf dem Podium sitzende LFI-Abgeordnete Aurélie Trouvé den ihr unterbreiteten Vorschlag für solche Basiskomitees des Linksbündnisses allerorten ab. Es bringe nichts, lautete ihr Argument, „zwanzig Überzeugte in dieser oder jener Stadt in einem Café zu versammeln“, vielmehr komme es darauf an, v.a. durch Haustürbesuche die Nichtüberzeugten zu gewinnen.

Unterdessen startete LFi eine, auch innerhalb der Linken umstrittene Kampagne zur Absetzung von Staatspräsident Emmanuel Macron. Diese beruft sich auf Artikel 68 der Verfassung der französischen Republik, demzufolge ein Staatspräsident – so der Wortlaut – „nur im Falle seiner Amtspflichten, welche offensichtlich mit der Ausübung seines Amts unvereinbar ist, abgesetzt werden“ kann. Die Vorsitzende der Parlamentsfraktion, Mathilde Panot, sandte die dazu erforderlichen Unterlagen am Samstag, den 31. August an ihre Abgeordnetenkolleg/inn/en. Ihr zufolge werden die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 68 durch das Verhalten Macrons in den vergangenen Wochen erfüllt.

Dabei gibt es allerdings massive Einwände gegen die Absetzungskampagne von LFI, die im Übrigen durch keine der im Koordinierungsausschuss des Linksbündnisses NFP vertretenen anderen Parteien (Parti Socialiste, Französische KP, Grüne) unterstürzt wird. Von deren Seite wird unter anderem eingewandt, die Hürden für einen erfolgreichen Abschluss eines solchen Vorhabens liegen hoch: Zunächst müssen zehn Prozent der Abgeordneten einem entsprechenden Antrag zustimmen; über diese verfügt LFI allein mit derzeit 72 von insgesamt 577 Abgeordneten (und von 193, die dem Linksbündnis mit all seinen Komponenten angehören). Danach müssen dann das Büro der Nationalversammlung sowie dessen „Gesetzesausschuss“ mit einfacher Mehrheit der Eröffnung des Verfahrens zustimmen; jedenfalls im Büro besitzt LFI derzeit sogar eine Mehrheit, da am 20. Juli d.J. bei der Abstimmung in der neu konstituierten Nationalversammlung 12 von 22 Sitzen im Büro an die Vertreter/innen der Wahlplattform LFI gingen. (https://www.francetvinfo.fr/elections/legislatives/decouvrez-la-composition-du-bureau-de-l-assemblee-passe-majoritairement-a-gauche-a-la-surprise-generale_6677043.html externer Link) Dies erfolgte infolge diverser bündnispolitischer Hin-und-Hers und nachdem die Macron-Anhänger Yaël Braun-Pivet zuvor zur Parlamentspräsidentin gewählt worden war.

Danach allerdings müssen beide Parlamentskammern, Nationalversammlung und Senat, mit Zwei-Drittel-Mehrheit dem Ansinnen einer Absetzung des Staatspräsidenten zustimmen. Davon, eine solche Mehrheit zusammenzubekommen, ist LFI, aber auch die Linksparteien insgesamt, derzeit Lichtjahre entfernt; der NFP weist nach aktuellem Stand 32 Prozent der Sitze in der Nationalversammlung auf. LFI-„Koordinator“ (d.h. Parteileiter) Manuel Bompard erklärte dazu am heutigen Sonntag, den 1. September im Mittagsinterview beim Privatfernsehsender BFM TV, die übrigen politischen Parteien müssten sich nun eben zur Absetzungsforderung positionieren und ggf. dann die Verantwortung dafür übernehmen, dass sie Präsident Macron belassen. Einer jüngst publizierten Umfrage sind angeblich 52 % der befragten Französinnen und Franzosen sogar für eine Absetzung Macrons. Dieser Anteil setzt sich allerdings gemischt aus Anhänger/inne/n von LFI und des rechtsextremen Rassemblement national (RN) zusammen, wobei Letztere zahlenmäßig stärker ausfallen.

Wichtiger noch wäre ein Einwand, der da lautet, dass der LFI-Vorschlag – käme er je durch – ja auf die Abhaltung einer neuen Präsidentschaftswahl hinausläuft, vorgezogen gegenüber dem „normalen“ Termin im (wohl) April 2027. Dies entspricht strategisch einer Orientierung des LFI-Gründers Jean-Luc Mélenchon, zu dessen Programmversprechen zwar eine Überwindung der Präsidialrepublik und der Strukturen der 1958 begründeten Fünften Republik zählt; dessen eigenes politischen Verhalten jedoch nahezu perfekt dem eines (linken) Präsidialregimes, vorläufig innerhalb seiner Partei, entspricht. Hinzu kommt, dass die heterogene Linke keinesfalls sicher sein könnte, eine morgen stattfindende Präsidentschaftswahl auch zu gewinnen, selbst wenn Mélenchon sich im Bezug auf eine solche Hypothese wohl Alles zutraut.

Erschwerend ist hinzuzufügen, dass noch nicht einmal eine Einheitskandidatur der zerklüfteten Linken (trotz parlamentarischen Bündnisses in Gestalt des NFP) gesichert wäre, zumal Mélenchon felsenfest davon überzeugt ist, dass nur eine linke Kandidatur von Gewicht wäre, nämlich die seinige… Insofern kommen aus ziemlich unterschiedlichen Teilen der Linken, sei es etwa von dem am gestrigen 31.08.24 bei BFM TV interviewten Grünen-Abgeordneten Benjamin Lucas oder vom radikal linken NPA, derzeit Einsprüche gegen eine solche „präsidialregime-lastige“ Strategie, die über den oben zitierten Artikel 68 läuft. Seinerseits machte die Parteiführung des (rechts)sozialdemokratischen PS klar, dass sie eine Absetzungskampagne über Artikel 68 nicht unterstützen möchte.

Vgl. zu dieser jüngsten Kampagne von LFI:

Ausblick

Vieles zur weiteren Entwicklung muss zu diesem Zeitpunkt absolut offen bleiben. Vom Erfolg oder Misserfolg der ersten Protestmobilisierungen könnte die, starke oder schwache, Stellung der nächsten Regierung mit abhängen. Aber auch die Position der Gewerkschaften in ihren weiteren arbeits- und sozialpolitischen Auseinandersetzungen.

Wahrscheinlich scheint unterdessen, dass sich zu Anfang der kommenden Woche – jener des 02. September d.J. – die Dinge doch noch beschleunigen werden, was die Ernennung eines neuen Premierministers oder einer neuen Premierministerin betrifft. Ohne jedoch, dass Emmanuel Macron seine bisherigen strikte Weigerung der Ernennung von LFI-Bewerberin Lucie Castets etwa überdenken oder revidieren würde.

Macron wird nun versuchen, aus seinem Lager und der konservativen Opposition in Gestalt von LR eine Alternativkoalition zu basteln. Ebenso wenig wie das Linksbündnis wird diese allerdings eine eigene Sitze-Mehrheit aufweisen. Dies ist auch der springende Punkt, aufgrund dessen es bislang noch zu keiner Ernennung kommen konnte. Denn der Nouveau front populaire verfügt zwar über keine Mehrheit an Sitzen in der Nationalversammlung (derzeit auch keine andere politische Kraft), ist aber doch die stärkste politische Kraft in ihren Reihen. Ihr zufolge hätte sie – die Linksallianz – deswegen den Regierungsauftrag erhalten müssen, um dann Vorhaben zur Abstimmung zu stellen, die entweder durchkämen oder aber scheitern würden; um im letzteren Falle dann die Urheber der Nein-Stimmen, etwa gegen eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns, in der Öffentlichkeit dafür verantwortlich zu machen und entsprechend politisch zu bekämpfen.

Die Strategie Emmanuel Macrons wiederum läuft daran hinaus, eine Art Ellipse zu bilden, also eine geometrische bzw. politische Figur, die zwei Brennpunkte (statt eines Mittelpunktes wie bei einem Kreis) aufweist: „in der linken Mitte“ und „in der rechten Mitte“, also auf der Höhe des rechtssozialdemokratischen Spektrums sowie im Bereich der relativ moderaten Konservativen. Es wird dann darum gehen, ob man um diese beide Schwerpunkte herum eine Ellipse zeichnen kann, die hinreichend Abgeordnete umfasst, um eine Mehrheit zusammenbasteln zu können. Dementsprechend sind derzeit, in den im Umlauf gebrachten Gerüchten, vor allem die Namen von Rechtssozialdemokraten sowie von gemäßigt auftretenden Konservativen im Gespräch.

Konkret in der Öffentlichkeit „getestet“ wurden dabei die Namen von Bernard Cazeneuve, er war unter dem rechtssozialdemokratischen Staatspräsidenten François Hollande bereits Premierminister (Dezember 2016 bis Mai 2017) und zuvor von 2014 bis 2016 Innenminister, sowie von Xavier Bertrand. Letzterer ist derzeit Regionalpräsident in der nordfranzösischen Region Hauts-de-France – diese ging aus der Fusion der älteren Regionen Nord-Pas de Calais und Picardie hervor – und genießt das Image eines gerne auch sozial besorgt auftretenden Konservativen. Allerdings sprechen seine vergangenen Taten, insbesondere als Gesundheitsminister in den Jahren 2005 bis 07 unter Staatspräsident Jacques Chirac und zuvor als Staatssekretär mit Zuständigkeit für die Krankenversicherung (2004/05), eine leicht andere Sprache; insbesondere zeichnete Bertrand damals für Beschlüsse zur Einführung eines Selbstzahlungsbetrags für Patient/inn/en in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie für die „Reform“ der Krankenhäuser von 2004, mit oft desaströsen Konsequenzen, politisch verantwortlich. (Vgl. https://www.frustrationmagazine.fr/xavier-bertrand-modere-en-apparence-le-pire-du-macronisme-dans-les-faits/ externer Link und https://www.liberation.fr/societe/sante/la-t2a-la-tarification-a-lacte-decriee-20230109_LQ5XK5AX2JAL5OMGGVFPWLYYVE/ externer Link)

In die Amtszeit von Bernard Cazeneuve – das Beste an ihm ist noch sein Vorname, meint der Verfasser dieser Zeilen – wiederum fielen unter anderem die Todesfälle des Demonstranten Rémi Fraisse bei Umweltprotesten im Oktober 2014 (vgl. https://www.labournet.de/internationales/frankreich/soziale_konflikte-frankreich/protest-gegen-unnotige-grosprojekte-ein-toter-durch-polizeilichen-granateneinsatz/ und https://www.ladepeche.fr/2024/08/16/remi-fraisse-tue-par-des-gendarmes-a-sivens-sous-la-direction-de-bernard-cazeneuve-un-tweet-de-sandrine-rousseau-suscite-la-polemique-12144485.php externer Link sowie https://fr.news.yahoo.com/premier-ministre–pourquoi-lhypothese-bernard-cazeneuve-ne-plait-pas-a-gauche-151027455.html externer Link) sowie des jungen westafrikanischstämmigen Trabantenstadtbewohners Adama Traoré (vgl. https://www.labournet.de/internationales/frankreich/soziale_konflikte-frankreich/kein-sommerloch-frankreich-polizeigewalt-protest-und-gelbwesten-bleiben-aktuell/) im Juli 2016. Dafür war Cazeneuve natürlich nicht persönlich und unmittelbar verantwortlich; wohl aber trug er politische Verantwortung dafür und wachte als Dienstherr über die repressiven Apparate. Auch fielen in seine Amtszeit mehrere grauenhafte Attentate und jihadistische Mordtaten: Charlie Hebdo im Januar 2015, die Massenmorde im Bataclan und anderswo in Paris im November 2015, die LKW-Todesfahrt in Nizza vom Juli 2016. Dies wiederum trug Cazeneuve Sympathien in weiten Teilen auch der konservativen Öffentlichkeit ein, da er die dadurch ausgelöste Krisen im Amt durchstand. Und dabei Maßnahmen ergriff, von denen einige kaum kritikwürdig waren (etwa die erfolgreiche Ausschaltung der nach den Bataclan-Morden zunächst überlebenden Attentäter unter Abdelhamid Abaaoud durch Polizeischüsse im November 2015), andere wiederum höchst kritikwürdig wie die Massenverhaftung bei einer Demonstration zum Pariser Klimagipfel COP21 unter dem Vorwand des infolge der Attentate verhängten Ausnahmezustands. (Vgl.: https://www.labournet.de/internationales/frankreich/politik-frankreich/politik-notstandsregime/frankreich-am-29-november-15-demo-zur-klimakonferenz-unter-berufung-auf-die-notstandsgesetzgebung-verboten-gegen-cop-und-cops/)

Am morgigen Montag früh – 02. September 24 – werden Ex-Innen- und Premierminister Cazeneuve und die beiden früheren Staatspräsidenten François und Nicolas Sarkozy bei Amtsinhaber Emmanuel Macron im Elyséepalast empfangen. (Vgl.: https://www.lamontagne.fr/paris-75000/actualites/en-direct-nouveau-premier-ministre-la-decision-d-emmanuel-macron-tarde-a-gauche-comme-a-droite-on-s-impatiente_14556160/ externer Link und https://www.francetvinfo.fr/politique/direct-recherche-d-un-nouveau-gouvernement-la-nomination-d-un-premier-ministre-est-trop-longue-deplore-la-secretaire-generale-de-la-cfdt_6756922.html externer Link)

Vielleicht werden dabei auch bereits die Weichen gestellt, die dann zur Ernennung eines neues Premierministers (oder eventuell einer Premierministerin) führen werden. Sollte die Ernennung auf den vormaligen rechtssozialdemokratischen Premierminister Cazeneuve fallen, hätte dies den praktischen Nebeneffekt aus Sicht Macrons, dass es jedenfalls eine der Komponenten des Linksbündnisses NFP – nämlich den Parti socialiste, PS – spalten dürfte. Zwar hat Cazeneuve dem PS bereits 2022 offiziell den Rücken gekehrt; er verließ die (überwiegend rechts)sozialdemokratische Partei damals aus Protest gegen ihren damaligen Beitritt zum Wahlbündnis in Gestalt der NUPES, das im Mai 22 zur Parlamentswahl im Juni desselben Jahres gebildet wurde. Die NUPES bildete gewissermaßen den Vorgänger oder die Vorgängerin für das jetzige Bündnis Nouveau front populaire, war jedoch stärker als das heutige auf rein parlamentarische Verbindungen unter den verschiedenen Linkskräften beschränkt.

Wie angesichts der jüngsten Sommerakademie des PS (CamPuS) in Blois – vgl. oben – sichtbar wurde, ist die Partei jedoch nach wie vor in zwei annähernd gleich große Hälften gespalten. Tritt ihre Mehrheit für einen Verbleib beim Nouveau front populaire bei, ebenso wie der derzeitige Parteivorsitzende Olivier Faure, so betreibt doch der rechtere Parteiflügel eine gewisse Wühlarbeit dagegen. Seine Einwände und Vorstöße werden zum Teil durch persönliche Regierungsambitionen oder bürgerliche Bündnisse ihrer Protagonisten genährt, zum Teil aber auch durch das Aufgreifen (und Überspitzen) berechtigter Kritik an manchen Funktionsweisen oder Äußerungen bei LFI. (Vgl. zum Zustand der Partei auch: https://www.liberation.fr/politique/universite-dete-du-ps-jour-2-entre-lucie-castets-et-bernard-cazeneuve-les-socialistes-en-plein-desarroi-20240830_3U5O5PZR5NCDNNIEZD7FSS6IUU/ externer Link)

Neben Cazeneuve wird derzeit auch der Name eines weiteren, weniger weit rechts(sozialdemokratisch) profilierten PS-Vertreters in der Öffentlichkeit getestet: der des Bürgermeisters der Pariser Vorstadt Saint-Ouen, Karim Bouamrane. Auf ihn wurde die breitere Öffentlichkeit, bis hin zu deutschen und US-amerikanischen Zeitungen, durch das Engagement seiner Kommunalverwaltung beim guten Ablauf der jüngsten Olympischen Spiele aufmerksam. Der 51jährige Franzose marokkanischer Herkunft konnte sich aus kleinen Verhältnissen hocharbeiten. Sein Vater war Bauarbeiter (dies gilt nicht für sehr viele Berufspolitiker…), mit fünfzehn nahm er in den achtziger Jahren erstmals an Demonstrationen für die damaligen Sandinisten in Nicaragua und für Nelson Mandela teil. Im Jahr 2014 wechselte er, nach zwanzig Jahre dauernder Zugehörigkeit zur Französischen kommunistischen Partei, zum Parti Socialiste. Sein persönlicher Werdegang insgesamt verdient Respekt, wohl mehr als seine Partei in der Gesamtschau.

Sollte Macron je Bouamrane ernennen, so zöge er damit gleichzeitig Sympathien vieler PS-Mitglieder – auch relativ links stehender – und von antirassistisch eingestellten Menschen auf sich. Dies könnte den PS noch stärker spalten als eine eventuelle Ernennung des erheblich weiter rechts stehenden Bernard Cazeneuve. Zugleich hätte Macron dabei das Problem, dass Bouamrane jedenfalls bislang ankündigt, im Falle eines Anrufs Macrons auf seinem Telephon werde er die Führungsspitzen des Nouveau front populaire konsultieren, was wohl auch impliziert, er fühle sich irgendwo an dessen Programm gebunden. Damit wäre bei Cazeneuve wohl kaum zu rechnen….

Auflösung demnächst in diesem Theater;)

Artikel von Bernard Schmid (Port-Leucate & Paris) vom 1. September 24 – wir danken!

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Teil 8: Linkes Wahlbündnis NFP einigt sich auf Lucie Castets als Kandidatin für Regierungsspitze,
doch der König Macron wünscht „olympischen Frieden“

Veränderte Situation seit dem gestrigen Dienstag Abend: Linkes Wahlbündnis NFP einigt sich (endlich?) auf eine gemeinsame Kandidatur zur Regierungsspitze. „Weißer Rauch steigt auf…“ Nun spielt Staatspräsident Macron explizit auf Zeit, übernimmt jedoch auch notwendig die politische Verantwortung dafür. Unterdessen setzt die linke Wahlplattform LFI die Abschaffung der Renten„reform“ von 2023 auf die Agenda der Nationalversammlung. Die parlamentarische extreme Rechte bastelt bereits an einer Leimroute dazu… Zudem fand am vorigen Donnerstag, den 18. Juli eine Mobilisierung, auf Aufruf zunächst der CGT hin, für eine schnelle Regierungsübertragung an das Linksbündnis statt. Die Revolution ist jedoch vorerst ausgeblieben.

Historische Ereignisse spielen sich immer zweimal ab: einmal als Tragödie, einmal als Farce, schrieb sinngemäß ein gewisser Karl Marx in seinem Standardwerk „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“. Unmittelbarer Gegenstand seiner Ausführungen war der Plan einer Nachahmung der Machtübernahme durch Napoléon I. (Bonaparte) seitens seines Neffen, des späteren Napoléon III., fünfzig Jahre später. Was so nicht funktionierte – allerdings den Neffen auch nicht daran hinderte, hernach ein Regime zu errichten, das sich zwar von dem seines historischen Onkels unterschied, jedoch auch an die zwanzig Jahre hielt, bis zur Niederlage im Krieg von 1870…

Den Hintergrund der Überlegungen bildete jedoch auch der Gedanke, ein wichtiges historisches Ereignis lasse sich niemals in identischer Form wiederholen: Beim zweiten Mal kennen ja die handelnden Akteure alle die Grundkonstellation beim zugrundliegenden ersten Ereignis, können die damaligen Ursachen und Wirkungen benennen und sich entsprechend darauf einstellen. Deswegen wiederholt sich dieselbe Ereigniskette auch nie in identischer Firm, ähnlich, wie (so gut wie) niemand zwei mal hintereinander in dasselbe Loch fällt; zumindest, wenn es an derselben Stelle liegt oder in ähnlicher Form gekennzeichnet ist. Und zumindest, sofern die betreffende Person halbwegs mit Intelligenz begabt ist…

(Ceterum censeo, beiläufig bemerkt: Unter anderem deswegen ist ja die Vorstellungswelt der seit 1991 ihr Unwesen treibenden „Antideutschen“ dermaßen grotesk, insofern, als in ihr die USA auch 1991 oder heute noch dieselbe Rolle als Befreier spielen wie 1944 oder 1945, und der real existierende Staat Israel – weil durch Juden bewohnt – ähnlich betrachtet wird wie ein lediglich besser bewaffnetes Warschauer Ghetto von 1943. Ähnlich grotesk, doch mit viel schlimmeren Wirkungen, war das Bestreben gewisser französischer Linker in den Jahren 1938/39 oder 1940 ff., die Konstellation während des Ersten Weltkriegs – in denen man als Linke/r nur „Defätist“ sein, und die Niederlage des jeweils „eigenen Imperialismus“ im eigenen Land wünschen konnte – auch auf die vor dem und zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zu übertragen, welche jedoch eben keineswegs identisch war. Diese historisch-politische Idiotie in Form eines unreflektierten Dummpazifismus in Anbetracht von Adolf Hitler führte so manche früheren französischen Linken schnurstracks in die Kollaboration mit Nazi-Deutschland oder zu Ministerposten in Vichy. Auch CGT-Gewerkschafter übrigens. (Vgl. https://www.lemonde.fr/archives/article/1977/01/04/rene-belin-est-mort-de-la-c-g-t-au-regime-de-petain_3081209_1819218.html externer Link)

Zur Klarstellung: Nein, diese historische Analyse verhindert nicht, dass es auch aktuell zum Aufstieg oder Wiederaufstieg eines zeitgenössischen Neofaschismus kommt, auch wenn dieser selbstverständlich nicht mit dem historischen Faschismus identische Erscheinungsformen annimmt…

Historisch keine Tragödie, aber aktuell… auch keine Farce, oder doch??

Auf die Ereignisse, die uns am heutigen Tag beschäftigten sollen, lässt sich diese ansonsten treffende Ausführung des bärtigen Geschichtsphilosophen (und Begründers des historischen Materialismus), bei allem Respekt, nicht wirklich übertragen. Es geht um den Front populaire und dessen Neuauflage, also den Nouveau front populaire.

Denn zunächst war der historische Front populaire, d.h. das antifaschistische Abwehrbündnis ab 1934, das in den Jahren 1936 und 37 unter Léon Blum vorübergehend zum Regierungsbündnis wurde, keine „Tragödie“. Zwar beinhaltete die Regierungsübernahme durch den Front populaire auch einen Verzicht oder vorläufigen Verzicht auf die Revolution, welche ein Teil der daran beteiligten Kräfte damals durchaus anstrebte. Doch wird allgemein die Periode von 1936/37 im kollektiven Gedächtnis eher mit positiven Erinnerungen und sozialen Errungenschaft verknüpft, insbesondere mit der erstmaligen Einführung von bezahltem Urlaub (zweiwöchigem pro Jahr) in Frankreich.

Zurückzuführen ist diese Errungenschaft übrigens nicht so sehr auf den Wahlsieg vom Mai 1936 an & für sich. Denn zu dem Zeitpunkt traten noch sowohl Teile der Sozialdemokratie – aus Rücksichtnahme auf das Kapital – als auch der KP Frankreichs, denen zufolge (unter dem Einfluss der „Produzier-Produzier“-Kampagnen in der UdSSR unter Joseph Stalin zur selben Zeit) die Arbeiter gefälligst Produzentenstolz verspürten und sicherlich nicht „fürs Faulenzen bezahlt“ werden wollten, keineswegs für bezahlten Urlaub ein. Doch der infolge des Erfolgs der Linkskräfte damals spontan ausbrechende Generalstreik vom Mai & Juni 1936 sorgte dann für andere Voraussetzungen.

Zwar gibt es dann im Konkreten noch genug zu bemängeln. Etwa die historische Fehlentscheidung der Front populaire-Regierung 1937, keine Waffenlieferungen an die, akut durch die Franco-Truppen bedrohte spanische Republik oder spanischen Antifaschist/inn/en durchzuführen, welche auch zum damaligen Zeitpunkt bereits Gegenstand heftiger Debatten in Frankreich war. Und unter dem Druck der massiv eingesetzten Machtmittel und -hebel des Kapitals (Investitionszurückhaltung, Kapitalflucht etwa durch Abwanderung in die nahe Schweiz, internationaler Druck zur Abwertung der Währung…) wurde 1937 eine „Pause bei den Sozialreformen“ eingelegt, woraufhin das Bündnis zerbrach. Obwohl die den Front populaire bildenden Parteien noch gemeinsam bis zur militärischen Niederlage Frankreichs 1940 und zur deutschen Besatzung weiterhin die Parlamentsmehrheit bildeten, jedoch ab 1937 nicht länger gemeinsam regierten.

Schluss mit Volksmusik

Beteiligt am historischen Front populaire von 1934/1936 waren die KP Frankreichs (nach dem Zweiten Weltkrieg dann: Französische KP, in beiden Fällen abgekürzt: le PCF), die damalige französische Sozialdemokratie in Gestalt der SFIO sowie die Partei der Radicaux de gauche. Diese Bezeichnung, „Radikale der Linken“, führt in deutschen Presseerzeugnissen oft, wirklich oft zu der vollidiotischen Übersetzung „Partei der Linksradikalen“. Nichts ist falscher und dümmer. Die damaligen „Radikalen“ waren der antiklerikale, kleinbürgerliche, linkere Flügel der im 19. Jahrhundert gespaltenen Liberalen. Im Deutschen entspricht dem die Bezeichnung „Freisinnige“. Und in der Schweiz gibt es heute noch eine Partei, die im französischsprachigen Landesteil als Radicaux (oder „Radikale der Linken“), in der Deutschschweiz hingegen „Freisinnige Partei“ heißt.

Und da wir schon bei scheinbar wörtlichen, doch inhaltlich falschen Übersetzungen sind: Deutsch wird die Selbstbenennung des Front populaire oftmals grobschlächtig, doch inhaltlich falsch mit „Neue Volksfront“ übersetzt. Der deutsche Volksbegriff steht dem französischen Adjektiv populaire jedoch fern, welchselbiges sich nicht auf eine ominöse und imaginäre Gemeinschaft bezieht, sondern auf die gemeinsame Lage derer „da unten“. So ist ein quartier populaire eben kein „Volksviertel“ (was’n Unfug aber auch), sondern bezeichnete oder bezeichnet früher eine Arbeiter-, heute eine Unterklassen-Wohngegend.

Richtig wiedergegeben, bedeutet die Bezeichnung Front populaire deswegen völlig eindeutig: Front der kleinen Leute gegen die da oben“. Jaja, Volxkörper, Volxunion und Volxmusik dürfen gerne wegbleiben. Schluss mit der dummen Dudelei: Nix mit Volx; der Front pop ist ein Bündnis zwar nicht für Popmusik (bitte nicht), doch gegen die da Oben und die Superreichen. Und nicht fürs Volxfest. OK OK, ja, es gab da historisch auch noch einen Erbschleicher in Gestalt des demagogisch sich so benennenden Parti populaire français (PPF, ungefähr: „französische Partei der kleinen Leute“) von Jacques Doriot, einer faschistischen Partei und wichtigen Säule der Nazikollaboration; Doriot starb 1945 auf dem Boden von Nazideutschland in der Nähe von Konstanz. Nachmachungen und Fälschungen sind jedoch als solche zu erkennen oder zu kennzeichnen.

Nach der Nicht-Tragödie: die Nichtfarce? Oder..?

Am „Neuen Front populaire“, wie sich das am 10. Juni 24 unter hohem Zeitdruck (infolge der Ausschreibung schnell angesetzter Neuwahlen für Ende Juno und Anfang Juli d.J.) geschlossene Wahlbündnis dieser Linke nannte und nennt, federführend beteiligt sind die frühere Regierungssozialdemokratie – zuletzt in den Jahren 2012 bis 2017 – in Gestalt des Parti socialiste /le PS, die französischen Grünen in Gestalt der Partei Les Ecologistes, die Französische KP /le PCF sowie die heterogene linkssozialdemokratische, linkspopulistische Wahlplattform La France insoumise (LFI, „Das unbeugsame Frankreich“). Diese vier Parteien oder parteiförmigen/parteiähnlichen Strukturen sind in einem Koordinierungsausschuss zusammengeschlossen und treffen dort die wichtigsten Entscheidungen. Angeschlossen, dem Bündnis angegliedert oder assoziiert sind jedoch ferner rund 100 weitere Organisationen, unter ihnen nicht im Parlament vertretene politische Parteien wie bspw. der aus dem undogmatischen Trotzkismus kommende NPA; aber auch Nichtregierungsorganisationen wie bspw. die vor allem in Lyon gut verankerte Antifagruppierung Jeune Garde. (Deren Kandidat, der 29jährige Raphaël Arnault, dem LFI einen Wahlkreis abgetreten hatte, wurde übrigens trotz gewaltiger medialer Anfeindungen – anonyme polizeiliche Warnmeldungen in Gestalt so genannter notes blanches stuften ihn angeblich als „Gefährder“ ein – mit knapp 55 Prozent der abgegebenen Stimmen in Avignon zum Abgeordneten gewählt. Glückwunsch dafür dem jungen Antifaschisten.)

Aber nun ist da eine Frage aufgeworfen: Obwohl der historische Front populaire sicherlich (trotz aller damaligen strategischen Diskussionen über Revolutionsverzicht oder nicht, über Waffenlieferungen an die bedrohte spanische Republik oder nicht) sicherlich keine „Tragödie“ darstellt, wurde darüber diskutiert, ob nicht aktuell eine Farce stattfindet.

Im Laufe der Tage und Wochen seit dem Wahltag vom 07.07.24 wuchs dieser Eindruck stetig, oder zumindest wurde er in dem Leitmedien herbeigeschrieben, nachdem notorische Spannungen in dem Linksbündnis dafür sorgten, dass es circa zweieinhalb Wochen lang nicht möglich war, eine/n gemeinsame/n Anwärter/in für das Amt des Premierministers/der Premierministerin zu benennen.

Das war 1936 noch anders, denn damals war allen Beteiligten klar, dass der sozialdemokratische (SFIO-)Spitzenpolitiker Léon Blum der gemeinsame Anwärter auf den Posten des Premierministers war. Blum war zugleich ein hochrangiger Richter und seit dem Ende des Ersten Weltkriegs unbestrittener Anführer jenes Teils der historischen französischen Sozialdemokratie, welcher nicht in der KP aufging. Anders als in Deutschland zur Zeit der Spaltung SPD / USPD / KPD war in Frankreich innerhalb der Sozialdemokratie derjenige Flügel, welcher für einen Anschluss an die Dritte Internationale und eine Umbenennung in „kommunistisch“ optierte, erheblich stärker als der andere. Deswegen wurde die Mehrheitsfraktion der Sozialdemokratie auf dem Congrès de Tours (Parteitag in Tours im Dezember 1920) zur SFIC oder „Französischen Sektion der kommunistischen Internationalen“, später dann zur KP Frankreichs oder KP in Frankreich, der Vorläuferin der heutigen Französischen kommunistischen Partei. Blum jedoch leitete die verbliebene Rest-Sozialdemokratie, die sich weiterhin SFIO oder „Französische Sektion der Arbeiter-Internationalen“ nannte. Sein intellektuelles Niveau und seine ehrlichen Überzeugungen sind historisch wohl unbestritten, obwohl er für die damalige Zeit ein eher rechter Sozialdemokrat war. (Deswegen ist es übrigens auch überaus peinlich, wenn Jean-Luc Mélenchon, der Gründer und faktische Boss der Wahlplattform LFI, im Vorfeld der jüngsten Regierungsbildungsgespräch – dick auftragend – betonte, einige seiner Leute wie die LFI-Fraktionsvorsitzende Mathilde Panot oder Parteikoordinator Manuel Bompard hätten nicht nur das Zeug zum Premierminister oder zur Premierministerin, sondern seien höher und besser qualifiziert als weiland Léon Blum; was wiederum zu eher peinlichen Verrenkungen von Panot in einem Interview führte, da diesem ihrem Chef nicht widersprechen mochte und sich also selbst ungebührlich preisen musste. (Vgl. https://www.bfmtv.com/politique/elections/legislatives/legislatives-jean-luc-melenchon-estime-que-leon-blum-en-1936-n-etait-pas-au-niveau-de-manuel-bompard-ou-mathilde-panot_AN-202406160202.html externer Link und https://www.lefigaro.fr/elections/legislatives/mathilde-panot-assure-qu-elle-a-plus-d-experience-parlementaire-que-leon-blum-en-1936-puis-se-rend-compte-de-son-erreur-20240621 externer Link oder auch https://fr.timesofisrael.com/une-comparaison-historiquement-fausse-de-mathilde-panot-avec-leon-blum-alimente-les-moqueries/ externer Link)

Nominierung, Rückzug, Nominierung, Rückzug… und dahinterstehende Strategien…

In der zweiten Hälfte der vorletzten Woche schien sich zunächst eine Einigung abzuzeichnen. Der Chef der Französischen kommunistischen Partei – die trotz ihres historisch tradierten Namens in dem gemeinsamen Bündnis eher auf dem rechten denn dem linken Flügel steht, und etwa durch Macron neben dem PS ebenfalls unter die „vernünftigeren Kräfte“ gerechnet wird, welche er von LFI unterscheidet -, Fabien Roussel, schlug einen Namen für die künftige Premierministerin vor: Huguette Bello. Es handelt sich um die derzeitige Regionalpräsidentin der Überseeregion La Réunion. Die Wahlplattform LFI signalisierte ihrerseits ein Einlenken und akzeptierte, die Grünen widersetzten sich zumindest nicht. Doch die Parteispitze des PS legte ihr Veto ein und blockierte. Am Sonntag, den 14. Juli schmiss die Dame hin und zog ihre Zusage, der Linken als Regierungschefin zur Verfügung zu stehen, dann zurück. Im Laufe des darauffolgenden Montag, den 15. Juli nominierten PS, Grüne und Französische KP dann die frühere Beraterin von Premierminister Lionel Jospin (Regierungschef 1997 – 2002) in den Jahren 2001/02 (vgl. zu ihr https://jungle.world/artikel/2002/05/freundliche-uebernahme externer Link) sowie Chefunterhändlerin des Pariser Klimaschutz-Abkommens von 2015, Laurence Tubiana, als Anwärterin auf den Posten der Premierministerin. Dieses Mal reagierte LFI ablehnend und hielt sie für „zu Macron-kompatibel“. Vier Tage zuvor hatte Tubiana einen Gastbeitrag in der Presse unterzeichnet, in dem zu einer Mehrheitsbildung sozialdemokratischer Kräfte zusammen mit dem Macron-Lager aufgerufen wird. (Vgl. https://x.com/NathalieOziol/status/1812950120528253326 externer Link)

Hintergrund dafür war die Tatsache, dass die Strategien der linken und der rechten Variante der französischen Sozialdemokratie dabei doch erheblich auseinanderstrebten. Dabei lähmten die strategischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden stärksten Parteien in seinen Reihen zeitweilig den Nouveau front populaire, was dann wiederum durch bürgerliche Medienveröffentlichungen zum Drama hochgeschrieben und weitaus übertrieben wurde. (Nein, eine zweiwöchige Nichteinigung ist kein Weltkrieg, auch nicht notwendig ein politisches Zerwürfnis bis ans Ende der Zeiten und bis zum Jüngsten Gerücht, ähem, eher: Gericht – denn für Gerüchte sorgen die Leitmedien wiederum überaus gerne.)

Schematisch gesprochen, handelt es sich bei den beiden stärksten Parteien im Bündnis NFP um eine rechtere Sozialdemokratie in Gestalt des zuletzt von 2012 bis 2017 regierenden, damals krachend gescheiterten, doch nun in der Opposition wieder aufgestiegenen Parti Socialiste (PS) einerseits – und andererseits um die Wahlplattform La France insoumise, LFI, als eine Art Linkssozialdemokratie mit populistischem Anstrich und betont keynesianischem Programm.

Zu den Hintergründen: Ihr harter Kern – jener von LFI – ging im Winter 2008/09 aus einer durch die deutsche WASG inspirierten Linksabspaltung vom Parti Socialiste, dem noch heute innerhalb von oder neben La France insoumise fortexistierenden Parti de gauche (PG, Linkspartei) hervor. Später gruppierte die in sukzessiven Erweiterungsbewegung entstehende Wahlbewegung unter Jean-Luc Mélenchon weitere Strömungen und Wählergruppen hinzu, etwa von der stark geschrumpften Französischen kommunistischen Partei (PCF) übernommene, eher gewerkschaftsnahe Wählergruppen, ökologische Strömungen – denen LFI im scharfen Gegensatz zur französischen KP eine Abkehr von der Atomenergie und eine Infragestellung des Wachstumsbegriffs anbietet – und zeitweilig auch Linksnationalisten. Deren fragwürdigste Strömungen wurden allerdings wieder abgestoßen: Eine sich als linksnationalistisch gebende Unterströmung unter Georges Kuzmanovic und Andrea Kotarac, zwei Franzosen serbischer Herkunft mit Blick auf politische Prozesse in Belgrad, versuchte LFI zur Plattform von „Kritikern der neoliberalen EU jenseits des überkommenen Links-Rechts-Schemas“ zu machen. 2018 wurde sie jedoch aus LFI hinausgedrängt. Glücklicherweise, wie die folgende Entwicklung zeigte: Während Kuzmanovic derzeit eine eigene Splitterpartei anführt und im rechten Magazin Front populaire (vgl. https://jungle.world/artikel/2020/31/volksfront-fuer-die-rechte externer Link) von Michel Onfray – trotz des Namens weist dieses nun wirklich keinerlei Gemeinsamkeiten mit dem NFP auf, und es handelt sich bei der Namensgebung um historische Falschmünzerei – schreibt, ist Kotarac heute ein Spitzenpolitiker des rechtsextremen RN im Raum Lyon. Zu seiner früheren Partei LFI sind alle Brücken abgebrochen, Kotarac und andere versuchen jedoch ihre Wähler/innen für Marine Le Pen und Jordan Bardella anzuwerben.

Durch den Ausgang der Präsidentschaftswahlen vom April 2022, bei denen LFI-Gründer Mélenchon über zwanzig Prozent, die rechtssozialdemokratische Kandidatin Anne Hidalgo jedoch nur 1,7 Prozent der Stimmen erhielt, musste der Parti Socialiste sich dann jedoch an die Kräfteverhältnisse auf der Linken anpassen. Und trat in das vergleichsweise lose strukturierte, de facto durch LFI angeführte parteienübergreifende Linksbündnis NUPES der Jahre 2022 bis 24 – der Name bedeutet so viel wie „Neue soziale und ökologische Union der kleinen Leute“, mit U für Union und p für populaire – aber bitte nicht „Volksunion“, so hie in Deutschland ab 1971 eine Nazipartei – ein, wo der PS sich jedoch tendenziell der faktischen Dominanz von LFI unterordnen musste, jedenfalls so lange, bis die vom Parti socialiste unterstützte Liste bei den Europaparlamentswahlen im Juni 2024 mit 13,8 Prozent der Stimmen wieder stärker abschnitt als LFI mit 9,9 %. Innerhalb des PS trug das Zentrum des Apparats unter Generalsekretär Olivier Faure dieses Bündnis als notwendige Überlebensstrategie für die eigene Partei mit, es wurde jedoch vor allem im Frühjahr 2024 zunehmend eine innerparteiliche Rechtsopposition oder sozialliberale Opposition dagegen laut (etwa mit Ex-Innenminister und -Premierminister Betrand Cazeneuve, dem Bürgermeister von Rouen oder auch der südwestfranzösischen Regionalpräsidentin Carole Delga).

Die aktuellen Unterschiede liegen darin begründet, dass – auch wenn dies von beiden Seiten nicht offen und explizit so ausgesprochen wird – die PS-Führung gerne eine mehr oder minder stabile Regierungsführung und -fähigkeit über längere Zeiträume herstellen würde, und dafür auch zu notwendigen Kompromissen etwa mit dem Macron-Lager oder Teilen desselben bereit wäre. Dass hingegen die Wahlplattform LFI ein solches Bestreben ablehnt. Auch bei LFI ist man sich natürlich darüber bewusst, dass die „Neue Front der kleinen Leute“ mit knapp 32 Prozent der Sitze in der Nationalversammlung – obwohl stärkste politische Kraft – auf Dauern nicht allein regierungsfähig ist. Auch dies ist übrigens einer der historischen Unterschiede zu 1936, denn damals erhielt das historische Front populaire-Bündnis mit 57,78 Prozent der abgegebenen Stimmen auch eine deutliche Mehrheit der Sitze im seinerzeitigen Parlament. Doch die Strategie von LFI dazu ist eine doppelte:

  • entweder, bestimmte Maßnahmen gehen auch bei fehlender Sitzemehrheit (für den NFP allein) im Parlament durch, weil aufgrund sozialer Mehrheiten im Land andere politische Kräfte es nicht wagen, dagegen zu stimmen oder aber den politischen Preis dafür zahlen müssen; selbst Macrons bisheriger Innenminister Gérald Darmanin stellte übrigens in Aussicht, möglicherweise müsse man bei einer Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns mit sich reden lassen (vgl. https://www.francetvinfo.fr/economie/gerald-darmanin-estime-que-le-smic-peut-etre-augmente_6678534.html externer Link), was auch als Bündnisangebot an den sozialdemokratischen Teil des NFP gedacht sein dürfte;
  • oder aber eine vom NFP gestellte Regierung stürzt innerhalb kürzerer Zeit über eine Abstimmung, dann am liebsten zu einer besonders symbolträchtigen Maßnahme. Dadurch würde man der Bevölkerung konkret aufgezeigt haben, dass es so nicht geht und dass dieselbe dazu beitragen muss, andere Wege zu suchen. Dabei ginge es Mélenchon allerdings nicht darum, zu beweisen – wie es historisch kommunistische Parteien in den 1920 oder 1930er Jahren betrachteten – ernsthafte Reformen (im nicht-neoliberalen Sinne es Begriffs) gegen den Kapitalismus auf parlamentarischem Wege unmöglich seien, um darüber die Schlussfolgerung zu verbreiten, man müsse die Revolution vorbereiten vulgo die eigene Partei stärken. Vielmehr bestünde sein Anliegen vor allem darin, vor den Augen von Vielen zu beweisen, dass es für echte (linke) Reformen notwendig sei, 2027 ihn ins Präsidentenamt zu wählen – wer im Elyséepalast sitzt, verfügt über stärkere Hebel, u.a. über die Vollmacht zur Auflösung der Nationalversammlung und zur Ausschreibung von Neuwahlen zum opportunen Zeitpunkt, allerdings höchstens einmal pro Jahr. Auch kann nur der Staatspräsident oder die Staatspräsidentin Referenden, also Abstimmungen zu wichtigen Fragen ansetzen.

Allerdings widerspricht im letzteren Punkt bereits die CGT-Generalsekretärin Sophie Binet: Diese erklärte, sie wünsche keine Märtyrerregierung, also keine, die von vornherein dazu bestimmt sei, nur ein paar Wochen im Amt zu überleben. (Vgl. https://www.rtl.fr/actu/politique/invitee-rtl-on-n-a-pas-besoin-d-un-gouvernement-de-martyrs-estime-sophie-binet-7900403408 externer Link) Die CGT unterstützte vor den jüngsten Wahlen explizit den Nouveau front populaire.

Dazu hatte die CGT, oder hatten Teile von ihr (die Initiative dazu ergriff die Eisenbahner-CGT, welche eher als Bastion der Französischen kommunistischen Partei gilt) i.Ü. auch zu Kundgebungen aufgerufen, um eine Übertragung der Verantwortung zur Regierungsbildung durch Staatspräsident Macron an den NFP zu fordern. Zu dem Zeitpunkt hatte allerdings noch keine Einigung unter den Parteien des Linksbündnisses über die Nominierung stattgefunden. Dazu fanden in Paris und weiteren französischen Städten am Donnerstag, den 18. Juli um die Mittagszeit in Paris und weiteren französischen Städten Kundgebungen statt. In der Hauptstadt kamen dazu, auf dem Höhepunkt, wohl zwischen 1.000 und 2.000 Menschen zu hochsommerlichen Temperaturen auf die place de la République zusammen; Gewerkschaftsfahnen der CGT dominierten. (Vgl. auch unsere Photo dazu) Sophie Binet als Generalsekretärin gehörte zu den Kundgebungsrednerinnen.

In weiteren Städten wie Toulouse und Lyon kamen je ein paar Hundert Menschen zum selben Zweck zusammen. (Vgl. https://www.ouest-france.fr/politique/institutions/assemblee-nationale/des-rassemblements-en-france-pour-faire-pression-sur-lassemblee-nationale-c04dae64-4503-11ef-af26-2383fc8af689 externer Link) Im Vorfeld hatte ihrerseits die CFDT – zweiter wichtigster französischer Gewerkschaftsdachverband neben der historisch älteren CGT – sich davon distanziert; ihre Generalsekretärin Maryse Léon erklärte, es zähle nicht zu den Traditionen der CFDT, sich an Parteipolitik zu beteiligen und „das Parlament unter Druck zu setzen“. Binet von der CGT ihrerseits hatte dazu erklärt, es gehe darum, Druck auf das Parlament auszuüben, um zu einer Einigung zugunsten einer Regierung des Linksbündnisses zu kommen.

… Und nun doch noch Nominierung?

Das Ende vom Lied, jedenfalls das bisherige, lautet so: Am Dienstag Abend konnte sich das NFP-Bündnis nun doch auf eine gemeinsame, durch alle im Koordinierungsausschuss vertretenen (vier) Parteien unterstützte Kandidatur einigen. Es handelt sich um die 37jährige Lucie Castets. Die Ökonomin und hohe Beamte, angestellt im Finanzwesen bei der – durch den Parti Socialiste, Grüne und Französische KP regierten – Stadt Paris, zählte auch zu den Anleiterinnen von Kollektiven zur Verteidigung der von Sparpolitik bedrohten öffentlichen Dienste sowie gegen die Renten„reform“ von 2023. (Vgl. zu ihr: https://www.france24.com/fr/info-en-continu/20240724-lucie-castets-demande-%C3%A0-macron-de-la-nommer-premi%C3%A8re-ministre externer Link und https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/07/23/lucie-castets-proposee-par-le-nouveau-front-populaire-comme-candidate-au-poste-de-premiere-ministre_6256473_823448.html externer Link)

Noch am Tag selbst hatte die linksgrüne Politiker Sandrine Rousseau in einem Interview im Frühstücksfernsehen bei RMC und BFM TV ihre „Ungeduld“ bekundet, während der Abgeordnete François Ruffin – er trennte sich jüngst aufgrund von Differenzen mit Jean-Luc Mélenchon und fehlender demokratischer Strukturen von LFI, und sitzt nun zusammen mit anderen „Dissidenten“ und Geschassten von LFI (Alexis Corbière, Danièle Simmonet..) in der grünen Parlamentsfraktion – am Dienstag bereits erklärt hatte: „Nun ist es zu spät.“ (Vgl. https://www.ouest-france.fr/politique/nouveau-front-populaire/francois-ruffin-cest-trop-tard-pour-la-gauche-pour-matignon-a-cause-de-calculs-cyniques-7eaee9c4-48c2-11ef-94b6-90bbc9e43b93 externer Link und https://www.europe1.fr/politique/francois-ruffin-cest-trop-tard-pour-la-gauche-pour-matignon-treve-faute-de-combattants-4259497 externer Link)

Jetzt ist es allerdings Emmanuel Macron, welcher sich als Staatspräsident – die Verfassung der Fünften Republik erteilt ihm die Ernennungsvollmacht – weigert, kurzfristig und auch nach der Einigung innerhalb des Linksbündnisses einen Regierungschef bzw. wie nun gewünscht, eine Regierungschefin aus dessen Reihen zu ernennen. Da Macron ebenfalls am Dienstag Abend einen bereits zuvor angekündigten TV-Interview-Auftritt hatte, erklärte er aus diesem Anlass, er wünsche nun einen „Olympischen Frieden“ auch in der französischen Innenpolitik und sei vor diesem Hintergrund angeblich nicht in der Lage, vor „Mitte August“ dieses Jahres eine neue Regierung zu ernennen. Die alte unter Gabriel Attal, die ihren Rücktritt einreichte, amtiert bis dahin kommissarisch.

Da die Minister/innen demzufolge nur noch „für die laufenden Amtsgeschäfte“ auf Zeit amtieren, durften sie übrigens bei der Abstimmung in der Nationalversammlung am Abend des Freitag, den 19. Juli mitstimmen. Siebzehn anwesende Regierungsmitglieder nahmen deswegen an der Abstimmung über die Neuwahl der/s Parlamentspräsidenten/in teil, was bei einer voll die Amtsgeschäfte führenden Regierung aufgrund der notwendigen Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative ja verboten wäre. Und ihre Stimmen gaben den Ausschlag, denn nur knapp fünfzehn Stimmen trennten die letztlich zur Präsidentin der Nationalversammlung wiedergewählte Macron-nahe Politikerin Yaël Braun-Pivet vom KP-Kandidaten und erfahrenen Parlamentarier André Chassaigne, auf dessen Unterstützung sich das Linksbündnis im Vorfeld einigen konnte. Auch diesen Ausgang der Wahl zur Parlamentspräsidentin nimmt Macron nun zum Anlass, gegenüber dem bei ihr nicht erfolgreichen Linksbündnis NFP auf Zeit zu setzen…

Die Wahl der stellvertretenden Parlamentspräsident/inn/en am Samstag, den 20. Juli musste dann sogar in der ersten Runde wiederholt werden, weil zehn Stimmzettel zu viel in der Urne lagen -Betrugsversuch oder Panne? -und führte dann, nach mehreren Wendungen, zur Wahl eines die künftigen Sitzungen leitenden „Büros“ der Nationalversammlung mit einem leichten Übergewicht des Linksbündnisses (zwölf von zwanzig Sitzen gingen an den Nouveau front populaire). Leer bei den Vizeposten ging dagegen dieses Mal der rechtsextreme Rassemblement national aus, denn die beiden bisherigen Vizepräsidentschaften des RN (zwischen 2022 und 2024) gingen dabei verloren; vgl. auch unseren am Montag erschienenen Teil 7. Aufgrund von Bündnisversuchen mit Abgeordneten aus anderen Lagern hatte sich der RN zum Teil selbst ins Leere taktiert. Er nutzt nun allerdings die Gelegenheit, um sich selbst als betrogene Opposition hinzustellen, als die wahre „Vertretung des Volkes“, die durch Parteientaktierereien und künstliche Absprachen von den Hebeln ferngehalten werde. Parlamentspräsidentin Braun-Pivet erklärte dazu am Samstag, jedoch, „die Stimme des RN“ werde im Nationalversammlung „Gehör finden“. Staatspräsident Macron erklärte dazu in seinem TV-Auftritt am gestrigen Abend, es sei „ein Fehler“, den RN nicht berüchtigsichtigt zu haben.

Unterdessen setzt die linke Wahlplattform LFI die Abschaffung der Renten„reform“ von 2023 auf die Agenda der Nationalversammlung. Die parlamentarische extreme Rechte bastelt bereits an einer Leimroute dazu: Der RN möchte dem Gesetzentwurf zur Rücknahme der „Reform“, den FI am gestrigen Dienstag, den 23. Juli ankündigte, zustimmte und erklärte (wahrheitswidrig), dies entspreche „seinem Programm“… Ausführliches dazu folgt…

Lumpenkampagne

LFI, und auf der zweiten Position die französischen Grünen wurden unterdessen bereits zum Gegenstand von massiven Gegenkampagnen von verschiedenen Seiten. Mélenchon und LFI sind für viele Rechte unterschiedlicher Schattierungen ohnehin Hassfiguren.

Die – seit dem Abgang von Leuten wie Kotarac wieder klarer affirmierten – antirassistischen Positionen von LFI, denen seit Oktober 2023 auch eine dick aufgetragene, doch auch in den eigenen Reihen kontrovers diskutierte pro-palästinensische Kampagne im Zusammenhang mit dem Gazakrieg hinzukommt, tun ein Übriges. Im letzteren Falle kommt die Ablehnung nicht nur von rechts, sondern auch aus der bürgerlichen Mitte und aus Teilen der Linken. Neben der echten Kontroverse zu außenpolitischen Stellungnahmen kam dabei jedoch auch eine unbestreitbare Hetzkampagne hinzu. Diese verläuft im Sinne eines Art Pendants zur deutschen „Extremismusdoktrin“, wonach Linke ein Spiegelbild zu und mindestens so schlimm wie Rechtsextreme seien; eine solche war in Frankreich aufgrund des historischen Gewichts der KP nach 1944 Jahrzehnte hindurch undenkbar, setzt sich jedoch seit dem Amtsantritt Macrons zunehmend durch.

Gegenstand der aktuellen Kampagne ist es, den wachsenden rechtsoffenen bis rechtsaffinen Teilen des Bürgertums und der konservativen Leitmedien – bei der auflagenstärksten Tageszeitung Le Figaro publizierte der Chefredakteur Alexis Brézet am 1. Juli einen klar RN-freundlichen Leitartikel, was zu heftigen Reaktionen der Journalistengewerkschaften im Haus führte (vgl. https://www.20minutes.fr/arts-stars/medias/4099466-20240703-legislatives-2024-redaction-figaro-demande-direction-clarifier-positionnement-politique-titre externer Link) – mit einem geradezu pathologisch guten Gewissen zu garantieren, das moralisch Anrüchige und der Antisemitismus seien wie durch ein Wunder von den Rechtsextremen auf die Linke übergesprungen“.

Jean-Luc Mélenchon sei der Jean-Marie Le Pen von heute, versichern dazu Leitartikel des ebenfalls immer aggressiver rechts positionierten Wochenmagazins Le Point, ohne dass es dazu irgendeinen Anhaltspunkt in den denkbar unterschiedlichen, grundsätzlichen Menschenbilder beider Politiker gäbe.

Dabei hat die ursprünglich berechtigte Kritik an manchen außenpolitischen Projektionen längst den Boden rationaler Diskussion verlassen. Kurz vor den Parlamentswahlen behauptete der liberale Jet-Set-Philosoph Raphaël Enthoven, der LFI-„Koordinator“ Manuel Bompard bekenne sich durch das Tragen eines roten Dreiecks am Revers seiner Jacke zu Anschlagszielen der Hamas. Zwar benutzt die islamistische Organisation rote Dreiecke zur Feindkennzeichnung, doch weiter verfehlen konnte ein Möchtegern-Intellektueller die Realität kaum. Es schien nicht nur unwahrscheinlich, dass Bompard sich selbst als Anschlagsziel kennzeichnet, vor allem hat der rote Winkel eine lange Geschichte in der antifaschistischen und gewerkschaftlichen Linken: Nach dem Ersten Weltkrieg war ein gleichschenkliges rotes Dreieck ein Symbol für die Unterstützung der Forderung nach dem Acht-Stunden-Tag – also nach je acht Stunden Schlaf, acht Stunden Arbeit und acht Stunden arbeitsfreier Zeit am Tag -, später dann wurde der rote Winkel das Kennzeichen für politische Häftlinge aus der Arbeiterbewegung in den nationalsozialistischen KZs. Bompard trug ein Antifa-Abzeichen, was bis dahin auch noch niemand verkannt hatte. Heute sind der hetzerischen Agitation gegen das grundsätzliche Erbe der Linken jedoch keine Grenzen mehr gesetzt, geht es darum, der extremen Rechten im Vergleich einen moralischen Persilschein auszustellen.

Marine Le Pen kündigte in der zweiten Juliwoche d.J. an, ihre Partei werde alle Mittel wie etwa das systematische Stellen von parlamentarischen Misstrauensanträgen einsetzen, sollte entweder LFI oder die grüne Partei Les Ecologistes an einer Regierung beteiligt sein. Ähnlich äußerte sich kurz danach die rechtsoffene Landwirtegewerkschaft Coordination rurale – mit rund zwanzig Prozent der Stimmen bei den letzten Landwirtschaftskammerwahlen die zweitstärkste von drei bedeutenden Agrarorganisation -, die angekündigt, bei einer Kabinettsbeteiligung einer der beiden Parteien „die Mistgabeln herauszuholen“. Dabei ging es in Wirklichkeit wohl vor allem um neue Traktorblockaden wie zu Jahresbeginn. Die Organisation fürchtet vor allem die Einschränkung von Pestizideinsatz und Umweltnormen, da sowohl die Grünen als auch LFI auf einen Umbau der Landwirtschaft weg von Massentierhaltung und hin zu ökologischen Zielen setzen.

Macron und der bürgerliche Mittelblock setzen unterdessen auf Abwarten, vor allem aber darauf, der bisher als Block auftretende NFP könne sich spalten. Dabei sollen vor allem der Parti Socialiste oder Teile von ihm, möglicherweise auch Grüne für eine Einheitsregierung der Mitte gewonnen werden. Allerdings steht dem ein wichtiger Faktor entgegen: Räumen PS und Grüne die bisherigen Positionen des Nouveau front populaire und geben sie dabei wichtige Programmteile auf, so dürfte LFI als verbliebene Linksopposition dabei im Hinblick auf künftige Wahlen wichtige Vorteile ziehen… Fortsetzung folgt…

Artikel von Bernard Schmid vom 24. Juli 2024 – wir danken!

Vgl. zu den jüngsten Entwicklungen seit dem gestrigen Abend (von vielen):

Siehe auch:

  •  Sophie Binet, Frankreichs führende Gewerkschafterin, spricht Klartext: «Dieses Land steht auf der Kippe!»
    Frankreichs Linke hat, angetrieben von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, die Wahlen gewonnen und die Neofaschisten geschlagen. Doch Präsident Macron will die Linke nicht regieren lassen. Höchste Zeit, findet CGT-Generalsekretärin Binet, den Druck der Gesellschaft auf die Politik einen Zahn hochzufahren…“ Artikel von Oliver Fahrni in der Work – Zeitung der Unia – vom 18. Juli 2024 externer Link
  • Eine Front gegen die extreme Rechte, für Demokratie und soziale Gerechtigkeit bilden
    Der Nationalausschuss hat die Mobilisierung der gesamten Gewerkschaft beschlossen. Die oberste Priorität in dieser Zeit ist es, die extreme Rechte daran zu hindern, an die Macht zu kommen. Dies ist der Sinn des Beschlusses, die Kalender zu entlasten, indem wir alle unsere nicht dringenden Sitzungen verschieben und die Verschiebung oder den Boykott von nicht unbedingt notwendigen institutionellen Sitzungen fordern. Viele der Themen, die wir diskutieren, könnten irrelevant werden und uns sehr klein erscheinen, wenn wir den aktuellen Kampf verlieren…“ franz. Pressemitteilung von Solidaires vom 13.7.2024 externer Link – es ist zugleich ein Dossier mit vielen Infos
  • ERHÖHEN WIR DEN SOZIALEN DRUCK DEN GANZEN SOMMER LANG
    Die Kämpfe für soziale & ökologische Gerechtigkeit, Erhöhung der Löhne, Aufhebung der Rentenreform, Entwicklung öffentlicher Daseinsforsorge, insbesondere der Krankenhäuser, voranzutreiben mit der Perspektive eines großen Streiks im Herbst.„Solidaires ruft alle Arbeitnehmer dazu auf, sich den Einheitsinitiativen anzuschließen, die im Sommer und insbesondere während der Olympischen und Paralympischen Spiele vor Ort beschlossen wurden…“ franz. Pressemitteilung von Solidaires vom 12.7.2024 externer Link

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Teil 7: Leichter Rückschlag für französische Rechtsextreme in den Institutionen:
RN ohne Parlaments-Vizepräsidentschaftsposten

Reaktionäre Verzweiflung in seiner Wählerschaft, welche sich „um den Sieg betrogen fühlt“, könnte zu verstärkter Gewalt führen. Eine „diskrete Säuberung“ in der Parteispitze antwortet auf die Probleme bei der PR-Strategie der Partei. Unterdessen soll die „Entdämonisierungs“strategie erneut auf den Prüfstand, um noch erfolgreicher zu werden.

Dumm gelaufen: Am vorigen Samstag, den 21. Juli verlor der rechtsextreme Rassemblement national (RN) die beiden Vizepräsidentschaftsposten, die die Partei bislang, also in der Legislaturperiode von Juni 2022 bis Juni 2024, mit Sébastien Chenu und Hélène Laporte besetzt hatte. (Vgl.: https://www.latribune.fr/economie/france/vice-presidence-de-l-assemblee-nationale-4-premiers-elus-1002668.html externer Link, https://www.lopinion.fr/politique/vice-presidence-de-lassemblee-nationale-deux-lfi-deux-lr-chou-blanc-pour-le-rn externer Link und https://www.rtl.fr/actu/politique/assemblee-nationale-le-rn-echoue-a-faire-elire-des-vice-presidents-7900404015 externer Link sowie https://www.bfmtv.com/politique/parlement/direct-yael-braun-pivet-reelue-a-la-tete-de-l-assemblee-designations-de-postes-cles-ce-vendredi_LN-202407190113.html externer Link)

Chenu war zuvor einmal um 2010 Schwulenpolitiker bei der konservativen UMP – Vorläuferinnenpartei von Les Républicains LR – unter Nicolas Sarkozy, bevor er zur extremen Rechten überlief. Laporte zog in jüngster Zeit als Putin-Schranze und, hüstel hüstel, „Abstimmungsbeobachterin“ in Russland die Aufmerksamkeit auf sich. (Vgl. https://www.lalettre.fr/fr/action-publique/2024/07/01/legislatives–une-dizaine-de-candidats-rn-pro-russes-qualifies-au-second-tour,110253256-art externer Link und https://www.lemonde.fr/international/article/2021/05/06/l-etonnant-charter-des-observateurs-francais-d-extreme-droite-pour-le-referendum-de-poutine_6079391_3210.html externer Link oder https://www.tf1info.fr/elections/legislatives-15-candidats-du-rn-ont-ils-ete-verificateurs-des-elections-en-russie-2305901.html externer Link)

Dies ist das Resultat eines zum Teil chaotisch verlaufenden Wahlgangs in der am 18. Juli d.J. (infolge der Wahlen von Ende Juni und Anfang Juli) neu konstituierten Nationalversammlung (vgl. dazu auch unseren nachfolgenden Teil 8 zu den Auswirkungen auf die Linke und näheren Hintergründen zu dieser Wahl zum Parlamentspräsidium, die am Samstag, den 20. Juli wg. Betrugsverdachts wiederholt werden musste).

Dies steigert die Wut und den Zorn in einem Teil der französischen Wählerschaft, da die Anhängerschaft der neofaschistischen Rechten sich aufgrund des Ausgangs der Stichwahlrunde bei der jüngsten Parlamentswahl vom 07.07.24 sich „um den Sieg geprellt“, „betrogen, bestohlen und hintergangen“ usw.usf. fühlt. Hintergrund sind die Absprachen zwischen den nichtfaschistischen politischen Blöcken – Labournet berichtete bereits ausführlich -, die dafür sorgten, dass sich insbesondere Linke und Liberale nicht gegenseitig in den Stichwahlen behinderten, um auf diese Weise dem RN keine Steilvorlage zu liefern. Durch den gegenseitigen Rückzug der schlechter platzierten unter den nicht-rechtsextremen Kandidaturen wurde im Großteil der Wahlkreise auf diese Weise eine absolute Mehrheit – zur Wahl einer/s von zwei Bewerber/inne/n – erforderlich, statt einer relativen Mehrheit, wie sie bei einer Stichwahl unter drei oder vier Kandidaten o. Kandidatinnen nötig gewesen wäre. An dieser Hürde scheiterte die extreme Rechte dann, trotz eines Stimmenanteils in Höhe von 32 Prozent landesweit bzw. 37 Prozent (nimmt man als Bemessungsgrundlage nur die Wahlkreise, in denen der RN in den Stichwahlen auch selbst präsent war), letztendlich.

Die völkisch-nationalistisch, rassistische Partei, die sich selbst gerne permanent als „Anwältin DES französischen Volkes“ und „Sachwalterin der Interessen DER Franzosen“ im Parlament präsentiert – was selbstredend unterstellt, die übrigen Parteien verträten antinationale, volksfeindliche Interessen -, wütet deswegen seit Tagen und Wochen gegen die „gegen das Volk gerichteten künstlichen Absprachen“ und dagegen, dass „das Volk um den Sieg gebracht worden“ sei. Dies dürfte, gekoppelt an eine reale reaktionäre Verzweiflung in ihrer Wählerschaft und vor allem in deren deklassierten oder minder oder minder akut von Deklassierung und sozio-ökonomischem Abstieg bedrohten Teilen, noch für ein nicht zu vernachlässigendes Gewaltpotenzial in den jeweiligen örtlichen Verhältnissen sorgen.

Vizepräsidentschaften in einer Parlamentskammer garantieren, neben „Respektabilität“ in Gestalt vorzeigbarer Parteifiguren, auch institutionellen Einfluss – die Vizepräsident/inne/n, welche je nach Sitzung die Parlamentspräsidentin vertreten, üben u.a. Einfluss auf die Geschäftsordnung, die Sitzungsdauer bzw. Unterbrechungen derselben sowie das Aussprechen von Sanktionen lt. Hausordnung aus.

In Anbetracht dessen verzeichnet der Rassemblement national (RN) nun einen gewissen Rückschlag in seiner Strategie der Verankerung in den Institutionen. Zugleich stellen das jüngste Wahlergebnis – insofern, als es Auswirkung einer spontanen antifaschistischen Mobilisierung von relevanten Teilen der Wähler/innen/schafft war, welche derzeit nur einen vielleicht zweijährigen Aufschub bedeutet, bevor die extreme Rechte die Machtfrage erneut stellen kann – und seine Auswirkungen eine Infragestellung der nach außen gekehrten Normalisierungsstrategie in Gestalt der „Entdiabolisierung“ in Frage.

Hinzu kommt, dass eine Reihe von diesjährigen Parlamentskandidat/inn/en nicht in das Raster der offen angestrebten „Professionalisierung“ mit Glättung ihres Profils passte. Denn bis zu einem Viertel der Bewerber/innen des RN in den insgesamt 577 Wahlkreisen – von denen die Partei allerdings 62 für verbündete Konservative reserviert und geräumt hatte – fielen zuvor durch antisemitische, rassistische, geschichtsrevisionistische o. verschwörungsgläubige Äußerungen auf. (Vgl. https://www.lemonde.fr/pixels/article/2024/06/22/au-rn-ces-investitures-qui-contredisent-la-ligne-officielle-et-la-normalisation-du-parti_6242190_4408996.html externer Link und https://www.tf1info.fr/elections/elections-legislatives-2024-un-candidat-du-rassemblement-national-sur-quatre-a-deja-tenu-des-propos-racistes-antisemites-ou-homophobes-d-ou-vient-ce-chiffre-de-gabriel-attal-le-premier-ministre-2306887.html externer Link sowie https://www.nouvelobs.com/politique/20240626.OBS90249/rn-ces-candidats-qui-flirtent-avec-l-antisemitisme.html externer Link)

Aufgrund der teilweise gescheiterten Kommunikationsstrategie musste inzwischen Einer den Hut nehmen, und sei es, um als Bauernopfer zu dienen. Es handelt sich um Gilles Pennelle, den Jordan Bardella im Jahr 2022 zur Zeit seiner Übernahme des Parteivorsitzes in die Führungsriege aufgenommen hatte. Zuletzt amtierte Pennelle als „Generaldirektor“ des RN und war damit im Parteiapparat für Personal- und Finanzfragen zuständig. Doch aufgrund des Abschneidens des RN bei den jüngsten Wahlen und der PR-Probleme verlor Pennelle diesen Posten nun wieder… oder auch nicht deswegen, da ebendieser Gilles Pennelle bereits im Mai 24 angekündigt hatte, nach den Europaparlamentswahlen vom 09.06.24 den Direktorenposten zu räumen, da er mit seinen parlamentarischen Mandaten voll ausgelastet sei… (Vgl. https://www.letelegramme.fr/elections/legislatives/direction-du-rn-les-vraies-raisons-de-la-demission-de-gilles-pennelle-6623032.php externer Link)

Pennelle, ein früherer Geschichtslehrer, ist wohl sicherlich selbst kein Beispiel für „Entdiabolisierung“. Der 61jährige frühere Geschichtslehrer hatte 2002 an Treffen unter anderem bei der­offen neuheidnischen und antisemitischen Gruppierung Terre et peuple („Volk und Erde“, vulgo Blut & Boden) des früheren Lyoner Universitätsprofessors Pierre Vial teil­genommen haben. Dort hatte Pennelle nach der Niederlage von Jean-Marie LePen gegen Jacques Chirac in der Präsidentschaftswahl 2002 die Abkehr vom „gescheiterten Weg der Machtübernahme durch Wahlen“ propagiert. Er kehrte 2011 zum FN zurück, allerdings wohl weniger, um gemäßigt zu werden, denn am Erfolg teilzuhaben. (Vgl. https://jungle.world/artikel/2022/45/der-junge-aus-der-banlieue externer Link)

Darüber hinaus kündigt die Pariser Abendzeitung Le Monde eine diskrete Säuberung“ an der Parteispitze infolge des jüngst ausgebliebenen Erfolgs an. (Vgl. https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/07/13/le-rn-procede-a-une-purge-discrete-apres-le-fiasco-de-son-plan-matignon_6249322_823448.html externer Link) Diskret, also nicht derart spektakulär wie im Winter 1998/99, als der damalige Vorsitzende Jean-Marie Le Pen den Chefideologen Bruno Mégret – die damalige Nummer Zwei in der Hierarchie, wobei Le Pen senior damals betonte, es gebe in seiner Partei gar „keine Nummer Zwei“, sondern nur eine Nummer, nämlich den Big Boss als Nummer Eins – und einen ganzen Stab seiner Berater aus der Partei hinauswarf. Damals erklärte ein Zeichner der KP-nahen Tageszeitung L’Humanité, dass die Methode eines Jean-Marie Le Pen gegenüber Mégret lautete: „Sei still, sonst werde ich Dich Peng-peng Ku-Klux!“

Zum Thema „Entdiabolisierung“

Wie wird man den Teufel wieder los? Normalerweise hören Übungen, die man zu dieser Thematik durchführt, auf die Bezeichnung „Exorzismus“. Nicht um solcherlei Teufelsaustreiberei handelt es sich jedoch, wenn eine politische Partei sich seit Jahren die dédiabolisation – wörtlich „Entteufelung“, als Begriffsneuschöpfung, die das Gegenstück zu „Verteufelung“ (diabolisation), oder auch im Deutschen „Entdämonisierung“ – auf ihre Tagesordnung geschrieben hat. Vielmehr handelt es sich hier um politische Anstrengungen, die darauf gerichtet sind, konkret den Geruch der Nähe zum historischen Faschismus und Nazismus abzustreifen – in dem Bemühen, stärkere Akzeptanz, Anerkennung und Bündnisfähigkeit zu erlangen.

In weiten Teilen der französischen Öffentlichkeit wird dieses Bestreben nach „Entdiabolisierung“ mit dem Namen von Marine Le Pen in Verbindung gebracht. Diese übernahm den Parteivorsitz des damaligen Front National (FN) und jetzigen Rassemblement National (RN) am 16. Januar 2011 von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen und leitete vor allem eine Veränderung ein: Sie war davon überzeugt, dass es von strategischer Bedeutung sei, im Unterschied zu ihrem Vater offen antisemitische Anspielungen, aber auch eine Verteidigung der Achsenmächte des Zweiten Weltkriegs (frei nach einem US-Song der 1940er Jahre: „Adolf, Benito, Hi-ro-hito“) lieber zu unterlassen, und setzte diese Linie auch weitgehend durch.

Der heute mittlerweile 96jährige wurde 2015 vordergründig wegen Antisemitismus aus der Partei ausgeschlossen – in Wirklichkeit wohl auch, weil er seiner Tochter ständig aus dem Hintergrund in die Partei hineinregieren wollte, die er immer noch als seine Schöpfung betrachtet.

Offiziell stehen Jean-Marie Le Pens Sprüche zum Antisemitismus, von denen der „Detail-Affäre“ im September 1987 – die angeblich offene Frage der Wirklichkeit der Gaskammer sei ein „Unterpunkt“ (point de détail) der Geschichte – bis zu denen in der Pro-Pétain-Zeitung Rivarol von 2015, angeblich als Streitgegenstand zwischen der jetzigen Parteiführung und dem Gründervater. In Wirklichkeit verteidigte der aktuelle RN-Chef Jordan Bardella nicht nur Jean-Marie Le Pen am 05. November 23 mit den Worten, er sei „kein Antisemit“ – er traf vor allem auch im selben Jahr zu einem mehrstündigen Gespräch mit ihm zusammen und ließ sich von ihm beraten, wie die Pariser Abendzeitung Le Monde erstmals am 26. Juni 24 im Rahmen eines längeren Artikels kurz erwähnte.

Bardella, weit von dem gern nach außen gekehrten Bild der „Mäßigung“ entfernt, arbeitet in seiner Aufstiegsphase von 2014 bis 2016 im FN-Kreisverband von Seine-Saint-Denis in der nördlichen Pariser Banlieue unter anderem mit Anhängern des in den Jahren 2006 bis 2009 durch Jean-Marie Le Pen geförderten, dann jedoch aus dem Front National ausgetretenen antisemitischen Publizisten Alain Soral zusammen. Der Berufs-Antisemit Soral machte sich zwar seinerseits politisch selbständig, scheiterte jedoch ab 2014 mit einem Parteigründungsprojekt kläglich.

Bardella war ferner 2015 als junger Mitarbeiter von Jean-François Jalkh im Europaparlament tätig. Jalkh wurde 2017 kurzfristig zum Interimschef des FN, musste jedoch nach wenigen Tagen abberufen werden, weil Holocaustleugner-Sprüche aus dem Jahr 2000 von ihm bekannt wurden.

Bardella wurde ferner durch die „GUD-Connection“ zum Nachwuchspolitiker aufgebaut – den Altherrenclub einer gewalttätigen stiefelfaschistischen Studentengruppe, die am 26. Juni durch Innenminister Gérald Darmanin verboten wurde. Diese „GUD-Connection“ (vgl. zu den Ursprüngen des GUD: https://www.youtube.com/watch?v=58NH4kwP_YU externer Link ) kontrollierte bis vor kurzem weitgehend die Parteienfinanzierung des FN und dann des RN; ihr Platz auf diesem Gebiet wird jedoch in jüngster Zeit durch die „Versailles-Connection“ des katholisch-reaktionären Milliardärs Pierre-Edouard Stérin streitig gemacht. Dessen Einfluss auf Marine Le Pen steigt, weil er Bündnispartner im konservativen Lager erreichen kann. (Vgl. zu ihm: https://www.lemonde.fr/economie/article/2024/05/02/pierre-edouard-sterin-milliardaire-catholique-pret-a-racheter-marianne_6231186_3234.html externer Link und https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/07/21/le-plan-du-milliardaire-pierre-edouard-sterin-pour-permettre-la-victoire-de-la-droite-et-de-l-extreme-droite_6254183_823448.html externer Link)

„Entdiabolisierung“: bereits zu besonders diabolischer Zeit proklamiert…

Zurück zur offiziellen Normalisierungsstrategie. Diese wird, wie erwähnt, gemeinhin mit dem Wechsel von Jean-Marie Le Pen zu Marine Le Pen an der Spitze der Partei (2011) assoziiert. Doch ist es in Wirklichkeit grundlegend falsch, das Bestreben nach dédiabolisation auf Marine Le Pen zurückzuführen.

Erstmals tauchte der Begriff nämlich explizit bei der Sommeruniversität des damaligen Front National am 30. und 31. August 1989 auf. (Vgl. https://www.lemonde.fr/archives/article/1989/09/02/reuni-a-la-baule-le-front-national-met-en-forme-sa-reflexion-sur-les-avantages-de-l-exclusion_4135802_1819218.html externer Link und https://www.lemonde.fr/m-actu/article/2015/12/17/dediabolisation_4828667_4497186.html externer Link) Also während einer Periode, in der Jean-Marie Le Pen beispielsweise am 12. August desselben Jahres in der FN-nahen rechtskatholischen Tageszeitung erklärt hatte: „Die großen Internationalen wie die jüdische Internationale spielen eine nicht zu vernachlässigende Rolle bei der Schaffung eines antinationalen Geistes.“

Daneben nannte er an derselben Stelle auch „das Freimaurerwesen“ (la maçonnerie) in derselben Rolle einer angeblichen Mitwirkung bei der Zerstörung der Natione. Dabei handelt es sich um eine andere Figur, die in Verschwörungstheorien seit den Tagen der frühen Gegner der Revolution von 1789 eine wichtige Rolle spielt. Und übrigens – anders als in Deutschland, wo der Nazismus an der Macht die dortigen Freimaurer weitgehend zerstörte – auch eine Realität darstellt. Denn tatsächlich gibt es Vertreter/innen der historisch auf der Aufklärungsphilosophie basierenden, später dann aber auch Segmenten der Bourgeoisie als Debattierzirkel unter Ausschluss der Öffentlichkeit dienenden Freimaurerverbände („Logen“) in der französischen Politik und Gesellschaft. Einer ihr derzeit wohl prominentesten Vertreter ist übrigens Jean-Luc Mélenchon; ein weiterer Grund neben anderen, warum er für den harten Kern der Rechtsextremen definitiv eine Hassfigur bleiben dürfte. (Vgl.: https://www.liberation.fr/checknews/2018/10/30/melenchon-franc-macon-etait-ce-connu-du-grand-public-l-assume-t-il_1688824/ externer Link, https://www.marianne.net/politique/des-francs-macons-veulent-ejecter-jean-luc-melenchon-du-grand-orient-cause-de-son-attitude externer Link und https://www.leparisien.fr/politique/grand-orient-de-france-la-demande-de-suspension-de-jean-luc-melenchon-jugee-irrecevable-16-01-2019-7990026.php externer Link)

Dieselbe Sommeruniversitäts-Rede von 1989 des mittlerweile verstorbenen Ideologen Yvan Blot, die den Kurs auf eine „Entdiabolisierung“ setzte, enthielt übrigens ebenfalls Angriffe auf die „Aufklärungsphilosophie, die von verschiedenen Freimaurerströmungen inspiriert war“ und die „natürlichen Ungleichheiten“ in Frage gestellt habe. So viel nur zum Thema: Wer eine „Entdämonisierung“ anstrebt muss (angeblich) politisch harmlos sein…Strategiedebatte Rechts

Marine Le Pen hält solcherlei Rückgriffe auf erkenn- und identifizierbare historische Erzählungen der präfaschistischen und faschistischen Rechten für kontraproduktiv.

Dabei zieht sie auch Lehren aus historischen Episoden, in denen der FN jeweils die Brücken zu möglichen Bündnispartnern abbrechen sah, wie im Herbst 1987 nach der „Detail-Affäre“ – Jean-Marie Le Pen hatte die Existenz der Gaskammern bei einem Fernsehauftritt vom 13. September 87 erst indirekt bestritten, dann die angeblich offene Frage als „Unterpunkt (point de détail) der Geschichte“ abgetan – zu einem rechtsbürgerlichen Rassisten wie Olivier d’Ormesson. Dieser Politiker der konservativ-mittelständischen Kleinpartei CNIP war ein wichtiger Lobbyist des damaligen Apartheid-Regimes in Südafrika in Frankreich und konnte mit diversen Formen von Rassismus gut leben, nicht jedoch mit dem Verdacht, es mit einem Sympathisanten der Achsen- statt der Westmächte zu tun zu haben. Kurz darauf wurde Jean-Marie Le Pen eine zuvor ausgesprochene Einladung als Gast zum Parteikongress der britischen Konservativen unter Margaret Thatcher in Blackpool entzogen, ebenso, wie sich bei der israelischen Herut-Partei, der Vorläuferin des Likud-Blocks, Türen schloss. Im Februar 1987 war er noch in New York mit Vertretern der Partei zusammengetroffen. Doch im Präsidentschaftswahlkampf 1988 durfte er dann nicht medienwirksam nach Israel reisen, wie ursprünglich geplant.

Marine Le Pen versucht, solche Verdachtsmomente auszuräumen. Nicht, weil das Menschenbild ihrer Partei sich von Grund auf verändert hätte und sie eine kopernikanische Wende vom völkischen Nationalismus zum Humanismus vollzogen hätte; sondern schlicht, weil sie Erfolg haben möchte.

Marine Le Pen: „schon immer zionistisch“..?

Am 29. Mai dieses Jahres erklärte die RN-Vorsitzende wörtlich: „Der Front National war schon immer zionistisch.“ (https://www.lefigaro.fr/politique/israel-malgre-les-provocations-de-son-pere-envers-les-juifs-le-fn-a-toujours-ete-sioniste-considere-marine-le-pen-20240529 externer Link und https://fr.timesofisrael.com/marine-le-pen-le-fn-a-toujours-ete-sioniste/ externer Link sowie https://video.lefigaro.fr/figaro/video/le-front-national-a-toujours-ete-sioniste-selon-marine-le-pen/ externer Link) Nun erscheint es zwar unwahrscheinlich, dass eine überwiegend nicht-jüdische französische Partei eine Vertreterin jüdischen Nationalismus sei, doch meinte sie damit, auch zu Zeiten von Jean-Marie Le Pen habe der FN trotz, in ihren Worten, „schwieriger Beziehungen zur jüdischen Gemeinschaft“ in Frankreich immer den Staat Israel und dessen Politik unterstützt habe.

Historische Doppelbödigkeit: antisemitisch doch pro-israelisch gleichzeitig

Dies ist im Übrigen nicht einmal völlig falsch, auch wenn es vieles auslässt. Denn die Hauptströmung der Partei unterschied immer zwischen der französischen Innenpolitik – in der ihr völkischer Nationalismus immer auch eine antijüdische Komponente hatte – und der Außenpolitik, auf deren Feld der Staat Israel als Vorposten und Vertreter gemeinsamer Interessen etwa gegen arabischen Nationalismus und deswegen auch gegen die Entkolonialisierung in Algerien und die Nationalisierung des Suezkanals durch Ägypten betrachtet wurde.

Dieses Herangehen weist eine gewisse Doppelbödigkeit auf. Die hatte ein Großteil des französischen Antisemitismus jedoch schon immer. Denn bevor das nationalsozialistische Deutschland als Besatzungsmacht auch in Frankreich die von ihm so genannte „Endlösung der Judenfrage“ umzusetzen begann, unter Mitwirkung von Kollaborateuren, war der französische Antisemitismus lange Zeit zumeist auf Zwangsauswanderung in die damalige osmanische Provinz oder das damalige britische Mandatsgebiet Palästina, das spätere Israel ausgerichtet. Der fanatische Antisemit und Autor zahlreicher Bestseller wie „Das jüdische Frankreich“ (La France juive) von 1886, Edouard Drumont, forderte etwa im Jahr 1890, „alle Juden nach Palästina zurückzusenden“. Noch 1943 forderte der Ex-Sozialist Marcel Déat – ein Nazikollaborateur erster Kategorie und Gründer einer faschistischen Partei, die übrigens bereits den Namen Rassemblement national populaire (RNP) trug und auch bereits eine Flamme in den blau-weiß-roten Nationalfarben als Symbol trug, wie später der FN -, das von Nazideutschland geführte Europa solle den Juden „ein Territorium, einen Staat, eine Nation“ geben, „aber unter einer Bedingung, dass sie alle dort wohnen, dass alle zwölf Stämme Israels sich dort vollständig versammeln“. (https://www.mediapart.fr/journal/france/230524/combattre-l-antisemitisme-en-toute-clarte externer Link) Dass die deutsche Naziführung zu dem Zeitpunkt statt einer Zwangsauswanderung (wie diese von 1933 bis 1936 zunächst in Berlin favorisiert, später jedoch aufgegeben wurde) bereits den Völkermord begonnen hatte, wusste er womöglich nicht.

Und spätere Rechtsextreme hinderte es nicht daran, wieder dort anzuknüpfen, wo Déat aufgehört hatte. Antisemitisch und pro-israelisch zugleich – Hauptsache, die historisch als „wurzellos“ betrachteten Juden und Jüdinnen vermischen sich nicht dauerhaft mit ihren von den Antisemiten so genannten „Gastvölkern“ oder hören jedenfalls auf, ein von ihnen so bezeichnetes „kosmopolitisches Element“ darzustellen.

Artikel von Bernard Schmid vom 22. Juli 2024

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Teil 6: Wird und kann gesellschaftliche und gewerkschaftliche Mobilisierung für das Linksbündnis
die Blockadehaltung des Macron-Lagers aufbrechen?

PQR ist eine lustige Bezeichnung, die mittlerweile im Französischen üblich wurde. Liegt sie doch nahe an PQ, eine geläufige Abkürzung für Klopapier. Dennoch hält sich auch in seriösen Publikationen das Kürzel PQR zur Bezeichnung der presse quotidienne régionale, also der „regionalen Tagespresse“ für die nicht in Paris erscheinenden Tageszeitungen wie Le Télégramme in Brest, L’Indépendant in Perpignan oder La Provence in Marseille.

Über diese Regionalpresse, also, schaltete sich (https://www.ouest-france.fr/politique/emmanuel-macron/lettre-aux-francais-emmanuel-macron-appelle-les-forces-republicaines-a-batir-une-majorite-solide-69b4bf78-3eb6-11ef-af6f-cc8c20a9107a externer Link) Staatspräsident Emmanuel Macron am gestrigen Mittwoch in die politische Debatte nach dem Ausgang der Parlamentswahl vom vorigen Sonntag ein. Nicht, dass das Staatsoberhaupt seitdem nicht in die französische Innenpolitik eingegriffen hätte, hinter den Kulissen agierte er selbstredend ununterbrochen. Erstmals äußerte er sich nun jedoch auch in der Öffentlichkeit.

Und zwar, um anzukündigen, dass die im Januar dieses Jahres von ihm eingesetzte Regierung unter dem jungen Premierminister Gabriel Attal vorläufig im Amt bleibt und die laufenden Staatsgeschäfte fortführt, und dass er sich auf eine längere Regierungsbildung einstellt. Dafür fordert er die staatstragenden Kräfte auf der Linken und auf der Rechten zur Bildung einer Art Großen Koalition auf. Diese könnte etwa vom, zuletzt zwischen 2012 und 2017 regierenden, Parti Socialiste (PS) – dem rechteren Flügel der französischen Sozialdemokratie, ihr linkerer Flügel ging neben anderen Kräften in der heterogenen linkspopulistischen Wahlplattform La France insoumise (LFI, „Das unbeugsame Frankreich“) auf – bis hin zu den nicht offen mit den Rechtsextremen verbündeten Teilen der französischen Konservativen reichen.

Kritik kommt auf

An dieser Positionierung wurde alsbald Kritik von mehreren Seiten her laut. Von Links her wird Macron (https://www.bfmtv.com/politique/elections/legislatives/direct-legislatives-macron-repousse-la-nomination-du-premier-ministre-ses-opposants-s-insurgent_LN-202407110060.html externer Link) vorgeworfen, er wolle die jüngsten Wahlgewinner/innen nicht regieren lassen.

Dabei wird vielfach daran erinnert, Macron habe sich zwei mal, jeweils in der Stichwahlrunde der französischen Präsidentschaftswahl (2017 und 2022), als einziger verbliebener Gegenkandidat zu Marine Le Pen mit den Stimmen der Linkskräfte wählen bzw. wiederwählen lassen. Zuletzt, 2022, erklärte Emmanuel Macron dazu übrigens, er wisse, was er dieser Wählerschaft verdanke, und er fühle sich ihr deswegen (https://www.bfmtv.com/politique/elections/presidentielle/j-ai-conscience-que-ce-vote-m-oblige-macron-s-adresse-a-ceux-qui-ont-fait-barrage-a-le-pen_AV-202204240356.html externer Link) „verpflichtet“. Nur wirkte sich dies auf seine nachfolgenden politischen Entscheidungen nicht aus – die Renten„reform“ 2023 wurde etwa gegen massive Widerstände der Linken durchgedrückt, und nicht nur von ihr, denn 93 Prozent der abhängig Beschäftigten lehnten die beschlossene Verlängerung der Lebensarbeitszeit ab. Und nun will Macron das heterogene, und durchaus von Widersprüchen durchzogene, linke Lager gar nicht mal bei der Regierungsbildung zum Zuge kommen lassen, oder aber es aufspalten und nur seinen „moderateren“ Teil einbeziehen.

Unterdessen ist auch Macrons eigenes bisheriges Regierungslager dabei tief gespalten, was sich auch darin ausdrückt, dass bislang nur zwei Drittel der gewählten oder wiedergewählten Abgeordneten der Präsidentenpartei Renaissance – 60 von 89 – bis zur Stunde in ihre neu konstituierte Parlamentsfraktion einschrieben. Auch bürgerliche Leitmedien titeln derzeit: „Das Macron-Lager steht am Rande der Implosion.“ (https://www.bfmtv.com/politique/les-deputes-renaissance-divises-sur-la-recherche-d-une-coalition_VN-202407110083.html externer Link)

Aus den Reihen seiner bisherigen Unterstützer im Parlament, von denen viele im jüngsten Wahlkampf in ihren Unterlagen und Werbematerialen jede Bezugnahme zu Macron herausstrichen, wird Macron viel vorgeworfen. Insbesondere, dass er durch seinen jüngsten Beschluss zur Auflösung der Nationalversammlung – am Abend des 09. Juni d.J. – und zu schnell anberaumten Neuwahlen in Kauf genommen habe, die eigenen Abgeordneten und Minister gegen die Wand fahren zu lassen. Anders als Rüdiger Suchsland, der in den Spalten von telepolis Macrons Schritt als rational kalkulierte Strategie mit halbwegs erwartbarem Ausgang (https://www.telepolis.de/features/Stichwahl-in-Frankreich-Macron-hat-hoch-gepokert-und-ein-bisschen-gewonnen-9793878.html externer Link) darstellt, sahen und sehen derzeit viele in Frankreich und auch im Macron-Lager die jüngsten politischen Ereignisse eher als chaotischen Prozess.

Kurzer Rückblick

Der Ausgang der jüngsten Juli-Wahlen kam für viele, ja die meisten Beobachterinnen und Beobachter in Frankreich überraschend. Im ersten Wahlgang der französischen Parlamentswahl am 30. Juni hatten noch die Rechtsextremen als stärkste und das Linksbündnis nouveau front populaire als zweitstärkste Kraft abgeschnitten. (NFP: auf deutsch höchst grobschlächtig doch inhaltlich falsch übersetzt mit „Neue Volksfront“, inhaltlich weitaus richtiger: „Neue Front derer da unten gegen die da oben“; Namensgebung in Anspielung auf den Namen der linken Regierungskoalition von 1936/37)

Doch eine Woche darauf drehte sich das Verhältnis dann, bei den entscheidenden Stichwahlen vom 07.07. dieses Jahres, komplett um.

Die linke Wahlallianz NFP erhielt nunmehr 182 Parlamentssitze von insgesamt 577 und landete auf dem ersten Platz, das Staatspräsident Emmanuel Macron – ehemals – unterstützende Parteienbündnis Ensemble ihrer 163. Die Rechtsextremen landeten plötzlich nur noch auf dem dritten Rang mit 125 Sitzen für Kandidaten des Rassemblement national (RN) und weiteren 17 für direkt mit dem RN verbündete Konservative rund um den Parteiflügel der gespaltenen bürgerlichen Rechtspartei Les Républicains (LR) um Eric Ciotti. Zusammen also 142 für die Rechts-Rechts-Allianz. Hinzu kommen kleinere politische Kräfte, etwa die nicht mit den Rechtsextremen verbündeten Teile der zersplitterten konservativen Partei LR mit circa vierzig Sitzen, oder circa sechzig zusammen mit kleineren bürgerlichen Splitterparteien (Divers droite).

Verbreitetes Motiv: spontaner wahlpolitischer Antifaschismus

Ursächlich für diese Umkehr der Ergebnisse innerhalb einer Woche war ein spontaner antifaschistischer Abwehrreflex in relevanten Teilen der Gesellschaft. Begünstigt wurde dieser Mechanismus wiederum durch das Verhalten vieler Kandidatinnen und Kandidaten, die ihre Bewerbung zwar – aufgrund ihres Stimmenanteils in der ersten Runde, erforderlich dafür waren rund achtzehn Prozent der abgegebenen Stimmen – in der Stichwahl hätten aufrechten erhalten können, diese jedoch zurückzogen, um nicht besser platzierte Kandidaturen aus dem nicht-rechtsextremen Lager zu behindern.

Trotz immenser, insbesondere wirtschafts- und sozialpolitischer Differenzen zwischen dem heterogenen linken und dem liberalen Lager funktionierte dieser gegenseitige Rückzug letztendlich. Über 220 Kandidaturen wurden vor der Stichwahl zurückgezogen. Statt in 300 möglichen Fällen fanden Stichwahlrunden zu dritt nur noch in 89 Wahlkreisen statt, in den übrigen hingegen wurde die entscheidende Runde nur noch unter zwei Bewerber/inne/n ausgetragen. Statt relativer wurden dadurch fast überall absolute Mehrheiten erforderlich. Diese Hürde konnte die extreme Rechte vielerorts, da ihre Gegner auf unterschiedlichen Seiten wach wurden, dann doch nicht nehmen.

Auf die Dauer: mit Links… oder mit Rechts?

In einer innenpolitisch polarisierten Situation wird es auf die Dauer unvermeidbar sein, entweder der Linken oder der Rechten Spielräume zu lassen. Dabei wird es niemand einfach haben, da aufgrund der Aufteilung der Kräfte im neuen französischen Parlament keiner der drei wichtigsten Blöcke auch nur annähernd über eine Mehrheit der Sitze verfügt. Welche Perspektiven eine Minderheitsregierung der Linksparteien hätte und auf welche Grenzen sie stoßen müsste, wird längst eruiert /// vgl. unseren Teil 5 /// und diskutiert.

Klar dürfte dabei sein, dass die polarisierende Figur von Jean-Luc Mélenchon, Gründer der Wahlplattform LFI – welche u.a. wegen Mélenchons Auftreten und ihrer eher undemokratischen inneren Strukturen, aber auch aus schlechten Gründen und aufgrund gegen ihn gerichteter Hetze in der Kritik steht – wohl sicherlich nicht Premierminister werden könnte.

Seine sämtlichen Partner/innen, vom Parti socialiste (le PS) über die Grünen bis zur Französischen Kommunistischen Partei (le PCF) – die trotz ihres, historisch begründeten Namens in dem Bündnis gewiss nicht besonders weit links steht – oder auch in anderen Teilen des Parlaments, sind sich darin einig, Mélenchon nicht an der Spitze sehen zu wollen.

Allerdings sehen dies Teile von LFI anders; wie am Freitag früh bekannt wurde, präsentierte LFI am Vorabend den Partnerparteien aus der Linken eine Short List von vier Namen, von Personen, welche die Wahlplattform als geeignet für den Posten des Premierministers oder der Premierministerin hält. Unter ihnen findet sich wiederum Mélenchon, aber nehmen ihm stehen auch der „Koordinator“ (faktischer Parteichef doch unter den Fittichen eines quasi omnipräsenten Mélenchon) Manuel Bompard, die Fraktionsvorsitzende von LFI in der Nationalversammlung – Mathilde Panot – sowie die profilierte Abgeordnete und Co-Leiterin des LFI-nahen Bildungsinstituts Institut de la Boëtie, Clémence Guetté.

Letzter Stand heute früh ist, dass es jedoch noch immer keine Einigung auf der Linken über den Namen einer oder eines möglichen Premierministerin/ministers gibt. Den Leitmedien zufolge blockieren sich dabei die Wahlplattform LFI einerseits, die frühere Regierungspartei PS (Parti socialiste) andererseits gegenseitig mit ihren Ansprüchen auf die Regierungsführung. Am gestrigen Donnerstag beklagte sich darüber die linksgrüne Abgeordnete Sandrine Rousseau in einem Fernsehinterview: „Je mehr Zeit verstreicht, ohne dass wir einen Namen verkünden, verlieren wir an Boden und wird die Bevölkerung misstrauisch.“ Ihre (grüne) Parteivorsitzende Marine Tondelier, die ebenfalls als mögliche Anwärterin auf den Premierministerinnenposten gilt; beruhigte hingegen beim Frühstücks-TV-Interview am heutigen Freitag: „Wir kommen voran“, und in den Niederlanden, Belgien und Deutschland hätten Koalitionsverhandlungen ja jeweils Monate gedauert.

Kurzkommentar

Nun, die bescheidene Auffassung des Autors wäre: Fragen der Programminhalte und ihrer Durchsetzung (auch aus einer parlamentarischen Minderheitsposition heraus, wobei man die Spielräume vielleicht ausloten müsste – schlussendlich hätte das Blockieren sozialpolitisch progressiver Beschlüsse für die Anderen ja auch einen politischen Preis) hätte man doch wesentlich mehr Bedeutung zuzumessen als einer Namensfrage.

Und das scheinbare unbedingte Festklammern von LFI an dem Anspruch, unbedingt die Regierungsspitze zu stellen, versteht der Autor nur bedingt. Auf der einen Seite ist kaum mit im progressiven Sinne umwälzenden Maßnahmen seitens etwa eine PS-geführten Regierung zu rechnen. Andererseits ist das gesamte Linksbündnis ohnehin auf keiner Seite auf radikalere Brüche ausgerichtet, sondern sein gemeinsames Programm ist keynesianisch orientiert, auf Steigerung der Beteiligungsmöglichkeiten der Unterklassen und Lohnabhängigen am Konsum sowie Ankurbelung der Wirtschaft durch diese Konsummöglichkeit – insofern ist der Unterschied zwischen linker Sozialdemokratie (LFI) und rechterer Sozialdemokratie (PS) nur ein gradueller, kein grundsätzlicher. Nirgendwo im Programm der Einen oder Anderen steht etwa die Forderung nach Entprivatisierung durch Verstaatlichung oder optimalerweise Vergesellschaftung von Unternehmen, die etwa im Programm des damaligen Parti socialiste (PS) bei Regierungsantritt 1981 noch eine zentrale Rolle spielte, auch wenn die Illusionen über einen „parlamentarischen Weg zum Sozialismus“ unter François Mitterrand dann schnell zerstoben. (Gut wäre übrigens auch, würde Mélenchon aufhören, den alten Mitterrand – dessen historische Bilanz furchtbar ist – noch als sein politisches Vorbild auszugeben…) Heute stellt weder LFI noch der PS die Programmforderung nach Aufhebung des Privateigentums an einer Serie von Unternehmen, wie der PS es 1981 noch tat. Wobei einige LFI-Politiker/innen selbst dieses Ziel hochhalten, jüngst auch die oben erwähnte Clémence Guetté.

Hinzu kommt, dass es strategisch für eine sich weiter links positionierende Kraft durchaus sinnvoll sein kann, etwa auf die Tolerierung einer Regierung ohne eigene Kabinettsbeteiligung zu setzen, um sich nämlich Spielräume zum Opponieren (und zum Einklagen eines Programms, falls die konkrete Regierungsarbeit – etwa gegenüber den Druckhebeln des Kapitals – es dann nicht umsetzt) offenzuhalten. Warum zum Teufel sollte man als Linke/r unbedingt in die Regierung drängen, statt sich die Position derer, die eine künftige Regierung dann etwa in sozialen Belangen unter Druck setzen können, offenzuhalten? Nun ja, nur eine kleine Anmerkung…

Gewerkschaftlicher Druck … und solcher von der Gegenseite

Inzwischen gibt es für den Fall weiterer Blockadehaltung seitens des Macron-Lagers, das die Regierungssitze nicht räumen möchte, auch gewerkschaftliche Mobilisierungs- und Streikandrohungen.

Der Conseil national confédéral (Nationale Ratschlag des Dachverbands), also das „Parlament“ des Gewerkschaftsdachverbands CGT, verabschiedete am Dienstag, den 09. Juli eine Resolution zum Thema. (Vgl. http://www.frontsyndical-classe.org/2024/07/l-apres-legislatives-la-position-du-parlement-de-la-cgt.html externer Link)

Am gestrigen Donnerstag, den 11. Juli rief die „CGT der Eisenbahner“ (CGT Cheminots) für kommende Woche – den 18. Juli, den Tag der Eröffnung der neuen Nationalversammlung – zum Demonstrieren und Protestieren auf. (Vgl. bspw. https://www.francetvinfo.fr/elections/legislatives-2024-la-cgt-cheminots-appelle-a-manifester_6660636.html externer Link)

Zuvor hatte zu Anfang der Woche der frühere Abgeordnete und junge LFI-Politiker Adrien Quatennens – seine Kandidatur zum Parlament musste er jüngst infolge seiner Verurteilung wegen einer Ohrfeige für seine Ehefrau zurückziehen – zu einem „Marsch auf das Hôtel Matignon“, den Amtssitz des Premierministers, aufgerufen (https://www.lexpress.fr/politique/grande-marche-sur-matignon-lappel-de-quatennens-provoque-un-tolle-6LFUJ2LHORHLDG664DULUU37IE/ externer Link) Wobei es unserer bescheidenen Auffassung zufolge stärker als „Ausdruck gesellschaftlichen Protests“ und „Druck von unten aus der Gesellschaft“ legitimiert erscheint, wenn Sozialorganisationen wie Gewerkschaften dazu aufrufen, als wenn ein solcher Aufruf von Parteipolitiker/inne/n egal welcher Couleur kommt.

Marine Le Pen nutzte die Gunst der Stunde, um zu behaupten, die Linke betreibe nun „umgekehrten Trumpismus“ und rufe zu einem Äquivalent des Capitol-Sturms in Washington D.C. vom 06. Januar 2021 auf. Eine weitere günstig genutzte Gelegenheit, um die an die extreme Rechte des Landes gerichteten Vorwürfe umzukehren, wie schon zuvor die durchsichtige Umkehr des Antisemitismus-Vorwurfs an die Adresse der pro-palästinensischer Aktivitäten (wie immer man nun diese diskutieren und bewerten möchte) beschuldigten Teile der Linken. (Vgl. https://www.lejdd.fr/politique/cest-leur-assaut-du-capitole-marine-le-pen-accuse-les-insoumis-de-vouloir-prendre-de-force-matignon-147383 externer Link und https://www.bfmtv.com/politique/c-est-leur-assaut-du-capitole-marine-le-pen-denonce-le-comportement-du-nouveau-front-populaire-qui-veut-prendre-de-force-matignon_VN-202407100309.html externer Link sowie https://www.bfmtv.com/politique/elections/legislatives/marche-en-direction-de-matignon-bompard-defend-une-mauvaise-interpretation-des-propos-de-quatennens_AP-202407100365.html externer Link)

Dabei hatte Marine Le Pen sich durchaus in der Vergangenheit auch auf Trump bezogen… (Vgl. https://www.radiofrance.fr/franceinter/podcasts/histoires-politiques/histoires-politiques-du-mardi-21-novembre-2023-3148840 externer Link & https://www.bfmtv.com/politique/elections/presidentielle/quand-marine-le-pen-echouait-a-rencontrer-donald-trump-en-2017_AN-202202150138.html externer Link)

Ihre Partei, der Rassemblement national, kündigte darüber hinaus an, eine Blockadepolitik gegen jegliche Regierungsbeteiligung sei es von LFI, sei es von grünere Seite zu üben – den rechteren Teil der Sozialdemokratie und die Französische KP erwähnte sie dabei nicht, da im bürgerlichen Diskurs etwa des Macron-Lagers derzeit PS und PCF als „grundsätzlich staatstragende Parteien“ i.d.R. von LFI als „demokratiefeindliche chaotisierende Kraft“ unterschieden werden, und Marine Le Pen sich auch so selbst als Teil der Staatstragenden inszeniert. Natürlich steht Le Pen allen Teilen der Linken feindselig gegenüber, doch versteht die Dame sich taktisch zu positionieren. Im Falle einer Regierungsbeteiligung von Mélenchonisten oder Grünen wolle man alle zur Verfügung stehenden Register ziehen, wie etwa mit systematischen parlamentarischen Misstrauensanträgen.

Auf der Gegenseite: Rechts durchwirkte Landwirtegewerkschaft

Die rechte, in Teilen anti-ökologische und in Teilbereichen dem RN nahe stehende Landwirtegewerkschaft Coordination rurale Kampf- oder Blockademaßnahmen (ihr Kommuniqué sprach metaphorisch davon, „die Mistgabeln herauszuholen“) im Falle einer Regierungsbeteiligung von LFI- oder Grünen-Mitgliedern einzuleiten. (https://www.20minutes.fr/politique/assemblee_nationale/4100948-20240711-legislatives-2024-fourches-contre-ecolos-parlementaire-contre-dreadlocks externer Link) Da könnte ja noch jemand auf die Idee kommen, Pestizide einzuschränken?! Wo kämen wir denn da hin…

Einer der regionalen Barone der Coordination rurale– die ungefähr zwanzig Prozent der Stimmen bei den Landwirtschaftskammern wiegt, weniger als der konservativ-reaktionäre Lobbyverband FNSEA, ein knappes Prozent mehr als die linke Bauerngewerkschaft Coordination paysanne, Stand 2019 -, Serge Bousquet-Cassagne im südwestfranzösischen Département Lot-et-Garonne, erklärte dazu klipp & klar: „Wir hätten den RN (in der Regierung) vorgezogen.“ (Vgl. https://www.tf1info.fr/elections/elections-legislatives-on-ne-se-laissera-pas-crever-la-coordination-rurale-menace-de-sortir-les-fourches-si-ecologistes-ou-insoumis-entrent-au-gouvernement-2308254.html externer Link) Eine solche Positionierung ist für Bousquet-Cassagne, welcher auch der lokalen Landwirtschaftskammer vorsitzt, nicht neu. Er hatte bereits im Vormonat auch explizit erklärt, diese Partei wählen zu wollen. Andere Führungsfiguren der Coordination rurale sind hingegen bei ihrer Positionierung etwas vorsichtiger oder geben parteipolitische Neutralität zumindest vor.

Dabei gibt es durchaus im Einzelnen Berührungspunkte – wo Interessen der Basis auch dieser Landwirtegewerkschaft tangiert sind – auch zur Linken, wenn man sie nur sehen möchte. Vor wenigen Tagen gab ein (vom PS kommender) Kandidat des Linksbündnisses Nouveau front populaire bekannt, eine Klage vor dem Verwaltungsgericht einzureichen, weil selbst die unzureichenden Bestimmungen des Verbraucher- und Landwirtschafts-Schutzgesetzes EGALIM zu Mindestabnahmepreisen für Landwirte/Landwirtinnen bei den Handelsketten nicht respektiert werden. Die Coordination rurale kündigte in einer Presseaussendung an, ihn darin zu unterstützen. (https://www.latribune.fr/entreprises-finance/industrie/agroalimentaire-biens-de-consommation-luxe/agriculture-gauche-et-droite-unies-autour-de-la-defense-du-revenu-des-producteurs-1001492.html externer Link) Geht doch, geht doch, wenn man nur möchte…

Macron, der Bürgerblock und die rechtsextreme Alternative

Macron möchte die wieder aufgetretene Links-Rechts-Polarisierung jedoch nicht akzeptieren. Seine Strategie besteht seit 2017 darin, dass es nur noch die Wahl zwischen einem erweiterten Mitteblock, der das „wirtschaftlich Vernünftige“ verkörpern solle, und einer rechtsextremen Alternative für den Fall seines Scheiterns geben solle. Deswegen auch hatte er das Land bis an den Rand der rechtsextremen Regierungsfähigkeit herangeführt, auch wenn eine spontane antifaschistische Abwehrmobilisierung diese nun vorläufig verunmöglicht hat.

Dabei droht jedoch, solange dieser neu zu formierende Mitteblock weder Links noch Rechts andocken soll, auf die Dauer das unerklärte und verschämte Kuppeln mit Kräften, die zumindest unter der Hand mit antidemokratischen Rechtskräften kungeln, sofern dies als „Stabilitätsgarantie“ gilt.

Erinnert sei nicht nur daran, dass das Macron-Lager das umstrittene verschärfte Ausländergesetz im Dezember 2023 mit den Stimmen (https://www.lemonde.fr/les-decodeurs/article/2023/12/20/le-projet-de-loi-immigration-a-bien-ete-adopte-avec-les-voix-du-rassemblement-national_6206884_4355770.html externer Link) von Konservativen und Rechtsextremen verabschiedet hat.

Auch darf nicht unter den Tisch fallen, dass es bei den jüngsten Parlamentswahlen zwar viele Stimmerfolg von Linken und/oder Liberalen durch gegenseitige Rücksichtnahme und Absprachen gegen den rechtsextremen RN gegeben hat – aber auch genau gegenläufige. Nur zogen die Absprachen, die es zwischen Macron-Leuten und anderen Bürgerlichen auch mit Rechtsextremen gegeben hat, nicht so viel Aufmerksamkeit auf sich, da die überwiegende Tendenz in der öffentlichen Meinung in Richtung Antifaschismus ging.

Neben den antifaschistischen Wahl-Absprachen gab es auch gegenteilige

In mehreren Wahlkreisen buhlten (https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/07/05/legislatives-2024-contre-lfi-l-autre-barrage-de-certains-candidats-macronistes_6247179_823448.html externer Link) jedoch bürgerliche Spitzenpolitiker/innen um die Stimmen von Rechts, so wurde die bisherige Parlaments-Vizepräsidentin Naima Moutchou durch eine solche Absprache und einen Rückzug des konservativ-rechtsextremen Kandidaten in ihrem Wahlkreis (https://actu.fr/ile-de-france/ermont_95219/legislatives-naima-moutchou-horizons-reelue-dans-la-4e-seule-rescapee-de-l-ex-majorite-dans-le-val-d-oise_61322104.html externer Link) wiedergewählt. An manchen der Absprachen waren dem oben zitierten Zeitungsbericht aus Le Monde zufolge Berater des Hôtel Matignon (Amtssitz des französischen Premierministers) beteiligt sowie der früher Nicolas Sarkozy nahe stehende, jetzige Macron-Berater Thierry Solère.

Am Dienstag Abend publizierte die Tageszeitung Libération eine Information, die inzwischen auch das Präsidentenlager (https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/07/10/le-diner-d-edouard-philippe-avec-marine-le-pen-indigne-une-partie-du-camp-presidentiel_6248385_823448.html externer Link) durchschüttelt: Im Winter 2023/24 speiste Edouard Philippe, früherer Premierminister Macrons in den Jahren 2017 und 2020 und aussichtsreicher Kandidat in spe seines politischen Lagers für die Präsidentschaftswahl 2027, mit den RN-Spitzen Marine Le Pen und Jordan Bardella. Eingefädelt hatte diese Treffen wiederum der oben zitierte Thierry Solère.

Philippe räumte die bis dahin geheim gehaltenen Dîners (https://www.mediapart.fr/journal/france/100724/edouard-philippe-banalise-l-extreme-droite-autour-d-un-bon-repas externer Link) mittlerweile ein und stammele im Fernsehen eine Rechtfertigung: Er lerne gerne Personen kennen, die ihm unbekannt seien. Sollte es der Stabilität des Wirtschaftssystems dienen, so wird auf die Dauer die Versuchung nicht spektakulärer, wohl aber kalkulierter Rückenschläge nach Rechts existieren – sofern man entschlossen bleibt, Links keine Chance zu lassen.

Artikel von Bernard Schmid vom 12. Juli 2024 – wir danken!

Siehe auch:

  • „Emmanuel Macron, der Garant der Demokratie, muss zugeben, dass er die Wahlen verloren hat“
    Sophie Binet, Generalsekretärin der CGT, war am Donnerstag, den 11. Juli, zu Gast bei LCI, um auf den Sieg der Volksfront bei den Parlamentswahlen zurückzukommen und Emmanuel Macron aufzufordern, seine Niederlage zur Kenntnis zu nehmen. Sie rief dazu auf, sich den Kundgebungen am 18. Juli vor der Nationalversammlung anzuschließen…“ franz. CGT-Meldung vom 11. Juli 2024 externer Link
  • Soziale Forderungen müssen Gehör finden!
    Am Sonntag, dem 7. Juli, erreichte die Wahlbeteiligung bei der zweiten Runde der Parlamentswahlen einen Rekord. Dies ist ein starkes demokratisches Signal und eine seit vielen Jahren nicht mehr dagewesene Mobilisierung der Bürger. Unsere Organisationen begrüßen diesen demokratischen und republikanischen Aufbruch. Dieser darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ergebnisse dieser Parlamentswahlen ein Signal und ein Alarmsignal für jeden und jede von uns sind. Die Botschaft der Wählerinnen und Wähler muss gehört werden. Nach diesen Parlamentswahlen bleiben die Erwartungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die unsere Organisationen tagtäglich vorbringen, bestehen. Es ist dringend erforderlich, dass das Wort der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr und besser berücksichtigt wird. Prekarität und das Gefühl der Deklassierung müssen beendet und die Erwartungen in Bezug auf die Kaufkraft und die Erhöhung der Löhne, des Indexpunktes, der sozialen Mindeststandards und der Renten erfüllt werden. Die Reform der Arbeitslosenversicherung muss endgültig aufgegeben und die Rentenreform rückgängig gemacht werden, um das Land zusammenzuführen. Dies ist der einzige Ausweg für diese Reform, die massiv abgelehnt und durch eine monatelange historische Mobilisierung bekämpft wurde…“ franz. Erklärung der Intersyndical vom 11.7.2024 bei Solidaires externer Link
  • Was hat den RN so stark gemacht?
    Die Befürchtung, dass Frankreich demnächst von den Rechtsextremen regiert wird, hat sich nicht bewahrheitet. Das ist allerdings nicht Präsident Macron zu verdanken, sondern dem linken Wahlbündnis Nouveau Front Populaire. Doch die Bedrohung von rechts außen ist damit nicht gebannt…“ Artikel von Benoît Breville, Serge Halimi und Pierre Rimbert vom 11.07.2024 in Le Monde diplomatique externer Link
  • Linke Wahlerfolge: Die Macht des Gemeinsamen
    Was wurde Anfang Jahr nicht gewarnt vor diesem «annus horribilis», in dem der Faschismus erneut vor der Tür stehe: Die mitteleuropäischen Staaten würden vollends zu Autokratien werden, die britischen Tories maximale Härte in der Asylpolitik demonstrieren, die Lepenist:innen in Frankreich an die Macht gelangen wie schon ihre Fratelli in Italien – und die Rückkehr des Trumpismus in den USA im Herbst sei sowieso unabwendbar. Vor der Sommerpause sieht es überraschend besser aus: In Polen wurde schon kurz vor dem Jahreswechsel die rechtskatholische PiS zum Teufel gejagt, in Skandinavien triumphierten bei den Europawahlen linke Parteien; in Grossbritannien hat Labour nach einem Erdrutschsieg über die Tories als eine der ersten Amtshandlungen das neokoloniale Rückschaffungsabkommen mit Ruanda gestoppt, und am Sonntag jubelte in Frankreich unerwartet eine neue linke Volksfront…“ Leitartikel von Kaspar Surber in der WoZ vom 11. Juli 2024 externer Link
  • Mettez qui vous voulez comme premier ministre tant que le programme du front populaire est appliqué.“ Tweet von Marcel vom 11. Juli 2024 externer Link: „Setzen Sie ein, wen Sie wollen, als Premierminister, solange das Programm der Volksfront umgesetzt wird.“

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Teil 5: Antifaschismus zieht. Linksbündnis hält 32 Prozent der Sitze in der Nationalversammlung.
Perspektive Minderheitsregierung? Notfalls mit Referenden?

Frankreich: Linksbündnis gewinnt Prozent der Sitze in der Nationalversammlung am 7.7.2024 (Quelle: @realmarcel1)Um zwanzig Uhr gab es lange Fressen am Waldrand des Bois de Vincennes, eines der Pariser Stadtwälder. Genauer, beim Wahlabend des Rassemblement national (RN, „Nationale Sammlung“) im zum Stadtwald gehörenden Parc Floral, an den Stadttoren von Paris im zwölften Stadtbezirk. Als die ersten Hochrechnungen gegen 20 Uhr über die Bildschirme flimmerten, entglitten viele Gesichtszüge, und die zum Schwenken bereit gehaltenen blau-weiß-roten Fähnchen hielten in ihren Winkbewegungen inne.

Die Überraschung an diesem Sonntag Abend war echt: Im ersten Wahlgang der französischen Parlamentswahl am 30. Juni hatten noch die Rechtsextremen als stärkste und das Linksbündnis nouveau front populaire als zweitstärkste Kraft abgeschnitten. (NFP: auf deutsch höchst grobschlächtig doch inhaltlich falsch übersetzt mit „Neue Volksfront“, inhaltlich weitaus richtiger: „Neue Front derer da unten gegen die da oben“; Namensgebung in Anspielung auf den Namen der linken Regierungskoalition von 1936/37) Doch eine Woche darauf drehte sich das Verhältnis komplett um.

Die linke Wahlallianz NFP erhielt nunmehr 182 Parlamentssitze von insgesamt 577 und landete auf dem ersten Platz, das Staatspräsident Emmanuel Macron – ehemals – unterstützende Parteienbündnis Ensemble ihrer 163. Die Rechtsextremen landeten plötzlich nur noch auf dem dritten Rang mit 125 Sitzen für Kandidaten des Rassemblement national (RN) und weiteren 17 für direkt mit dem RN verbündete Konservative rund um den Parteiflügel der gespaltenen bürgerlichen Rechtspartei Les Républicains (LR) um Eric Ciotti. Zusammen also 142 für die Rechts-Rechts-Allianz. Hinzu kommen kleinere politische Kräfte, etwa die nicht mit den Rechtsextremen verbündeten Teile der zersplitterten konservativen Partei LR mit circa vierzig Sitzen, oder circa sechzig zusammen mit kleineren bürgerlichen Splitterparteien (Divers droite).

Antifaschismus zieht

Möglich gemacht hatte diese allgemein unerwartete Umkehr des Kräfteverhältnisses, zu Ungunsten der extremen Rechten, zunächst ein weitgehend spontaner – und funktionierender – antifaschistischer Reflex in Teilen der Wählerschaft, insbesondere der jungen Generation.

Die Stimmbeteiligung lag mit knapp 67 Prozent so hoch wie nie seit 1997, dem Jahr der bislang letzten Parlamentsauflösung unter dem damaligen Präsidenten Jacques Chirac, dessen Bürgerliche damals durch eine Linkskoalition unter Lionel Jospin besiegt wurden.

Begünstigt wurde dieser Mechanismus der Abwehr gegen die rechtsextreme Bedrohung wiederum durch das Verhalten vieler Kandidatinnen und Kandidaten, die ihre Bewerbung zwar – aufgrund ihres Stimmenanteils in der ersten Runde – in der Stichwahl hätten aufrechterhalten können, diese jedoch zurückzogen, um nicht besser platzierte Kandidaturen aus dem nicht-rechtsextremen Lager zu behindern.

Trotz immenser, insbesondere wirtschafts- und sozialpolitischer Differenzen zwischen dem heterogenen linken und dem liberalen Lager funktionierte dieser gegenseitige Rückzug letztendlich. Über 220 Kandidaturen wurden vor der Stichwahl zurückgezogen. Statt in 300 möglichen Fällen fanden Stichwahlrunden zu dritt nur noch in 89 Wahlkreisen statt, in den übrigen hingegen wurde die entscheidende Runde nur noch unter zwei Bewerber/inne/n ausgetragen. Statt relativer wurden dadurch fast überall absolute Mehrheiten erforderlich. Diese Hürde konnte die extreme Rechte vielerorts, da ihre Gegner auf unterschiedlichen Seiten wach wurden, dann doch nicht nehmen.

Als stärkste Kraft stellt das, in sich wiederum politisch gespaltene und nur als Abwehrbündnis zustande gekommene, Linksbündnis nun ein knappes Drittel der Parlamentssitze. Ohne Verbündete besitzt es damit jedoch keine Gesetzgebungsfähigkeit. Am Wahlabend forderte der Gründer der linkspopulistischen Wahlplattform La France insoumise (LFI, „Das unbeugsame Frankreich“), Jean-Luc Mélenchon, vor Anhänger/inne/n auf dem „Platz der Schlacht von Stalingrad“ an der Grenze zwischen dem 10. und dem 19. Pariser Stadtbezirk, einen Premierminister oder eine Premierministerin aus den Reihen des Linksbündnisses NFP zu ernennen. Dieses werde „nur sein Programm, aber das ganze Programm“ anwenden. Das gemeinsame Wahlprogramm war am 14. Juni d.J. vorgestellt worden und beschränkt sich auf konsensfähige Kernpunkte. (Vgl. dazu Teil 1)

Linksbündnis hält 32 Prozent der Sitze in der Nationalversammlung. Perspektive Minderheitsregierung?

Dies löst das Problem der fehlenden Parlamentsmehrheit nicht. Mélenchon und der „Koordinator“ – faktische Parteivorsitzende, im Schatten Mélenchons allerdings – von LFI, Manuel Bompard, stellten in Aussicht, es ließe sich zur Not in vielen Fragen auf dem Wege von Exekutivverordnungen regieren.

Der Vorsitzende des Parti socialiste (PS), also der zuletzt von 2012 bis 2017 regierenden Partei, die anders als 2022 nunmehr wieder fast so viele Parlamentssitze stellt wie die vor zwei Jahren noch wesentlich stärkere LFI, Olivier Faure, schlug eine Alternative vor: Die Regierungen unter Emmanuel Macron hätten ja in den letzten Jahren vermehrt, vielfach unter Rückgriff auf den Verfassungsartikel 49 Absatz 3 regiert. Dieser erlaubt es einer Regierung, die Vertrauensfrage zu stellen und danach eine Gesetzesvorlage ohne Abstimmung als verabschiedet zu betrachten, sofern die Nationalversammlung sie nicht durch ein gemeinsames, fraktionsübergreifendes Misstrauensvotum stürzt.

Die Linksparteien hatte diese Art des Regierens, welche in der semi-autoritären Verfassung der Fünften Republik von 1958 vorgesehen ist, in den letzten Jahren regelmäßig als undemokratisch gebrandmarkt. Es wäre also politisch heikel, nun ebenfalls darauf zu setzen. Faure schlägt allerdings vor, den Artikel 49 Absatz 3 just in den Fällen einzusetzen, in denen Macron und seine Kabinette umstrittene und sozial regressive „Reformen“ unter Rückgriff auf diesen Artikel durchsetzten. Man gehe ja gewissermaßen nur denselben Weg zurück.

Die profilierteste Grünenpolitikerin, Marine Tondelier – die 37jährige wird durch einen Teil der Medien in den letzten Stunden und Tagen nun auch zur potenziellen Premierministerin aufgebaut -, ihrerseits regte an, eine Minderheitsregierung der Linksparteien könne notfalls mit Referenden, also Volksabstimmungen regieren. Allerdings gehört das Initiativrecht zur Anberaumung von Referenden lt. verfassungsrechtlichen Bestimmungen dem Staatspräsidenten.

Mindestlohn SMIC

Eine zentrale Wahlkampfforderung des Linksbündnisses beinhaltete eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns SMIC von derzeit 1.398 Euro monatlich netto – von denen man jedenfalls in urbanen Zentren nicht wirklich leben kann – um vierzehn Prozent auf 1.600 Euro netto. Diese Veränderung jedenfalls könnte auf dem Verordnungsweg durchgesetzt werden. Die Mechanismen zur jährlichen Anpassung des SMIC sind gesetzlich geregelt (dabei müssen die Entwicklung der Verbraucherpreise und die durchschnittliche Lohnentwicklung berücksichtigt werden), doch wird die jeweilige konkrete Höhe per Exekutivverordnung festgelegt.

Allerdings schiene es ggf. höchst ratsam, eine solche Maßnahme mit weiteren Änderungen zu begleiten. Denn eine Erhöhung des SMIC ohne flankierende Beschlüsse hätte unerwünschte Nebeneffekte. Zunächst würde eine plötzlich stark gewachsene Zahl von abhängig Beschäftigten dann auf dem Mindestlohn-Niveau landen, weil dieses viele der unteren Lohngruppen in den Kollektivverträgen ein- und überholen würde. Bereits der Inflationsausgleich beim Mindestlohn hatte eine solche Auswirkung, im vorigen Jahr wuchs die Zahl der SMIC-Bezieher von zuvor 14 auf 17 Prozent, da der Mindestlohn an die Inflationsrate angepasst wurde, nicht jedoch viele Niedriglohngruppen in Kollektivverträgen. Die geplante Anhebung würde den Anteil der Mindestlohnverdiener/innen auf rund ein Viertel aller Beschäftigten ausdehnen.

Diesen könnte dann ein Ausbleiben jeglicher Lohnentwicklung über Jahre hinaus drohen, sofern nicht auch die Löhne in Kollektivverträgen (im deutschen System würde man „Tariflöhne“ dazu sagen) angehoben werden. Darauf haben Gesetzgeber und Regierung keinen direkten Einfluss. Allerdings könnten sie den Gewerkschaften den Rücken stärken, etwa indem Unternehmen von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden, die ernsthafte Lohnverhandlungen verweigern. Dies dürfte aber gesetzgeberische Eingriffe und damit eine parlamentarische Mehrheit erfordern.

Arbeitslosenversicherungs-„Reform“

Die noch amtierende Regierung Attal hatte ferner für den Herbst dieses Jahres eine erneute so genannte Reform der Arbeitslosenversicherung angekündigt, nach denen von 2019 und 2023. Diese hatten bereits dazu geführt, dass die Dauer maximalen Bezugs von Arbeitslosengeld von zuvor 24 Monaten – außer bei Senioren kurz vor dem Renteneintritt, die auch länger beziehen konnten – auf derzeit höchstens 18 Monate abgesenkt wurde. Eine weitere Absenkung auf 15 Monate war nunmehr geplant. Das Linksbündnis hat angekündigt, diese Reform zu versenken. In den Stunden nach Bekanntgabe der Ergebnisse des ersten Wahlgangs vom 30.06.24 hatte Premierminister Gabriel Attal allerdings bereits verkündet, das erforderliche Dekret für die Verkürzung der Bezugszeiten nicht zu veröffentlichen, worauf man bei den Linksparteien allerdings wohl nur bedingt vertraut.

Überstundenregelung

Eine Änderung plant das Linksbündnis auch bei den Überstunden. Diese hatte die Macron-Regierung auf Arbeitgeber- wie auf Arbeitnehmer-Seite von Steuern befreit, um das Ableisten von Überstunden im Arbeitsleben zu ermutigen. Dies war bereits in der Amtszeit von Macrons Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy (2007 bis 12) ebenfalls der Fall gewesen. Ähnlich wie der ab 2012 im Elysée-Palast amtierende, und am vorigen Sonntag im Rahmen des Linksbündnisses wieder zum Abgeordneten gewählte, Sozialdemokrat François Hollande plant auch der Nouveau front populaire, diese Steuerbefreiung abzuschaffen.

Auch hier könnte es jedoch zu unerwünschten Nebeneffekten kommen. Es erscheint zweifellos richtig, Lohnerhöhungen – ohne Verlängerung der individuellen oder kollektiven Arbeitszeit – gegenüber dem Ableisten von Überstunden vorzuziehen.

Allerdings ist absehbar, dass, vor allem falls die Lohnentwicklung – außerhalb der geplanten Anhebung des Mindestlohns – stagnieren sollte, viele abhängig Beschäftigte empfänglich würden für eine Propaganda aus dem Macron- oder aus dem politisch rechten Lager, die ihnen erklärt, dass ihnen hier eine Möglichkeit zur individuellen Einkommenssteigerung geraubt wird. Noch-Premierminister Gabriel Attal hatte damit bereits während des jüngsten Wahlkampfs begonnen und Lohnabhängige davor gewarnt, hier angeblich eine Einkommensquelle zu verlieren. Auch dürfte eine Aufhebung der Steuerbefreiung von Überstunden eine gesetzgeberische Änderung, nicht nur eine Verordnung der Exekutive, also eine Mehrheit in der Nationalversammlung erfordern.

Ausländergesetz

Einfacher stünde die Sache wohl bei dem im Dezember 2023 verabschiedeten und am 26. Januar d.J. in Kraft getretenen, verschärften Ausländergesetz. Um dieses abzuändern, bedürfte es eines gesetzgeberischen Eingriffs, also einer Mehrheit in der Nationalversammlung, wie etwa der Staatsrechtler Dominique Rousseau am Dienstag früh in einem kurzen Fernsehinterview betont – um eine Änderung unter derzeitigen Bedingungen für quasi unmöglich zu erklären. Allerdings benötigt der vorhandene Text, um konkrete Anwendung in der Praxis zu finden, eine Reihe von Ausführungsdekreten, die das Nähere regeln. Diese sind derzeit für den 1. September dieses Jahres angekündigt. Es würde im Falle eines Regierungswechsels genügen, diese Dekrete zu stornieren und keine zu veröffentlichen, um den bestehenden Text zu blockieren.

Im Vorfeld der jüngsten Parlamentswahl hatten die rechte bis rechtsextreme Sonntagszeitung JDD sowie der Privatfernsehsender Europe 1 – beide gehören dem Multimilliardär Vincent Bolloré, welcher sich nicht allein als Wirtschaftskapitän sieht, sondern auch glaubt, in ideologischer heiliger Mission zu handeln,, und dabei eifrig ein Bündnis aus Konservativen und RN favorisiert – drei Tage vor der Stichwahl behauptet, die Regierung Attal habe die Absicht, nach der Reform der Arbeitslosenversicherung nun auch das Ausländergesetz vom Januar d.J. „auf Eis zu legen“. Dies angeblich aus Rücksichtnahme auf die Linken. Es handelte sich jedoch um eine Falschmeldung, die dann dementiert werden musste (https://www.europe1.fr/politique/legislatives-2024-le-gouvernement-prevoit-de-suspendre-la-loi-immigration-4256826 externer Link) und deren offenkundiger Zweck es war, die rechtsextremen Kandidaten vor der Stichwahl zu fördern.

Diese Fake News von voriger Woche deutet aber an, welche Schleusen für die Propaganda geöffnet werden dürften, sobald eine eventuelle Links- oder unter linker Beteiligung zustande gekommene Koalitionsregierung das ideologisch aufgeladene Thema der Ausländerpolitik anpasst. Vor allem die mittlerweile zahlreichen Medienkanäle Bollorés würden alles dafür tun, dass die Regierenden sich in einem solchen Falle an dem heißen Eisen tunlichst die Finger zu verbrennen. Gerne auch ohne Rücksichtnahme auf eine Erfordernis des Wahrheitsgehalts in ihrer Berichterstattung.

Hetzmedien

Da trifft es sich gut, dass am Montag, den 08. Juli 24 zweiwöchige Anhörungen bei der Medienaufsichtsbehörde ARCOM begannen, in deren Folge über die Neuvergabe der Sendelizenzen an 15 Privatsender entschieden werden soll. Dabei stehen den fünfzehn Lizenzen insgesamt 24 Bewerber gegenüber. Eventuelles Ergebnis könnte es sein, dass eines der Bolloré gehörenden Medien, CNews oder C8, für die kommende Periode die Lizenz als Fernsehsender verliert. Zuvor waren diese beiden Medien in der abgelaufenen Legislaturperiode durch eine Parlamentskommission gerügt worden, etwa wegen hetzerischer Berichterstattung – Cnews wurde mehrfach wegen „Aufstachelung zum Rassenhass“ durch die ACROM zu Geldstrafen verdonnert – oder übermäßiger Einseitigkeit.

Es wäre positiv für die Demokratie, würden die Bolloré-Sender ihre Lizenzen verlieren. Allerdings müsste man dann mit einer heftigen Agitationskampagne wegen angeblicher „linksmotivierter Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit“ rechnen.

Noch besser wäre es freilich, würde der bekannteste C8-Moderator, Cyril Hanouna, seine jüngste Ankündigung wahrmachen. Er hatte, je nach Standpunkt: angedroht oder versprochen, sollte LFI an einer Regierung beteiligt werden, dann werde er „Frankreich verlassen“. Diese Aussicht, zumindest, würde dann doch für eine Regierungsbeteiligung von LFI sprechen.

Artikel von Bernard Schmid vom 10. Juli 2024 – wir danken!

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Teil 4: Die Perspektive einer stabilen Regierungsmehrheit für den rechtsextremen RN entfernt sich.
Börse wahlweise für Rechts- oder Technokratenregierung.
Gewerkschaften planen den worst case zu bestreiken

Antifaschistisch motivierter Kandidat/inn/en-Rückzug funktioniert, viel stärker auf der politischen Linken als in der bürgerlichen Mitte – Nur bleibt im Moment noch fraglich, inwiefern die Wähler/innen die Aufrufe zum „Absperren gegen Rechts“ ihrer jeweiligen Parteien auch befolgen – Die extreme Rechte ihrerseits versucht sich mit Appellen gegen, lt. ihren Worten „widernatürliche Allianzen“ und „politische Kombinationen gegen DAS Volk“ zu profilieren – Eine Mehrheit für den RN wird deutlich unwahrscheinlicher – Was kommt danach? Technokratenkabinett? Regierungseintritt etwa von Sozialdemokraten oder Grünen und Zerplatzen des Linksbündnisses? Oder doch Rechts-Rechts-Regierung? – Gewerkschaften und Aktienbesitzer reagieren auf ihre je eigene Art & Weise…

Nicht unbedingt für feine Ohren bestimmt, aber ebenso bekannt wie populär ist der aus den 80er Jahren und einem Punksong der Band Beurier noir stammende, rhythmisch zu skandierende Slogan: La jeunesse emmerde le Front national also: „Die Jugend kackt (scheißt) den Front National zu“. (Vgl. dazu https://www.youtube.com/watch?v=CuZB9hOQ0DQ externer Link und https://www.courrierinternational.com/stories/politique-la-jeunesse-emmerde-le-front-national-d-ou-vient-ce-slogan-punk externer Link) Auch wenn die Partei seit 2018 in Rassemblement National umbenannt wurde, riefen ihn, ohne Alterskontrolle, zu Anfang dieser ersten Woche im Juli d.J., wie in den vorausgegangenen, erneut Tausende Menschen in den Straßen von Paris, Toulouse – seit Montag sind dort Spontandemonstrationen per behördliche Verfügung verboten – oder Nantes.

Einen Höhepunkt hatten die Proteste gegen die extreme Rechte, die seit dem Ausgang der Europaparlamentswahlen kaum abrissen, am 15. Juni dieses Jahres. An jenem Samstag demonstrierten frankreichweit knapp eine halbe Million Menschen. (Labournet berichtete) Am Sonntag, den 23. Juni waren es feministische Verbânde, die in Paris und anderen Städten zu Demos riefen, und am Mittwoch, den 03. Juli auf der Pariser place de la République Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtsgruppen.

Dennoch muss zugleich auch festgestellt werden: Die spontane antifaschistische Mobilisierung liegt bislang deutlich unterhalb derer im April und Mai 2002, vor nunmehr zweiundzwanzig Jahren, als infolge des damals überraschenden Einzugs von Jean-Marie Le Pen in die Stichwahlrunde der französischen Präsidentschaftswahl bis zu anderthalb, ja zwei Millionen Menschen gleichzeitig (in verschiedenen französischen Städten) demonstrierten. Obwohl damals die Perspektive eines realen Machtantritts von Jean-Marie Le Pen objektiv ausgesprochen gering war, was derzeit für die jetzige extreme Rechte anders aussieht.

Bei der Pariser Métro- und Bus-Betreibergesellschaft RATP kündigten unterdessen Gewerkschaften bereits an, im Falle eines Wahlsiegs und Regierungsantritts der extremen Rechten den Nahverkehr zu bestreiken. Am klarsten dazu positionierte sich bislang Solidaires bei der RATP, die allein allerdings jedenfalls nicht stark genug wäre, um einen Arbeitskampf mit ernsthaften Auswirkungen zu führen, sondern ihn nur gemeinsam mit den anderen Beschäftigtenorganisationen durchziehen könnte. (Vgl. https://www.lefigaro.fr/social/legislatives-menace-de-greve-a-la-ratp-en-cas-de-victoire-du-rn-20240629 externer Link (AFP-Meldung) und https://www.leparisien.fr/info-paris-ile-de-france-oise/transports/legislatives-la-cgt-et-solidaires-envisageraient-des-greves-en-cas-de-victoire-du-rn-29-06-2024-K765JCQAC5DUJAZVOEEUQ423OY.php externer Link)

Börse erleichtert

Erleichtert zeigte sich zu Anfang dieser ersten Woche im Juli hingegen zunächst die französische Börse. Während die Situation am Ende der Vorwoche angespannt war, erholten sich die wichtigsten Aktienkurse daraufhin am Montag, den 1. Juli 24; im Tagesdurchschnitt stiegen die Kurse um 1,1 %. Bei Börseneröffnung legte der französische Aktienindex CAC40 (ausgesprochen ungefähr „Kack karant“), welcher die vierzig stärksten börsennotierten Unternehmen des Landes abbildet, gleich um + 2,5 % zu. (https://www.alternatives-economiques.fr/anne-laure-delatte/lundi-1er-juillet-2024-bourse-sest-reveillee-de-bonne-humeur/00111726 externer Link) Am folgenden Vormittag fragte sich der ausgesprochen unternehmerfreundliche Wirtschaftsjournalist Nicolas Doze im Titel seines morgendlichen Kommentars beim Privatfernsehsender BFM TV: „Warum applaudiert die Börse zur ersten Runde?“ (https://www.bfmtv.com/economie/replay-emissions/bfm-patrimoine/doze-d-economie-pourquoi-la-bourse-applaudit-le-1er-tour-02-07_VN-202407020368.html externer Link)

Es ging um die erste Runde der Wahlen zur französischen Nationalversammlung, auf die am kommenden Sonntag, den 07.07.24 die Stichwahlen folgen. Zu solchen wird es in fast genau fünfhundert Wahlkreisen kommen, da 76 Sitze von insgesamt 577 zu vergebenden bereits in der ersten Runde mit jeweils absoluten Mehrheiten gewonnen werden konnten. Genau die Hälfte davon ging an den rechtsextremen Rassemblement national (RN, „Nationale Sammlung“), den man mit 33,1 Prozent der Stimmen – das ist zufällig auf die Dezimale genau der Stimmenanteil der NSDAP bei der Reichstagswahl im November 1932, wobei man beide rechtsextremen Parteien in ihrer jeweiligen Dynamik selbstverständlich nicht gleichsetzen kann – als klaren Wahlsieger betrachten darf.

… über fehlende Aussicht für eine Links-Regierung

Hinter ihm liegen das heterogene und bereits zerstrittene, als antifaschistische Abwehrallianz dagegen funktionierende Linksbündnis Nouveau front populaire, grobschlächtig oft mit „Neue Volksfront“ ins Deutsche übersetzt, wobei „Neue Front der kleinen Leute gegen die da oben“ es sehr viel angemessener treffen würde, mit 28 Prozent. Und das Präsidentenlager der Emmanuel Macron unterstützenden Parteien mit knapp 21 Prozent der abgegebenen Stimmen. In dessen Reihen herrscht höchster Unmut über Macron, dessen Konterfei aus dem Wahlkampf vieler seiner bisherigen Anhänger konsequent verbannt worden ist. Hier nimmt man ihm die Parlamentsauflösung und die Ausschreibung von Neuwahlen definitiv übel.

Ebenfalls zerstritten ist die zentrale Partei des konservativen Lagers, Les Républicains (LR). Ihr wurden noch zehn Prozent der Stimmen gegönnt. 62 Kandidaten (https://www.liberation.fr/checknews/les-62-candidats-de-lalliance-lr-rn-sont-ils-tous-adherents-aux-republicains-comme-le-dit-ciotti-20240619_X4L52B6EGRAMLO7ANUV7FV2SCQ/ externer Link) aus ihren Reihen traten gleich im Wahlbündnis mit dem rechtsextremen RN an, dem Kurs ihres Parteivorsitzenden Éric Ciotti folgend – Ciotti hatte ursprünglich 80 eigene Kandidaturen angekündigt -, den die Mehrheit in der Parteiführung von LR jedoch kaltstellen möchte. So kam es, dass LR-Kandidaten zum Teil mit Gegenkandidaten aus den Reihen der eigenen Partei konfrontiert waren.

Was die Aktienbesitzer und Investoren daran erleichtert, ist vor allem, dass das uneinheitliche Linksbündnis aller Voraussicht nach bei der kommenden Regierungsbildung nicht zum Zuge kommen wird, da ihm die Aussichten auf eine parlamentarische Sitzmehrheit bereits nach der ersten Runde fehlen. Von ihm wurden vom Kapital vor allem Steuererhöhungen erwartet und auch durch die beteiligten Linksparteien angekündigt wie die Wiedereinführung der 2017 unter Macron abgeschafften Vermögenssteuer (ISF) in veränderter Form, eine höhere Einkommenssteuer ab einem Monatseinkommen von 4.000 Euro monatlich pro Person – nicht pro Haushalt, wie eine von ihrer Gegnern eifrig gestreute Fake-News besagte! – mit einer stärkeren Staffelung durch vierzehn neue, ausdifferenzierte Steuerstufen sowie eine „Exit Tax“ bei Kapitalflucht.

Gewerkschaften sehen den RN anders als Kapitalbesitzer. (Oh Staunen, oh Wunder)

Den RN beargwöhnen zwar auch manche Kapitaleigentümer misstrauisch, doch nicht etwa wegen möglicher Beeinträchtigungen der Menschenrechte oder Misshandlungen von Ausländern, sondern wegen zu viel sozialer Versprechungen in seinem Wahlprogramm, auch wenn diese in ihrer Mehrzeit nunmehr durch Spitzenkandidat Jordan Bardella für (mindestens bis zum Ende der Legislaturperiode) „aufgeschoben“ erklärt oder unter „Finanzierungsvorbehalt“ gestellt wurden.

Die Arbeitgeberverbände, an zentraler Stelle der MEDEF (Bewegung der Unternehmen Frankreichs), richtete deswegen bereits einige Forderungen an den RN. Die Generalsekretärinnen der beiden stärksten Gewerkschaftsverbände des Landes, CFDT und CGT, Marylise Léon und Sophie Binet; monierten unterdessen, dabei gehe es in keiner Weise um Menschenrechte, sondern ausschließlich um den wirtschaftspolitischen Kurs; es sei „unverantwortlich“, dass es nicht einmal eine Positionierung zu der zentralen RN-Forderung nach „Inländerbevorzugung“ (priorité nationale) auf dem so genannten Arbeitsmarkt gebe. (Vgl. https://www.bfmtv.com/economie/economie-social/legislatives-la-position-du-patronat-jugee-irresponsable-et-inquietante-par-la-cfdt-et-la-cgt_AV-202407020243.html externer Link)

Rechts-Rechts- oder Technokraten-Regierung?

Kapitalkreise favorisieren vor diesem Hintergrund derzeit zwei Szenarien: entweder eine Regierung des RN unter Einbindung durch Konservative, die einen wirtschaftsliberalen Kurs garantieren sollen, oder aber eine auch von Staatsrechtlern wie Benjamin Morel diskutierte (https://www.lefigaro.fr/elections/legislatives/qu-est-ce-qu-un-gouvernement-technique-cette-issue-de-secours-pour-emmanuel-macron-en-cas-de-revers-aux-legislatives-20240625 externer Link) „Expertenregierung“. Also ein Technokratenkabinett, von dem man sich eine vermeintliche Entpolitisierung etwa wirtschaftspolitischer Entscheidung und einen völligen Verzicht auf Rücksichtnahme gegenüber sozialen Versprechen im Wahlkampf verspricht. Pläne für eine Expertenregierung werden im Elyséepalast bereits offen mit der Presse diskutiert und dürften bei Fehlen einer absoluten Sitzmehrheit in der Nationalversammlung relevant werden. Allerdings müsste eine solche Technokraten-Regierung immerhin über eine Garantie verfügen, dass eine künftige Nationalversammlung ohne klare Mehrheiten sich mindestens nicht zu einem mehrheitsfähigen Misstrauensvotum gegen sie zusammenrauft. Dieses könnte sie nämlich, natürlich, zum Sturz bringen.

Diskutiert wird ferner auch eine etwas flickenteppichähnlich zusammengesetzte Regierung über bisherige politische Grenzen hinweg, in welche bislang oppositionelle Konservative auf der einen Seite, aber auch Sozialdemokrat/inn/en und Grüne andererseits (bei Auseinanderplatzen des Linksbündnisses, das allerdings ohnehin auf die Zeit der antifaschistischen Abwehr gegen einen drohenden Wahlsieg des RN beschränkt funktionieren sein dürfte) eintreten könnte. Bei den drei aufeinanderfolgenden, je einstündigen TV-Interviews von Vertreter/inn/en der drei dicken politischen Blöcke – Gabriel Attal für das Präsidentenlager, Marine Tondelier von den französischen Grünen, Jordan Bardella für den rechtsextremen RN – am Mittwoch Abend wollte Tondelier, die sich dabei ansonsten ziemlich wacker schlug, eine Regierungsbeteiligung neben Macron-Leuten in diesen Zeiten nicht ausgeschlossen wissen. Dabei stehen die französischen Grünen allgemein weiter links als die deutschen. Es könnte also auch auf eine Art Patchwork-Ampel, mit begrenzter politischer Lebensdauer, im Namen der RN-Verhinderung hinauslaufen.

Einen solchen Regierungseintritt eines Teils der bisherigen Linksallianz, während ein anderer Teil in die Opposition ging, könnte der „neue Front populaire“ als Bündnis selbstredend nicht überleben. Dessen politische Halbwertszeit dürfte allerdings ohnehin nach dem zweiten Wahlgang bereits überschritten sein.

Dabei platzen die Widersprüche allerdings auch innerhalb der politisch heterogenen, linkspopulistischen Wahlplattform LFI („Das unbeugsame Frankreich“) auf. Dabei rächen sich auch die intransparenten und deswegen notwendig undemokratischen Strukturen von LFI, die bislang zwar einerseits auf eine offizielle Herausbildung von Parteigremien weitgehend verzichtete – im Namen der Idee, man sei ja eine Wahlbewegung und keine Partei -, andererseits aber um ein umso klareres und stärkeres Machtzentrum rund um ihren Gründer Jean-Luc Mélenchon verfügt.

Insbesondere kündigte der profilierte, seit 2017 mit LFI assoziierte – ursprünglich von seiner eigenen linken Regional- und Basispartei Picardie debout („Aufrechte Picardie“, gegründet infolge der Nuit debout-Platzbesetzerbewegung von 2016, in welcher Ruffin eine zentrale Rolle spielte) kommende Abgeordnete François Ruffin im Laufe dieser Woche dem faktischen LFI-Chef Mélenchon die Gefolgschaft auf. Am Donnerstag dieser Woche kündigte Ruffin an, in der kommenden Legislaturperiode (nach den am Sonntag zu Ende gehenden Wahlen) nicht länger in der Parlamentsfraktion von LFI zu sitzen: „Ich werde mit sozialdemokratischen, grünen und der KP angehörenden Freundinnen und Freunden etwas suchen.“ Es war François Ruffin, der die Idee hatte, das wahlpolitische antifaschistische Abwehrbündnis in Gestalt und unter dem Namen des nouveau front populaire – also einer Neuauflage der „Front derer da unten gegen die Oberen“ (im Deutschen oft grobschlächtig bis falsch mit „Volksfront“ übersetzt, doch vom deutschen „Volks“begriff ist man da glücklicherweise weit entfernt) von 1936 – auszurufen.

Die Idee zu einem Szenario, das ähnlich wie 1936 und als „neuer front populaire“ einen gemeinsamen Wahlsieg der Linksparteien bringen und in der Folge starke soziale Bewegungen auslösen sollte (eingedenk dessen, dass der Wahlsieg von 1936 eine spontane mehrwöchige Streikwelle, ja einen Quasi- Generalstreik zur Folge hatte), malte François Ruffin bereits um 2016 in der von ihm im Jahr 2009 gegründeten linken Vierteljahreszeitung Fakir aus. Dort wurde die Idee auch durch einen drei Zeitungsseiten füllenden Compicstrip illustriert. Den Bündnisnamen „Neuer front populaire“ brachte François Ruffin daraufhin bereits in der Nacht nach den Europaparlamentswahlen (und der am selben Abend verkündeten Parlamentsauflösung) vom 09. Juni dieses Jahres in Umlauf. Dadurch versuchte er auch den Big Boss von LFI, Jean-Luc Mélenchon, kurzzuschließen und ihm und Anderen ein parteiübergreifendes Bündnis aufzuzwingen – in dem Mélenchon dieses Mal nicht den Ton angeben würde. (Nicht, dass Mélenchon es in den darauffolgenden Tagen nicht mehrfach versucht hätte…)

Am gestrigen Donnerstag spitzte sich der Konflikt weiterhin zu. Ruffin bezeichnete Mélenchon als „Klotz am Bein“ des Linksbündnisses bei Wahlen – Letzterer habe vor den vorausgegangenen Wahlen zu viel von allgemeinen Themen und zu wenig konkret von sozialen Anliegen und Kämpfen gesprochen. Und seine Person polarisiere. Mélenchon erwiderte am Donnerstag Abend: „Wenn der Wind stark ins Gesicht bläst, dann nimmt er auch die Wetterfahnen mit.“ Der Ausdruck für „Wetterfahne“ (girouette) bezeichnet im Französischen auch tatsächliche oder vermeintliche Opportunisten.

Nun bleibt zu hoffen, dass die Situation Ruffin und seine Unterstützer/innen nun nicht in den Sog einer künftigen Regierungsbeteiligung von Teilen der Linken zieht, was der Autor dieser Zeilen wiederum kritisch sehen müsste…

Antifaschistisch motivierter Kandidaturen-Rückzug: funktioniert

Übermorgen, am Sonntag, wird in 501 Wahlkreisen gewählt. Denn 76 Sitze in der Nationalversammlung (von insgesamt 577) wurden bereits im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit vergeben, darunter 39 an den rechtsextremen Rassemblement national /RN und 32 an das Linksbündnis, darunter wiederum zwanzig an die Wahlplattform LFI. (Vgl. https://lcp.fr/actualites/legislatives-2024-qui-sont-les-76-candidats-elus-des-le-1er-tour-dans-quelles externer Link)

Rechnerisch hätten, auf Grundlage der Ergebnisse des ersten Durchgangs der Parlamentswahlen vom 30. Juni d.J., in insgesamt 306 Wahlkreisen Stichwahlen mit je drei und in 190 Wahlkreisen Stichwahlen mit je zwei Kandidaturen stattfinden können. Hinzu kamen fünf Wahlkreise mit je vier Beweber/inne/n. Erforderlich für den Einzug in die Stichwahl war es gesetzlich, von mindestens 12,5 Prozent der eingetragenen Wahlberechtigten (einem Achtel der jeweiligen Stimmbevölkerung) im ersten Durchgang gewählt worden zu sein. In Anbetracht der Wahlbeteiligung, im landesweiten Durchschnitt lag sie bei circa zwei Dritteln – die höchste seit vierzig Jahren -, waren für den Einzug in die Stichwahl dieses Mal also circa durchschnittlich 18 bis 19 % der abgegebenen Stimmen rechnerisch erforderlich; wer darunter landete, konnte gar nicht erst in die Stichwahl.

Demnach hätten also in rund sechzig Prozent der betreffenden Wahlkreise (310 von insgesamt 501) Stichwahl mit über zwei Kandidat/inn/en stattfinden können, was bedeutet hätte, dass jeweils eine relative Mehrheit genügt hätte, um den zu vergebenden Parlamentssitz zu erlangen.

Der massive Rückzug von Kandidaturen sorgt nun allerdings dafür, dass in einer wesentlich höheren Anzahl von Wahlkreisen eine absolute statt einer relativen Mehrheit erforderlich werden wird, da infolge der Rückzugsmanöver dort jeweils nur noch zwei Kandidat/inn/en in der Stichwahl übrig bleiben. Dies erhöht die Hürde für den rechtsextremen RN, da es für ihn schwerer ist, 50 Prozent plus x zu erreichen, als (bei relativer Mehrheit) 33,3 Prozent plus x. Zumal sich die Wählerschaften unterschiedlicher Lager sich, jedenfalls in Teilen, gegen ihn zusammenschließen dürften.

Bei Abgabeschluss für die Einreichung der Kandidatur-Unterlagen (am zurückliegenden Dienstag, den 02. Juli d.J. um 18 Uhr) hieß es zunächst, 220 Kandidaturen seien vor der Stichwahl zurückgezogen worden. Diese Zahl wurde inzwischen noch auf 224 zurückgezogen. Von den betreffenden Bewerber/inne/n geben 211 an, aufgrund des Wunschs, einen Wahlsieg des RN im eigenen Wahlkreis zu verhindern, zurückgezogen zu haben. (Vgl. https://www.francetvinfo.fr/elections/legislatives/cartes-legislatives-2024-triangulaires-duels-visualisez-les-configurations-du-second-tour-apres-les-nombreux-desistements_6643359.html externer Link)

Dabei kommen (laut ersten Zahlen, die auf der zunächst veröffentlichten Angabe von insgesamt 220 Kandidatur-Rückzügen basieren) 131 der Rückzugsentscheiden aus den Reihen des Linksbündnisses, 82 kommen aus dem liberalen Präsidenten-Lager, also aus der „bürgerlichen Mitte“. (Vgl. https://www.lesechos.fr/elections/legislatives/legislatives-2024-au-moins-200-desistements-pour-faire-barrage-au-rn-2105369 externer Link)

Die Hauptlast trug also, im Umfang von circa sechzig zu vierzig, das selbst heterogene und voN Widersprüchen durchzogene linke Lager – jedenfalls der antifaschistische Abwehrreflex funktioniert hier hervorragend. Und dies ist zu begrüßen im Hinblick auf das historische Verantwortungsbewusstsein, auch wenn es bitter gewesen sein mag, u.a. zugunsten von Ex-Premierministerin Elisabeth Borne in der Normandie oder des amtierenden Innenministers Gérald Darmanin im nordostfranzösischen Roubaix zurückzuziehen.

Hinzuzufügen wäre noch die Anmerkung, dass nicht alle der betroffenen circa 130 Wahlkreise deswegen reale Wahlchancen der Linken schwinden sehen. Zurückgezogen wurden ja meist die insgesamt drittplatzierten Kandidat/inn/en. Nun ist die Wähler/innen/schaft der Linksparteien derzeit räumlich, geographisch vergleichsweise stark konzentriert, in den urbanen Zonen. Dies bedeutet, dass in eher ländlichen geprägten Wahlkreisen die Aussichten auf eine Wahl der Linken – ob Rückzug oder nicht – oft nicht besonders gut ausgesehen hätten. In den Ballungsräumen sieht dies anders vor, doch liegt hier oft die Linke ohnehin vor dem liberalen Macron-Lagers, anders als 2017.

Nun lautet die Preisfrage jedoch noch, inwiefern die angesprochenen Wähler/innen dieser Linie auch folgen und ihre Stimme je auf das politische Lager, zu dessen Gunsten (objektiv) im jeweiligen Wahlkreis zurückzogen wurden, übertragen werden. Dies erscheint teilweise unsicher. Insgesamt folgen die Wähler/innen heute weniger denn je den Anordnungen politischer Apparate, gegenüber denen das Misstrauen allgemein wuchs, auch wenn sich je ein Teil der Gesellschaft in bestimmten Grundorientierungen dieses oder jenes politischen Blocks wiedererkennt. Vorbei sind jedenfalls die Zeiten, in denen der Parteivorstand der Französischen kommunistischen Partei (des PCF) in seiner unendlichen Weisheit und einer Kenntnis der ehernen Gesetze der Geschichte und des historischen Materialismus irgendwelche Beschlüsse verkündete, und das französische Proletariat in einer unendlichen Weisheit – und in seinem Totalvertrauen auf die unendliche Weisheit der Französischen kommunistischen Partei – diese dann wie ein Mann befolgte. So lief es jedenfalls einmal in der Theorie… in der Praxis vielleicht auch damals ein bisschen weniger. Und das mit der Kenntnis der ehernen Gesetze der Geschichte wird i.Ü. nicht mehr ganz so gut geglaubt, seitdem es 1989 zu gewissen Umbrüchen kam, welche der Parteivorstand der Französischen kommunistischen Partei – im festen Glauben, dass die Länder des real existierenden Sozialismus (im Osten) als „höher entwickelte Gesellschaften“ jene des real existierenden Kapitalismus binnen einiger Jahre ein- und überholen würden – trotz unendlicher Weisheit so nicht wirklich ganz vorausgesehen hatte.

Laut einer ersten Umfrage antworteten 74 Prozent der befragten Französinnen oder Franzosen, dass sie nicht vorhätten, Wahlaufrufen politischer Parteien (für die sie im ersten Wahlgang vielleicht gestimmt hatten) im Hinblick auf die Stichwahl etwa Folge zu leisten. (Vgl. https://www.sudouest.fr/elections/legislatives/elections-legislatives-2024-comment-vont-fonctionner-les-reports-de-voix-l-enjeu-crucial-du-second-tour-20401752.php externer Link) Vielleicht wird da sogar die überraschend klare Stimmempfehlung des Fußballstars Kylian Mbappé – gegen den RN zu stimmen – stärkere Auswirkungen zeitigen, als die der Parteivorderen… Auch wenn diese ebenfalls fraglich sein dürfte… (Vgl. dazu und zum Stänkern des RN gegen ihn: https://rmcsport.bfmtv.com/football/euro/legislatives-marre-des-lecons-de-morale-le-rassemblement-national-vent-debout-contre-mbappe-apres-sa-sortie-sur-le-second-tour_AV-202407050254.html externer Link)

Inzwischen liegen auch etwas feinere Voraussagen zum eventuell zu erwartenden Stimmverhalten im zweiten Wahlgang vor.

Demnach tragen sich 50 Prozent der bisherigen Wähler/innen des Präsidentenlagers, d.h. des liberalen und pro-Macron-orientierten Wahlbündnisses Ensemble pour la France („Zusammen/Gemeinsam für Frankreich“), mit dem Gedanken an Stimmenthaltung bei einer Wahl zwischen Linken und Rassemblement national. 32 Prozent von ihnen würden dabei für eine Kandidatur aus der Linken und gegen rechtsextrem stimmen, weitere 18 Prozent wiederum umgekehrt für die Kandidatur des RN.

Auf der politischen Linken (en bloc betrachtet, trotz manifest aufbrechender Widersprüche zwischen den am Linksbündnis beteiligten Kräften) würden demnach 62 Prozent ihrer Wählerinnen und Wähler aus der ersten Runde nun für eine/n Vertreter/in des Macron-Lagers stimmen, um einen Durchmarsch der Rechtsextremen im Wahlkreis zu verhindern; 32 Prozent würden sich der Stimme enthalten (oder ungültig stimmen?), und nur sechs Prozent würden, sofern dieses Umfrageergebnis zutrifft, für einen rechtsextremen Kandidaten oder eine ebensolche Kandidatin stimmen. (https://www.bfmtv.com/politique/elections/legislatives/legislatives-le-rn-s-eloigne-de-la-majorite-absolue-mais-obtiendrait-le-plus-grand-nombre-de-deputes_AN-202407050061.html externer Link)

Eine Rückzahlungsgarantie bieten wir unseren Leserinnen und Leser – für die die Lektüre dieses Artikels ohnehin kostenlos ist – im Falle eines Nichteintretens dieser Umfrageprognose gewiss nicht.

Auflösung am kommenden Sonntag…

Eine garantiert sichere Voraussage dürfen wir allerdings bereits treffen: Die soziale Revolution wird am übermorgigen Sonntag nicht aus den Urnen hervorgehen. Dies ist jedenfalls, gelinde ausgedrückt, unwahrscheinlich.

Artikel von Bernard Schmid vom 5. Juli 2024

Siehe auch:

  • Wichtig im Artikel von Bernard Schmid: Bei der Pariser Métro- und Bus-Betreibergesellschaft RATP kündigten unterdessen Gewerkschaften bereits an, im Falle eines Wahlsiegs und Regierungsantritts der extremen Rechten den Nahverkehr zu bestreiken – leider keinen Aufruf gefunden (wird ggf. nachgeliefert), siehe aber den Aufruf zum Ungehorsam der Küstenwache von Solidaires Douanes – als Grafik im Tweet von 𝚁𝚎́𝚖𝚒 𝚅𝙰𝙽𝙳𝙴𝙿𝙻𝙰𝙽𝚀𝚄𝙴 vom 3.7. externer Link
  • Clip aus verschiedenen Redebeiträgen externer Link der Kundgebung am Place de la République am Abend des 4.7.für eine republikanische Front gegen die extreme Rechte
  • Volksfront oder Kartell der Linken? Das kommende »Volk« – Teil 2: Vom Klassenkampf zur Überschneidung der Bewegungen
    Der Philosoph Étienne Balibar über den Aufstieg des Faschismus in Frankreich und den linken Nouveau Front Populaire. Artikel von Étienne Balibar in der Übersetzung von Ivo Eichhorn) am 02.07.2024 in ND online externer Link (siehe Teil 1 hier weiter unten) – lang aber lesenswert
  • Frankreichs „harte Linke“ wurde verteufelt – aber ihre Agenda ist realistisch, nicht radikal
    Die Neue Volksfront wird das Leben der einfachen Menschen verbessern – und sie ist eine wirksame, wirtschaftlich solide Alternative zur extremen Rechten (…) Manche mögen argumentieren, dass die Rechtsextremen schon da sind und wir uns einfach daran gewöhnen sollten. Rechtsextreme Parteien haben in den letzten Jahren in anderen europäischen Ländern, darunter Italien und die Niederlande, Wahlen gewonnen. Aber wir dürfen uns nicht daran gewöhnen. Ein Sieg der Rechtsextremen stellt eine große Bedrohung für unseren grundlegenden Gesellschaftsvertrag und unsere Freiheitsrechte dar. Wir sehen uns mit der Umsetzung einer Politik konfrontiert, die Ausländer, Migranten, Frauen, Minderheiten und andere diskriminiert. Da die Rechtsextremen keine glaubwürdige wirtschaftliche Plattform haben, werden sie auf das Einzige zurückgreifen, was sie kennen – die Verschärfung von Spannungen und die Politik des Hasses. Was ist die Alternative? Das Linksbündnis, die Neue Volksfront (NFP), ist Frankreichs beste Chance…“ engl. Artikel von Julia Cagé und Thomas Piketty vom 3.7.2024 in The Guardian externer Link
  • Ansammlung Wohlsituierter. Gute Tradition: In Frankreich setzt die Le-Pen-Partei RN auf ein Bündnis mit dem Großkapital
    Artikel von Luc Śkaille, Neufchâteau, in der jungen Welt vom 03.07.2024 externer Link
  • Ni droite ni gauche
    Emmanuel Macron, Frankreichs „präsidentieller Monarch“, steht nun nackt vor einer leeren Mitte. Das liegt auch an der Konstruktion der Fünften Republik…“ Artikel von Claus Leggewie vom 1.7.2024 in der taz online externer Link
  • Die französische Seele ist verletzt
    Weltweit bewundert man Frankreich: für Eleganz, Kultur, das Savoir-vivre. Doch viele Bürger sind dermaßen gekränkt, dass es die Machtverhältnisse durcheinander rüttelt…“ Essay von Annika Joeres vom 1. Juli 2024 in der Zeit online externer Link

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Frankreich vor Neuwahlen (Teil 3): Erster Durchgang geht an Rassemblement National (RN)
– kommt ein strategisches Bündnis gegen Rechts oder ein politisches und moralisches Desaster?

Frankreich wacht an diesem Montagmorgen im zweiten Halbjahr 2024 auf. Aber woher kommt, nach kurzer Nacht, dieser Blutgeschmack im Mund? Und woher kommt dieser Brandgeruch in der Nase?

Lassen wir die Metaphern beiseite und fassen wir es kurz zusammen: Die extreme Rechte ging, nicht unerwartet, erfolgreich aus dem ersten Durchgang der Neuwahl zur französischen Nationalversammlung hervor – Staatspräsident Macron hatte die zuletzt im Juni 2022 gewählte Parlamentskammer am Abend der Europaparlamentswahl vom 09. Juni dieses Jahres (https://www.telepolis.de/features/Macrons-riskantes-Spiel-Der-Weg-fuer-die-extreme-Rechte-in-die-Regierung-9755983.html externer Link) aufgelöst. Ihre wichtigste Partei, der Rassemblement National (RN), „Nationale Sammlung“, der frühere Parteiname bis 2018 lautete Front National), erhielt laut dem vorläufigen Endergebnis 33,1 Prozent der Stimmen. Hinzu kommt insgesamt ein Prozent für weitere, kleinere rechtsextreme Kräfte.

Dank des geltenden Mehrheitswahlrechts dürfte die im Oktober 1972 gegründete, damals mit Hilfe der Druckereien, Infrastruktur und des Geldes des italienischen Neofaschismus in Gestalt des seit 1946 bestehenden Movimento sociale italiano (MSI) aufgebaute französische Partei über eine Mehrheit in der kommenden Nationalversammlung verfügen. Dabei ist derzeit noch fraglich, ob es sich um eine relative Mehrheit – über eine solche verfügte das Präsidentenlager unter Emmanuel Macron in den letzten beiden Jahren – oder aber eine absolute Mehrheit handeln wird. Die Politikerinnen und Politiker des RN werben jetzt lautstark, dies ist nachvollziehbar, für eine absolute Mehrheit in der Stichwahl, um stabil (durch)regieren zu können.

Rassistische Folgewelle

Ihr Erfolg blieb schon im Vorfeld nicht ohne Auswirkungen. Auch nach Darstellung etablierter Medien schwappte bereits in den vergangenen drei Wochen, seit dem Abend der Europaparlamentswahlen, eine in diesem Ausmaß seit längerem nicht gekannte rassistische Welle durch das Land. In Montargis, eine Zugstunde südöstlich von Paris, wurde ein Nachbarschaftsstreit landesweit zum Politikum. Dabei beschimpften der Ehemann, aktiv beim RN, und dessen Gattin eine neue Nachbarin – offenkundig, weil sie schwarz ist – in übelster Weise und riefen der Krankenschwester (https://www.midilibre.fr/2024/06/28/va-a-la-niche-divine-kinkela-depose-plainte-contre-ses-voisins-apres-les-propos-racistes-diffuses-dans-envoye-special-12047014.php externer Link) etwa zu: „Ab ins Körbchen!“ (à la niche!), buchstäblich, wie man es einem Hund befiehlt. Die Ehefrau, die der ihr unbekannten Nachbarin ins Gesicht schleuderte, wegen „Leuten wie ihr“ sei sie aus dem sozialen Wohnungsbau ausgezogen, ist Gerichtsbedienstete in ihrer Stadt. Justizminister Eric Dupont-Moretti hat sie vom Dienst suspendiert.

Der früheren Partei- und Fraktionschefin des RN, Marine Le Pen, fiel dazu in der Öffentlichkeit erst einmal nur ein, nichts beweise, dass die Sache etwas mit Rassismus zu tun haben könnte. „Ab ins Körbchen!“ sei ja vielleicht eine Neckerei unter Nachbarn, ein örtlich üblicher Spruch.

Zuletzt wurden, was rassistische Übergriffe betrifft, in der Nacht vom 1. zum 2. Juli (Montag zum Dienstag) Schüsse und rassistische Beschimpfungen im südfranzösischen Département Gard registriert. Ihren Urheber, Jahrgang 1972, suchte die Polizei im Laufe der Nacht. Am Dienstag früh wurde er in polizeilichen Gewahrsam genommen. (https://www.midilibre.fr/2024/07/02/gard-coups-de-feu-et-soupcons-dinjures-racistes-a-la-grand-combe-un-quinquagenaire-place-en-garde-a-vue-12055383.php externer Link)

Die letzte Polemik vor dem ersten Wahlgang prägte unterdessen, seit Donnerstag, der bisherige Anwärter des RN auf das künftig möglicherweise von ihm zu besetzende Bildungsministerium, Roger Chuneau. Er kommentierte in einer Talkshow bei BFM TV, eine frühere Ministerin wie Najad Vallaud-Belkacem – die junge Frau, gewiss keine Kopftuch-, sondern eher Minirock-Trägerin, besitzt neben der französischen auch die marokkanische Staatsangehörigkeit – hätte wegen ihrer doppelten Staatsbürgerschaft nichts im Amt verloren gehabt. Vallaud-Belkacem war seine frühere Vorgesetzte, der Mann ist hoher Beamter im Schulministerium. Marine Le Pen distanzierte sich eilfertig, so habe sie es nicht gemeint gehabt, als ihre Partei sich gegen Doppelstaatsangehörige in „sensiblen“ öffentlichen Ämtern einsetzte. Erstmals würde dadurch eine juristische Ungleichbehandlung unter französischen Staatsangehörigen. Im Hinblick auf die Nationalitât eingeführt.

Zum erreichten Pegelstand

Zum Vergleich: 33,1 Prozent, das ist bis auf die Dezimale genau der Stimmenanteil der NSDAP bei der Reichstagswahl im November 1932.

Nein, ansonsten sind beide historischen Situationen nicht identisch miteinander. Das heutige Frankreich ist weder Italien 1922 noch Deutschland 1933: Die Gewalt der Krisendynamik ist nicht dieselbe – im Italien der frühen zwanziger Jahre kam es zu heftigen bewaffneten Konfrontationen zwischen Grund- und Fabrikbesitzern einerseits und Landbesetzern sowie Streikenden andererseits, wobei die frühen Faschisten sich zu Rettern der Eigentümer aufschwangen und sich zugleich mit sozialer Demagogie an die Unterklassen richteten, und Deutschland nach 1929 war von den brutalen Verwerfungen einer extremen Weltwirtschaftskrise geprägt. Vor allem aber verfügten etwa die frühen italienischen Faschisten über einen jederzeit zum Einsatz auch tödlicher Mittel bereiten, aktivistischen Kern, bestehend aus Frontkämpfern des erst seit kurzem beendeten Ersten Weltkriegs. Ihre Speerspitze bestand aus den Arditi, den Angehörigen freiwillig dienender Sturmtruppen an der italienisch-österreichischen Kriegsfront. Ein solches, in extremer Weise gewaltgewöhntes und -erprobtes Potenzial mit frischer Weltkriegserfahrung existiert heute schlichtweg nicht.

Ähnlich wie Sozialdemokraten des Jahres 2024 oder Kommunisten des Jahres 2024 treten auch Neofaschisten im Jahr 2024 nicht auf wie ihre politischen Vorgänger vor genau einhundert Jahren. Insofern ist es selbstverständlich falsch, zwei völlig unterschiedliche Situationen in einen Topf zu werfen. In naher Zukunft könnte Frankreich – je nach Ausgang des zweiten Wahlgangs – von Faschisten und ihren Verbündeten (reaktionären Konservativen, Karrieristen) regiert werden, jedoch nicht vor einem rapiden Umbau des Systems wie in Italien von 1922 bis 1925 zum faschistischen Staat stehen. So tief ist die heutige Krise nicht. Wie viel Schäden für Demokratie und Menschenrechte hingegen in einem schleichenden Prozess verursacht werden können, wird entscheidend auch von den künftigen Widerständen abhängen.

2.500 Führungskräfte im Bildungsministerium unterschrieben etwa bereits eine Petition, die erklärt, künftig werde man Anordnungen verweigern, wenn diese auf verfassungswidrige Ungleichbehandlung unter Schülerinnen und Schülern hinausliefen.

Bürgerliche Rechte gespalten, doch tendenziell gilt: Hauptfeind Linke

Entscheidend wird aber noch ausfallen, wie sich nun bürgerliche Rechte – jener Teil der Konservativen, welcher sich nicht bereits mit Eric Ciotti offen zum Verbündeten des RN machte, und das Macron-Lager – positionieren, um eventuell durch Stimmbündnisse die Rechtsextremen in den Stichwahlen aufzuhalten. In rund 300 von insgesamt 577 Wahlkreisen, respektive rund fünfhundert, da circa achtzig Sitze bereits in der ersten Runde vergeben wurden (L’Humanité meldete zunächst 81: https://www.titrespresse.com/fr/article/elus-tour/7394662406 externer Link); am Abend sprachen Le Monde und der Sender BFM TV hingegen von 76), können drei Bewerberinnen oder Bewerber die Stichwahl unter sich austragen, in rund 200 werden es nur zwei Kandidaturen in der Stichwahl sein. Um in diese einzuziehen, waren knapp zwanzig Prozent der abgegebenen Stimmen erforderlich.

Die entscheidende Frage lautet nun: Wird das bürgerliche Lager wenig aussichtsreiche, da (nach der ersten Runde) drittplatzierte Kandidaturen vor der Stichwahl zurückziehen, um das stärkere, innerlich heterogene Linksbündnis gegen die Neofaschisten zu favorisieren? Oder verweigert es eine solche Strategie?

Am Sonntag Abend erhielt das Linksbündnis Nouveau front populaire insgesamt 27,99 Prozent der abgegebenen Stimmen, das Macron-Lager seinerseits knapp 21 Prozent. Aus den Reihen des sehr diversen Linksbündnisses kündigte der Chef der linkspopulistischen Wahlplattform LFI („Das unbeugsame Frankreich“), Jean-Luc Mélenchon, schon kurz nach 20 Uhr an, alle in ihren Wahlkreisen nur drittplatzierten Kandidaten – neben Bürgerlichen und Rechtsextremen – unverzüglich aus dem Rennen zu nehmen, jedenfalls dort, wo die Rechtsextremen vorne platziert sind.

Dies ist grundsätzlich richtig, die anderen Kräfte des Linksbündnisses warfen ihm (Mélenchon) jedoch vor, dass er ohne Absprache mit den übrigen Teilen des heterogenen „neuen front populaire“ allein vorpreschte und vor die Kameras ging. Dadurch schwang er sich auch erneut, in den Augen der Öffentlichkeit, zum vermeintlichen Chef des Linksbündnisses auf, welchen es nicht gibt – da die Figur Mélenchon aus diversen, guten wie schlechten Gründen als höchst polarisierend wahrgenommen wird und weil das Linksbündnis keinen Chef hat, wird ihm dies durchaus von Links her übel genommen. RN-Chef Jordan Bardella seinerseits lud Mélenchon zur TV-Spitzendebatte zwischen ihnen beiden (Bardella gegen Mélenchon) ein, weil es auch ihm in seiner Argumentation zupass kommt, die Stichwahl am kommenden Sonntag als definitive Entscheidung zwischen ihm selbst und Mélenchon erscheinen zu lassen.

Hingegen kam noch am Wahlabend von der konservativen Partei Les Républicains (LR), und zwar jenem Teil, der nicht bereits unter Eric Ciotti mit dem RN zusammen kandidierte, die Ankündigung, man werde sich „Weder – Noch“ (Ni – Ni) positionieren. Also auf keinen fall eine Kandidatur aus der heterogenen Linken gegen den RN favorisieren, auch nicht umgekehrt. Das Macron-Lager seinerseits zögert und kündigte weitere Beratungen im Laufe des Montag an. Voraussichtlich wird es Wahlempfehlungen für Linkskandidaturen dort aussprechen, wo es sich um sozialdemokratische oder grüne handelt; jedoch verweigern, wenn diese von der linkspopulistischen Wahlplattform LFI kommen.

Am Dienstag Vormittag war dazu folgender Stand zu verzeichnen: Statt ursprünglich möglicher 300 Stichwahlgängen zu dritt (oder triangulaires) wird es ihrer nur unter 125 geben, dagegen wird es in über 375 Wahlkreisen zu Stichwahlen mit zwei politischen Kräften kommen. Am Dienstag, Stand: um 10.15 Uhr, waren insgesamt 194 Kandidatur-Rückzüge für die Stichwahl zu verzeichnen. Davon kamen insgesamt 120 aus den Reihen des Linksbündnisses (und in dessen Reihen laut LFI-Parteichef Manuel Bompard, interviewt um 08.30 Uhr bei den Sendern RMC und BFM TV, „vierzig bis fünfzig“ aus den Reihen der Wahlplattform LFI als Teil der Linkskoalition). Unter anderem verzichteten Linkskandidat/inn/en auch auf ihre Teilnahme an der Stichwahl in den Wahlkreisen von Ex-Premierministerin Elisabeth Borne – welche 2023 die Renten„reform“ durchdrückte – und von Noch-Innenminister Gérald Darmanin, was Linke eher schmerzt; jeweils, um einen möglichen Durchmarsch des RN in der Stichwahlrunde zu verhindern. Dies beinhaltet keinen klaren „positiven“ Wahlaufruf „zugunsten von“ Darmanin oder Borne, sondern einen negativ gehaltenen Aufruf gegen die extreme Rechte („Keine Stimme für den RN“).

Umgekehrt erfolgten 67 Kandidatur-Rückzüge aus den Reihen der Macron-Lager – die ihn unterstützenden Parteien sind in dem Wahlbündnis Ensemble pour la France („Zusammen für Frankreich“) zusammengeschlossen -, und nur ihrer zwei aus den Reihen der zentralen Partei im konservativen Lager, Les Républicains (LR).

Die Hauptlast bei der Bekämpfung der rechtsextremen Gefahr in der Stichwahl durch Verzicht auf eigene Kandidatur trug also bislang das Linksbündnis, im Verhältnis von circa zwei Dritteln zu einem Drittel im Vergleich zum Präsidentenlager. Das Linksbündnis schnitt in der ersten Runde stärker ab als das Präsidentenlager, mit circa 28 gegen knapp 21 Prozent. Allerdings sind die Stimmenanteile der Linken, jedenfalls ihre Hochburgen auch geographisch stärker konzentriert.

Zur Linken

LFI vertritt in sozialer Hinsicht radikalere Forderungen als Sozialdemokratie oder Grüne. Zugleich schienen ihre außenpolitischen Stellungnahmen bisweilen fragwürdig, viel diskutiert wurden ihr aus der Sicht von Vielen mitunter zu wenig – bezüglich der Haltung zu dortigen islamistischen Kräften – differenzierten Positionen zum Gazakrieg Israels. Dabei war LFI auch innerlich gespalten, Bewerber wie François Ruffin und andere kritisierten schnell auch den Terror der Hamas gegen israelische Zivilist/inn/en, andere zögerten und kritisieren eher einseitig das israelische staatliche Vorgehen.

Dazu kann man sich kritisch äußern oder kontrovers diskutieren. Einem Teil des konservativen Lagers dient dieser Vorwand jedoch nun dazu, mit einem geradezu pathologisch guten Gewissen für eine Gleichsetzung zwischen einer sehr heterogenen Linken und einer aus dem Neofaschismus kommenden Partei einzutreten, ja sogar Letztere zu favorisieren, weil es angeblich die Linke sei, die als antisemitisch zu bezeichnen sei (aufgrund ihrer außenpolitischen Stellungnahmen). Wenn ein RN-Agitator wie Julien Odoul nun permanent gegenüber linken Talkshow-Kontrahenten, wie etwa am gestrigen Wahlabend, auf den Knopf „Ihr seid doch antisemitisch!“ drückt, ist das höchst durchsichtig. Aber es tun ihm auch Bürgerliche gleich, wie François-Xavier Bellamy (Spitzenkandidat der konservativen Partei LR bei den Europaparlamentswahlen 2019 und 2024), der bereits im Laufe der Vorwoche erklärte, bei Stichwahlen ohne zu zögern den RN gegen eine LFI-Kandidatur zu wählen.

Ähnlich positionierte sich auch der sich selbst für einen Philosophen (und auch sonst für einen tollen Hecht) haltende Schriftsteller Alain Finkielkraut, früher einstmals ein maoistischer Schreihals, später zum Neoreaktionär gewendet. Finkielkraut hatte sich bei der Politsendung des Fernsehjournalisten Benjamin Duhamel bei BFM TV und RMC vor der Europaparlamentswahl als Bellamy-Wähler bekannt. Sein Argument dafür, dass er vorhat, im Falle einer Stichwahl zwischen Linksbündnis und RN für den Letztgenannten zu stimmen? Wenig originell: LFI sei „antisemitisch“. Drunter ging’s nicht.

Konservative mit pathologisch gutem Gewissen pro Allianz mit Faschisten

Besagter François-Xavier Bellamy hatte allerdings bereits 2021, anlässlich des bevorstehenden Ausschlusses der Partei des Ungarn Viktor Orban aus der Europaparlamentsfraktion der Konservativen (EVP), vehement gegen den drohenden Ausschluss der völkisch-konservativen ungarischen FIDESZ aus derselben getrommelt. Dieselbe vermied FIDESZ dann übrigens durch den zuvorkommenden eigenen Austritt aus der EVP-Europaparlamentsfraktion. Seine (Bellamys) Positionierung ist also weder neu, noch den linken Debatten und vielleicht auch Verirrungen während des Gazakriegs geschuldet.

Seine Politkarriere startete der Philosophie-Lehrer Belllamy aufgrund seines Engagements in der Bewegung gegen die Öffnung der Ehe für Homosexuelle in den Jahren 2012/13. Die damalige konservativ-reaktionäre Massenbewegung gegen die „Ehe für Alle“, in Teilen unter dem Organisationsnamen „Demo für Alle“ zusammengefasst, fand sich später politisch und organisatorisch zum Gutteil rund um den 2017 gescheiterten konservativen Präsidentschaftskandidaten François Fillon (https://www.lejdd.fr/Politique/Comment-Sens-commun-a-aide-Francois-Fillon-826831 externer Link) wieder; ihn unterstützte namentlich eine Vereinigung unter dem Namen Sens commun (ungefähr: „Gemeinsinn“, aber auch „gesunder Menschenverstand“), in welcher die Aktivist/inn/en gegen die Homosexuellen-Ehe zusammenfanden.

Aus dieser Blase stammt Bellamy, aber auch ein Gutteil des Kandidatenreservoirs, das der – offen mit dem RN kooperierende -Ciotti-Flügel der gespaltenen französischen Konservativen zu dieser Parlamentswahl aufbot. Die im ersten Wahlgang bereits unmittelbar mit dem FN liierten Teile der französischen Konservativen boten rund achtzig Kandidaten in diesem Bündnis auf. Zwei Seilschaften wurden dafür durch den mit Marine Le Pen zusammenarbeitenden, katholischen und gegen die Homosexuellenehe kämpfenden Milliardär Pierre-Edouard Stérin mobilisiert (vgl. https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/06/26/versailles-connection-pierre-edouard-sterin-place-ses-pions-au-rassemblement-national_6243937_823448.html externer Link): einerseits die Blase von Sens commun, zum Anderen die Kommentatoren und Moderatoren des privaten TV-Senders CNews, der dem Milliardärkollegen Stérins und Medienmogul Vincent Bolloré gehört und gerne zu etwas wie dem französischen Äquivalent des nordamerikanisch-australischen Senders Fox news würde.

Das politische und moralische Desaster wird noch näher zu betrachten sein.

Artikel von Bernard Schmid vom 2. Juli 2024

Überarbeitete Fassung eines Artikels, welcher (leicht gekürzt) am heutigen Montag früh beim Onlinemagazin telepolis erstveröffentlicht externer Link worden ist, Angaben insbesondere zur Vorbereitung auf die Stichwahlen am kommenden Wochenende wurden am Montag Abend und nochmals am Dienstag Vormittag aktualisiert. Siehe auch:

  • Die extreme Rechte schlagen und den sozialen Fortschritt gewinnen!
    Die extreme Rechte hat in der ersten Runde der Parlamentswahlen die meisten Stimmen erhalten. Dieses Ergebnis ist ein beunruhigendes Warnsignal. Aber es ist noch nichts entschieden. Die Gewerkschaftsorganisationen CFDT, CGT, UNSA, FSU und Solidaires rufen dazu auf, am Sonntag, den 7. Juli, einen demokratischen, sozialen und republikanischen Aufbruch an den Wahlurnen zu vollziehen. (…) Um dieses Horrorszenario für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verhindern, rufen wir die Kandidatinnen und Kandidaten auf, Verantwortung zu übernehmen und die Wahl von Abgeordneten der RN und ihrer Verbündeten zu verhindern. Wir rufen die Bürgerinnen und Bürger auf, die extreme Rechte an den Wahlurnen zu blockieren, indem sie am Sonntag für die Kandidatinnen und Kandidaten stimmen, die am besten geeignet sind, die extreme Rechte zu besiegen.“ franz. Aufruf der Intersyndicale vom 1.7.24 bei der CGT externer Link

    • Unabhängige Medien, Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft rufen erneut externer Link zu einer Kundgebung für eine demokratische Front gegen die extreme Rechte am Mittwoch, 3. Juli ab 18 Uhr auf dem Place de la République in Paris auf. Mit Redebeiträgen und Konzerten – live auf Youtube zu verfolgen (Link wird nachgeliefert)
  • Eine Notwendigkeit, eine Hoffnung:
    übersetzter Überblick bei „Sand im Getriebe“ externer Link über das Bündnis ‚Nouveau Front Populaire‘ in Frankreich – mit Stellungnahmen von Gewerkschaften, von Greenpeace, Links zu aktuellen Informationen und zu SiG-Artikeln über Frankreich
  • Nach dem ersten Wahlgang zur Nationalversammlung am 30. Juni 2024
    Kommentierte Link-Liste von Marie-Dominique Vernhes vom 2. Juli 2024 externer Link bei „Sand im Getriebe“
  • Volksfront oder Kartell der Linken? Das kommende »Volk«
    „… Innerhalb eines Tages befinden wir uns in einer anderen Landschaft, ja sogar in einer anderen Welt. Und vor allem in einer anderen Zukunft. Die Erkenntnis am Abend einer »national nicht entscheidenden« Wahl, dass die sogenannte extreme Rechte (RN plus  der Partei »Reconquête« plus ein noch zu bestimmender Anteil der »Republikaner«) im Land potenziell die Mehrheit stellt, hatte traumatische Züge. Man ahnt, was es bedeuten würde, wenn Marine Le Pen, Jordan Bardella und ihr Team an die Macht kämen: Die Auslöschung der öffentlichen Freiheiten zugunsten einer von jeglicher Kontrolle und Verpflichtung befreiten Polizei, das Monopol der ultrakonservativen Medienimperien und deren Einfluss auf Kultur und Information, die Rücknahme sozialer Rechte, der Abbau öffentlicher Dienste, die Ermutigung und sogar offizielle Unterstützung einer mörderischen Xenophobie, eine Ordnung der Moral, der Hygiene und des Strafens… Diesem ersten Schock folgte sogleich ein zweiter mit weitaus widersprüchlicheren Folgen: die »königliche« Ankündigung des Präsidenten der Republik, der vom Erfolg des von ihm selbst designierten Gegners mit voller Wucht getroffen wurde, die Nationalversammlung aufzulösen und Wahlen praktisch ohne Wahlkampf anzukündigen. Denn dieser mit einer Handvoll unverantwortlicher Berater ohne Wissen der Regierung und zum Leidwesen ihrer eigenen Anhänger ausgeheckte Coup, der die unmittelbare Gefahr eines Regimewechsels birgt, hat all jenen die Pistole auf die Brust gesetzt, die nicht einfach tatenlos die Nacht heranbrechen lassen wollen. (…) Wir müssen einerseits diedefensive ideologische Position in eine offensive Position umkehren, die nicht nur aus republikanischen Reflexen oder Antworten auf die Gefahr besteht, sondern aus echten Projekten, die eine »Handlungsmacht«, genauer: die die Macht des Gemeinsamen selbst freisetzen, und die das Regime der Befürchtungen und Hoffnungen der Multitude von Grund auf neu organisieren. Andererseits müssen wir das noch virtuelle „Volk“ finden, das sich diese Projekte zu eigen macht, die Sprache erschaffen, in der es seine gemeinsamen Interessen und vor allem seine Differenzen und Konflikte diskutieren kann, um die historisch geerbten Antagonismen und Meinungsverschiedenheiten der Gegenwart zu überwinden. Denn nur, wenn es die„Streitigkeiten“, die es von sich selbst trennen, aufarbeitet und so weit wie nötig zu den Ursachen des Konflikts zurückgeht, wird das heute »fehlende«, aus heterogenen und einander beinahe fremden Massen bestehende Volk seine Einheit und seine politische Identität finden. Das »Volk« der Volksfront ist nicht gegeben, in gewisser Weise lässt sich sogar behaupten, dass es nicht existiert, es noch im Kommen ist.“ Der Philosoph Étienne Balibar am 30.06.2024 in ND online externer Link über den Aufstieg des Faschismus in Frankreich und den linken Nouveau Front Populaire – Teil 1, Übersetzung von Ivo Eichhorn
  • „Nationale Rückbesinnung in Europa“
    Der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen wird in der Parlamentswahl in Frankreich stärkste Kraft. Regierungsberater weisen auf Parallelen zwischen der deutschen Dominanz in der EU und dem Erstarken des RN hin…“ Beitrag vom 1.7.24 in german-foreign-policy.com externer Link
  • Noch bleibt eine Woche. Le Pens politischer Sieg ist auch einer der Banalisierung der extremen Rechten. Macrons Appell nach Einheit der Linken wirkt dabei kläglich.
    Eine Woche bleibt, um eine vorangekündigte Katastrophe in und für Frankreich zu verhindern. Eine Woche, um die Leute wachzurütteln, ihnen zu sagen, was bevorsteht, falls die nationalistischen Rechtsextremisten des Rassemblement National (RN) die Regierung übernehmen und ihre Masken fallen lassen. Eine knappe Woche noch, um den Fatalisten zu erklären, dass es vielleicht noch nicht definitiv zu spät ist. Jeder Sitz, der nicht in die Hand des RN fällt, zählt. Die linke Volksfront hält, und ihre Parteien versuchen alles, ihre sektiererischen Reflexe unter Kontrolle zu halten. Doch schon bei der ersten Runde dieser von Präsident Macron angesetzten vorzeitigen und vor allem unsinnigen Wahlen sind die Würfel gefallen. Die Partei der Familie Le Pen steht mehr denn je an der Schwelle der institutionellen Macht. Die Frage ist nur, ob es eine relative oder absolute Mehrheit wird. Der politische Sieg der extremen Rechten ist unbestritten, und er ist eine logische Folge ihrer „Banalisierung“. Ihre Ideen haben sich längst festgesetzt in den Köpfen. Was noch vor wenigen Jahren schockiert hätte, wird fast beiläufig in Talkshows wiederholt, ohne Reaktionen auszulösen. (…) Präsident Macron, der sich diese Suppe selbst eingebrockt hat, noch im Wahlkampf aber zwischen links und rechts ein Gleichheitszeichen setzen wollte, wünscht sich nun unvermittelt eine Einheit der Demokraten gegen die extreme Rechte. Seine Glaubwürdigkeit dabei ist aber so gering, dass sein Appell schon fast kontraproduktiv und wie ein kläglicher Rettungsruf in eigener Sache klingt.“ Kommentar von Rudolf Balmer vom 1.7.2024 in der taz online externer Link
  • Félicien Faury: „Des électeurs ordinaires“ – Die „normalen“ RN-Wähler
    Audio der Besprechung von Suzanne Krause vom 01. Juli 2024 im Deutschlandfunk externer Link
  • Place de la République, das Frankreich der Aufklärung, wehrt sich gegen die braune Pest.
    Der Kontrast ist frappierend.
    “ franz. Tweet von Marcel vom 30.6. externer Link zum Video von @LucAuffret – stellvertretend für viele Meldungen und Videos der Proteste
  • Eine Notwendigkeit, eine Hoffnung: das Bündnis Nouveau Front Populaire (Neue Volksfront) in Frankreich
    Vorbemerkung: für eine Einschätzung der Lage in Frankreich ist es unabdingbar, die verschiedenen Akteure zu kennen, die sich gegen Macrons Politik (Wegbereiter der Extremen Rechte) und gegen Rassemblement National wenden und Alternativen in Bewegungen und programmatisch entwickeln. Erste Einblicke liefert diese Zusammenstellung, weitere werden – vielleicht – folgen…“ Überblick von Marie-Dominique Vernhes vom 27.6.2024 
  • Didier Eribon liegt falsch: Le Pen punktet nicht bei Ex-Linken
    Frankreich Frustrierte Arbeiter machen in Frankreich den Rechtsradikalismus stark? Mit dieser Erzählung wurde Didier Eribon zum internationalen Star der Linken. Doch die Statistik gibt das gar nicht her. Die Geschichte eines Missverständnisses…“ Artikel von Alexander Neumann vom 28.06.2024 im Freitag online externer Link
  • Lieber Hitler als die Front Populaire?
    Die Solidarisierung des ehemaligen „Nazi-Verbrecherjägers“ Serge Klarsfeld mit den Erben von Vichy und der OAS erinnert an das, was in Frankreich kurz vor dem Zweiten Weltkrieg geschah. Inmitten einer sozialen und ideologischen Krise hatten die Arbeitgeber, die rechten politischen Parteien und viele Intellektuelle den Nationalsozialismus als „Lösung“ unterstützt. Und viele hatten die Kollaboration bis zum Äußersten getrieben, indem sie später aktiv an der „Endlösung“ teilnahmen. Was im Jahr 2024 neu zu sein scheint, ist, dass viele jüdische Persönlichkeiten, die vorgeben, im Namen der jüdischen Franzosen zu sprechen, an einem solchen Prozess beteiligt sind…“ Text vom 25.6. der Union juive française pour la paix (jüdische französische Vereinigung für den Frieden) in der Übersetzung von Marie-Dominique Vernhes
  • Nouveau Front Populaire: Vertrag über die Legislaturperiode
    Übersetzung  vom Programm der Nouveau front Populaire bei Sand im Getriebe externer Link
  • Die Wahlergebnisse

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Frankreich vor Neuwahlen (Teil 2): Bedtime for democrazy?!

Frankreich: Plakat bei der antifaschistischen und feministischen Demo am 16.6.2024 in Paris (Foto Bernard Schmid)

Frankreich: Plakat bei der antifaschistischen und feministischen Demo am 16.6.2024 in Paris (Foto Bernard Schmid)

… und Weckzeit dann zwischen 09.33 Uhr und 09.39 Uhr? – Scherz beiseite: Die französischen Neofaschisten scheinen kurz vor dem Regierungseintritt zu stehen. Vorausgesetzt, die französischen Parlamentswahlen an den kommenden beiden Sonntagen (30. Juni und 07. Juli d.J.) bestätigen, was die Umfragen voraussagen. Spontanproteste fanden bereits in den ersten Tagen nach dem Ausgang der Europarlamentswahlen und der gleichzeitigen Auflösung der französischen Nationalversammlung durch Staatspräsident Emmanuel Macron am 09.06.24 statt. Größere Demonstrationen gab es vor allem am darauffolgenden Samstag, den 15. Juni, mit Abstrichen auch am Sonntag, den 23. Juni in Paris und weiteren französischen Städten. Am Montag dieser Woche – 24.06.24 – verkündete der rechtsextreme Spitzenkandidat Jordan Bardella nun auch sein Wahlprogramm an. Deswegen auch wurde dieser, ursprünglich für Montag angekündigte Artikel auf heute verschoben…

Es ist zwar noch nicht sicher, doch hoch wahrscheinlich: In Kürze, vielleiht ab Mitte Juli dieses Jahres – oder einige Zeit später, falls unklare Mehrheitsverhältnisse herrschen -, dürfte ein junger Neofaschist ins Hôtel Matignon, d.h. den Amtssitz des französischen Premierministers einziehen. Sein Name dürfte Jordan Bardella lauten. Er wird der Spitzenkandidat seiner Partei, des Rassemblement National („Nationale Sammlung“), abgekürzt RN, bei den nunmehr am 30. Juni und 07. Juli dieses Jahres stattfindenden Neuwahlen zur französischen Nationalversammlung sein. Diese um drei Jahre vorgezogene Parlamentswahl ordnete Staatspräsident Emmanuel Macron am Abend des Sonntag, den 09. Juni 24 an, infolge des Ausgangs der diesjährigen Europaparlamentswahl in Frankreich

Bei dem aussichtsreichen Spitzenkandidaten handelt es sich um den 28 Jahre jungen Parteivorsitzenden (https://jungle.world/artikel/2022/45/der-junge-aus-der-banlieue externer Link) des rechtsextremen RN. Einen jungen Mann, der seine institutionelle Karriere 2015 als parlamentarische Mitarbeiter eines gewissen Jean-François Jalkh begann. Jalkh, Jahrgang 1957, sollte zwei Jahre später – im Präsidentschaftswahlkampf 2017 – Interimsvorsitzender seiner Partei werden, die damals noch Front National (FN) hieß, des jetzigen RN, als die bisherige Parteichefin Marine Le Pen zum Elysée-Palast kandidierte. Doch dann tauchten von ihm (https://www.francetvinfo.fr/politique/front-national/front-national-rattrape-par-ses-declarations-negationnistes-jean-francois-jalkh-a-ete-remplace-par-steeve-briois_2166394.html externer Link) Aussprüche aus dem Jahr 2000 auf, in denen es um die angebliche technische Unmöglichkeit von Judenvergasungen mit Zyklon-B ging. Jalkh musste verzichten und spielt heute in der Öffentlichkeit keine politische Rolle mehr, arbeitet allerdings noch immer als Parteijurist beim RN.

Man sollte sich nicht damit aufhalten, sich oberflächlich zu beruhigen, indem man zu Leerfloskeln wie dem aus heißer Luft bestehenden, auf den früheren FN und heutigen RN jedenfalls nicht zutreffenden Langweilerbegriff des „Populismus“ (http://www.trend.infopartisan.net/trd0104/t140104.html externer Link) greift. Die Partei, um die es geht, wurde 1972 eindeutig als Bestandteil des europäischen Nachkriegsfaschismus gegründet, dank Geld und Infrastruktur des damals vergleichsweise starken italienischen Neofaschismus (https://www.bpb.de/themen/parteien/rechtspopulismus/184221/wie-marine-le-pen-den-front-national-modernisierte/ externer Link) aufgebaut und mit dessen Symbolen ausgestattet. Dazu gehört die züngelnde Flamme in den (jeweiligen, italienischen respektive französischen) drei Nationalfarben, historisch ein Symbol für den angeblichen Aufstieg der Seele Benito Mussolinis aus seinem Sarg gen Himmel. Bis heute bildet diese Trikolore-Flamme, wenn auch in den letzten zehn Jahren mit graphischer Abwandlung gegenüber ihren früheren Grundrissen, das Parteisymbol des FN.

Insgesamt erhielt die französische extreme Rechte, nimmt man den RN und die überwiegend als Abspaltung von ihm entstandene, 2022 gegründete Partei Reconquête! (R!, „Rückeroberung!“) von Eric Zemmour zusammen, bei der diesjährigen Europaparlamengswahm in Frankreich 37 Prozent der Stimmen. (https://www.resultats-elections.interieur.gouv.fr/europeennes2024/ensemble_geographique/index.html externer Link) – Hinzuzählen könnte man auch noch die, im Unterschied zum RN für den Totalaustritt aus der Europäischen Union eintretende Liste von (https://jungle.world/artikel/2018/01/nicht-patriotisch-genug externer Link) Florian Philippot, er war bis Herbst 2017 Generalsekretär des damaligen FN, mit 0,9 Prozent; doch diese ist kaum bündnisfähig.

37 Prozent, das entspricht weitgehend dem Stimmenanteil der extremen Rechten in der Schlussphase, in den letzten Monaten der Weimarer Republik. (https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagswahl_November_1932 externer Link) Nein, eine Gleichsetzung ist nicht möglich: Der RN tritt nicht auf wie die damalige NSDAP, er betreibt keinen massiven Straßenterror oder nur eher am Rande (https://jungle.world/artikel/1997/47/wir-schlagen-zu-und-verschwinden externer Link) sein früher paramilitärisch agierender Ordnerdienst DPS (https://jungle.world/artikel/1999/17/sicherheitspolitique-la-francaise externer Link) war 1999 Gegenstand eines zweibändigen parlamentarischen Untersuchungsberichts und schrammte damals knapp an einem Verbot vorbei. Seitdem hält er die Bälle etwas flacher.

Ansonsten trifft die Aussage zu: Die zeitgenössische extreme Rechte ist nicht der Faschismus von 1922 oder 1933. Ganz einfach, weil wir weder im Jahr 1922 noch im Jahr 1933 sind. Auch Konservative von 2024 ähneln kaum denen von vor einhundert Jahren – in noch zum Gutteil einer agrarisch geprägten Gesellschaft -, die Sozialdemokratie von 2024 ziemlich wenig der von 1924, und Kommunisten von 2024 auch kaum denen einhundert Jahre früher… Ein Auftreten wie vor einhundert Jahren würde nicht funktionieren, auch nicht bei der extremen Rechten. Und war in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ein Reservoir an Frontkämpfern aus dem erst wenige Jahre zuvor stattgefundenen Ersten Weltkrieg vorhanden, die Aufmärsche in Uniform und Marschmusik schätzten und an militärische Gewalt gewohnt waren, so wuchs auch das heutige Personal der extremen Rechten ohne Kriegserfahrung auf.

Wie alle politischen Kräfte verhält sich auch die extreme Rechte so, wie es ihr in heutigen Zeiten und unter heutigen Bedingungen Erfolg bringen kann. Dazu gehörten phasenweise auch Umsturzfantasien von Rechts, doch diese haben sich strategisch nicht bewährt. Die Strategie, die sich durchsetzen konnte, läuft auf eine parlamentarische Machteroberung oder -beteiligung hinaus.

Macrons Masterplan

Diese könnte nun ernsthaft kurz bevorstehen. Wie es dazu kam, wirft noch vielfach Fragen auf. Zu ihrer Beantwortung wurde zum Teil die römische Mythologie herangezogen. Seit dem Jahr 2017 trug Emmanuel Macron mitunter (aufgrund eines seiner damaligen Aussprüche) den Spitznamen: „Jupiter“; vgl. dazu https://jungle.world/artikel/2017/24/emmanuel-vom-jupiter externer Link)

Nun lästerte der sozialdemokratische Parteivorsitzende Olivier Faure: „Wir warteten auf Jupiter, wir bekamen Nero.“ (Vgl. https://x.com/estelle6949/status/1803321174945829333 externer Link) Unter Anspielung auf die Legende, wonach der damals (also im Jahr 64 nach unserer Zeitrechnung) regierende Kaiser Nero persönlich Feuer an Rom legte. Diese These ist historisch allerdings umstritten. (https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fer_Brand_Roms externer Link)

Sei es, wie es sei: Auch wenn das Drehbuch unter den eigenen Augen geschrieben wird, ist man manchmal doch erstaunt, wenn es dann eintrifft – ungefähr so, wie man es vermutet hatte. So ging es in der Nacht vom Sonntag, den 09. zum Montag, den 10. Juni d.J. vielen Beobachterinnen und Beobachtern in Frankreich. Auch dem Verfasser dieser Zeilen, welcher noch vor einigen Wochen in der Öffentlichkeit (https://www.konkret-magazin.de/hefte/883-4-2024 externer Link) die These vertrat, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron plane mittelfristig, im Falle eines Machtverlusts die politische Macht tunlichst an die Rechtsextremen abzugeben. Dies im festen Glauben, diese anhand ihrer wirtschaftlichen Inkompetenz auf die Dauer vorführen zu können; und gleichzeitig im Willen, keine sonstige Alternative neben marktradikalen Wirtschaftsliberalen und Rechtsextremen (also sozusagen zwei Varianten von Sozialdarwinismus) aufkommen zu lassen. Allzu deutlich wurde in den vergangenen Monaten und Wochen, dass Macron Alles tut, um eben diese extreme Rechte zur „glaubwürdigen Alternative“ aufzubauen. So lautete eines der zentralen Angebote Macrons im Europaparlamentswahlkampf, er selbst könne sich ein Fernsehduell mit Marine Le Pen – der Fraktionsvorsitzenden des RN in der französischen Nationalversammlung – liefern. Doch diese war nicht Spitzenkandidatin, sondern Schlusslicht auf der eigenen Liste, und er selbst gar nicht Kandidat bei dieser Wahl.

Nun tritt diese Voraussage, die hinter den Kulissen auch von einigen anderen Beobachter-inne-n des französischen Politikbetriebs geteilt wurde und auch bereits vor einem Jahr im Wochenmagazin Politis formuliert worden war (https://x.com/salomesaque/status/1799941589596291187?s=03 externer Link) ungeahnt schnell zu. Um eine spontane Entscheidung handelt es sich allerdings nicht, die Entscheidung zur Auflösung der ersten Parlamentskammer – der Nationalversammlung, in welcher seit Juni 2022 nur noch relative Mehrheit, und keine absolute Mehrheit mehr vorhanden waren – wurde laut einem Bericht bei Vanity fair im kleinesten Kreis von circa zehn Macron-Beratern, das Magazin nennt die Namen, seit rund „einem Jahr“ diskutiert. Macrons politisches Unterstützerlager hat sich dadurch allerdings gewissermaßen; bzw. läuft, ähnlich wie ein geköpftes Huhn, nun kopflos herum. Abgeordnete und Minister/innen, die nun „dank“ Macron jüngst ihren Job verloren, weigern sich derzeit, mit dem Konterfei des bisherigen Stars oder Oberhaupts ihres politischen Lagers in den Wahlkampf zu ziehen. Von den meisten Wahlpublikationen der Kandidat-inn-en der Präsidentenpartei Renaissance und ihrer Verbündeten (MoDem, Horizons…) ist Macron inzwischen verschwunden, getilgt worden.

Startschuss

Am Abend des 09.06.24 gab Staatspräsident Emmanuel Macron die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen bekannt, wie zuletzt sein Amtsvorgänger Jacques Chirac im April 1997. Dessen damaliger taktischer Fehltritt handelte ihm eine Cohabitation, d.h. eine erzwungene Koexistenz zwischen einem Staatspräsidenten und einer Parlamentsmehrheit sowie einem Premierminister aus entgegengesetzten politischen Lagern, mit einer sozialdemokratisch geführten Koalitionsregierung (https://jungle.world/artikel/1997/31/jospins-versprecher externer Link) von 1997 bis 2002 ein.

Zwar verlor daraufhin dann der sozialdemokratische Spitzenmann Lionel Jospin die darauffolgende Präsidentschaftswahl 2002, übrigens erstmals gegen einen rechtsextremen Frontmann, das war damals Jean-Marie Le Pen – was seinerzeit noch Massendemonstrationen (https://jungle.world/artikel/2002/18/fehler-im-system externer Link) auslöste. Ob dies in diesem Jahr wieder so sein wird, bleibt abzuwarten; erste Spontandemonstrationen gegen den sich abzeichnenden rechtsextremen Durchmarsch an die Regierung fanden bereits am Abend des 09.06.24 auf den Pariser Plätzen place de la République und place de Stalingrade statt. Auch an den folgenden Abenden gingen sie weiter?

Macrons Strategie läuft darauf hinaus, die Rechtsextremen regieren zu lassen, abzuwarten und dann vor der nächsten Präsidentschaftswahl 2027 wieder auf der Matte zu stehen im Vertrauen darauf, diese mögen sich bis dahin blamieren. Eine gefährliche Strategie, ein Spiel mit dem Feuer.

Protesttage mit Höhepunkt am 15. Juni d.J.

Frankreich: Antifaschistische und feministische Demo am 16.6.2024 in Paris (Foto Bernard Schmid)Vorne läuft ein „schwarzer Block“, der jedoch den ganzen Tag über friedlich bleibt, jedenfalls dieses Mal ohne sinnlosen Glasbruch auskommt. Dahinter folgen die Heißluftballons der französischen Gewerkschaften, hinter denen Tausende Menschen hergehen. Am Schluss läuft ein Riesenpulk von Menschen, die buchstäblich aus der viel beschworenen „Zivilgesellschaft“ kommen, bei keiner Partei oder Gewerkschaft organisiert sind und mit selbstgebastelten Plakaten und Schildern ihrer Besorgnis über die politische Entwicklung in Frankreich – konkret, die Perspektive eines Machtantritts der 1972 als Teil des Nachkriegsfaschismus gegründeten rechtsextremen Partei Rassemblement national (le RN, „Nationale Sammlung“) – Ausdruck verleihen.

Rund 150.000 Menschen nach realistischen Schätzungen und Beobachtungen des Verf. dieser Zeilen, basierend auf den Parametern Straßenbreite mal Dauer (die aufrufende Gewerkschaftsvereinigung CGT spricht daraufhin von 250.000, das Innenministerium von 75.000) demonstrierten am Samstag, den 15. Juni d.J. allein in Paris gegen diese Bedrohung. In unterschiedlichen Städten in Frankreich waren es zeitgleich wohl rund 450.000, auch hier liegen die Veranstalterangaben darüber und die Polizeizahlen, respektive „640.000“ und „250.000“, darunter.

Die stärksten Kontingente unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Protestzüge stellten die Gewerkschaften, was wichtig ist, weil diese über den Einsatz des Streikrechts verfügen können – sowohl bei Arbeitskämpfen als auch, erforderlichenfalls, bei der Verteidigung der Demokratie. Aber auch zahllose Unorganisierte demonstrierten mit. Allerdings blieb der Protest noch erheblich, erheblich unterhalb der Dimensionen, die er am 1. Mai 2002 einnahm – damals war Jean-Marie Le Pen am 21. April jenes Jahres überraschend in die vierzehn Tage später stattfindende Stichwahl um die französische Präsidentschaft eingezogen, wobei er im Unterschied zu heute keinerlei realistische Chance hatte, auch wirklich die politische Macht zu übernehmen.

An jenem 1. Mai vor 22 Jahren waren anderthalb bis zwei Millionen Menschen unterwegs. Allein in Paris waren damals, reale Zahl!, mindestens 600.000, vielleicht 700.000 Menschen unterwegs. Zur Erinnerung: Der Verfasser dieser Zeilen stand damals, mit einem zunächst sechzig bis siebzig Zentimeter Durchmesser umfassenden Flugblattstapel, eingekeilt zwischen einer Laterne und der Menschenmenge am Rande der Pariser place de la République und konnte sich dabei stundenlang weder vorwärts noch rückwärts bewegen, während die Menschenflut vorbeisuppte. Dieses Vorbeiziehen dauerte damals geschlagene sechs Stunden, während die Demonstration auf drei Routen – jeweils breiten Boulevards – parallel zueinander lief, um die Teilnehmer/innen überhaupt vom Fleck zu bekommen. Zum Vergleich: Am vorletzten Samstag, den 15. Juni 24 betrug die Dauer des Vorbeiziehens an einem fixen Ort (ebenfalls zwischen place de la République und place de la Bastille in Paris) hingegen genau zwei Stunden. Und es existierten zwei Parallelrouten – 2002 waren es drei -, wobei nur eine benutzt worden zu sein scheint, wobei die Menschen allerdings über die benutzte breite Straße hinaus auch beiderseits auf den Trottoirs vorbeizogen.

Die für fast alle überraschend kommende Nachricht vom Einzug des damaligen Präsidentschaftskandidaten Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl hatte damals, am Abend des 21. April 2002, aufrüttelnde Wirkung gezeitigt und Viele schockiert. Heute kommt die rechte Gefahr weitaus weniger überraschend, vielleicht deswegen auch einschläfernder. Wenn sich der rechtsextreme Wahlerfolg von den jüngsten Europaparlamentswahlen in Frankreich aber bei den am 30. Juni und 07. Juli stattfindenden Nationalparlamentswahlen wirklich umsetzt, dann könnten hernach möglicherweise noch einige bislang eher schlummernde Protestkräfte aufwachen.

Unterdessen speckt der RN bereits bei einigen seiner zuvor vollmundig getätigten sozialen oder pseudo-sozialen Wahlversprechen ab, um den Realitätsschock geringer zu halten, wenn sich in Kürze herausstellen sollte, dass daraus nun aber gar nichts wird. Abgerückt ist der RN so bereits in den ersten Tagen nach der Verkündung der Parlamentsauflösung und der Neuwahlen von der noch am 10. Juni vertretenen Perspektive einer Rücknahme der 2023 unter Emmanuel Macron gegen massive soziale Widerstände durchgesetzten Rentenreform – einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit um zwei Jahre. (Zum weiteren Herumeinern in just dieser Frage vgl. weiter unten.) Auch das Versprechen einer Befreiung aller unter 30-jährigen von der Einkommenssteuer wurde eingestampft. (https://www.latribune.fr/economie/legislatives-un-programme-si-couteux-que-le-rn-l-elague-999994.html externer Link) Dieses war allerdings ohnehin fragwürdig, da es den Millionärserben ebenso wie die junge Geringverdienerin begünstigt hätte. Festhalten will der RN-Anwärter auf den Premierministerposten, Jordan Bardella, dagegen am Versprechen einer Absenkung der Mehrwertsteuer auf Treibstoffpreise (Benzin und Diesel). Auch dieses, sozial unspezifische steuerpolitische Versprechen kann ebenso den umweltschädigenden SUV-Besitzer wie die prekär arbeitende Pendlerin betreffen.

Das in den Tagen nach dem 09. Juni d.J. geschlossene Linksbündnis in Gestalt des nouveau front populaire, das in Umfragen bis zum darauffolgenden Wochenende zunächst aufholte, aber auch von inneren Dissonanzen durchzogen wird, seinerseits kündigt als zentrale Punkte an, die Rentenreform von 2023, die geplante Reform der Arbeitslosenversicherung und das zum Jahreswechsel 2023/24 durch ein Stimmbündnis zwischen Macron-Anhängern, Konservativen und Rechtsextremen im Parlament verschärfte neue Ausländergesetz abzuschaffen. Der gesetzliche Mindestlohn SMIC, er liegt derzeit bei 1.398 Euro netto, soll dem gemeinsamen Wahlprogramm zufolge auf 1.600 Euro netto angehoben werden.

Brennpunkt öffentlich-rechtliches Fernsehen & Rundfunk

Eine Reihe von Berufsgruppen bereitet sich unterdessen auf die erwarteten spezifischen Auswirkungen einer rechtsextremen Regierungsübernahme oder -beteiligung in ihren Berufsfeldern vor. Stark hinter ihren Gewerkschaften mobilisiert waren am Samstag, den 15. Juni etwa die abhängig Beschäftigten bei öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehanstalten. Deren Privatisierung hat der RN in seinem Wahlprogramm angekündigt; Spitzenkandidat Jordan Bardella hat es bestätigt. (https://www.lefigaro.fr/medias/le-rn-compte-bien-privatiser-l-audiovisuel-public-confirme-jordan-bardella-20240616 externer Link) Dabei ginge es vor allem darum, die bereits bestehenden privaten Medienmonopole, deren Eigentümer in mehreren Fällen der extremen Rechten offen zuarbeiten, zu stärken.

Das gilt insbesondere für Vincent Bolloré, einen bretonischen Milliardär, der seit 2015 massiv ins Mediengeschäft einstieg – sein früheres Tätigkeitsfeld war der postkoloniale Rohstoffhandel im französischsprachigen Afrika, den er mittlerweile weitgehend abgestoßen hat – und von der Einrichtung einer Art französischen Äquivalents zum reaktionären Sender „Fox News“ in den USA träumt. Der durch Bolloré betriebene französische Fernsehkanal CNews hat vor kurzem unter den sogenannten chaînes d’info – den Rund-um-die-Uhr-Nachrichtensendern – den ersten Platz erobert und den liberalen Privatsender BFM TV überholt. (https://www.lemonde.fr/economie/article/2024/06/03/audiences-tv-comment-cnews-est-parvenue-a-depasser-bfm-tv_6237116_3234.html externer Link) Der Sender CNews, der früher auch den rechtsextremen Ex-Präsidentschaftskandidaten (2022) Eric Zemmour als Kommentator beschäftigte, erhielt mehrmals Geldstrafen (https://www.ouest-france.fr/politique/eric-zemmour/eric-zemmour-et-cnews-condamnes-pour-des-propos-visant-la-deputee-lfi-daniele-obono-76b06d62-c5cb-11ee-8011-b976796527e7 externer Link) wegen hetzerischer Sprüche aufgebrummt. Bolloré wurde durch Macron vor seinem Beschluss zur Parlamentsauflösung vorab informiert – und er wurde durch den konservativen Parteichef Eric Ciotti am Montag, den 10. Juni (https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/06/13/comment-eric-ciotti-a-orchestre-avec-vincent-bollore-l-annonce-de-son-ralliement-au-rn_6239404_823448.html externer Link) konsultiert, bevor jener am 11. Juni überraschend sein Wahlbündnis mit der extremen Rechten offiziell ankündigte. Eine solche Allianz wird durch Bollorés Sender seit längerem (https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/06/16/legislatives-2024-comment-les-medias-de-vincent-bollore-orchestrent-l-alliance-du-rn-et-de-la-droite_6240508_823448.html externer Link) propagiert. Ihre Hetze könnte künftig regierenden Rechtsextremen als Instrument zur Beeinflussung der Massen dienen.

Auch im Bildungswesen bereiten sich Beschäftigte auf intensiven Widerstand gegen eine rechtsextrem geführte Regierung vor. Vierzig Führungskräfte im Bereich des Bildungsministeriums haben bereits ihren „Ungehorsam“ für einen solchen Fall (https://www.aefinfo.fr/depeche/713849-nous-n-obeirons-pas-des-cadres-de-l-education-nationale-se-mobilisent-contre-l-extreme-droite externer Link) angekündigt. Eine entsprechende Petition wurde inzwischen durch 2.000 Personen unterzeichnet. Und aus dem Gesundheitswesen gibt es unterdessen einen in der Presse veröffentlichten Aufruf von 3.600 Beschäftigten und Führungskräften, bei den bevor stehenden Parlamentswahlen gegen den RN und für das Linksbündnis zu stimmen.

Zu den Totalausfällen des rechtsextremen Programms zählen Umwelt- und Klimaschutz – die den RN schlicht nicht interessieren, die Partei hat i.Ü. einen Baustopp für jegliche neue Windkraftanlagen angekündigt, weshalb im Wirtschaftssektor der erneuerbaren Energien nun intensive Krisenstimmung herrscht – und eben, in weiten Teilen, Gesundheitspolitik.

Programm-Pressekonferenz von Bardella am 24. Juni 24

Einen Urknall braucht es – drunter geht es nun mal nicht, denn vollmundiger, desto besser die Ankündigungen. An diesem Montag Mittag kündigte der Spitzenkandidat des rechtsextremen Rassemblement national (RN) zu den französischen Parlamentswahlen an den kommenden beiden Sonntagen, Jordan Bardella, für den Fall seines Regierungsantritts einen „Urknall der Autorität in Schule und Unterricht“ (big-bang de l’autorité à l‘école) an.

Die Einführung von Schuluniformen, die Einrichtung geschlossener Erziehungszentren für verhaltensauffällige Schüler oder Schülerinnen, das Bestehen auf dem Siezen für Lehrkräfte – geduzt werden dürfte allerdings ohnehin nur mancherorts in Kindergärten und Grundschulen – sowie Frontalunterricht statt „pädagogischer Experimente“ sollen es richten, was die Krise im Bildungswesen betrifft.

Auch soll, auf dieses Versprechen insistierte er, das so genannte Bodenrecht oder ius soli, also die Möglichkeit eines Erwerbs der französischen Staatsbürgerschaft durch Geburt im Land, solle ersatzlos abgeschafft werden. Derzeit ist der Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt auf französischem Territorium möglich auf Antrag der Eltern ab frühestens 13 und unter der Bedingung einer Mindesteinschulungsdauer von fünf Jahren auf französischem Boden, und automatisch im Alter von unter derselben Voraussetzung. Entgegen mancher vorheriger Aussprüche Bardellas soll hingegen die doppelte Staatsbürgerschaft nicht grundsätzlich verboten werden: Davon kehrte er ab, nachdem er in der vorletzten Woche daran erinnert worden war, seine Parteifreundin Marine Le Pen habe 2022 als Präsidentschaftskandidatin davon Abstand genommen. Damals ging es darum, vorgebliche „Mäßigung“ zu zeigen; offiziell auch darum, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass bestimmte Herkunftsstaaten wie etwa Marokko das Aufgeben ihrer jeweiligen Staatsangehörigkeit rechtlich verbieten. Doch soll der Zugang von Doppelstaatsangehörigkeit zu Ämtern und Stellen im öffentlichen Dienst, Bardella nannte etwa „strategische Posten“, untersagt werden. Dies würde bedeuten, eine explizite juristische Ungleichbehandlung zwischen französischen Staatsbürgerinnen und -bürgerinnen einzuführen – eine frappierende Vorstellung.

Aufgegeben dagegen hat die Parteispitze des RN in den letzten Tagen, für den Fall ihres Regierungseintritts in nächster Zukunft, einige vor allem sozioökonomische Verspechen. Dazu zählt etwa die ausgesetzte Programmforderung nach einer Absenkung der Mehrwertsteuer auf einhundert Grundbedarfsgüter. Beibehalten dagegen werden soll die, von Bardella auf angeblich sieben Milliarden Euro jährlicher Kosten bezifferte, Mehrwertsteuersenkung für Energie und Treibstoff. Eine Maßnahme, die wohl manche Haushalte scheinbar erleichern könnte, weil die Energierechnungen seit 2021/22 erheblich stiegen, doch keinerlei soziale Komponente enthält: Da der Steuersatz von Verbrauchssteuern wie der Mehrwertsteuer (TVA) vollkommen einkommensunabhängig ist, kommt eine Senkung der die Umwelt verschmutzenden wohlhabenden SUV-Fahrerin genau so zugute wie dem prekär lebenden Berufspendler, ja sogar stärker, da höherer Verbrauch dann auch eine höhere Steuereinsparung bedeutet.

Rentenpolitik

Zur zunächst vollmundig angekündigten Rücknahme der unter Staatspräsident Emmanuel Macron angenommenen Rentenreform vom April 2023 blieb unterdessen bei der zweistündigen TV-Debatte der drei Spitzenkandidaten Jordan Bardella (RN), Gabriel Attal (amtierender Premierminister und Vertreter des Wahlbündnisses Ensemble pour la France, rund um die Präsidentenpartei Renaissance) und Manuel Bompard vom Linksbündnis am Abend des 25. Juni.J. nur noch übrig, dass jene, die im Alter zwischen 16 und 20 Jahren ins Erwerbsleben eintraten, mit sechzig Jahren und vierzig Beitragsjahren in Rente gehen können dürfen. Dies betrifft zwar in Zukunft noch einige Zehntausend Angehörigen der älteren Arbeitergenerationen, doch kaum noch jemanden in den jüngeren Generationen. Am Abend des 25. Juni antwortete Bardella auf eine Nachfrage betreffend einen Lohnabhängigen, welcher im Alter von 24 ins Erwerbsleben eingetreten sei, dieser soll künftig mit 66 und mit 42 Beitragsjahren – dies ist der jetzige Stand, welcher eingefroren werden soll, Macrons Pläne wollten auf 43 hinaus – in Rente gehen. Also im Prinzip auch nicht früher als jetzt…

Zwiebelprogramm

Der amtierende Premierminister Gahriel Attal sprach am vorigen Mittwoch, den 19. Juni diesbezüglich von einem „Zwiebelprogramm“: Das Paket an Wahlversprechungen der rechtsextremen Partei schäle sich wie eine Zwiebel, Schale für Schale werde abgenommen, „und am Schluss bleiben tränende Augen übrig“.

Dass der wirtschaftsliberale Premierminister von Präsident Emmanuel Macron deswegen in den Augen der breiten Wählerschaft selbst ein attraktiveres Wahlangebot vertritt als ohne dies, erscheint zwar derzeit höchst unwahrscheinlich. Dennoch geriet auch der RN unter Legitimationsdruck, denn einerseits steht er unter einem gewaltigen Erwartungsdruck einer Wählerschaft, die in relevanten Teilen dazu geneigt scheint, „diese Partei, die noch nie an der Macht war, einmal auszuprobieren, um endlich Veränderung zu sehen“– so lautet eine auch in den Medien verbreitete Formulierung. Und wohl auch von Seiten einer Mitgliedschaft und des Sympathisantenumfelds, die nach 52 Jahren dauernder Opposition – seit Gründung der Vorläuferpartei Front National, FN, im Jahr 1972 – nun endlich Revanche nehmen wollen. Dafür, dass man die eigene Partei nicht mitmachen ließ, wie für das in breiten Teilen der RN-Basis empfunden Gefühl der Deklassierung, des eigenen sozialen Abstiegs wie des Abstiegs Frankreichs als Nation.

Deswegen auch wird der RN, sollte er die Regierungsgeschäfte übernehmen, stärker zu mindestens symbolpolitisch einschneidenden Maßnahmen gedrängt werden als etwa die Parteigänger der „postfaschistischen“ Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni im Nachbarland Italien. Deren Vorläuferparteien, MSI und Allianza nazionale, waren in den letzten dreißig Jahren, seit der 1994 gebildeten ersteN Regierung von Silvio Berlusconi, gleich mehrfach an der Regierung beteiligt, wenn auch vor 2022 in der Juniorposition gegenüber bürgerlichen Kräften. Entsprechend konnten sie schon seit Jahrzehnten Personal im Staatsapparat und etwa in kulturellen Institutionen platzieren. Das Bedürfnis nach spektakulär aussehenden Brüchen, wenigstens in einigen Punkten, fällt da schwächer aus als im französischen Falle.

Andererseits aber ist da die Position der Kapitalverbände, die eine rechtsextreme geführte wie jede andere Regierung im Prinzip an ihrer Ausgabenkontrolle, der Begrenzung vor allem von sozialpolitischen Staatsausgaben messen werden. Inzwischen haben sich die Wirtschaftsverbände, anders als in der Vergangenheit, als sie den damaligen FN und späteren RN aufgrund seiner Neigung zum nationalen Protektionismus auch in wirtschaftlichen Belangen kritisierten, weitgehend mit einer Regierungsübernahme dieser Partei abgefunden.

Eine solche ist ihnen immer noch lieber als eine Machtbeteiligung der, ansonsten sehr unterschiedlichen doch – gerade aufgrund des drohenden Regierungseintritts des RN – in einem mutmaßlich prekären Wahlbündnis zusammengeschlossenen, Linksparteien. Auch wenn das Linksbündnis, der „neue Front populaire“ (vgl. Teil 1), inzwischen sein Programm durchrechnete und um ordnungsgemäße Finanzierungspläne bemüht war: Laut dem am vorigen Freitag vorgelegten Finanzprogramm der zumindest vorübergehend vereinten Linksparteien soll etwa die Wiedereinführung einer Vermögensbesteuerung jährlich 15 Milliarden Euro einbringen. Die unter Emmanuel Macron 2017 abgeschafft Großvermögenssteuer ISF trug jährlich nur vier bis fünf Milliarden Euro ein, doch möchten die Linksparteien Steuerflucht und -entzug stärker und effizienter bekämpfen sowie die Vermögenssteuer auf besonders umweltschädliche Besitzungen erweitern. Dies schmeckt dem Kapital selbstredend nicht – dem ist da ein ökonomisch irrational argumentierender, doch demagogisch versierter Kandidat des neuen Rechtsbündnisses aus dem RN und einem Flügel der nun definitiv gespaltenen konservativen Partei Les Républicains (LR) wie der frühere Richter Charles Prats weitaus lieber.

Prats behauptet, Abermilliarden dadurch hereinholen zu können, dass gigantische Verluste durch „Sozialbetrug“ und Einwanderung – beide fließen bei ihm in kaum unterscheidbarer Form einander -, sprich: illegitime Bedürfnisse, beendet werden könnten. Seine Rechnungen zu den angeblichen zweistelligen Milliardenverlusten durch „Sozialbetrug“, die hereingeholt werden könnten, dürften sich schnell als Milchmädchenrechnung erweisen. Dem Kapital konkret schmackhaft werden könnten hingegen Prats Forderungen nach einer Flat tax, also einem identischen Steuersatz für die gerade noch unter die Einkommenssteuer fallende Geringverdienerin und den Millionär.

Ciotti aux chiottes! (heißt: „Ciotti, geh‘ scheißen!“)

Am 20. Juni d.J. wurde Bardella zum zweiten Mal, nach seinem Vorsprechen als Kandidat bei der Europaparlamentswahl am 18. April 24, bei einer Anhörung der Wirtschaftsverbände vorstellig. Begleitet wurde er dieses Mal durch Eric Ciotti, den seit Dezember 2022 amtierenden und ideologisch in vielen Punkten seit langem den Rechtsextremen nahe stehenden Vorsitzenden der konservativen Partei LR.

Er verkündete am 11. Juni d.J. – für die meisten seiner Parteifreunde überraschend – ein Wahlbündnis in Form eines „nationalen Blocks“, ein bereits in den 1930er Jahren bei pro-faschistischen Kräften existierender Begriff, ein Wahlbündnis mit dem RN. Daraufhin wurde er durch den Parteivorstand nahezu einstimmig ausgeschlossen; für seinen Kurs stimmten lediglich die wie Ciotti ebenfalls aus Nizza stammende Kandidatin Christelle D’Intorni, Meyer Habib – der Abgeordnete der Auslandsfranzosen und langjähriger Verbindungsmann zwischen französischen Konservativen und der israelischen Rechten – sowie der Jugendvorsitzende, Guilhem Carayon. Anders als die hohen Parteifunktionäre ist die Wählerbasis jedoch stärker gespalten. Am 14. Juni setzte ein Pariser Gericht den zuvor geschassten Ciotti jedoch als Parteivorsitzenden wieder ein. Seitdem ziehen zwei getrennte Blöcke aus der Erbmasse der explodierten Formation LR in die Wahlen, einer mit dem, einer gegen den RN. Das seit Jahrzehnten mit unterschiedlichen Mitteln verfolgte (https://jungle.world/artikel/1997/36/ideologische-autonomie externer Link) strategische Ziel, die Konservativen in zwei Blöcke aufzuspalten und einen davon zum Satelliten zu machen, ist der extremen Rechten dadurch gelungen.

Dass Ciotti, was nicht erwartet worden war, ohne eigene Einladung Bardella zu dessen Termin bei den Arbeitgeberverbänden begleitete, diente vor allem auch dazu, Respektabilität gegenüber den Imperativen der Kapitaleigner und der Oberklassen zu beweisen. Ciotti teilt zwar mit den Rechtsextremen die Verachtung für das Konzept des Rechtsstaats, sofern dieser hoheitlichem Handeln des Staates Grenzen setzen könne – 2021 erklärte Ciotti, in Zeiten des Kriegs gegen den Terrorismus sei ein solches Konzept definitiv überholt – sowie eine Obsession für die „nationale Identität“, nicht jedoch ihre zu wahlpolitischen Zwecken eingesetzte soziale Demagogie. Im vorigen Jahr stimmte der RN gegen die Rentenreform unter Emmanuel Macron, die das gesetzliche Mindestalter für die Pensionierung – meist mit Abschlägen – von zuvor 62 auf zuvor 64 hochsetzte, während Ciotti diese lediglich für unzureichend hielt und ein Alter von mindestens 65 forderte.

Dass Bardella mit Ciotti gemeinsam zu dem Termin erschien, sollte ihn also wirtschaftlich verantwortungsbewusst aussehen lassen, droht jedoch zugleich, als inhaltliche Inkohärenz wahrgenommen zu werden. In der Woche zuvor hatte Bardella angekündigt, die Forderung nach Rücknahme von Macrons Rentenreform werde unter Finanzierungsvorbehalt gestellt, zuerst müsse man nach Regierungseintritt die Haushaltslage prüfen und die genaue Lage der Staatsfinanzen kontrollieren. Sein Wirtschaftsexperte Jean-Philippe Tanguy seinerseits kündigte eine „Konzertierung mit den Sozialpartnern“, was eventuell erlauben könnte, „mangels Konsens“ zwischen Arbeitgeberverbänden einerseits und Gewerkschaften andererseits die Ankündigung auf die lange Bank zu schieben.

Die Arbeitgeberverbände ihrerseits bleiben jedoch gegenüber einer potenziellen RN-Regierung grundsätzlich gespalten, da in ihren Reihen die größeren weltmarktorientieren sowie die im IT-Sektor tätigen Unternehmen der Partei eher feindlich, sehr viele mittelständische Unternehmen ihr jedoch wohlgesonnen gegenüber stehen.

Von ihrer Geschichte, die im zunächst ungeschminkten Neofaschismus beginnt, muss die Partei unterdessen kaum Abstand nehmen – so lange es erstens nicht zu Störungen der öffentlichen Ordnung kommt und zum Zweiten nicht zum sichtbaren Bekenntnis zum Antisemitismus, den ihre wichtigsten Anführer, in der ersten Hälfte des vorigen Jahrzehnts zunächst Marine Le Pen und Louis Aliot, als Störfaktor bei Bündnissen mit Bürgerlichen und der Anwärterschaft auf die Machtbeteiligung erkannten. Dies im Unterschied zu ihren Vorläufern an der Parteispitze wie Jean-Marie Le Pen und Bruno Gollnisch.

Antisemitismus als kontraproduktiv betrachtet

Aus Menschenfreundlichkeit wurde diese Wendung gewiss nicht genommen, und der Wandel bleibt auch oberflächlich: Das Altbekannte darf nur nicht zu offen vorschimmern. Am Sonntag publizierten drei Journalisten von Le Monde jedoch knapp fünfzig Namen von Kandidaten zur Parlamentswahl, die sich entweder offen geschichtsrevisionistisch betätigten – wie Frédéric Boccaletti, er betrieb früher in Nizza eine Buchhandlung für Holocaustleugner-Literatur -, verschwörungstheoretisch oder aber als sichtbare Kreml-Propagandisten, auch nachdem ihre Partei offiziell vom Putin-Regime abgerückt war.

Einer von ihnen wurde am Sonntag offiziell rehabilitiert und als Kandidat wieder eingesetzt. Joseph Martin, Parlamentsbewerber in der Bretagne, war vorige Woche zunächst die Unterstützung entzogen worden, weil er bei Twitter geschrieben hatte: „Das Gas rächte die Opfer der Schoah.“

Mittlerweile konnte er dafür jedoch eine Erklärung liefern, die anscheinend befriedigte: Er habe auf diese Weise den Tod des prominentesten französischen Auschwitzleugners, Robert Faurisson, begrüßt, also eine noble Intention verfolgt.

Allerdings starb der damals 89jährige Robert Faurisson gar nicht an einer Gasvergiftung, sondern am 21. Oktober 2018 durch Herzversagen. Möglicherweise bestand ein Zusammenhang zwischen seinem Infarkt und der Störung seiner Veranstaltung am Vorabend in London. Bereits in den Stunden nach seinem Ableben vermeldete (https://www.lemonde.fr/disparitions/article/2018/10/22/le-negationniste-robert-faurisson-est-mort_5372781_3382.html externer Link) die französische Presse, Faurisson sei im Flur seines Hauses in der Stadt Vichy zusammengebrochen. Von Gasaustritt war dabei nicht die Rede. Doch selbst hätte dies gestimmt, dann bliebe der Vergleich zwischen Erdgas – wie es in Häusern zum Kochen und Heizen benutzt wird, und im Unglücksfall zu gefährlichen Kohlenmonoxid-Konzentrationen führen kann – und dem zu Tötungszwecken produzierten „Zyklon B“ mindestens haarsträubend und verharmlosend.

Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um eine Art Insider-Joke. Und so lange man bei so etwas „unter sich“ bleibt, geht es ja.

Gewalt

In mehreren Städten wie Paris, Nancy, Lyon, Angers kam es am Abend der Europaparlamentswahl oder an den darauffolgenden Abenden zu gewalttätigen Übergriffen von Rechtsextremen auf Homosexuelle und Anti-RN-Demonstranten. Die Täter kamen mutmaßlich aus außerparlamentarischen Gruppen wie dem studentisch geprägten GUD (Groupe Union Défense), dessen Altherrenclub unter Axel Lousteau – sein Sohn war an den Übergriffen in Paris beteiligt – jedoch dem RN angehört und dessen Parteifinanzen kontrolliert. Die Teilnehmer gaben dabei jeweils an, ‚den Wahlsieg Jordan Bardellas feiern‘ zu wollen. In Paris wurden dafür bereits sechs- und siebenmonatige Haftstrafen, auf und ohne Bewährung, für vier Täter verhängt.

In Montpellier demonstrierten am vorigen Samstag Hunderte Menschen gegen faschistische Übergriffe vom 1. Juni dieses Jahres. Bardella gab an, im Falle eines Wahlsiegs außerparlamentarische Gruppen ‚ultrarechter und ultralinker‘ Natur verbieten zu wollen, denkt aber erklärtermaßen auch an Antifagruppen.

LEtZTE MELDUNG DAZU: Die Regierung verkündete am heutigen Mittwoch Mittag das Verbot des soeben erwähnten GUD sowie drei weiterer, in Lyon ansässiger stiefelfaschistischer Gruppierungen:

Artikel von Bernard Schmid vom 26. Juni 2024 – wir danken!

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Frankreich kurz vor Neuwahlen – und vor dem Regierungseintritt der Neofaschisten?
Teil 1: Wie steht das linke Lager vor der Parlamentsneuwahl da?

Das Linksbündnis „Neuer Front populaire“ sammelt… von François Hollande bis zur radikalen Linken? – Antifaschistische Abwehrfront zieht das historische Kostüm des Front populaire an und einigte sich, trotz erheblicher innerer Differenzen, auf gemeinsame Programmforderungen. Auch gewerkschafliche Unterstützung dabei: Der neue Sammlungsversuch auf der französischen Linken betrifft auch die Gewerkschaften. Denn die CGT (ältester französischer Gewerkschaftsdachverband, 1895 gegründet, bei Wahlergebnissen in den Unternehmen derzeit zweitstärkster hinter der sozialdemokratisch bis sozialliberal geführten CFDT und linker als diese) ruft seit dieser Woche explizit zur Wahl des neuen Bündnisses auf. (Vgl. https://lcp.fr/actualites/legislatives-la-cgt-appelle-a-voter-pour-le-nouveau-front-populaire-que-disent-les externer Link)

Trotz massiver Differenzen vor allem in einigen außenpolitischen Fragen einigten sich die französischen Linksparteien vergangene Woche überraschend schnell auf ein Wahlbündnis und später auch auf einen programmatischen Minimalkonsens. Zwingend erforderlich wurde eine einigende Klammer dadurch, dass infolge des Ausgangs der Europaparlamentswahl in Frankreich und der noch am Wahlabend durch Staatspräsident Emmanuel Macron verkündeten (https://www.telepolis.de/features/Macrons-riskantes-Spiel-Der-Weg-fuer-die-extreme-Rechte-in-die-Regierung-9755983.html externer Link) Auflösung der Nationalversammlung – Neuwahlen finden am 30. Juni und 07. Juli d.J. statt – erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg eine Regierungsübernahme durch die extreme Rechte plausibel, ja wahrscheinlich erscheint.

Zu den Zielen Emmanuel Macrons bei der am Abend des 09.06.24 verkündeten Parlamentsauflösung zählte, neben der (in einigen Medienberichten durch Macrons Berater quasi offen erklärten) Absicht, den rechtsextremen RN an der Macht zu „testen“ und ihn ggf. wegen „wirtschaftlicher Inkompetenz“ dann in drei Jahren wieder aus dem Sattel zu werfen – vgl. Teil 2 -, auch die Schwächung der Linken.

Bislang wies die linkspopulistische Wahlplattform LFI mit 75 Abgeordneten die zweitstärkste Oppositionsfraktion, hinter der des rechtsextremen RN mit 88 Abgeordneten, auf. Insgesamt wäre das linke Wahlbündnis NUPES aus dem Mai/Juni 2022, innerhalb dessen LFI den Ton angab, dessen Partei dann jedoch mehrheitlich (gegen den Willen von LFI) getrennte Parlamentsfraktionen bilden mochten, jedoch mit 150 Abgeordneten stärker als die rechtsextreme Opposition gewesen. Die starken Differenzen zwischen den unterschiedlichen Linksparteien, die vor allem vor den Europaparlamentswahlen vom 09.06. d.J. augenscheinlich wurden, jedoch bereits zuvor zum Vorschein kamen – eine höchst umstrittene LFI-Politikerin, Mélenchons Geliebte Sophie Chikirou, verglich (https://www.slate.fr/story/253922/fabien-roussel-compare-jacques-doriot-collaborationniste-sophia-chikirou-france-insoumise-pcf-gauche-union externer Link) im September 2023 den derzeitigen Chef der Französischen KP, Fabien Roussel, mit dem Nazikollaborateur Jacques Doriot, einem ex-kommunistischen Renegaten; ein unglaublicher Vergleich, denn Doriot kämpfte 1943 in Naziuniform an der Ostfront -, schienen eine Spaltung der Linken zu gewährleisten. Der Wunsch zu einer gewissen Einheit, um nicht gegenüber Rechtsextremen und Wirtschaftsliberalen unterzugehen, erwies sich dann jedoch infolge der Ausschreibung der Neuwahlen als stärker, denn zuvor von den Gegnern der Linkskräfte erwartet.

Historische Kostüme bzw. Begrifflichkeiten

Am Dienstag, den 11. Juni 24 benutzte der daraufhin durch seine Parteifunktionäre abgesetzte, doch am Freitag, den 14.06.24 gerichtlich wiedereingesetzte Vorsitzende der konservativen Partei Les Républicains (LR), Eric Ciotti, den Begriff eines bloc national, um das von ihm beschlossene Bündnis mit dem neofaschistischen Rassemblement National (RN) zu beschreiben. Diesen Begriff eines „nationalen Blocks“, alternativ auch einer „nationalen Front“, benutzten französische Rechte in den 1930er Jahren, um die damalige Allianz zwischen Konservativen und den aufstrebenden „Bünden“ – les ligues – zu beschreiben. Letztere waren rechtsextreme Kampfbünde, die zum Teil aus Sympathisanten des damaligen faschistischen Italien, zum Teil aus Frontkämpfern des Ersten Weltkriegs bestanden.

Demgegenüber benutzt auch die Linke seit der Woche vom 10. zum 16. Juni dieses Jahres gewissermaßen historische Kostüme, und bezeichnet ihre wahlpolitische Vereinbarung als nouveau front populaire, also als Neuauflage des Wahl- und ab Mai/Juni 1936 dann auch Regierungsbündnisses in Gestalt des Front populaire. Diese Bezeichnung wird im Deutschen oft höchst grobschlächtig mit „Volksfront“ übersetzt, bedeutet jedoch angesichts der erheblichen Differenzen zum deutschen „Volks“begriff viel eher „die Front der Unter- und Mittelklassen gegen die Oberen“. Bspw. bezeichnet ein quartier populaire einen Unterklassenstadtteil, nicht etwa ein „volkstümliches Viertel“.

Der damals aus Sozialdemokratie, KP und Radicaux, also antiklerikalen Linksliberalen gebildete Front populaire von 1935/36 basiert auf den antifaschistischen Massendemonstrationen vom Februar 1934, die auf den rechtsextremen Putschversuch vom 06. Februar jenes Jahres reagierten. Damals zwang die Parteibasis ihre jeweiligen Parteispitzen zur Einheit, während bis dahin die Führungskreise der Sozialdemokratie nach rechts ins bürgerliche Lager schielten, während die KP-Führung wie andere verwandte Parteien auch die „Sozialfaschismusthese“ propagierte und die Sozialdemokratie, statt der faschistischen Gefahr, als Hauptfeind betrachtete. Der Elan, insbesondere der durch den Wahlerfolg ausgelöste spontane Generalstreik vom Frühjahr 1936, erzwang einige echte soziale Reformen, im progressiven und nicht im Sinne der heute oft beobachteten Begriffsverwendung antisozialen Sinne. Dazu zählte insbesondere die erstmalige Einführung von bezahltem Urlaub – zwei Wochen im Jahr -, obwohl zuvor die sozialdemokratischen Parteiführer dies als wirtschaftsfeindlich betrachtete und stalinistische KP-Funktionäre der Auffassung waren, anständige Proleten hätten Produzentenstolz und wollten gar nicht „fürs Faulenzen bezahlt werden“.

Deswegen blieb die kurze Regierungszeit des Front populaire in den Jahren 1936 und 37 vielfach in guter Erinnerung. Damals bedeutete sie auch eine Niederlage für den virulenten Antisemitismus jener Jahre, weil die rechte Massenpresse sich auf den „Juden und ausländischen Agenten Léon Blum“ eingeschossen hatte, der dann jedoch Premierminister wurde.

Auch heute bestehen zum Teil massive Differenzen zwischen den und auch innerhalb der beteiligten Parteien – die jedoch im historischen Vergleich doch eher erheblich geringer ausfallen dürften als zu Zeiten, an denen die Führung der damaligen sozialdemokratischen SFIO in das französische Kolonialsystem eingebunden, die der Französischen KP de facto durch die UdSSR Stalins kontrolliert war.

Bei der Verteilung der (insgesamt 577) Wahlkreise unter den diversen Linksparteien wurden 230 der Wahlplattform LFI, und 170 dem Parti socialiste, der früheren Regierungssozialdemokratie von vor 2017, zugestanden. Damit ist die Verteilung stärker zugunsten des PS ausgeglichen als vor der letzten Parlamentswahl im Juni 2022, bei dem der PS dadurch benachteiligt war, dass seine damalige Präsidentschaftsbewerberin Anne Hidalgo im April 2022 nur… 1,7 Prozent bei der Präsidentschaftswahl erhielt.

Spagat… von Hollande bis Poutou?

Zu den Kandidat/inn/en des PS, die zwar mehrheitlich dem linken Flügel angehören (da ein Teil des rechten Parteiflügels das Bündnis mit LFI ablehnen und zum Teil außerhalb der Allianz antritt), zählt nun auch Ex-Staatspräsident François Hollande, im Amt von 2012 bis 17. Es ist nicht das erste Mal, dass ein aus dem Amt geschiedener Staatspräsident sich nun, deutlich weiter unten auf der politischen Stufenleiter, um einen Parlamentssitz bewirbt: Sein Vor-Vor-Vor-Vorgänger Valéry Giscard d’Estaing, bei der Präsidentschaftswahl 1981 durch François Mitterrand besiegt, kandidierte dann 1984 für einen Sitz in der Nationalversammlung. François Hollandes Amtszeit war durch eine explizit al „angebotsorientierte Wirtschaftspolitik“, die – gar nicht keynesianisch – auf eine Stärkung zuerst der Unternehmen ausgerichtet war und damals durch Emmanuel Macron als Wirtschaftsminister bis im Herbst 2016 verkörpert wurde, geprägt.

Auf dem anderen Ende der heterogenen Linken, in deren Bündnis auch mehrere kleinere, bislang nicht im Parlament vertretene Parteien bis hin zu Teilen der radikalen Linken als assoziierte Mitglieder vertreten sind, wurden auch einzelne Vertreter der Letzteren aufgestellt. LFI als Teil des Linksbündnisses teilte etwa der aus dem undogmatischen Trotzkismus kommenden „Neuen Antikapitalistischen Partei“ (le NPA), konkret einem ihrer drei Sprecher/innen, Philippe Poutou – er kandidierte drei mal zur französischen Präsidentschaftswahl, 2012, 2017 und 2022, mit Ergebnissen je um die ein Prozent -, einen Wahlkreis im südwestfranzösischen Carcassonne zu.

Das ist inhaltlich zu begrüßen. Allerdings erinnern nun die politischen Gegner/innen der Linkskräfte von Rechtsparteien bis zu Polizeigewerkschaften vielfach an eine eher ziemlich infantile Äußerung Poutous aus dem März dieses Jahres, die Gewalt gegen Polizeibedienstete in der Pariser Vorstadt La Courneuve eilfertig begrüßte („hübsches Feuerwerk“ (vgl. https://www.valeursactuelles.com/politique/joli-feu-dartifice-philippe-poutou-se-felicite-de-lattaque-du-commissariat-de-la-courneuve-et-fait-scandale externer Link), voraus ging der Tod eines jungen Mannes bei einem Zusammestoß mit einem Polizeiauto). Während die Bewohner/innen solcher Vorstädte zwar unter dreißig tendenziell eher gegen die Polizei, über dreißig jedoch in deutlicher Mehrheit stärker noch gegen die ausufernde Gewalt von Jugendbanden und Drogendealerringen (und entsprechend bei aller Kritik und aller rassistischen Vorkommnisse eher „pro Polizei“) eingestellt sein dürften. Damit muss man zumindest politisch umzugehen wissen, und dies nicht durch patzige Sprüche. – Vielleicht hätten sich der NPA und die Parteien des Linksbündnisses ja doch besser auf den Präsidentschaftsbewerber der Vorläuferpartei des NPA in den Jahren 2002 und 2007 (vgl. http://trend.infopartisan.net/trd0507/t280507.html externer Link und http://www.trend.infopartisan.net/trd0407/t410407.html externer Link), also Olivier Besancenot, dem solcherlei Fehler nicht unterlaufen, als Kandidaten geeinigt. Jedenfalls sofern Besancenot hätte kandidieren mögen.

In Avignon stellte LFI ferner den profilierten jungen Antifaschisten Raphaël Arnault von der Antifagruppe Jeune Garde („Junge Garde“) als Kandidaten auf; schnell publik gewordene, normalerweise nicht öffentliche polizeiliche Warnnotizen stuften ihn als „Gewalttäter“ ein. Womit die Gegenseite selbstverständlich nun Tag und Nacht argumentiert, von Rechtsextremen bis zu bürgerlichen Parteien. (https://www.bfmtv.com/politique/qui-est-raphael-arnault-le-candidat-fiche-s-du-nouveau-front-populaire_VN-202406200222.html externer Link und https://www.marianne.net/societe/police-et-justice/fiche-s-et-investi-par-le-front-populaire-a-avignon-raphael-arnault-lantifa-de-lfi externer Link) Zu den nun öffentlich erhobenen Vorwürfen zählt, er habe angeblich ihn einer von ihm hinterlassenen telephonischen Sprachnachricht einer Aktivistin der rechtsextremen „Identitären“, die selbst als „Feministin“ auftritt, mit dem Tode gedroht, falls diese in seine Stadt komme, also nach Lyon. Der 29jährige spricht seinerseits von Diffamierungen, die ursprünglich aus rechtsextremen Quellen stammten.

In beiden Fällen wurden sozialdemokratische Kandidaturen außerhalb des und neben dem Linksbündnis(ses) aufgestellt.

Zur Programmatik

Einige zwischen den Beteiligten umstrittene Punkte der Außenpolitik wurden durch die gemeinsame Vereinbarung des Parti socialiste, der französischen Grünen, der – in ihrem realen Auftreten trotz ihres Namens mittlerweile eher einer linkeren NRW-SPD ähnelnden und im Wahlbündnis sicher nicht auf dem linken Flügel stehenden – Französischen KP (PCF) sowie der linkspopulistischen Wahlplattform La France insoumise, LFI, „Das unbeugsame Frankreich“, zumindest verbal geregelt.

Die Ukraine wird demnach unterstützt, während der eher antiimperialistische ja kampistische (d.h. die Welt tendenziell in zwei Lager, davon ein gutes und ein böses, einteilende) Flügel der heterogenen und in sich zerstrittenen Wahlplattform LFI bislang zwar nicht Wladimir Putin unterstützte – es gibt glücklicherweise Grenzen -, aber doch tendenziell die NATO für die Fortdauer des Krieges mit Russland verantwortlich machte. (Vgl. zur Kritik: https://www.nouvelobs.com/idees/20240327.OBS86310/melenchon-et-l-ukraine-un-campisme-reactionnaire-par-philippe-marliere.html externer Link)

Gemeinsam strebt das Linksbündnis einen Waffenstillstand im Gazastreifen an, was selbstredend richtig und notwendig ist. Die mörderischen Angriffe der Hamas auf israelische Zivilpersonen vom 07. Oktober 23 und ihre Geiselnahmen werden ebenfalls klar verurteilt, wobei der eher antiimperialistische Teil von LFI dabei bislang widerstrebte, während andere Abgeordnete der durch Jean-Luc Mélenchon aufgebauten Wahlplattform sich anders positionierten. Der zunehmend als Konkurrent gegen Mélenchon auftretende, ursprünglich parteilose bzw. ein regionales Basisbündnis in seiner Herkunftsstadt Amiens (Picardie) vertretende, doch seit 2017 mit LFI assoziierte Abgeordnete François Ruffin bspw. sprach damals schnell von Terror gegen Zivilist/inn/en.

Die Fragen der Zukunft der Nuklearenergie, bei der die Französische KP sich vehement für einen Ausbau stark macht, während LFI explizit einen (stufenweisen) Atomausstieg fordert, und der Positionierung zur NATO werden durch die Vereinbarung ausdrücklich ausgeklammert. Bei ihnen wird auf künftige parlamentarische Debatten verwiesen.

Zu den programmatischen Einigungen, die bei einer Pressekonferenz am Freitag Mittag, den 14. Juni 24 bekannt gegeben wurden, zählen aber vor allem die Rücknahme und Abschaffung der Rentenreform von 2023, der stufenweise seit 2019 durchgesetzten Reform der Arbeitslosenkasse – deren nächste Etappe durch die noch amtierende Regierung von Gabriel Attal und Staatspräsident Emmanuel Macron für den kommenden Herbst geplant ist – sowie des zum vorigen Jahreswechsel verabschiedeten verschärften Ausländergesetzes.

Regressive „Reformen“ rückgängig machen

Die Renten„reform“ vom vergangenen Jahr, das entsprechende Gesetz wurde trotz massiver Protestdemonstrationen mit bis zu drei Millionen Menschen am 15. April 2023 in Kraft gesetzt, beinhaltet an zentraler Stelle die Anhebung der Lebensarbeitszeit um zwei Jahre. Das bedeutet für die meisten Arbeitnehmergruppen, sofern keine Sonderbedingungen wie für Polizistinnen oder Eisenbahner gelten, ein Mindestalter von 64 statt zuvor 62 für den Renteneintritt. Dabei handelt es sich aber nicht notwendig um den vollen Rentensatz, dafür sind 42 und künftig 43 Beitragsjahre erforderlich; eine abschlagsfreie Rente gibt es erst ab 67, dies war bereits vor der jüngsten Reform so.

Die Linksparteien einigten sich nun darauf, die Anhebung unverzüglich zu stornieren und ein Mindest-Renteneintrittsalter von 62 beizubehalten. Seit dem Herbst vergangenen Jahres gingen bereits erste Jahrgänge mit mindestens 62 Jahren und einigen Monaten als Minimalalter in die Rente, die Anhebung sollte bis 2030 vollständig erfolgen. Darüber hinaus soll in den kommenden Jahren zu einem Mindestalter von 60, wie es in Frankreich gesetzlich von 1983 bis 2010 bestand, zurückgekehrt werden. Um in diesem Jahr eine volle Rente zu beziehen, soll allerdings eine Mindestzahl an Beitragsjahren vorhanden sein, das Nähere wird noch zu bestimmen sein.

Bei der „Reform“ der Arbeitslosenversicherung, deren bisherige Stufen 2019, 2021 und 2023 umgesetzt wurden, geht es im Wesentlichen um eine Verlängerung von Beitragszeiten, bei deren Unterschreiten gar kein Anspruch auf die Zahlung von Arbeitslosengeld besteht, und eine Verkürzung der Höchstbezugsdauer von Arbeitslosengeld. Letztere betrug vor der Reform 24 Monate – für ältere Lohnabhängige ab Mitte fünfzig bis zu drei Jahre -, derzeit liegt sie bei 18 Monaten, es sei denn, die nationale Arbeitslosenquote überschreitet neun Prozent. Gleichzeitig wurde die Mindesteinzahlungsdauer von vier auf sechs Monate angehoben – wer, etwa in einem befristeten Vertrag oder bis zu einer Kündigung während der Probezeit, weniger lang beschäftigt war, geht bei der Arbeitslosenkasse leer aus.

Die kommende Stufe, welche die kommissarisch noch agierende Regierung von Gabriel Attal im Einverständnis mit Staatspräsident Macron trotz Parlamentsauflösung noch per Dekret durchsetzen möchte, soll ab kommenden Herbst diese Regeln nochmals verschärfen. Die Mindesteinzahlungsdauer soll auf acht Monate weiter hochgesetzt, die Höchstbezugsdauer nochmals auf fünfzehn Monate verkürzt werden.

Diese regressiven „Reformen“ will das Linksbündnis, zusammen mit dem neuen Ausländergesetz, das nach teilweiser Zensur durch das Verfassungsgericht am 26. Januar dieses Jahres in Kraft trat, nun ersatzlos zurücknehmen. Das durch ein Stimmbündnis von Macron-Anhängern, Konservativen und Rechtsextremen verabschiedete Gesetz schafft den bisherigen Abschiebeschutz für Menschen, die etwa seit zwanzig Jahren legal in Frankreich leben oder Kinder mit französischer Staatsbürgerschaften ab – in schwächerer Form auch für Personen, die sich seit mindestens zehn Jahren mit einem Aufenthaltstitel im Land aufhielten – bei Vorliegen bestimmter Straftaten ab. Die Schwelle für die Qualifizierung der Straftat wurde dabei niedrig angesetzt und richtet sich nicht nach der Höhe der individuellen Verurteilung, sondern nach der für das jeweilige Delikt vorgesehenen Höchststrafe. Deswegen kann der Schutz auch bei geringer individueller Schuld entfallen. Wer ferner einmal eine Ausreiseverpflichtung (OQTF) erhält, war vor dem neuen Gesetz ein Jahr von einer Abschiebung gefährdet und konnte erst danach daran denken, eine Legalisierung der Aufenthaltssituation zu versuchen, doch nunmehr sind es drei Jahre.

Mindestlohn, Steuerpolitik, Schulen..

Der gesetzliche Mindestlohn, er beträgt derzeit bei Vollzeitarbeit – das bedeutet durchschnittlich 35 Stunden pro Woche im Jahresmittel – 1.398 Euro netto monatlich, soll auf 1.600 Euro netto angehoben werden. Das würde eine Erhöhung um rund vierzehn Prozent bedeuten. Rund dreizehn Prozent der abhängig Beschäftigten in Frankreich bezogen in Frankreich zu Anfang dieses Jahrzehnts den Mindestlohn. Doch im vorigen Jahr waren es (https://fr.statista.com/statistiques/1451610/part-salaries-touchant-smic-france/ externer Link) über siebzehn Prozent, da die Inflation der letzten drei Jahre zahlreiche untere Lohngruppen eingeholt und die nicht gleichzeitig gewachsenen Tariflöhne unter den gesetzlichen Mindestlohn gedrückt hatte.

Auf dem Gebiet der Bildung und Schulpolitik verspricht das gemeinsame Wahlprogramm einen „wirklich kostenlosen“ Charakter des öffentlichen Bildungswesens. Theoretisch ist es dieses bereits. Doch um daraus auch für einkommensschwächere Familien eine tatsächliche Realität werden lassen, spricht sich das Wahlprogramm des Linksbündnisses dafür aus, dass Schulkantinen und der Kauf von Unterrichtsmaterial kostenlos werden. Klassen sollen verkleinert und der Zugang zu Schulärzten und -ärztinnen verbessert werden. (Vgl. https://www.cafepedagogique.net/2024/06/17/a-lecole-du-nouveau-front-populaire/ externer Link) Dies Alles geht in die richtige Richtung.

Vor allem soll das bisherige zentrale „Reform“vorhaben der derzeit (noch kommissarisch) amtierenden Regierung unter Gabriel Attal für die nächste Zukunft unter dem Namen „Wissensschock“ (choc du savoir), nämlich die Einführung getrennter und paralleler „Leistungsgruppen“ innerhalb der seit 1975 als Gesamtschule funktionierenden Mittelstufenschulen – collèges -, verhindert und abgeschafft werden. Es drohten leistungsschwächere Schüler/innen, und dadurch mittelbar vor allem solche aus einkommensschwächeren Familien, benachteiligt zu werden. Indirekt stellt das Vorhaben indirekt das Prinzip der Gesamtschule auf Mittelstufenniveau, das seit 1975 existierende collège unique, in der Praxis in Frage. A propos: Auf der anderen Seite des politischen Spektrums spricht sich der rechtsextreme Rassemblement national (RN) nun ziemlich klar und offen gegen dieses Gesamtschulprinzip aus. (Vgl. https://www.lesechos.fr/elections/legislatives/legislatives-2024-les-propositions-chocs-du-rn-pour-lecole-2102914)

Zur Finanzierung ihres Programms, zu dem auch bessere Bildung und eine Reparatur des in katastrophalem Zustand befindlichen öffentlichen Gesundheitswesen zählen, wollen die Linksparteien die Besserverdienenden und Vermögensinhaber stärker besteuern. Vierzehn neue Stufen sollen bei der Einkommenssteuer eingeführt werden, was es erlaubt, höhere Bezüge differenzierter zu besteuern. Ab einem monatlichen Verdienst in Höhe von rund 4.000 Euro – ob brutto oder netto, ist dabei noch nicht wirklich genau geklärt, LFI-Abgeordnete geben dazu derzeit in Interviews (wie die bisherige Fraktionsvorsitzende Mathilde Panot am heutigen Freitag früh, 21.06.24 bei RMC und BFM TV (vgl. https://www.bfmtv.com/replay-emissions/l-interview/face-a-face-mathilde-panot-21-06_VN-202406210279.html externer Link) eher wolkige und ausweichende Antworten – aufwärts soll eine stärkere Besteuerung greifen. Die 2017 unter Emmanuel Macron abgeschaffte Vermögenssteuer soll wieder eingeführt werden.

An diesem Freitag, den 23.06.24 um die Mittagszeit und damit unmittelbar vor Redaktionsschluss dieses Artikels erklärte sich das Linksbündnis erneut zur Finanzierung seines Wahlprogramms und legte dabei den Schwerpunkt auf die Vermögensbesteuerung. Diese soll fünfzehn Milliarden Euro jährlich einbringen; die unter Macron 2017 abgeschaffte Vermögenssteuer ISF trug bis dahin jährlich vier Milliarden ein. Nun kann eine künftige Steuer natürlich anders gestaltet werden. (Vgl. https://www.bfmtv.com/politique/legislatives-suivez-la-conference-de-presse-du-nouveau-front-populaire-sur-le-financement-de-leur-programme_VL-202406210420.html externer Link und speziell zur Vermögenssteuer: https://www.bfmtv.com/politique/le-nouveau-front-populaire-propose-d-instaurer-un-isf-qui-rapporterait-15-milliards-d-euros-en-2024_VN-202406210453.html externer Link. Liberale Kritik vgl. u.a. unter: https://www.bfmtv.com/politique/elections/legislatives/125-milliards-d-euros-le-nouveau-front-populaire-annonce-le-chiffrage-de-son-programme_VN-202406210490.html externer Link)

25 Milliarden Neuausgaben im ersten Jahr einer Linksregierung stünden demnach 30 Milliarden Mehreinnahmen gegenüber. (https://www.liberation.fr/politique/en-direct-legislatives-le-nouveau-front-populaire-defend-le-chiffrage-de-son-programme-a-midi-20240621_JXNZCW2HNRBFDLWAZPPIECJPTU/ externer Link und https://www.ladepeche.fr/2024/06/21/direct-legislatives-2024-emmanuel-macron-a-tue-la-majorite-selon-edouard-philippe-lalliance-de-gauche-presente-le-cout-de-son-programme-12031237.php externer Link) Kleiner Hinweis: Das Kapital dürfte das dann nicht einfach schlucken, es dürfte also in einem solchen Falle dann noch sportlich werden…

Heikler fällt dabei aus, dass das Linksbündnis die unter Emmanuel Macron beschlossene (und zuvor auch unter der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys, 2007 bis 12, geltende) Steuerbefreiung von Überstundenzuschlägen abschaffen möchte. Selbstverständlich führten Sarkozy und nach ihm Macron diese Steuerbefreiung ein, um das Ableisten von Überstunden zu begünstigen und zugleich für abhängig Beschäftigte Überstunden als Alternative zu Lohnerhöhungen zu favorisieren. Wie etwa die Fraktionsvorsitzende von LFI in der frisch aufgelösten Nationalversammlung, Panot, im oben zitierten Interview – in welchem sie in mehreren Passagen, vom aggressiven Interviewer mit Nachfragen bedrängt, ins Schwimmen gerät – erklärt, möchten die Linkskräfte umgekehrt Lohnerhöhungen statt Überstunden favorisieren. Das ist grundsätzlich richtig. Dennoch könnte es durch die politischen Gegenseiten dazu benutzt werden, Unverständnis bei Lohnabhängigen zu schüren, wenn ihnen nun dieses „Zuckerl“ weggenommen wird, sofern sie Überstunden leisten. Jedenfalls wirft es Erklärungsbedarf auf und erfordert politisch-ideologische Hegemoniefähigkeit zumindest unter den Lohnabhängigen, um nicht potenziell als Diskurswaffe gegen die Linke eingesetzt zu werden. Auch wenn die Herangehensweise im Grundsatz richtig ist. Gabriel Attal, bisheriger Premierminister, machte es am heutigen Freitag, den 23.06.24 bereits vor: Am Vormittag schlug er mit dem Rhetorik-Hammer auf just diesen Nagel ein. (Vgl. zum heutigen Auftritt Attals: https://www.bfmtv.com/politique/il-fond-comme-neige-au-soleil-gabriel-attal-evoque-le-programme-du-rn-a-l-approche-des-legislatives_VN-202406210449.html externer Link)

RN eiertanzt wüst herum

Diese Programmforderungen könnten durchaus populär werden, zumal der ebenfalls in den sozialen Unter- und Mittelklassen mit sozialen Versprechungen auftretende rechtsextreme Rassemblement national (RN) im Anbetracht seiner möglichen erstmaligen Regierungsübernahme nun einen wahren Eiertanz über sein voraussichtliches Regierungsprogramm vollführt. Am Montag nach der Europaparlamentswahl, dem 10. Juni 24, forderte etwa der RN-Parlamentarier Thomas Ménagé, im Falle eines Regierungsantritts müsse seine Partei die Rentenreform von 2023 zurücknehmen. Der Anwärter der Partei auf den Posten des Regierungschefs, Jordan Bardella, kündigte dann jedoch eine Aussetzung dieses Programmpunkts an, da die Staatsfinanzen in bedrohlicher Lage seien und erst geprüft werden müsse, ob die Haushaltslage dies gestatte.

Dadurch geriet die Partei in mediale Turbulenzen. Am Montag, den 17. Juni 24 verkündete der meist als Wirtschafts- und Finanzexperte des RN auftretende Abgeordnete Jean-Philippe Tanguy, die Rentenreform solle nun doch dieses Jahr „ab Herbst“ zurückgenommen werden, allerdings erst nach Konzertierung mit „den Sozialpartnern“. Der seit Anfang voriger Woche offiziell mit dem RN verbündete, jedoch durch Teile der eigenen Parteifunktionäre angefeindete – und bis zu einem Gerichtsurteil vom vorigen Freitag, den 16.06.24 durch seine Widersacher vorübergehend ausgeschlossene – Vorsitzende der konservativen Partei Les Républicains (LR), Eric Ciotti, widersprach umgehend. Die Rentenreform werde „nicht notwendig“ zurückgenommen, reagierte er am Montag mit Vehemenz. Ciotti selbst hält die Reform Macrons für unzureichend und tritt aktiv für eine weitere Anhebung des gesetzlichen Mindestalters auf 65 statt 64 ein.

Ähnliche Positionen vertritt auch Marion Maréchal, eine Enkelin von Jean-Marie Le Pen, die der rechtsextremen Konkurrenzpartei Reconquête („Rückeroberung“) unter Eric Zemmour angehörte, sich jedoch vorige Woche kurz nach ihrer Wahl ins Europaparlament von dieser abspaltete, um sich erneut dem RN anzunähern. Die Partei Reconquête, die mit 5,5 Prozent knapp den Einzug ins Europäische Parlament schaffte, gerät dadurch in eine schwere und möglicherweise finale Krise. Diejenigen ihrer Anhänger, die nun zum RN zurückkehren oder ihn unterstützen, bringen dorthin jedoch eine gegen Sozialstaat und Arbeitsrecht gerichtete Orientierung und wirtschaftsliberale Tendenz, gepaart mit dem durch die gesamte extreme Rechte geteilten Rassismus.

„Dissident/inn/en“ abgestraft

Spaltungstendenzen gibt es jedoch auch auf der politischen Linken. Innere Turbulenzen bei LFI könnten den Erfolg zu kompromittieren drohen. Am vorigen Freitag, den 16. Juni 24 wurde bekannt, dass mehreren Abgeordneten, die in den letzten Monaten durch Kritik an Jean-Luc Mélenchon auffielen, die erneute Kandidatur durch das „Wahlkomitee“ der linkspopulistischen Plattform verweigert worden war. Zu ihnen zählen Alexis Corbière und Raquel Garrido im nördlichen und östlichen Pariser Umland sowie Danielle SLCLLCRnet in der Hauptstadt. Zwar setzte LFI an ihrer statt zum Teil in ihren bisherigen Wahlkreisen sehr respektable Bewerberinnen ein – namentlich die bisherige CGT-Vorständlerin Céline Verzeletti in Paris und die Notärztin Sabrina Ali Benali im Pariser Umland -, doch wurde die Nichtaufstellung bislang profilierter Abgeordneter in breiten Kreisen als Sanktion aufgefasst.

Die übrigen am Linksbündnis beteiligten Parteien, zuerst die Grünen, solidarisierten sich lautstark mit den Geschassten. Diese nahmen wiederum am Montag dieser Woche, den 17.06.24 an prominenter Stelle an einer gemeinsamen Großveranstaltung der Linksparteien unter freiem Himmel in Montreuil bei Paris teil. Corbière, Garrido und Simonnet erhalten ihre Kandidatur gegen die offiziell durch ihre Partei eingesetzten Bewerber aufrecht.

Nominiert wurde hingegen im nordfranzösischen Lille der, nach einer Verurteilung wegen ehelicher Gewalt vielfach kritisierte junge LFI-Abgeordnete Adrien Quatennens. (https://jungle.world/artikel/2022/48/neue-vorwuerfe-wegen-haeuslicher-gewalt externer Link) Die Gleichzeitigkeit seiner Einsetzung als Bewerber und des Entzugs der Kandidatur für die nun vielfach als „Dissidenten“ bezeichneten rief Empörung hervor. Daraufhin erklärte die bislang ebenfalls LFI nahe stehende Feministin und Juristin Amy Bah ihrerseits ihre Kandidatur, die durch Teile der Linken unterstützt wird, auch durch die sozialdemokratische Bürgermeisterin von Lille, Martine Aubry. Am Sonntag, den 16.06.24 erklärte Quatennens dann bei einer Pressekonferenz dann allerdings seinen Verzicht auf die Kandidatur, um dem Linksbündnis „nicht Schaden zuzufügen“.

Die Gleichzeitigkeit seiner Nominierung und ihrer Verweigerung für die nun in den Medien als „Dissidenten“ bezeichneten Ex-Abgeordneten rief vielfach Kritik hervor. François Ruffin seinerseits wurde zwar erneut durch LFI als Parlamentsbewerber aufgestellt, kritisierte jedoch die Weichenstellung bei den Kandidaturen scharf: „Es ist also (bei LFI) weniger schlimm, seine Frau zu ohrfeigen, als den Chef zu kritisieren!“

Übler noch stößt auf, dass etwa im Wahlkreise der „Dissidentin“ Danielle Simonnet (im zwanzigsten Pariser Bezirk (vgl. https://www.bfmtv.com/politique/elections/legislatives/legislatives-ce-qui-est-totalement-irresponsable-c-est-de-laisser-autant-d-hommes-et-de-femmes-dans-notre-pays-qui-n-arrivent-pas-a-boucler-les-fins-de-mois-pointe-danielle-simonet-candidate-nouveau-front-populaire_VN-202406200694.html externer Link) auf mehreren ihrer Wahlplakate ihr Gesicht oder Kopf mit schwarzer Farbe unkenntlich gemacht und überschmiert wurde. Anonym natürlich, jedoch wohl eher nicht von bürgerlichen Liberalen, in diesem Falle. Simonnet – wie es der Zufall so will, wurde die Kandidatin im selben Jahr, im selben Monat und am selben Tag wie der Autor dieser Zeilen geboren – war eine auf Pariser Stadtebene auch bei der Unterstützung sozialer Kämpfe durchaus profilierte Oppositionsabgeordnete. Eine Erklärung von Initiativen aus dem Bereich des Antirassismus und des Kampfs für Migranten-Rechte, ausgehend wohl von der tunesisch-französischen Initiative FTCR („Föderation für Bürgerrechte auf beiden Seiten des Mittelmeers“), spricht Simonnet ihre Solidarität aus, vor dem Hintergrund von Vorwürfen ihrer bisherigen Partei, gegen die die Abgeordnete ausdrücklich in Schutz genommen wird.

Dem ebenfalls in Ungnade gefallenen Abgeordneten Alexis Corbière wurde in diversen Facebookpostings im Laufe dieser Woche eine als sexistisch dargestellte Äußerung gegen die bisherige Fraktionsvorsitzende Mathilde Pannot („Fischweib“) untergeschoben, welche Corbière jedenfalls energisch bestreitet: Er habe diesen Ausspruch nie getätigt. „Fischweiber“ war jedenfalls in der Vergangenheit ein Synonym für resolute, laut sprechende Damen. Auch unter Rekurs auf eine entsprechende Figur bei der – in Frankreich auch in der etablierten Politik des Öfteren zitierten – Comicserie „Asterix und Obelix“. Allerdings stehen auch männliche Fischverkäufer („Wie, mein Fisch ist nicht frisch?“) bei deren Zeichner Uderzo in, sozusagen, nicht immer gutem Geruch.

Mélenchon wird von Kritiker/inne/n innerhalb der Linken zugetraut, es störe ihn nicht, Vereinbarungen zu torpedieren, wenn diese dafür sorgen, dass die Linke insgesamt und vor allem seine eigene Partei sich seiner Kontrolle entzieht. Er selbst sich – wie 2022 – als geeignetsten Bewerber für den Posten des Premierministers. Dies wäre jedoch derzeit vollkommen undurchsetzbar. Mélenchon reagierte daraufhin am Wochenende des 15./16. Juni 24, indem er erklärte, er dränge sich nicht auf, „ich halte mich jedoch für geeignet“. Ruffin reagierte prompt, für geeignet halte er sich ebenfalls. Ruffin, den LFI im Unterschied zu anderen innerparteilichen Kritiker/inne/n oder Widersacher/inne/n von Big Boss wieder als Kandidat aufstellte, unterstützt im Übrigen derzeit die Geschassten mit ihren „Dissidentenkandidaturen“. (Vgl. https://www.bfmtv.com/politique/elections/legislatives/legislatives-ruffin-affiche-son-soutien-a-corbiere-la-gauche-peine-a-masquer-les-tensions_AV-202406180198.html externer Link)

Künftig könnte die Einheit innerhalb von LFI eventuell schwerer herzustellen sein, als die unter verschiedenen Linksparteien.

Artikel von Bernard Schmid vom 21. Juni 2024

Teil 2 kommt im Laufe dieses Wochenendes und wird spätestens am kommenden Montag, nach den erneuten Demonstrationen gegen die extreme Rechte an diesem Sonntag, den 23. Juni 24, veröffentlicht. Er wird die bürgerliche, konservative und extreme Rechte und die Aussichten auf den derzeit schwer möglich erscheinenden Regierungseintritt der neofaschistischen Rechtskräfte, deren Bündnispartner, ihre soziale und ökonomische Positionierung sowie die Widerstände gegen dieselben behandeln. Dazu wird es auch Bilder von den antifaschistisch motivierten Protestdemonstrationen besonders vom 15. Juni und vom 23. Juni geben.

(Grund)Informationen:

  • Die Homepage des nouveau front populaire externer Link und deren Wahlprogramm externer Link – das Linksbündnis kündigt als zentrale Punkte an, die Rentenreform von 2023, die geplante Reform der Arbeitslosenversicherung und das zum Jahreswechsel 2023/24 durch ein Stimmbündnis zwischen Macron-Anhängern, Konservativen und Rechtsextremen im Parlament verschärfte neue Ausländergesetz abzuschaffen…
    • Siehe auch den Appell externer Link dafür
  • Gemeinsame Erklärung externer Link der französischen Gewerkschaften; weitere Stellungnahmen externer Link der Gewerkschaften Solidaires, CGT und CFDT und der Ligue des droits de l’homme
  • Auch im Bildungswesen bereiten sich Beschäftigte auf intensiven Widerstand gegen eine rechtsextrem geführte Regierung vor. Vierzig Führungskräfte im Bereich des Bildungsministeriums haben bereits ihren „Ungehorsam“ für einen solchen Fall angekündigt externer Link
  • 10. Juni 2024: Fünf Gewerkschaften (CFDT, CGT, UNSA, FSU, Solidaires) rufen zu Demonstrationen am Wochenende des 15. Juni und 16. Juni auf: Appel intersyndical à manifester externer Link –  siehe auch die Karte der Mobilisierungen in ganz Frankreich externer Link für den 15.-16. Juni 2024, weitere Übersicht über die Kundgebungen und Demonstrationen externer Link und ein Video-Bericht über die Demonstration in Paris am 15.6.2024 externer Link
  • ENSEMBLE, CONTRE L’EXTRÊME DROITE
    franz. gemeinsamer Aufruf vom 13.6.2024 externer Link von der Liga für Menschenrechte, der Gewerkschaften CGT, FSU und Solidaires, von Greenpeace und anderen Organisationen
  • Pour un soulèvement antifasciste – Für einen antifaschistischen Aufstand
    Es ist an der Zeit, ein Netzwerk des Widerstands aufzubauen und ein Netz von Gegenkräften aus dem Volk zu knüpfen. Es ist an der Zeit, neue Allianzen zu schmieden und neue Strategien zu entwickeln, indem wir auf viele Kollektive, Gewerkschaften und Organisationen zugehen. Dies erfordert einen harten Kampf an der Basis und einen Kulturkampf…“ franz. Aufruf vom 15.6.2024 in Le Club de Madiapart externer Link
  • Pour la démocratie et la justice sociale, faire front contre l’extrême-droite !
    Aufruf von Solidaires externer Link

    • und die Gewerkschaft Solidaires am 17.6.24 externer Link: L’extrême-droite n’est pas du côté des travailleurs et des travailleuses ! Pour nos droits, pour nos libertés, pour la justice sociale : Front populaire !
  • Sonderseite der CGT externer Link
  • Sonderseite von Attac Frankreich externer Link
  • Macrons riskantes Spiel: Der Weg für die extreme Rechte in die Regierung
    „… Es ist zwar bislang nicht sicher, aber doch sehr wahrscheinlich: In Kürze, ab Mitte Juli, dürfte ein junger Neofaschist ins Hôtel Matignon, den Amtssitz des französischen Premierministers, einziehen. Sein Name: Jordan Bardella. Bardella wird der Spitzenkandidat seiner Partei, des Rassemblement National („Nationale Sammlung“), abgekürzt RN, bei den nunmehr für den 30. Juni und den 07. Juli dieses Jahres angesetzten Neuwahlen des französischen Parlaments (Assemblée nationale, Nationalversammlung), sein. Diese um drei Jahre vorgezogene Parlamentswahl ordnete Staatspräsident Emmanuel Macron am gestrigen Sonntagabend an. Er reagierte damit auf den Ausgang der Europaparlamentswahl in Frankreich. (…) Laut amtlichem Ergebnis aus dem Innenministerium erreichten der RN 31,47 und R! 5,46 Prozent der Stimmen ‒ zusammengenommen 36,93 Prozent…“ Artikel von Bernard Schmid vom 10. Juni 2024 in Telepolis externer Link
  • Frankreich: Rechte Partei Rassemblent National auf dem Weg zur Macht
    Das Demokratielabor im Nachbarland. Proteste in Paris und landesweit – Hunderttausende auf den Straßen. Worum es geht….“ Beitrag von Bernard Schmid vom 17. Juni 2024 in Telepolis externer Link
  • Wenn die Straße nach Widerstand riecht
    Frankreichs Linke rufen im ganzen Land zu Demonstrationen auf, um einen Sieg der extrem Rechten bei den Neuwahlen zu verhindern. Und Paris wäre nicht Paris, wenn der Protest dort nicht am lautesten wäre…“ Artikel von Oliver Meiler vom 16. Juni 2024 in sueddeutsche.de externer Link
  • Neue Volksfront in Frankreich: Ein Mythos kehrt zurück
    Eine breite linke Wahlkoalition will den Vormarsch der extremen Rechten in Frankreich stoppen…“ Artikel von Volkmar Wölk vom 16.06.2024 in ND online externer Link
  • Frankreich: Volksfront oder Faschismus
    Überraschend hat Präsident Macron eine Neuwahl der französischen Nationalversammlung für den 30. Juni angesetzt. Nach derzeitigen Prognosen liegt die extreme Rechte vorn, doch eine linke «Neue Volksfront» nimmt den Kampf auf...“ Artikel von Nessim Achouche vom 17.06.2024 bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung externer Link
  • „Macron ist nicht der Retter Europas, sondern dessen Zerstörer“
    Der Soziologe Didier Eribon gibt dem französischen Präsidenten eine Mitschuld am Aufstieg der Rechtspopulisten – mit Auswirkungen über Frankreich hinaus. Mit seiner Entscheidung für Neuwahlen richte Macron ein „irrsinniges Chaos“ an…“ Interview von Alex Rühle mit Didier Eribon vom 13. Juni 2024 in SZ.de externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=221177
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