»
Frankreich »
»
»
Frankreich »
»
»
Frankreich »
»

Kritik und Widerstand: Wie Gewerkschaften und soziale Bewegungen Frankreichs auf die Corona-Krise, die Profitjagd der Unternehmen und die Politik der Regierung reagieren

Plakat von Sud Santé gegen MacronAngesichts des Gesundheitsnotstands sind Maßnahmen erforderlich, die mit der bisherigen Politik brechen. Im Anschluss an die gemeinsame Erklärung „Nie wieder! Wir wollen ‚den Tag danach‘ vorbereiten“ fordern die Unterzeichner dieser Petition die Regierung auf, unverzüglich 4 Maßnahmen zu ergreifen:1.die sofortige Einstellung der zur Bekämpfung der Epidemie nicht notwendigen Tätigkeiten / 2.die Beschlagnahmung privater medizinischer Einrichtungen und Unternehmen zur unverzüglichen Herstellung von Masken, Atemschutzgeräten und aller zur Rettung von Leben notwendigen Hilfsmittel / 3.die sofortige Aussetzung der Dividendenzahlungen von Unternehmen, Aktienrückkäufe und Boni für CEOs (Vorstandsvorsitzende) / 4.die Entscheidung, die 750 Milliarden Euro der EZB nicht zur Speisung der Finanzmärkte, sondern nur zur Finanzierung der sozialen und ökologischen Bedürfnisse der Menschen zu verwenden. Es geht anschließend nicht um die Wiederbelebung einer Wirtschaft, die sowohl ökologisch als auch sozial vollkommen unhaltbar ist! Wir fordern die unverzügliche Entwicklung einer auf lange Sicht ausgerichteten staatlichen Politik, damit wir so etwas wie jetzt nie wieder durchmachen müssen. Dazu gehören:1.ein Entwicklungsplan für alle öffentlichen Dienste / 2.ein weitaus gerechteres und auf Umverteilung ausgerichtetes Steuersystem, eine Steuer auf große Vermögen, eine Steuer auf Finanztransaktionen und eine echte Bekämpfung der Steuerhinterziehung / 3.ein Plan zur Neuorientierung und solidarischen Relokalisierung der Landwirtschaft, der Industrie und der Dienstleistungen mit dem Ziel, sie sozial gerechter zu gestalten und in die Lage zu versetzen, die wesentlichen Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und den aus der ökologischen Krise erwachsenden Anforderungen gerecht zu werden. Seien wir schon jetzt aktiv und treffen wir uns am „Tag danach“, um uns die öffentlichen Orte wieder anzueignen und gemeinsam eine ökologische, soziale und demokratische Zukunft zu schaffen, die mit der bisher verfolgten Politik bricht.“ – so die die Petition  „Nie wieder! – „den Tag danach vorbereiten“ vom 07. April 2020 externer Link – jetzt in deutscher Übersetzung bei Attac dokumentiert, die von denselben Organisationen organisiert wird, die am 27. März bereits die Erklärung „Nie wieder“ (siehe weiter unten) gemeinsam veröffentlicht hatten. Siehe dazu auch die Übersetzung des Aufrufs sowie die Links zu den Originaldokumenten und vier Beiträge, die die Realität der aktuellen Politik weiter deutlich machen:

„NIE WIEDER!“- 19 Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften,Verbänden und Umweltorganisationen in Frankreichrufen dazu auf, „den Tag danach“ vorzubereiten“ vom 27. März 2020 externer Link nun bei Attac übersetzt dokumentiert, ist eben die gemeinsame Erklärung, auf der die oben verlinkte Petition basiert. Darin heißt es einleitend unter anderem: „… Durch die Übertragung der Steuerung unserer Gesellschaften in die Hände von Wirtschaftskräften hat der Neoliberalismus die Fähigkeit unserer Staaten, auf Krisen wie die Covid-19-Krise zu reagieren, sehr stark reduziert. Die Coronavirus-Krise, die den gesamten Planeten trifft, offenbart die tief-greifenden Mängel der neoliberalen Politik. Sie ist ein Funke auf einem Pulverfass, das kurz davor war zu explodieren. Emmanuel Macron fordert in seinen jüngsten Reden „bahnbrechende Entscheidungen“ und „Dienstleistungen […] außerhalb der Gesetze des Marktes“. Unsere Organisationen, die sich der sozialen und ökologischen Notlage bewusst sind und seit Jahren Alarm schlagen, erwarten nicht Reden, sondern tiefgreifende politische Veränderungen, um auf die unmittelbaren Bedürfnisse zu reagieren und die historische Chance zu nutzen, mit dem System aufzuräumen, in Frank-reich und in der Welt. Von nun an müssen alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung, der Beschäftigten im Gesundheitswesen und der Pflegekräfte, von denen die überwiegende Mehrheit Frauen sind, umgesetzt werden, und dies muss Vorrang vor wirtschaftlichen Überlegungen haben. Nach vielen Jahren anhaltender Reduzierung der Mittel in allen Gesundheitseinrichtungen, einschließlich der öffentlichen Krankenhäuser und Seniorenheime, ist es dringend notwendig, genügend Mittel zur Verfügung zu stellen…“

„[Pétition] Plus jamais ça, signons pour le jour d’après“ seit dem 07. April 2020 unter anderem bei Attac Frankreich externer Link dokumentiert, ist die Petition (samt Aufruf, sie zu unterzeichnen, versteht sich) deren Übersetzung wir oben verlinkt und dokumentiert haben. Sie war bis zum 16. April 2020 von knapp 120.000 Menschen unterzeichnet worden…

„“Plus jamais ça!“: 18 responsables d’organisations syndicales, associatives et environnementales appellent à préparer „le jour d’après““ am 27. März 2020 bei France Info externer Link ist der Originaltext der Erklärung, deren Übersetzung wir oben verlinkt haben.

„Marktlogik und Katastrophenmedizin“ von Renaud Lambert und Pierre Rimbert am 09. April 2020 bei Le Monde Diplomatique externer Link (deutsche Ausgabe) fasst die Situation im neoliberal geschleiften Gesundheitswesen unter anderem so zusammen: „… Andererseits hat das Wirtschaftssystem im Verlauf seiner Geschichte eine außergewöhnliche Fähigkeit bewiesen, die immer häufiger werdenden Stöße zu parieren, die seine Irra­tio­nalität verursacht. So setzen sich auch bei den heftigsten Erschütterungen in der Regel die Verteidiger des Status quo durch. Sie nutzen die allgemeine Fassungslosigkeit aus, um die Macht des Marktes noch weiter auszudehnen. Der Katastrophen-Kapitalismus, den Naomi Klein kurz vor der großen Rezession von 2008 analysierte, schert sich nicht um die Erschöpfung der Rohstoffe und der sozialen Sicherungssysteme, die die Krise dämpfen könnten. In einer Anwandlung von Optimismus schrieb die kanadische Journalistin: „Wir reagieren auf einen Schock nicht immer mit Regression. Manchmal wachsen wir auch angesichts einer Krise – und zwar schnell.“ Diesen Eindruck wünschte wohl auch Präsident Macron in seiner Erklärung vom 12. März zu erwecken. Er wolle, „das Entwicklungsmodell, dem unsere Welt seit Jahrzehnten folgt und das jetzt seine Tücken offenbart, und die Schwächen unserer Demokratie hinterfragen“, sagte Macron. Bereits heute offenbare diese Pandemie, dass ein kostenloses Gesundheitswesen ohne Unterscheidung nach Einkommen, Karriere oder Beruf sowie unser Wohlfahrtsstaat kein bloßer Kostenfaktor sei, sondern „ein unverzichtbarer Trumpf, wenn das Schicksal zuschlägt“. Die Pandemie zeige, dass es Güter und Dienstleistungen gebe, die außerhalb der Marktgesetze stehen müssten. „Es ist Wahnsinn, wenn wir unsere Ernährung, unseren Schutz, die Fähigkeit, unser Leben zu gestalten, in fremde Hände geben. Wir müssen wieder die Kontrolle übernehmen.“ Drei Tage später verschob er die Rentenreform und die Reform des Arbeitslosengelds und verkündete Maßnahmen, die bisher als unmöglich galten: die Einschränkung von Entlassungen und die Aufgabe der Haushaltsbeschränkungen. Und die Umstände könnten diesen Wandel noch verstärken: Die Obsession des Präsidenten etwa, die Ersparnisse und Beamtenpensionen an den Aktienmärkten zu investieren, wirkt vor dem Hintergrund des Absturzes der Börsenkurse nicht gerade wie ein visionärer Geniestreich. Das Arbeitsgesetz aussetzen, die Bewegungsfreiheit einschränken, Unternehmen mit vollen Händen unterstützen und sie von Sozialabgaben freistellen, auf denen das Gesundheitssystem beruht – diese Maßnahmen allerdings stellen keinen radikalen Bruch mit der bisherigen Politik dar. Der massive Transfer von öffentlichen Geldern in den Privatsektor erinnert an die staatliche Bankenrettung von 2008. Die Rechnung kam dann in Form der Sparpolitik, von der vor allem die Angestellten und die öffentlichen Dienstleistungen betroffen waren. Weniger Krankenhausbetten, um die Banken wieder flottzumachen: das war die Devise…“

„Milliarden für Air France“ von Hansgeorg Hermann am 15. April 2020 in der jungen welt externer Link zu wirtschaftlichen Maßnahmen der Regierung in Frankreich: „… Die zweitgrößte europäische Luftfahrtgesellschaft hat ihren Flugbetrieb seit knapp vier Wochen quasi eingestellt und verliert pro Monat rund eine Milliarde Euro. Nach eigenen Angaben rechnet sie bis Ende 2022 mit einem Ergebnis von lediglich rund 75 Prozent ihrer im Jahr 2019 erreichten Umsätze und einem »sehr langen Weg zur Rückgewinnung der Kunden«. Nähere Auskünfte zum Schicksal der rund 45.000 Beschäftigten liegen bisher weder von der Konzernführung noch von der Regierung vor. Ganz oben auf der Liste staatlicher Hilfsprojekte für die innerhalb weniger Monate in die Existenzkrise gerutschten französischen Großunternehmen steht auch ein weiterer »nationaler Champion«, wie das französische Kapital seine Großkonzerne nennt: der Automobilhersteller Renault. Das seit 1999 mit den japanischen Konzernen Nissan und Mitsubishi in einer sogenannten strategischen Allianz verbundene Unternehmen mit mehr als 147.000 Beschäftigten hat im Rahmen der Coronakrise zahlreiche Werke geschlossen. Bereits für das Geschäftsjahr 2019 hatte der Konzern einen Verlust von knapp 141 Millionen Euro gemeldet. In der aktuellen Gesundheits- und Systemkrise ist der Automobilmarkt völlig eingebrochen, die Absatzzahlen sind im Keller. Nicht viel besser geht es der von Macron und seinen neoliberalen Helfern eben erst teilprivatisierten, ehemals staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF, die wie Air France seit mehr als einem Monat auf den größten Teil ihrer Einnahmen verzichten muss und bereits Verluste in Milliardenhöhe registriert...“

„Les grandes entreprises pharmaceutiques déjà sur les rangs pour faire de l’argent avec le Covid-19“ von Rachel Knaebel am 13. April 2020 beim Basta Mag externer Link ist ein Beitrag über die (profitgeile) Haltung der Pharmakonzerne in der aktuellen Situation. Eine konkrete Ausführung zum uralten Thema „Man sieht schon die Dollarzeichen in ihren Augen…“, inklusive der Darstellung der verschiedenen juristischen nationalen und globalen Rahmenbedingungen für das schmutzige Geschäft mit der Gesundheit…

„Masques, gels, respirateurs, bouteilles d’oxygène, anesthésiques, médicaments, tests : Il est urgent de réquisitionner l’industrie pour les soignant-e-s et la population !“ am 31. März 2020 bei Europe Solidaire externer Link dokumentiert, ist die gemeinsame Stellungnahme dreier Einzelgewerkschaften der SUD Solidaires Föderation in der nachdrücklich gefordert wird, wegen der aktuellen Krise den gesamten medizintechnischen und pharmazeutischen Bereich staatlicher Kontrolle zu unterstellen, wo nötig auch zu verstaatlichen, sowie Industriebetriebe zu verpflichten, ihre Produktion umzustellen.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=170483
nach oben