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Gegenreform der Rentenversicherung ohne französisches Parlament: Der „kleine Putsch“ des Herrn Macron mobilisiert weiteren Widerstand

Kommst Du mit 49.3 - kommen wir mit 17.89Die französische Regierung ist konsequent: Wenn die nicht aufhören, gegen unsere (fürs Kapital) gute Rentenpolitik Widerstand zu leisten, dann lassen wir den Scheiß mit der Demokratie. Statt einer Parlamentsdebatte, in der vielleicht auch Gegner der antisozialen Reform zu Wort kommen könnten, wird jetzt Notstandsparagraph 49.3 angewandt – wie es die Regierung Hollande vor einigen Jahren auch schon tat, um ihre damalige Gegenreform in der Arbeitsgesetzgebung ohne demokratischen Firlefanz durchzupeitschen. Neben einer antidemokratischen Frechheit ist dieses Vorgehen auch eine Bankrotterklärung der bürgerlichen Demokratie, der zufolge es ja angeblich das höchste demokratische Gut sei, irgendeine PR-talentierte Partei zu wählen, die dann im Parlament – nicht mehr gefragt ist. Und hat sofort in vielen Städten zu spontanen abendlichen Protesten geführt, auch etwa vor dem Pariser Parlament. Zur erneuten Anwendung des Sonderparagraphen 49.3 bei einer antisozialen Gesetzgebung in Frankreich sieben aktuelle Beiträge, der Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zu diesem Kampf – und den Verweis auf einen früheren Beitrag zur Anwendung von 49.3 beim Kampf gegen „Loi Travail“, sowie ein Update vom 02. März 2020 zu Reaktionen und Protesten:

„Macron im Alleingang“ von Hansgeorg Hermann am 27. Februar 2020 in der jungen welt externer Link zu den Plänen der Regierung noch vor der Entscheidung den 49.3 anzuwenden unter anderem: „… Der berüchtigte Verfassungsartikel 49 Absatz 3 gibt dem Präsidenten diese Möglichkeit einmal pro Wahlperiode des Parlaments. Macron würde damit die seit zwei Wochen andauernde Plenardebatte beenden und die »Reform« ohne Abstimmung auf den Weg bringen. Eine Entscheidung der Regierung, ob sie tatsächlich das Parlament ausschalten und auch den von mehr als 60 Prozent der Franzosen seit Monaten vorgetragenen Protest kalt ignorieren will, steht in den nächsten Tagen bevor. Der parlamentarischen Opposition, die den 65 Artikel umfassenden Gesetzentwurf bisher mit mehr als 40.000 Änderungsanträgen blockierte, warf Macron »Obstruktion« vor. (…) Die von Macron und Philippe gerne als »extremistisch« bezeichnete Fraktion der oppositionellen Linken aus Kommunisten (PCF) und Jean-Luc Mélenchons »La France insoumise« (LFI) versucht seit Beginn der Plenardebatte, dem Widerstand in der Bevölkerung mehr Zeit zu verschaffen und eine Entscheidung über den Gesetzentwurf noch vor den Kommunalwahlen am 15. und 22. März zu verhindern. Allein Mélenchons Gruppe hatte beim Präsidium der Nationalversammlung nahezu 20.000 Änderungswünsche eingereicht. Bis zum vergangenen Dienstag hatte das Parlament erst über einen der 65 Gesetzesartikel abgestimmt...“

„Rentenreform: Frankreich umgeht das Parlament“ von Sebastian Zimmermann am 01. März 2020 bei den Euronews externer Link meldet den Beschluss des Ministerpräsidenten Philippe so: „… Frankreich will die umstrittene Rentenreform ohne eine Abstimmung im Parlament durchsetzen. Diese nur selten genutzte Verfassungsklausel, Artikel 49.3, erlaubt der Regierung, das Parlament umgehen und per Dekret handeln zu können. Der französische Ministerpräsident Edouard Philippe erklärte: Mit der Genehmigung des Ministerrats vom 29. Februar habe ich beschlossen, die Regierungsverantwortung für den Gesetzentwurf zur Einführung eines universellen Rentensystems zu übernehmen. Nicht um die Diskussionen zu beenden, sondern um dieser Episode des Nicht-Diskutierens ein Ende zu setzen…“

„49.3 Un véritable déni de démocratie“ am 29. Februar 2020 beim Gewerkschaftsbund SUD Solidaires externer Link ist Stellungnahme und Aufruf zur Beteiligung an allen Protesten im ganzen Land der alternativen Föderation, die unterstreicht, dass diese „Absage an die Demokratie“ dazu führen müsse, den Widerstand gegen die Regierung erst recht zu verstärken. Am Sonntag will SUD mit den anderen Organisationen der Intersyndicale über weitere schnelle Reaktionen beschließen.

Plakat des Gewerkschaftsbundes SUD Solidaires gegen die Anwendung des Paragraphen 49.3 - "wir werden es nicht hinnehmen!"„Réforme des retraites : la menace du 49.3“ am 26. Februar 2020 bei der CGT externer Link war – vor dem endgültigen Beschluss – eine Stellungnahme der Föderation, die in diesen Überlegungen der Regierung einen weiteren undemokratischen Akt sieht, denn nur so könne eine Rentenreform durchgepeitscht werden, die nach einer aktuellen Meinungsumfrage von 72% der Menschen in Frankreich abgelehnt werde. In dem Beitrag wird allerdings nur darauf verwiesen, dass es für den 5. März und erst recht den 8. März bereits gemeinsame Aktionsbeschlüsse gebe.

„49-3. Macron, Philippe: un petit coup d’État de plus!“ am 29. Februar 2020 bei Arguments pour la Lutte Sociale externer Link steht hier als Beispiel für die Reaktionen zahlreicher linker Gruppierungen und Zusammenschlüsse, und unterstreicht darin vor allem, dass es sich um einen „weiteren kleinen Staatsstreich“ handele, der auf jede Weise bekämpft werden müsse.

„RETRAITES: le coup de force du pouvoir!“ am 29. Februar 2020 beim Front Syndical de Classe externer Link ist die Stellungnahme der größten Oppositionsströmung in der CGT, in der das Vorgehen der Regierung als Handstreich bewertet wird, der Ausdruck der Schwäche der Regierung sei, was sich auch an den sofort im ganzen Land stattfindenden Proteste zeige. (Im Beitrag ist auch ein Link zu einem Video des abendlichen Protestes in Paris).

„Manifestation aux abords de la gare de Lyon…“  am 28. Februar 2020 im Twitter-Kanal von Cernon Berenger externer Link ist ein Video über die flammenden Proteste am Pariser Bahnhof nach Verkündung der Regierungsentscheidung (wo der Autor Sprecher der Betriebsgruppe der CGT ist) – eine Aktion, die sozusagen der Auftakt zahlreicher spontaner Proteste quer durchs Land war.

Zu Reaktionen auf die Notstandsmaßnahme Macrons ein Update vom 02. März 2020 New

„“49-3, on n’en veut pas“: syndicats, avocats et gilets jaunes dans la rue à Nice“ am 01. März 2020 bei Nice Matin externer Link steht hier als Beispiel für zahlreiche lokale Berichte über Proteste am Wochenende, hier eben vom Sonntag in Nizza (mit Videobericht) wo sich laut Polizeiangaben über 500 Menschen an einer Demonstration beteiligt hätten – aus Gewerkschaften, Schulen und Gelbwesten.

„Réforme des retraites: des rassemblements contre le 49-3 un peu partout en France“ am 01. März 2020 bei La Voix du Nord externer Link berichtet von verschiedenen Protesten noch am Samstagabend – und dabei vor allem aus Le Havre, wo das Wahlkampfbüro des Herrn Philippe das Echo auf die Notstandsmaßnahme seines Betreibers erleiden musste – vor allem die Glasbestandteile…

„Mit der Brechstange durchgesetzt“ von Rudolf Balmer am 01. März 2020 in der taz online externer Link zum Thema unter anderem: „… Dass der Premierminister dieses letzte Mittel bereits jetzt einsetzt, ist mehr Ausdruck eines autoritären Regierungsstils oder auch das Eingeständnis, dass die Vorlage einer eingehenden Prüfung womöglich nicht standhalten würde. Für Philippe und viele Abgeordnete seiner Mehrheit, die über das Ende einer mühseligen Auseinandersetzung erleichtert sind, war diese für eine parlamentarische Demokratie normale Debatte anscheinend eine reine Zeitverschwendung. Entsprechend heftig fallen die Reaktionen der Opposition aus, die fast einstimmig von einem „Skandal“ sprechen. Die linken Fraktionen haben bereits einen gemeinsamen Misstrauensantrag gegen die Regierung angekündigt, die konservativen Abgeordneten von „Les Républicains“ wollen ihrerseits eine Vertrauensabstimmung beantragen. Da die Reform des Rentensystems aber aus zwei Vorlagen besteht, betrifft das Vorgehen Philippes nur den wichtigeren der beiden Gesetzestexte, in dem es um die Rentenreform als solche geht. Die Debatte werde darum mit neuen Anträgen zur zweiten Vorlage fortgesetzt, hat der LFI-Vorsitzende Jean-Luc Mélenchon versprochen, der von „totalitären“ Tendenzen der Staatsführung spricht. Ebenfalls äußerst aufgebracht über das Vorgehen der Exekutive sind die Gewerkschaften, die seit Monaten mit Streiks und Demonstrationen gegen die Reform zu Felde ziehen. Sie rufen bereits zu neuen Kundgebungen und Protestaktionen auf. Diese könnten allerdings im Rahmen der Präventionsmaßnahmen gegen das Corona-Virus von der Obrigkeit wie andere Großveranstaltungen schlicht untersagt werden…“

„»Mit dem Schlagstock«“ von Hansgeorg Hermann am 02. März 2020 in der jungen welt externer Link ausführlicher zur Ausnutzung des „Virus-Notstandes“ für den politischen Notstand: „… Auf Betreiben Macrons beschloss der Ministerrat am selben Tag, öffentliche Versammlungen von mehr als 5.000 Menschen für die kommenden Wochen zu verbieten – angeblich, um die rasch fortschreitende Ausbreitung des Coronavirus im Land einzudämmen. Neuerliche Straßenproteste gegen die Rentenpolitik könnten damit unterbunden werden. (…) Völlig verloren ist der Kampf gegen die von rund zwei Dritteln der Bevölkerung abgelehnte »Reform« damit nicht. Der formellen Verabschiedung des Rentengesetzes muss nun die parlamentarische Debatte über das lediglich fünf Artikel umfassende Ausführungsgesetz folgen – französisch »­­loi ­organique«, das die Finanzierung und Umsetzung der »Reform« zu regeln hat. Jean-Luc Mélenchon, Führer der linken Oppositionellen von »La France insoumise« (LFI) und Kommunisten (PCF), versprach am Samstag abend im Fernsehkanal BFM TV, man werde nichts unversucht lassen, um Macrons Gesetz doch noch zu kippen. LFI und PCF hatten die »Reform«, deren Kern die Verlängerung der Lebensarbeitszeit bis zum Alter von mindestens 64 Jahren sowie ein in diesem Sinne jeweils »bestrafendes« oder »belohnendes« Punktesystem ist, mit rund 41.000 Änderungsanträgen torpediert. Ein Grund für den rechtskonservativen Premier Philippe, »diese Nichtdebatte« und die seiner Meinung nach »gezielte Obstruktion gegen das Gesetz« mit Hilfe des berüchtigten Verfassungsartikels zu beenden...“

„Rentenreform per Dekret“ von Ralf Klingsieck am 01. März 2020 in neues deutschland online externer Link zum Termindruck für das Vorgehen: „… Die Regierung hat sich entschlossen, zum äußersten Mittel zu greifen, weil ihr Zeitplan für das Reformgesetz zu scheitern drohte. Damit das Gesetz noch wie geplant vor der Sommerpause definitiv beschlossen werden kann, soll die erste Abstimmungsrunde in der Nationalversammlung vor der Kommunalwahl erfolgen, die für den 15. und 22. März angesetzt ist. Danach folgt die erste Runde der Debatte und Abstimmung im Senat, dann eine zweite Runde in beiden Kammern des Parlaments und schließlich noch eine Sitzung von Vertretern beider Kammern, um einen Kompromiss zu finden. Kommt dabei kein Kompromiss zustande, entscheidet in letzter Instanz die Nationalversammlung…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=163746
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