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Frankreich: Streiks während Olympia? Und neue Arbeitslosenversicherungs-„Reform“

Frankreich: Pas de JO sans papiers"Ein Gespenst ging um in Frankreich. Und da war es plötzlich wieder! (Schauder, Zitter) An diesem Wochenende tauchte es wieder auf, respektive sie: die gespenstische Drohung mit Streiks während der Olympischen Sommerspiele, die ab der dritten Juliwoche dieses Jahres im Raum Paris, teilweise, besonders bei Mannschafts-/Ballsportarten, auch anderswo in Frankreich ausgetragen werden sollen. Am Sonntag, den 02.06.24 – Bewegung 2. Juni? – kündigte die Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbands CGT, Sophie Binet, mögliche Streiks auch während der durch die Regierung sehnlichst herbeigewünschten Olympia-Ruhe an. Ihr Gegenstand, also Thema der Auseinandersetzung wäre die nun durch die Regierung definitiv angekündigte nächste Stufe der „Reform“ der Arbeitslosenkasse, auch nur die fünfte (und die dritte größere) in unter fünf Jahren: 2019, 2020, 2021, 2023… Es handelt sich, unsere Leser/innen dürften es mutmaßlich bereits erraten haben – nicht wahr? – um eine weitere regressive „Reform“, die zu Leistungsminderungen und -ausschlüssen führen soll…“ Artikel von Bernard Schmid vom 3. Juni 2024 – wir danken!

Frankreich: Streiks während Olympia? Und neue Arbeitslosenversicherungs-„Reform“

Ein Gespenst ging um in Frankreich. Und da war es plötzlich wieder! (Schauder, Zitter) An diesem Wochenende tauchte es wieder auf, respektive sie: die gespenstische Drohung mit Streiks während der Olympischen Sommerspiele, die ab der dritten Juliwoche dieses Jahres im Raum Paris, teilweise, besonders bei Mannschafts-/Ballsportarten, auch anderswo in Frankreich ausgetragen werden sollen.

Am Sonntag, den 02.06.24 – Bewegung 2. Juni? – kündigte die Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbands CGT, Sophie Binet, mögliche Streiks auch während der durch die Regierung sehnlichst herbeigewünschten Olympia-Ruhe an. Ihr Gegenstand, also Thema der Auseinandersetzung wäre die nun durch die Regierung definitiv angekündigte nächste Stufe der „Reform“ der Arbeitslosenkasse, auch nur die fünfte (und die dritte größere) in unter fünf Jahren: 2019, 2020, 2021, 2023…

Es handelt sich, unsere Leser/innen dürften es mutmaßlich bereits erraten haben – nicht wahr? – um eine weitere regressive „Reform“, die zu Leistungsminderungen und -ausschlüssen führen soll. Also nicht um eine Reform im Sinne der historischen Diskussion in der Arbeiterbewegung über Reform und Revolution, d.h. angebliche schrittweise versus systemverändernder oder -umwälzende Verbesserung der Lebensbedingungen der Lohnabhängigen, sondern um ihr Gegenteil; naja, mal wieder.

Teile der Gewerkschaftsbasis zeigten sich am Wochenende unzufrieden mit der Formulierung Sophie Binets: „…Streiks nicht ausgeschlossen“ während der Olympiaperiode, die (schließt man die auf die Sommerspiele von Ende Juli und Anfang August zeitverzögert nachfolgende so genannte Behindertenolympiade mit ein) noch bis in den September hinein andauern wird. In den Augen der Unzufriedenen sollte die CGT dabei eine aktivere organisierende Rolle einnehmen, statt nicht auszuschließen. Eine Warnung ist jedoch jedenfalls einmal abgegeben, während bislang eine Medienkampagne Gewerkschaften, die eventuelle Arbeitsniederlegungen während der Olympiaperiode ankündigten, regelmäßig attackiert hatte.

Vgl. zu den Ankündigungen von Sophie Binet:

Vgl. zu den Olympia-Daten und zu denen der Behindertenolympiade: https://www.essonne.gouv.fr/Jeux-Olympiques-et-Paralympiques-de-Paris-2024 externer Link

Frau Binet betonte bei ihrem Auftritt vor mehreren Medien (öffentlich-rechtliches TV, Radio und Pariser Abendzeitung Le Monde) vom Sonntag, Arbeitskämpfe trotz in Medien und Regierungskreisen, vielleicht auch in Teilen des Publikums herbeigewünschter Olympia-Ruhe seien im Zusammenhang mit dem jüngst angekündigten „Reform“zug umso mehr gerechtfertigt, als diskontinuierlich Beschäftigte, die bei Großereignissen wie den Olympischen Zahlen in höherer Zahl zum Einsatz kommen, durch den geplanten weiteren Umbau der Arbeitslosenversicherung besonders in ihren Existenzgrundlagen bedroht würden. Sophie Binet Tourismusbeschäftigte und Mitarbeiter/innen im Security-Gewerbe, die in ihrem Erwerbsleben von zeitlich befristeten Aufträgen leben und deren Zugang zu Leistungen der Arbeitslosenversicherung künftig durch die geplante Ausweitung der Mindest-Erwerbsperioden erschwert wird.

Olympia-Streik bislang abgewendet… wofür handfeste Zugeständnisse erforderlich waren!

Bislang hatte es jedenfalls seit kurzem so ausgehen, als könne die Regierung die zuvor in vielen von „Olympia in Frankreich“ besonders betroffenen Sektoren der Erwerbsbevölkerung (vom staatlichen und privaten Sicherheitssektor über Transportbetriebe bis zu den Fluggesellschaften) vielerorts drohenden Streiks doch noch abwenden.

Zuletzt hatten die Bediensteten der Eisenbahngesellschaft durch einen massiv befolgten Warnstreik am Dienstag nach dem Pfingstwochenende – dem 21.05.24 – ihrerseits Zugeständnisse in der Art herausgeholt, wie sie zuvor durch die Regierung zuerst Polizisten und Polizistinnen gewährt worden waren. Letztere erhalten für ihre Anwesenheit während den Olympischen Spielen, während deren Dauer es für Polizeibedienstete eine Urlaubssperre mitten im Hochsommer geben wird, eine Sonderprämie in Höhe von 1.900 Euro ausbezahlt. Nun handelten dies bei einer, bereits vor dem Warnstreik geplanten und seit längerem angesetzten, Verhandlungsrunde am Mittwoch, den 22.05.24 ähnlich auch die Eisenbahngewerkschaften aus. Demnach erhalten die Eisenbahnbediensteten eine Tagesprämie in entsprechender Höhe, das entspricht 95 Euro Tag, sofern ihre Tätigkeit in einem Zusammenhang mit aufgrund der Olympischen Spiele anfallender Sonderarbeit/Mehrarbeit steht; dies wird bis zu 50.000 Beschäftigte betreffen, von insgesamt in allen Sparten 283.000 Mitarbeiter/inne/n (lt. Quelle: https://www.groupe-sncf.com/fr/groupe/portrait-entreprise externer Link) der Bahngesellschaft SNCF und ihrer Filialen.

Inzwischen kündigten von vier tariffähigen Gewerkschaften bei der Eisenbahn zweie (CFDT und UNSA) ihre Unterschrift unter das Abkommen dazu an; die beiden anderen (CGT und SUD Rail) unterschrieben zwar nicht, doch machten im Vorfeld ordentlich Druck, um eine solche Vereinbarung überhaupt zu ermöglichen. Vgl.:

Wichtiger jedoch ist, dass zuvor die SNCF und alle vier derzeit wichtigen Gewerkschaften der Eisenbahner/innen sich zuvor am 22. April dieses Jahres auf eine Vorruhestands-Regelung einigten, die de facto einen Gutteil der Neuregelungen der regressiven „Renten“reform vom April 2023 (die damals nach mehrmonatigen Massenprotestdemonstrationen durch Emmanuel Macron durchgesetzt wurde) aushebelt und für die Bahnbeschäftigten rückgängig macht. Auch deren Lebensarbeitszeit sollte aufgrund der 2023er „Reform“ um zwei Jahre angehoben werden. Jedoch können ab Januar 2025 alle Bahnbeschäftigten, die während mindestens zwanzig Jahren auf Arbeitsplätzen mit körperlicher Beanspruchung eingesetzt waren, die letzten zweieinhalb Jahre ihrer beruflichen Laufbahn aufteilen in fünfzehn Arbeitsmonate mit voller Bezahlung und fünfzehn Monate mit Arbeitsbefreiung und 75prozentiger Entlohnung. Schaffnerinnen und Schaffner (diese Berufsgruppe hatte im Dezember 2022 einen, aufgrund der Beeinträchtigung der Weihnachtsperiode in vielen Medien scharf angegriffenen, Streik für ihre Belange außerhalb der Gewerkschaften über ein, mittels Facebook organisiertes Kollektiv geführt) erhalten eine Sonderregelung, da sie sich bislang gegenüber anderen Beschäftigtengruppen bei der SNCF vernachlässigt fühlten. Infolge des Abkommens können die Schaffner/innen die o.g. Periode auf drei Jahre oder 36 Monate ausdehnen, von denen 18 Monate gearbeitet werden und 18 Monate mit Befreiung von der Arbeitspflicht bei Aufrechterhaltung von 75 % des Gehalts einhergehen. Gleichzeitig soll eine neue Gehaltsstufe in der Schlussphase des Arbeitslebens eingeführt werden, was Lohnverluste auffängt. Daneben soll ab Januar 2025 Teilzeitarbeit in der Schlussphase der beruflichen Laufbahn besser bezahlt werden.

Dieses Abkommen wurde unter den Beschäftigten weitgehend begrüßt, und als Gegensteuern gegen die Hinausschiebung der Mindestaltersgrenze für den Renteneintritt betrachtet. So auch durch die Regierung, was die Analyse betrifft – welche die Vereinbarung jedoch keineswegs bejubelte, sondern dadurch regierte, dass Wirtschaftsminister Bruno Le Maire den (bisherigen) SNCF-Chef Jean-Pierre Farandou zu sich vorlud und beschloss, ihn mit Wirkung ab Spätsommer, nach den Olympischen Spielen, zu feuern. Vgl.:

Zur Sichtweise von SUD Rail: https://www.bfmtv.com/economie/entreprises/accord-sur-la-retraite-des-cheminots-sud-rail-ne-comprend-pas-la-polemique_AV-202405020444.html externer Link

Und – Achtung: aggressiv wirtschaftsliberale und anti-soziale Quelle – von einem völlig anderen Standpunkt aus: https://www.ifrap.org/retraite/la-sncf-se-repaye-une-retraite-speciale-sur-le-dos-des-francais externer Link

Und zu den weiteren Konsequenzen:

Worum jedoch geht es bei der angekündigten „Reform“ der Arbeitslosenversicherung?

Die französische Arbeitslosenkasse, UNEDIC, und die Dachorganisation der Arbeitsämter – bis vor kurzem Pôle emploi, nun umbenannt in: France Travail – wurden in den vergangenen gut vier Jahren bereits mehrfach reformiert.

Die erste „Reform“stufe, die aus dem Präsidentschaftswahlprogramm von Emmanuel Macron bei seiner ersten Wahl (2017) folgte und ab dem 1. November 2019 umgesetzt wurde, reduzierte manche Leistungen ab dem siebten Monat. Und wer während der 24 Monate vor Beginn der Erwerbslosigkeit nicht kontinuierlich gearbeitet hatte, erhielt ebenfalls weniger. Ab 2021 (ursprünglich geplant ab 2020, dann folgte eine Verschiebung aufgrund der Pandemie und Covid-Krise) wurde die Mindestdauer der Beitragszahlungen, die einer Leistung der Arbeitslosenkasse vorausgehen mussten, von zuvor vier Monaten auf sechs Monate angehoben, was manche Leiharbeiter/innen oder in Zeitverträgen beschäftigte Lohnabhängige vom Zugang (vorübergehend) ausschloss. Aber die „Reform“ von 2019 enthielt im Gegensatz zu den späteren, nachfolgenden wenigstens noch ein Zuckerl, nämlich das Recht für selbstkündigende Lohnabhängige, anders als bislang ebenfalls ab dem Beginn ihrer Erwerbslosigkeit Arbeitslosengeld zu beziehen, allerdings nur acht Monate (statt sonst bis zu maximal 24 Monate) und unter der Bedingung, sich in eine Fortbildung einzuschreiben oder sich darauf vorzubereiten, sich selbstständig zu machen.

Ab Anfang 2023 dann wurde die Höchstdauer der Zahlung von Arbeitslosengeld von zuvor 24 Monate auf achtzehn Monate abgesenkt, unter der Voraussetzung, dass die Gesamt-Arbeitslosenquote den Wert von 9 % nicht übersteigt. (Derzeit sind es 7,5 %, vor einem Jahr waren es 7,1 %.) Vgl.:

Was plant die Regierung nun? Längere Zeit war im Gespräch, (angeblich) alternativ an zwei Stellschrauben zu drehen: „entweder“ die Zeitdauer der Bezüge von Arbeitslosengeld nochmals zu verkürzen, „oder“ aber die erforderliche Dauer der Beitragszahlungen von zuvor sechs Monaten (seit der ersten „Reform“ unter Macron) zu erhöhen; die Rede war etwa von einer Ausdehnung auf neun Monate. (https://www.bfmtv.com/economie/economie-social/social/assurance-chomage-les-trois-pistes-du-gouvernement-pour-reduire-les-depenses_AV-202403270634.html externer Link)

Was kommt nun davon? Letztendlich doch beides… Laut den Ankündigungen von Premierminister Gabriel Attal in der Sonntagszeitung La Tribune Dimanche vom 26. Mai 24 wird die Periode des Maximalbezugs von Arbeitslosengeld von achtzehn auf fünfzehn Monate weiter verkürzt. Dies war zunächst hinter der technischen Formulierung einer „Reduzierung der Referenzperiode“ von 24 Monate auf zwanzig Monate versteckt worden, was jedoch – wie in diesem Falle der dazu ebenfalls kritisch positionierte, sozialdemokratische Gewerkschaftsdachverband CFDT dann hinausposaunte – bedeutet, dass die Zahlungsdauer für die Leistungen der Erwerbslosenkasse auf maximal 15 Monate sinkt, weil nach den neuen Regeln von 2023 die Höchstbezugsperiode nämlich 75 Prozent der „Referenzperiode“ beträgt (bislang eben 18 von 24 Monaten, künftig dann höchstens 15 von 20 Monaten), jedenfalls sofern die Arbeitslosenquote nicht neun Prozent übersteigt.

Hinzu kommt eine Anhebung der Mindest-Einzahlungsdauer von bislang sechs (früher einmal vier) Monaten auf künftig acht. Was bedeutet, dass etwa Saisonkräfte, die auf ihren Stellen nur sechs Monate arbeiten können, diese Mindestvoraussetzung nicht erfüllen können; es sei denn, es werden da noch Sonderregelungen herausgehandelt… Auch viele Beschäftigte in Zeitverträgen und Leiharbeitsverhältnissen werden, mehr noch als bisher, dabei hinten durchfallen.

Vgl. bspw.:

So weit der letzte Stand. Nun, falls nicht erwachende soziale Kämpfe da doch noch einen Strich durch die Rechnung machen sollten….

Artikel von Bernard Schmid vom 3. Juni 2024 – wir danken!

Siehe zum Hintergrund unser Dossier: Frankreich: Macrons Hartz IV. Parlament beschließt Kürzungen bei Erwerbslosenversicherung – Gewerkschaften und linke Opposition kündigen Widerstand an

Siehe auch zum Thema:

  • „Die Reform der Arbeitslosenversicherung ist kriminell“
    Sophie Binet war am Sonntag, den 2. Juni, Gast in der Sendung „Questions politiques“ auf France inter. Die Generalsekretärin der CGT kritisierte auf der Bühne von France Inter die neue Reform der Arbeitslosenversicherung, die zu Recht als Hetze gegen Arbeitslose empfunden wird, obwohl in Frankreich sechs Millionen Menschen arbeitslos sind. Arbeitslos zu sein ist die erste soziale Gewalt. Während die Arbeitslosigkeit in Frankreich weniger stark gesunken ist als in den anderen europäischen Ländern, kündigt die Regierung eine gewalttätige Reform der Arbeitslosenversicherung an. Die CGT hat bei ihren Organisationen eine Zählung der Entlassungspläne durchgeführt und schätzt, dass 33.021 direkte Arbeitsplätze abgebaut werden sollen…“ franz. Meldung der CGT vom 3. Juni. 2024 externer Link
  • (zum zigsten Mal) Reform der Arbeitslosenversicherung: Wie weit?
    Gabriel Attal hat eine neue Reform der Arbeitslosenversicherung angekündigt. Wie die beiden vorangegangenen Reformvorschläge zielt auch diese in die gleiche Richtung: weniger Rechte und weniger Geld für Arbeitslose. Obwohl nur ein Drittel von ihnen derzeit Arbeitslosengeld erhält, wagt es die Regierung Attal zu behaupten, dass sie durch die Bekämpfung des „Assistenz-Systems“ die Beschäftigung fördert. Das Ziel ist es, das Äquivalent der deutschen Hartz-Gesetze von 2003/2004 durchzusetzen, die Arbeitslose zwingen, alles zu jedem Lohn zu akzeptieren (warum nicht auch 1-Euro-Jobs?), die zu einer Explosion der Prekarität und des Elends auf der anderen Seite des Rheins geführt haben, wie es auch in England geschehen ist. Während der Evaluierungsausschuss für die Reform von 2019, der ganz auf der Seite der Regierung steht, erklärte, dass durch die Reform keine stabilen Arbeitsplätze geschaffen wurden, wird der Ausschuss nun die Reform von 2019 umsetzen…“ franz. Info der Solidaires vom 26.5.2024 externer Link
  • Olympische Spiele: Das Arbeitsrecht darf nicht im Abseits stehen.
    Im Vorfeld der Olympischen Spiele gibt es immer wieder Meldungen über Ausnahmen vom Arbeitnehmerrecht…“ franz. CGT-Dossier externer Link und FAQ droit du travail et JO : les réponses de la CGT externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=220837
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