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Bilanz der Olympiade in Frankreich unter besonderer Berücksichtigung von Arbeitsrecht, Gewerkschaften, ökologischer Kritik und reaktionär-faschistischer Kampagne

Frankreich: Soziale Säuberung vor den Olympischen Spielen (La Revers de la médaille)Die Sommerolympiade in Frankreich ist für dieses Jahr weitgehend vorbei, auch wenn in Paris vom 28. August bis zum 08. September d.J. nun noch die Behinder-tenolympiade – les Jeux paralympiques – ansteht, welche infolge des im Laufe der letzten Wochen erwachten Publikumsinteresses auch noch einmal massenhaft Pub-likum anziehen könnte. Staatspräsident Emmanuel Macron, er sähe es gar zu gerne, würde dies den zumindest von ihm sehnlichst erhofften Effekt eines innenpolitischen „Burg- bzw. Olympiafriedens“ verlängern. Wobei die Gesellschaft ihm diesen Ge-fallen nicht tun muss; die Menschen verstehen es mehrheitlich wohl, den Sport und politische Spielchen damit auseinanderzuhalten…“ Artikel von Bernard Schmid vom 16.8.2024 – wir danken!

Bilanz der Olympiaperiode unter besonderer Berücksichtigung von
Arbeitsrecht, Gewerkschaften, ökologischer Kritik und reaktionär-faschistischer Kampagne

Die Sommerolympiade in Frankreich ist für dieses Jahr weitgehend vorbei, auch wenn in Paris vom 28. August bis zum 08. September d.J. nun noch die Behindertenolympiade – les Jeux paralympiques – ansteht, welche infolge des im Laufe der letzten Wochen erwachten Publikumsinteresses auch noch einmal massenhaft Publikum anziehen könnte. Staatspräsident Emmanuel Macron, er sähe es gar zu gerne, würde dies den zumindest von ihm sehnlichst erhofften Effekt eines innenpolitischen „Burg- bzw. Olympiafriedens“ verlängern. Wobei die Gesellschaft ihm diesen Gefallen nicht tun muss; die Menschen verstehen es mehrheitlich wohl, den Sport und politische Spielchen damit auseinanderzuhalten.

Präsident im Regen

Zumindest ein Versprechen hielt unterdessen der frühere französische Staatspräsident (2012 bis 2017) und Amtsvorgänger sowie ehemalige Schutzpatron Macrons, also François Hollande. „Ich werde an der Eröffnungszeremonie teilnehmen. Rechnen Sie mit Regen! lautete die Ankündigung des sozialdemokratischen Politikers kurz vor den Eröffnungsfeiern zu den Olympischen Spielen, am Nachmittag des 26. Juli d.J. in Paris. Und prompt schüttete es wie aus Kübeln; anderthalb Stunden lang prasselte der Regen auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nieder.

Hollandes Ausspruch war dabei eine selbstironische Anspielung auf seine mittlerweile sprichwörtlichen verregneten Auftritte. Am 11. November – dieser Tag ist in Frankreich ein gesetzlicher Feiertag, zum Andenken an das Ende des Ersten Weltkriegs 1918, und gibt zu einer Präsidentenrede Anlass – des Jahres 2013 stand Hollande bei seiner Ansprache im strömenden Regen. Niemand raffte sich dazu auf, dem Staatspräsidenten einen Regen zu schirmen. Das Wasser lief ihm vor laufenden Kameras an den Haaren und an der Brille herunter. Dieses Bild blieb lange Jahre in weiten Teilen der französischen Öffentlichkeit unvergessen.

Panem & circensis

Die Episode, der weitere verregnete Auftritte folgten, wurde zum Sinnbild eines machtlosen Präsidenten, den man eben buchstäblich im Regen stehen lässt: Schon seit dem Jahr seines Amtsantritts 2012 schrieb Hollande sich eine „angebotsorientierte Wirtschaftspolitik“ auf die Fahnen, die zuerst massiv die Unternehmen stärken möchte, bevor man daran könne, dass, quasi von alleine, später etwas für die Beschäftigten etwas abfällt. Damit wollte er die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Das war das Gegenteil von keynesianischer Politik, die traditionell mit der Sozialdemokratie verbunden war, und ein Ansatz, den in Deutschland etwa die FDP verkörperte. Hollande stand allein da, weil die Basis und viele Abgeordnete des Parti Socialiste (PS) sich mit geballter Faust in der Tasche abwandten – während Konservative und Liberale inhaltlich zustimmten, doch Hollande als Gegner keinen Erfolg gönnen wollten. Im Winter 2016/17 traute sich François Hollande dann nicht, zu seiner Wiederwahl im April 17 anzutreten, und zog seine Kandidatur zurück.

Etwas erfolgreicher wurde später Hollandes Wirtschaftsminister, der diese Politik umsetzen wollte, aber nicht damit belastet war, als Sozialdemokrat zu gelten. Ein gewisser Emmanuel Macron. Dieser hat zwar derzeit auch massive innenpolitische Probleme, hofft jedoch darauf, die Stimmung rund um die Olympischen Spiele werde ihm ein Zwischenhoch einbringen. „Brot und Spiele“, wussten die Alten Römer. Zumal Frankreich sich relativ schnell über einen Medaillenregen freuen durfte, bereits am ersten Tag nach der Eröffnung holte die französische Olympia-Rugbymannshaft Gold. Kurz darauf auch die Geländeradfahrerin Pauline Ferrand-Prévôt, die mit ihrer Bescheidenheit und Zugänglichkeit schnell zum Publikumsliebling wurde, und der Schwimmer Léon Marchand. Bis zum 1. August stand Frankreich (mit damals insgesamt 25 Medaillen) sogar noch auf dem zweiten Platz hinter den, wesentlich bevölkerungsreicheren, USA. Schlussendlich schnitt Frankreich dann im Medaillenspiegel mit insgesamt 64 Auszeichnungen, darunter sechzehn Goldmedaillen, dann auf dem fünften Platz hinter den USA? China, Japan und Australien ab.

Ob Emmanuel Macron davon wirklich auf Dauer – wie von ihm erhofft – von einem „Bravo“-Effekt profitieren kann, bleibt derzeit fraglich. Sicherlich hat es während der Olympiaperiode keine massiven Sozial- oder sonstigen Proteste gegeben; solche finden aber in Frankreich, wo die Urlaubspause im Hochsommer einen wesentlich, wesentlich tieferen Einschnitt darstellt als in Deutschland, jedoch in aller Regel zwischen dem 15. Juli (dem Tag nach dem französischen Nationalfeiertag) und bis Ende August ohnehin nicht statt. Linksradikalistisch formulierte Hoffnungen, es werde bspw. zum „Generalstreik während Olympia“ kommen, waren von vornherein nackte Illusion und als solche auch erkennbar. Aus einem einfachen Grund, neben dem der Hochsommerzeit (und des Willens von jedenfalls Teilen der französischen Gesellschaft, den Olympischen Spielen zu folgen): Alle Berufsgruppen, die während Olympia etwas hätten lahmlegen können, von der Polizei über die Eisenbahner/innen bis hin zum Fluglotsenwesen, konnten im Vorfeld letztendlich durch Arbeitskämpfe Sonderprämien für die Arbeit während der Olympiazeit heraushandeln. (Vgl.: https://www.labournet.de/internationales/frankreich/gewerkschaften-frankreich/frankreich-streiks-waehrend-olympia-und-neue-arbeitslosenversicherungs-reform/) Doch im Falle einer Arbeitsniederlegung wären diese, teilweise durchaus relativ beachtlichen und extra ausgehandelten Lohnprämien schlicht flöten gewesen.

Also war mit einem Streik (außer bei sehr punktuellen Konflikten) während Olympia logisch nicht zu rechnen; auch wenn manche verbal lautstarken Linksradikalen andere angebliche Erwartungen hinausposaunten. Und dies nicht Macron zuliebe. Gewiss nicht. Übrigens bekam Emmanuel Macron bei der offiziellen Eröffnung der Olympischen Spiele auch Pfiffe ab (https://www.ouest-france.fr/jeux-olympiques/jo-2024-le-president-emmanuel-macron-siffle-au-moment-de-la-proclamation-de-louverture-des-jeux-944c2c14-4b8e-11ef-a622-0126aa35ae01 externer Link), und später kritisierten ihn auch einzelne Athleten u.a. für Vereinnahmungsversuche – am lautesten zeitweilig der Leichtathlet Hugo Hay. Dann kam jedoch leider schnell heraus, dass Hay, Jahrgang 1997, als damals 17jähriger im Jahr 2013 auch allerhand rassistischen Unsinn bei den neuen sozialen Medien gepostet hatte. (https://www.20minutes.fr/sport/4105193-20240809-jo-2024-athlete-hugo-hay-epingle-anciens-tweets-racistes-homophobes externer Link) Dies bedauerte er daraufhin aufrichtig, er scheint sich mittlerweile geändert zu haben; zu seinen Abonnent/inn/en bei Facebook/X usw. scheinen tatsächlich inzwischen überwiegend Linke zu gehören. Seine zwischendurch in den Medien kurz Widerhall findende Kritik an Macron musste dadurch jedoch verpuffen.

Der Mechanismus mit dem Regen funktioniert aber auch nicht immer, selbst bei François Hollande – sonst würden von Trockenheit und Klimawandel geplante Landwirte ihn demnächst alle zu sich einladen. Am 30. Juli d.J. um die Mittageszeit machte das Sicherheitspersonal an einem der Olympia-Austragungsorte, im provisorischen Freiluftstadion auf der Rasenfläche vor dem Invalidendom, einige Anwesende auf die Präsenz François Hollandes aufmerksam. Dort wohnte der 69jährige – der inzwischen sogar wieder im Kommen ist, Anfang Juli wurde er übrigens ihm Rahmen des Linksbündnisses Nouveau Front populaire zum Abgeordneten gewählt (Nachtigall, ick hör Dir trapsen) – gerade den Qualifikationsrunden im Bogenschießen bei; wie auch der Autor dieser Zeilen. Bei denen (den Runden, nicht den Zeilen) konnte sich übrigens zwar auch der Franzose Thomas Chirault für das Achtelfinale qualifizieren konnte,  jedoch erwies sich ein ostasiatisches Land als wahre Dampfwalze erwies. Beim Gruppen- wie beim Einzelschießen stellte sich Südkorea, von wo offensichtlich auch eine stattliche Zahl an Fans mitsamt Flaggen angereist waren, bei den Männern mit Kim Woojin wie bei den Frauen, als Shooting star heraus.

Hitzige Temperaturen und ebensolche Klimadiskussion

Die Zuschauer und Zuschauerinnen kämpften dieses Mal allerdings nicht mit dem Regen, sondern damit, dass in der Hitze des frühen Nachmittags bei 36 Grad gemessener Luft- und laut der meteorologischen Anstalt Météo France unter Berücksichtigung der Luftfeuchtigkeit „44 Grad gefühlter Temperatur“ nicht das Regenwasser, sondern der Schweiß herunterlief. Alle paar Minuten wurde das Publikum per Lautsprecher dazu aufgefordert, Pausen beim Zuschauen zu machen, in den Schatten zu gehen und nicht zu vergessen, dass es auf dem Gelände kostenloses Leitungswasser gebe. Dieses, immerhin, war umsonst. Ansonsten waren auch die Preise olympisch – nicht unbedingt eine Überraschung. Neun Euro das Sandwich (und 5,50 Euro das Mineralwasser)? Na, ein Müsliriegel tut‘s doch auch, und kostet nur ein Drittel so viel.

Am Abend lästerten Talkshowgäste im Fernsehen darüber, dass in den Zimmern der Athletinnen im Olympischen Dorf keine Klimaanlagen eingebaut worden seien. Dies war eine Entscheidung des französischen Veranstalterkomitees im Vorfeld, weil man die Olympischen Sommerspiele 2024 auch ökologisch nachhaltig gestalten wolle. An vielen Austragungsorten hängen Plakate, die auf dieses Ansinnen hinweisen: Weniger Beton habe man verbraucht in diesem Austragungsjahr – tatsächlich wurden jedenfalls in Paris vielerorts bestehende Gebäude genutzt, wie die Messehallen an der Porte de Versailles oder das Riesenschwimmbad im Geschäftsviertel La Défense, und nur relativ wenige Neubauten hochgezogen wie die „Adidas-Arena“ an der Porte de la Chapelle: Vorsicht Schleichwerbung… -, man betreibe Mülltrennung und achte auf die Herkunft der Nahrungsmittel. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb dazu am letzten Sonntag im Juli (Datum des Erscheinens auf der Webseite)  : Die Olympischen Spiele sollen die klimafreundliche und soziale Transformation von Paris beschleunigen.“

Übrigens schaffte es der französische Ölkonzern TOTAL – das größte börsennotierte Unternehmen in Frankreich, und sicherlich einer der bedeutendsten kollektiven Klimakriminellen weltweit – trotz Bemühens nicht, als offizieller Sponsor zu den diesjährigen Olympischen Spielen zugelassen zu werden. Infolge von Protest der im Pariser Rathaus mitregierenden Grünen musste deren dortige Koalitionspartnerin, die sozialdemokratische Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, darauf ausdrücklich verzichten. Andere Unternehmen, darunter der oben bereits erwähnte Adidas-Konzern, durften unterdessen Sponsoren spielen. Auch der französische Luxuswaren-Hersteller LVMH, welcher dem Multimilliardär Bernard Arnault, dem reichsten Mann Frankreichs, gehört; dafür durfte dessen Warenhaus La Samaritaine dann zum Dank aus dem „Sicherheitsbereich“, jedenfalls der „roten Zone“ (zu welcher man acht Tage vor der Eröffnungszeremonie nur mit Anwohner/innen- oder sonstigen Sondergenehmigungen Zutritt hatte) ausgenommen werden, obwohl es geographisch mitten drin gelegen hatte. Arnault hatte laut der Wochenzeitung Le Canard enchaîné vom 31. Juli 24 jedoch beim Elyséepalast angeklopft und betont, für seine 150 Millionen Euro, die er auf den Tisch legte, wolle er auch etwas haben. ..

Nicht unerwartet ist, dass auch an der offiziellen Ökoprofilierung Kritik aufkommt. Einige halten diese Ankündigungen für Heuchelei, unter anderem auch im Hinblick auf die CO2-Bilanz im Zusammenhang mit den internationalen Flugbewegungen, die ein solches Großereignis notwendig mit sich bringt. Gleichzeitig wäre die Einschränkung internationaler Mobilität im Hinblick auf Olympische Spiele allerdings bestenfalls ein Tropfen auf einen heißen Stein, denkt man an Massentourismus und Billigfluggesellschaften von Ryanair bis Transavia, und würde wohl nicht ins Gewicht fallen.

Die Gruppierung Extinction Rebellion (XR) protestierte jedenfalls gegen die Ausweitung des Flugverkehrs und gegen die Abhaltung der Olympischen Spiele; fünfzig ihrer Anhängerinnen und Anhänger wurden am Samstag, im Vorfeld einer verhinderten Protestaktion auf einer Seinebrücke, festgenommen und in Polizeigewahrsam gesteckt. Acht weitere waren schon drei Tage vor den Eröffnungsfeierlichkeiten vorübergehend festgenommen und wieder freigelassen worden, ihnen drohen Geldstrafen in Höhe von bis zu 750 Euro wegen Aufklebern in der Pariser Métro. Ferner fand am 25. Juli, dem Tag vor der Eröffnungszeremonie, eine durch die Union syndicale Solidaires – einen Zusammenschluss linker Basisgewerkschaften (SUD) – aufgerufene Kundgebung von Olympiakritikern auf der place de la République in Paris statt. Dazu kamen rund 300 Menschen, die vergleichsweise intensive Medienberichterstattung garantierte dennoch eine gewisse Aufmerksamkeit. (Zu den übrigen Gewerkschaften, insbesondere der Rolle der CGT vgl. weiter unten)

Die Veranstalter/innen ihrerseits sprechen offiziell davon, die CO2-Bilanz sei im Vergleich zu anderen Olympischen Spielen halbiert worden, und man investiere einen Teil der Einnahmen in die Finanzierung von „grünen Wirtschaftsprojekten“. Konkret wegen ökologischer Schäden in der Kritik steht unterdessen etwa die Austragung des Surfwettkampfs, in 17.500 Kilometern Entfernung von Paris in Teahupo’o auf Französisch-Polynesien – die Inselgruppe bildet ein französisches so genanntes Überseegebiet, die Anhängerinnen und Anhänger einer Unabhängigkeit von Frankreich stellen allerdings inzwischen die Mehrheit im Regionalparlament.

Dort, auf der zum Archipel gehörenden Insel Tahiti, wurde für den Wettkampf ein neuer Aluminiumturm für die Jurymitglieder erbaut, der dort aus dem Ozean emporragt. Dafür wurden Teile eines Korallenriffs zerstört. Zwar wurden die Dimensionen des Turms verkleinert, nachdem Proteste aufkamen, doch bereits im vorigen Dezember hatte die Anfahrt eines Lastschiffs für die Baustelle das Riff beschädigt. Einheimische in Französisch-Polynesien – der Archipel wurde in der Vergangenheit, bis 1995, bereits auf längere Sicht durch französische Atomwaffentests beeinträchtigt – fürchten auch um den Fischfang, eine örtliche Nahrungsquelle, da die Baustelle das Algenwachstum befördert habe. Das Veranstalterkomitee behauptet seinerseits, den Austragungsort im Südostpazifik auch wegen der Klimabilanz gewählt zu haben, da er die Anreisewege verkürzt habe, viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer kämen aus Ozeanien und vom relativ nahen amerikanischen Doppelkontinent.

Nicht völlig ohne Schäden ging es allerdings auch anderswo und näher an Paris ab. In der Pariser Vorstadt Aubervilliers wurden schon 2022 Teile der historischen Arbeiterschrebergärten (Jardins ouvriers) zerstört. Dort sollte ursprünglich das Presszentrum für die Olympiade hochgezogen werden. Infolge massiver Proteste wurde das Vorhaben jedoch eingestellt, der Großteil der tatsächlich wie ein kleines Paradies in der Trabantenstadt wirkenden Arbeitergärten blieb letztlich unversehrt. Ohne Proteste wäre mit Schlimmerem zu rechnen geworden.

Dass die Olympiabauten und die neue internationale Prominenz einiger Austragungsorte, vor allem in der nördlichen und nordöstlichen Pariser Banlieue – im Département Seine-Saint-Denis – dazu beitragen, dass diese nun einer stärkeren Gentrifizierung anheimfallen, dürfte schwerlich zu vermeiden sein. Auch das noch immer Hunderttausende anziehende jährliche Pressefest der KP-Tageszeitung, La Fête de l’Humanité, muss in diesem September schon zum dritten Mal an anderem Ort als in Seine-Saint-Denis stattfinden und wurde von der nördlichen in eine sehr viel weiter entfernt von Paris entfernte, südlich gelegene Banlieue und dort auf einen früheren Armeeflugplatz verlagert. Der Park, wo die Fete bislang stieg, wurde in Teilen wegen Olympia überbaut.

In Anbetracht solcher Kritik einerseits, der für ökologische Belange unternommenen Anstrengungen andererseits fällt der unterlassene Einbau von Klimaanlagen da so gut wie nicht ins Gewicht. Auch wenn es natürlich zutrifft, dass generell die drohende Tendenz, auf den stattfindenden Klimawandel mit verstärkter künstlicher Klimatisierung an Arbeits- und Wohnstätten zu regieren, sich grundsätzlich klimaschädlich auszuwirken droht. In diesem Falle könnte der Effekt allerdings konkret kontraproduktiv gewesen sein, denn viele Athletinnen und Athleten – oder ihre Manager und Sportfunktionärinnen – bauten nun einfach eigenmächtig ihre Klimaanlagen in die Zimmer im Olympischen Dorf ein.

Die griechische Delegation hatte bereits im Vorfeld angekündigt, die eigenen mitzubringen und im Anschluss auch wieder nach Griechenland mitzunehmen. In vielen Fällen sind die improvisierten Klimaanlagen, oft mehr oder weniger selbstgebastelt, allerdings weitaus klimaschädlicher, als es offiziell eingebaute Anlagen auf dem neuesten Stand der Technologie gewesen wären. Dies behaupteten jedenfalls die Talkshowgäste, die wie die Korrespondentin der konservativen britischen Zeitung The Daily Telegraph – Anne-Elisabeth Moutet – auf die Gelegenheit aufsprangen, zu behaupten, da sehe man mal wieder die Verheerungen, welche böse Political Correctness und linksliberales Gutmenschentum anrichteten.

„Anti-Sex-Betten“

Mitleid zogen die betreffenden Olympia-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer kurzzeitig auch deswegen auf sich, weil im Laufe des Juli dem Publikum bekannt wurde, das Olympische Dorf sei mit zunächst in den Medien so bezeichneten „Anti-Sex-Betten“ ausgestattet. Es handelte sich um Bettkästen aus Karton, die leicht zusammenbrächen und angeblich dazu bestimmt seien, außersportliche körperliche Aktivitäten der Hauptbetroffenen zu verunmöglichen. Ähnliche Olympiabetten kamen bereits während der Sommerspiele in London 2012 zum Einsatz. Sie sind so konzipiert, dass sie aus möglichst umweltfreundlichem Stoff bestehen respektive möglichst wenig Material verschwenden, da sie als Wegwerfmöbel und nicht für die Dauernutzung konzipiert sind.

Allerdings stellte es sich als ein pures Gerücht heraus, zu behaupten, dass diese Betten privatsportliche Betätigung ausschließen: Um entsprechenden Behauptungen und Befürchtungen entgegenzutreten, führten Athleten und Journalistinnen wiederholt dem Publikum vor, wie stabil diese Betten in Wirklichkeit seien – nicht durch intime Aktivitäten vor laufender Kamera, wohl aber durch Herumhüpfen und Abspringen mit beiden Beinen, dem die Möbel problemlos standhielten. Gerücht erledigt. Im Übrigen geben die Veranstalter an, die Zahl der an Sportlerinnen und Sportler verteilten Kondome, 240.000, sei doppelt so hoch wie damals in London und liege im internationalen Vergleich an zweithöchster Stelle, lediglich bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016 sei eine noch höhere Zahl (450.000) verteilt worden. Da sich nun die saudische Hauptstadt Ar-Ryad für die Austragung der Olympischen Spiele 2036 bewirbt – bereits die Asienspiele werden 2029 dort stattfinden -, bleibt jedoch ziemlich fraglich, ob es alle künftigen Austragungsorte so halten werden.

Auf einer anderen Ebene ereiferten sich politische und moralische Bedenkenträger in den letzten Tagen, in steigendem Tempo und Tonfall, über die Eröffnungszeremonie im historischen Zentrum von Paris und auf der Szene. In den letzten Julitagen erfasste die quasi planetare Empörungswelle nun auch Donald Trump – „eine Schande“ -, den türkischen Staatspräsidenten Recep Teyyip Erdoğan („ein Werkzeug der Perversion“) sowie den iranischen politisch-religiösen Führer Ali Khamenei. Letzterer verdammte eine „Beleidigung für Jesus Christus“. Na, die Jungs müssen ja Bescheid wissen, die gesamte schöne Riege von Visagen von Blaue-Bohnen-Donald über Erg-baby bis zu Dirty Old Ali…

La Cène oder la scène, sur la Seine oder: Reaktionäre und faschistische Kritik wird planetar. Von Blaue Bohnen-Donald bis zu Dirty Old Ali!

Unter dem Schauspieler Thomas Jolly als künstlerischem Leiter, beraten durch den Historiker Patrick Boucheron, wurde die Eröffnungsfeier in neuartiger Weise konzipiert. Über 24 Millionen Fernsehzuschauer/innen folgten ihr allein in Frankreich. (https://www.lemonde.fr/economie/article/2024/08/05/en-nombre-de-telespectateurs-ou-en-terabits-les-jo-de-paris-battent-des-records_6268889_3234.html externer Link)

Gewohnt war man an den Einzug der Länderdelegationen mit ihren jeweiligen Fahnenträgerinnen in ein Stadion, das zu den Austragungsorten zählte. Dieses Mal wurden die Delegationen auf Boote verfrachtet, die über die Seine schipperten, wodurch man ihre Zusammensetzung freilich nicht so gut sehen konnte. Das gesamte Stadtzentrum entlang des Flusslaufes war dafür umgestaltet worden und zeigte diverse Ausschnitte aus der französischen Gesellschaft oder historische Stationen. Am alten Pariser Gerichtsgebäude – wo sich nun noch der Kassationshof, eine der obersten Rechtsinstanzen, befindet – auf der Seineinsel Île de la Cité etwa wurde eine Szene mit der in Paris enthaupteten König Marie-Antoinette von Österreich-Lothringen gezeigt, aus dem Grund, weil die Gattin Ludwig des XVI. von August bis zu ihrem Tod im Oktober 1793 in einem Trakt dieses Gebäudes gefangen gehalten blieb. Dabei hielt die Darstellerin, die Marie-Antoinette verkörperte, einen Kopf, mutmaßlich eher nicht ihren eigenen, unter dem Arm. Dazu spielte die französische Heavy metal-Band das zeitgenössische revolutionäre Lied Ah, ça ira, ça ira. Boucheron erklärte dazu, man habe die Periode der ersten Französischen Revolution als wichtigen Teil der Geschichte des Landes präsentieren, aber ihre Gewalt nicht verheimlichen wollen. Die Periode der Französischen Revolution war übrigens symbolisch während dieser Olympischen Spiele insgesamt höchst präsent, war doch das Maskottchen der diesjährigen Olympiade, le phryge (eine rote Plüschfigur mit Augen), der im Deutschen so bezeichneten Jakobinermütze nachempfunden. Diese hieß und heißt im Französischen le bonnet phyrgien, unter Anspielung auf eine antike Landschaft im Alten Griechenland, heute siebzig Kilometer westlich der mittlerweile türkischen Hauptstadt Ankara.

Daraus wurde aber in den Augen mancher „Kritiker“ respektive reaktionären Agitatoren alsbald die Intention, man habe sich an der Gewalttätigkeit der Geschichte (derer von 1789 ff., vor allem aber der Phase 1793/94) berauschen und diese, mehr oder minder vom Satanismus inspiriert, affirmieren wollen.

Vor allem ereiferten dieselben Leute sich gar sehr über eine mittlerweile weltweit bekannte Szene, an der mehrere zur Queer-Szene zählende Künstlerinnen und Schauspieler eine Runde formten, die angeblich an das – dereinst durch Leonardo da Vinci in einem Gemälde vorgestellten – „Letzte Abendmahl“ des Begründers des Christentums erinnerte. In Wirklichkeit allerdings eher  an Bilder, die dieses Motiv in den letzten Jahrzehnten bereits vielfach aufgriffen und entfremdeten, namentlich in der Werbung, etwa beim VW-Konzern, dem Designer Otto Kern oder 2007 durch das französische Modehaus Girbaud. (https://www.spiegel.de/fotostrecke/skandalwerbung-fotostrecke-108318.html externer Link) Dabei war der als leicht exzentrisch geltende Schauspieler und Liedermacher Philippe Katerine nur mit einer Girlande bemalt und war blau angemalt, während er dazu am Tisch lag wie weiland die Alten Römer bei ihren Mahlzeiten, was übrigens nicht zu den herkömmlichen Abendmahls-Darstellungen gehört – deren Teilnehmer, als ordentliche Apostel, stets eher sitzend gezeigt werden. Katerine sollte auch keinen Jesus-Jünger darstellen, sondern den antiken Gott Dionysos als Schutzherrn von Wein, Theater und Festen, sprich, als alten Partygott. (Übrigens soll er für seine Darbietung großzügige 200 Kröten bezahlt bekommen haben. Jedenfalls nicht dasselbe runde Sümmchen wie die Star-Sängerin Céline Dion, die als Superprominente ebenfalls für die Olympia-Eröffnung engagiert worden war….)

In China wurde Katerine seitdem unter dem neuen Spitznamen „Der Schlumpfkünstler“ zum veritablen Star in den sozialen Medien wie Xiaohongshu, Weibo oder Duyin. In anderen Ländern kam die Darbietung hingegen weniger gut an. Erdoğan erklärte, sein Amtskollege Emmanuel Macron habe ihn nach Paris eingeladen, doch seine 13jährige Enkelin habe ihn vorgewarnt, ihn erwarte dort „eine Veranstaltung für LGTB-Propaganda“. Was eine 13jährige Erdoğan-Enkelin genau von und unter LGTB versteht, blieb dabei leider unklar. In den USA, durch den Olympia übertragenden Sender NBC, sowie in Marokko durch die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt SNRT wurde die entsprechende Szene zensiert.

In Frankreich selbst wütete zuerst die rechtsextreme Politikerin und Europaparlamentarierin Marion Maréchal – die jüngst den Parteigründer Eric Zemmour, in dessen Darstellung, „verriet“ und zum Rassemblement national (RN) zurückkehrte -, es handele sich um einen gezielten „Angriff auf das Christentum“, und generell stehe die Zeremonie im Zeichen „Woke-Propaganda“. Es folgten alsbald weitere Gesinnungskameraden. Bei TikTok und in anderen Medien erschienen umgehend Denunziationsvideos, deren Autoren zum Teil nicht einmal das Abendmahl – französisch La Cène richtig schreiben konnten, sondern es fälschlich als la scène bezeichneten, wie eine banale „Szene“ auf der Seine. Der letztgenannte Begriff hat keinerlei religiöse Bedeutung oder besonderen Bezug. Ansonsten ereiferte sich der Urheber eines der ersten Videos bei TikTok darüber, die Szene sei „Freimaurertum pur“, gemeint war eine Infragestellung der Religionen auf Grundlage einer im 18. Jahrhundert stammenden säkularen Philosophie, gekleidet in eine verschwörungstheoretische Begrifflichkeit.

Auf nur indirekte Weise und ohne den Gegenstand des Anstoßes zu erwähnen, äußerte auch die französische Bischofskonferenz, vergleichsweise moderat und ohne Hasstiraden, Kritik.

Schon Wochen und Monate vor dem Eröffnungszeremonial für Olympia hatte es übrigens bereits eine faschistische und rassistische Öffentlichkeitskampagne gegeben. Diese richtete sich damals gegen den, geplanten und dann auch stattgefundenen, Auftritt der französisch-westafrikanischen Sängerin Aya Nakamura, deren Familie aus Mali stammt. Gegen ihre Einlage demonstrierten im Laufe de März 2024 am Pariser Seineufer Anhänger der „identitären“ Bewegung unter einem Transparent mit der Aufschrift „Hier ist Paris, nicht Bamako“ (https://www.bfmtv.com/people/musique/jo-aya-nakamura-ciblee-par-un-collectif-identitaire-plusieurs-artistes-apportent-leur-soutien-a-la-chanteuse_AV-202403100289.html externer Link), während im Netz auch Kritik u.a. aus den Reihen des rechtsextremen Rassemblement national (RN) oder von sonstigen üblichen Verdächtigen wie der inzwischen ins Europaparlament gewählten innerrechten Konkurrentin des RN, Marion Maréchal, laut wurde. Staatspräsident Macron, der allem Anschein nach persönlich die Idee zum Auftritt von Aya Nakamura als Symbol für innovative Weltoffenheit usw. hatte, hörte jedoch nicht auf diese Art von Kritik bzw. Pöbelei. Zum Glück, in dieser Konstellation.

Linke Stimmen

Im politischen Spektrum kamen Anfeindungen meist von rechts, während auf der Linken die Eröffnungszeremonie eher als Erfolg eines weltoffenen Frankreichs dargestellt wurde wie durch die Fraktionsvorsitzende der linkspopulistischen Wahlplattform LFI in der Nationalversammlung, Mathile Panot. Überraschend konterte dann jedoch deren Parteichef Jean-Luc Mélenchon: Er erklärte, eine gelungene Feier und den rebellischen Geist“, in dem Thomas Jolly vorgegangen sei, zu begrüßen, doch ihm hätten „die Szenen mit dem Abendmahl und mit Marie-Antoinette nicht gefallen“. Im ersteren Falle, weil man, „auch wenn man antiklerikal ist–  Mélenchons Mitgliedschaft bei einer historisch als antiklerikal geltenden Freimaurergruppierung ist seit Jahren öffentlich bekannt – nicht über die Werte der Gläubigen spotte; im letztgenannten, weil er gegen die Todesstrafe sei.

(Ansonsten kam übrigens aus den Reihen von LFI bzw. seitens mancher Abgeordneten von La France insoumise auch Kritik an ihnen zufolge nationalistischer Begeisterung an Frankreichs Olympiabeteiligung und -erfolgen; in einem Falle zog dies auch Morddrohungen aus dem Netz auf sich. Insgesamt fand zum Thema „mangelnder Olympiapatriotismus und -begeisterung“ der Linken eine regelrechte Meinungskampagne aus manchen Kreisen statt. (Vgl. https://actu.fr/ile-de-france/melun_77288/jo-paris-2024-un-depute-de-seine-et-marne-menace-de-mort-apres-avoir-critique-la-retransmission-des-jeux_61431171.html  und https://www.huffingtonpost.fr/politique/article/jo-de-paris-2024-d-ou-vient-ce-proces-fait-a-la-gauche-et-pourquoi-c-est-infonde-clx1_237921.html externer Link)

Überwachungstechnologie

Keine Kritik kam letztendlich wegen der zuvor diskutierten Sicherheitsrisiken auf. Im Vorfeld hatten eine Reihe von Beobachterinnen und Kommentatoren bemängelt, eine erstmals im offenen Raum in einer Innenstadt – statt in einem Stadion – stattfindende Zeremonie mit über 300.000 Mensch sei ein besonderes Risiko, und ziehe Anschläge wie ein Magnet an. Letztendlich hat sich das nicht bewährt, vielleicht auch wegen eines entsprechenden riesigen Sicherheitsaufgebot. In der Woche vor der Eröffnungsfeier war die Kernstadt, außer für Anwohner und Beschäftigte mit eigenen QR-Codes, fast unzugänglich geworden.

Umstritten war die zur Videoüberwachung eingesetzte, mit Künstlicher Intelligenz operierende Technologie, die angeblich automatisch Gefahrenquellen erkennen kann. Offiziell jedenfalls ist die Rede davon, diese werde so eingesetzt, dass sie eben nicht Gesichter oder Individuen identifiziert, sondern auf ungewöhnliche Abläufe reagiert wie wenn jemand plötzlich in der Menge zu Boden stürzt, oder ein Gepäckstück in einem Transportmittel abstellt und sich entfernt.

Kritiker/innen wie die auf Überwachungstechnologie spezialisierte NGO La Quadrature du Net sprechen allerdings von einem Testlauf, davon, dass die verwendeten Instrumente danach blieben und anders programmiert werden könnten. Klar ist: Der Kapitalismus vermag absolut Alles zu seinem Nutzen einzusetzen, wenn man nicht darauf achtet, wie welches Instrument verwendet wird…

Sabotageakte: „insurrektionalistische“ Idioten oder russische Spur?

Unter dem Strich kam es jedenfalls nicht dazu, dass Anschlagsrisiken sich realisieren. Jedenfalls nicht im Zusammenhang mit größeren Menschenversammlungen. Auf die Infrastruktur, konkret auf das französische Bahnnetz, wurden jedoch in der Nacht vor der Eröffnungsfeier Sabotageakte an vier entlegenen Orten in Frankreich – in allen Himmelsrichtungen, von Paris aus betrachtet – verübt, die den Schienenverkehr ein bis zwei Tage lang stark beeinträchtigten. Insgesamt 800.000 Menschen konnten deswegen ihre Reise nicht wie geplant antreten, darunter auch verhinderte Teilnehmer am Auftakt zu den Olympischen Spielen. Einen fünften Anschlag verhinderte das Eingreifen von Bahnbeschäftigten.

In einer gemeinsamen Erklärung kritisierten alle als „repräsentativ“ (d.h. tariffähig) eingestuften Gewerkschaften bei der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF gemeinsam die Sabotagehandlungen heftig. Der Text liegt dem Verf. d. Zeilen in PDF-Format vor, ferner wird an dieser Stelle daraus zitiert: https://www.bfmtv.com/economie/entreprises/transports/coup-porte-au-service-public-les-syndicats-de-cheminots-condamnent-les-sabotages-du-reseau-sncf_AD-202407260441.html externer Link.

Betreffend die Urheberschaft ging bei vielen Menschen der erste Gedanke daraufhin wohl nach Russland. In den letzten Monaten hatte das russische Regime sich mehrfach mit propagandistischen Destabilisierungsversuchen in die französische Innenpolitik eingemischt. So wurden moldauische und später bulgarische Staatsbürger mit Verbindungen nach Russland verhaftet – im ersteren Falle wurde auch ihr Anführer in Moldau schon im November interviert -, die antisemitische Schmierereien verübt hatten. Diese hatten zunächst große Aufmerksamkeit hervorgerufen wie die Ende Oktober 2023 zahlreich geschmierten blau-weißen „Judensterne“ und später (in diesem Jahr) rote Handabdrücke am Pariser Holocaust-Mahnmal, entpuppten sich dann jedoch den Ermittlern zufolge als russische Auftragsarbeit.

In einer zweiten Zeit, nämlich einige Stunden nach den Anschlägen, war dann beim Pariser Innenministerium am Nachmittag des 26. Juli 24 jedoch von einer „Spur zur Ultralinken“ die Rede. Dieser Begriff – ultragauche – wird für Gruppierungen gebraucht, die weder zur etablierten parteipolitisch arbeitenden Linken (gauche) noch zur außerparlamentarisch tätigen oder grundsätzlich kapitalismuskritischen radikalen Linken (extrême gauche) zählen, sondern gleich beide als Teil eines abgekarteten Spiels betrachten und verwerfen. Während die Bezeichnung in den siebziger Jahren zunächst auf bewaffnete Gruppen wie Action Directe Anwendung findet, fallen darunter in den letzten fünfzehn vor allem aus den – im weiteren Sinne – Autonomen hervorgegangene politische Sekten, in deren Zentrum das „Unsichtbare Komitee“ steht. Dieses machte durch ein anonym veröffentlichtes Manifestbüchlein unter dem Titel „Der kommende Aufstand“ (https://jungle.world/artikel/2010/47/links-ist-das-nicht externer Link) auf sich aufmerksam. Man bezeichnet diese Strömung auch als „Insurrektionalisten“ (von insurrection), also ungefähr „Aufstands-Fans“, wobei es sich allerdings beim harten Kern dieser Szene ziemlich deutlich sozusagen um einen Aufstand ohne Massen handelt.

In dem oben zitierten Büchlein predigt eine allwissend auftretende, sich dezidiert aus allen realen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen heraushaltende Avantgarde, die Saugnäpfe des Systems seien überall (vgl. vor Jahren (2008): https://jungle.world/artikel/2008/48/alle-tage-sabotage externer Link)  -und um ihnen zu entgehen, müsse man jeglicher legalen Aktion entsagen, bleibe man doch sonst in ihnen gefangen. Was übrigens beispielsweise auch notwendig bedeuten würde, dass die seit Jahren stattfindende Kämpfe von Sans papiers, also „illegalisierter“ Einwanderer in Frankreich just um ihre Legalisierung – d.h. die ihres Aufenthalts – quasi Teufelszeug wären.

Als, vermeintlich aus sich selbst sprechende, Propaganda der Tat bleibe, den Autoren dieses (nun ja) Werks zufolge – als Hauptautor gilt ein, pardon, studierter Idiot mit dem Namen Julien Coupat –  nur die Sabotage an den Netzwerken, auf denen das System beruhe: Informationstechnologie und Transport. Lege man solche Netze lahm, treffe man nämlich das System. Dass solches Tun je real jemanden zur Revolution getrieben hätte, ist allerdings nicht belegt; mutmaßlich ärgern Menschen sich im wirklichen Leben hauptsächlich darüber, dass sie infolge von Sabotagehandlungen gegen Bahnschienen oder Handymasten, von denen es in den vergangenen Jahren einige Beispiel gab, zwei Stunden unnötig lang im Nahverkehrszug sitzen oder eine Woche lang zu Hause kein Internet haben. Na, „massenfeindlich“, sagten Sie? Pah…. Wer wird’s schon so eng sehen…

Am 27. Juli d.J. traf ein Schreiben in mehreren Medienreaktionen ein, das als „Unterstützer“-, jedoch nicht als Bekennerbrief zu den Sabotageakten vom Vortag deklariert war. Es offenbart keinerlei sog. „Täterwissen“, wie man Elemente, die nur Beteiligte kennen können und über die diese ihren Bezug zu einer Aktion konkret belegen – aber enthält einige Sätze zur inhaltlichen Rechtfertigung: Die Olympiade sei „keine Feier“, sondern eine Orgie des Nationalismus und „eine gigantische Inszenierung der Unterwerfung der Bevölkerung durch den Staat“. Wie eine solche ideologische Bindung – gesetzt den Fall, man setzt sie als richtig voraus – durch nächtliches Sägen an Versorgungskabeln für das Bahnnetz reduziert werden konnte, geht aus dem Schreiben indes nicht hervor.

In der Nacht vom 28. zum 29. Juli d.J. folgten Anschläge auf Glasfaserkabeln in sechs französischen Bezirken, die dafür sorgten, dass Telephon- und Internet-Dienste von drei Anbietern (SFR, Bouygues und Free) örtlich ausfielen. An einem der Orte war eine Aufschrift „Nein zu Olympia“ hinterlassen worden. Im Laufe des 29. Juli wurde parallel dazu bekannt, die Polizeibehörden hätten bei Oissel in der Nähe von Rouen eine Festnahme auf einem Bahngelände vorgenommen und verfüge damit über einen der mutmaßlichen Täter bei den zwei Tage verübten Sabotageakten oder ihrer Verbündeten. Bei ihm sei „ein Buch über den ‚Taumel der Revolte, von den Platzbesetzungen bis zu den Gelbwesten‘“ aufgefunden worden. Inzwischen kam er aus der Polizeihaft heraus, am 28. November soll sein Prozess stattfinden. Bei dem Buch handelte es sich wohl nicht um eine gefährliche Sabotageanleitung, sondern um soziologische Literatur. Eigenen Angaben zufolge will er sich nur darauf vorbereit haben, Graffities an zur Eisenbahn gehörenden Infrastruktur; die Polizei will allerdings Schlüssel, die Zugang zu Stromkästen der Bahngesellschaft SNCF verschaffe, und Kneifzangen bei ihm gefunden haben.

Irgendein Zusammenhang zur Bahnsabotage vom Eröffnungstag ist jedenfalls bis dato nicht nachgewiesen. Ansonsten scheinen deren Urheber tatsächlich ein „unsichtbares“ Komitee zu bleiben. Fernsehkommentatoren und „Sicherheitsexperten“ spekulierten währenddessen darüber, ob es nicht doch einen Bezug zu einer auswärtigen Staatsmacht geben könne, diese könne ja ideologisch verblendete Aktivisten instrumentalisiert haben. Bislang riecht dies allerdings sehr nach Spekulation. Der frühere Geheimdienstkoordinator Jérôme Poirot – er verbreitete in jüngerer Zeit bei Fernsehauftritten auch nahe an Verschwörungsdenken lautende Thesen zu Einwanderung und Sicherheitsbedrohungen – erklärte bei dem Privatsender BFM TV, in jüngerer Vergangenheit hätten ja „die Roten Brigaden in der Bundesrepublik Hilfe von der Sowjetunion erfahren“ und seien dabei „durch einen in Deutschland stationierten KGB-Offizier betreut worden, Wladimir Putin“. Das ist nur Unsinn, die Roten Brigaden waren in Italien aktiv, in Westdeutschland hingegen die „Rote Armee Fraktion“ (RAF). Diese wurde im Kalten Krieg zeitweilig durch Kreise in den Staatsapparaten der DDR unterstützt, wo die RAF-Rentnerin Inge Viett und andere Aussteiger bis zum Mauerfall untergebracht waren. Die Unterstützungsrolle fiel dabei nicht Putin beim KGB, sondern Offizieren der Stasi zu. Dass eine Spur von dort zur französischen Bahn führt, ist nun wirklich mehr als unwahrscheinlich – was die Sabotageakte auch nicht intelligenter macht.

Und die Gewerkschaften?

Die CGT und andere Gewerkschaftsverbände hatten seit 2018 einen Deal mit dem Veranstalterkomitee und einigen „Arbeitgeber“verbänden geschlossen, der darauf hinauslief, dass man den Olympischen Spielen als solchen keinen Stein in den Weg lege und ihre Austragung unterstütze – allerdings soziale Standards an diese anlege und gute Arbeitsbedingungen einfordere.

Letztendlich mussten die aktiven Gewerkschaften, an erster Stelle darunter die CGT zuzüglich die Union syndicale Solidaires, jedoch in den Monaten vor der Eröffnung der Olympischen Spiele dann – wie eingangs erwähnt – in vielen Sektoren die Auszahlung von Lohnprämien für die Arbeit während der sonst in die Urlaubsperiode fallende Olympiazeit durchkämpfen. Dies wurde dann in allen Sektoren, die tatsächlich während Olympia etwas erfolgreich hätten lahmlegen können, letztlich auch erreicht; vgl. oben. In gewisser Weise nutzte die aktuelle CGT-Führung unter Generalsekretär Sophie Binet die bevorstehenden Olympischen Spiele und ihr Herannahen erfolgreich als Hebel, um einige Verbesserungen respektive (v.a.) Sonderzahlungen herauszuhandeln; auch der Personalschlüssen in den Nahverkehrsbetrieben war in diesem Sommer einmal anständig, und die öffentlichen Verkehrsmittel verkehrten folglich ordentlich. Wären die Gewerkschaften passiv geblieben, wäre es allerdings mit Ausgleich für die hochsommerliche Arbeit wohl Essig gewesen…

Der frühere Generalsekretär der CGT von 1999 bis 2013 sowie spätere Vorständler bei der International Labour Organisation (ILO), Bernard Thibault, sprach zeitweiliger an führender Stelle für die CGT bei Gesprächen rund um die Vorbereitung der Olympischen Stelle. Lobend hob er dabei hervor, dass prozentual der Anteil schwerer Arbeitsunfälle dabei im Zuge der Baumaßnahmen zurückgegangen sei (was nicht bedeutet, dass keine stattgefunden hätte, vgl. dazu unten). Im Juli dieses Jahres trat Thibault daraufhin als einer der Fackelträger auf, als die olympische Flamme – unter Mitwirkung von zahlreichen Prominenten, darunter früheren Sportler/inne/n – von ihrem Ankunftshafen in Marseille nach Paris überbracht wurde. Vgl. dazu (unter dem ersten genannten Link auch Kritik dazu):

Nicht vergessen sollten unterdessen einige Namen, an die zunächst der Stadtverband von LFI (La France insoumise) in Paris in einem Kommuniqué erinnerte, bevor in TV-Interviews mit Politiker/inne/n anlässlich der Beendigung der Olympischen Spiele ab dem 11./12. August Abgeordnete von LFI wiederholt darauf hinwiesen, dass folgende sieben Namen nicht in Vergessenheit geraten dürften:

Amara Diumassy mit 51 Jahren, Seydou Fofana mit 21, Franck Michel im Alter von 58, Joao Batista Miranda mit 61, Abdoulaye Soumahoro mit 41, Maxime Wagner mit 37 und Jérémy Wasson mit 21 Jahren starben bei Arbeitsunfällen auf den Olympiabaustellen.

Artikel von Bernard Schmid vom 16.8.2024

Siehe im LabourNet Germany auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=222499
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