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Die französische Sonntagszeitung „Journal du Dimanche“ gegen Pressekonzentration und die Einsetzung eines faschistischen Redaktionsleiters seit 4 Wochen im Streik

Dossier

Die französische Sonntagszeitung "Journal du Dimanche" gegen Pressekonzentration und die Einsetzung eines faschistischen Redaktionsleiters seit 4 Wochen im StreikBereits seit vier Ausgaben, d.h. vier Wochen im Streik befindet sich die französische Sonntagszeitung JDD, gegen monopolistische Pressekonzentration und die Einsetzung eines faschistischen Redaktionsleiters. Das Haupt von Multimilliardär Vincent Bolloré grinst nun auch über diesem Teil der französischen Presselandschaft (…) Aufgrund einer Personalentscheidung, die in der dritten Juniwoche vom durch Bolloré mittlerweile kontrollierten Lagarde-Medienkonzern getroffen wurde, trat die Redaktion der zu ihm gehörenden Sonntagszeitung JDD nahezu geschlossen in den Streik; die Beschlüsse zu dessen Beginn sowie zu seiner Fortsetzung wurden durch die dort beschäftigten Journalistinnen und Mitarbeiter jeweils mit Mehrheiten zwischen 95 und 97 Prozent angenommen…“ Artikel von Bernard Schmid vom 17.7.2023 – wir danken – und weitere Informationen:

  • Ausgang und Nachwirkungen des Streiks bei der französischen Sonntagszeitung JDD: Faschistischer Chefredakteur kam – Redaktion ging New
    LabourNet berichtete bereits ausführlich: Die Redaktion der französischen Sonntagszeitung JDD (Le Journal du dimanche) befand sich im Juni und Juli dieses Jahres insgesamt vierzig Tage lang im Streik, um die Ankunft eines – durch den neuen Hauptaktionär Vincent Bolloré, oder jedenfalls in seinem Sinne eingesetzten –  rechtsextremen Chefredakteurs (…) zu verhindern. Dieser Arbeitskampf wurde, je nach Datum (des Beschlusses zu seiner neuerlichen Fortsetzung), mehrere Wochen hindurch durch 96 bis 98 Prozent des abstimmenden Personals unterstützt. Doch was kam nun dabei genau heraus? 1. Die Ein- und Durchsetzung des neofaschistischen Chefredakteurs konnte letztendlich nicht verhindert werden: Lejeune trat sein Amt zum 1. August dieses Jahres an. (…) 3. Infolge eines Abkommens, das – nach einer grundsätzlichen (Vor)Vereinbarung in den letzten Julitagen zur Streikbeendigung – konkret am 1. August zwischen der Direktion und Personalvertreter/inne/n abgeschlossen wurde, konnten und können bisherige Redaktionsmitglieder mit Abfindungszahlungen ausscheiden. Drei Tage später, am 04. August, hatten bereits sechzig von zuvor rund einhundert Mitarbeiter/inne/n dieses „Angebot“ angenommen…“ Artikel von Bernard Schmid vom 9.8.2023  – wir danken! Und zwei kleine nachträgliche Zusätze:

    • Abgeordnete der Regierungspartei haben ab jetzt Redeverbot gegenüber der Zeitung;
    • und die Mutter des bei einem Unfall getöteten Jungen, dessen Trauermarsch-Abbildungen fälschlich als Illustration für ‚Unsicherheit & Kriminalität‘ benutzt worden waren, hat sich jetzt über das Blatt beschwert.
  • Eine „leere Redaktion“ nach mehreren Wochen Streik: In Frankreich haben Redakteure wochenlang gegen ihren neuen Chef und Rechtsruck des Blattes gestreikt – vergeblich 
    „Er kommt in eine leere Redaktion“, schreibt das Team der französischen Sonntagszeitung „Journal du Dimanche“ (JDD) zum Amtsantritt des neuen Chefredakteurs Geoffroy Lejeune. Dutzende Journalisten weigern sich, mit ihm zusammenzuarbeiten, und werden die Zeitung verlassen, heißt es weiter. Bitteres Fazit: Man müsse der Leserschaft im Hinblick auf die Unabhängigkeit gegenüber dem Besitzer eingestehen, man habe nicht gewonnen. Der 34-Jährige neue Chefredakteur Lejeune hat zuvor die ultrarechte Zeitschrift „Valeurs actuelles“ – auf Deutsch: „Aktuelle Werte“ geleitet. Die hatte unter anderem einen Rechtsaußen-Präsidentschaftskandidaten unterstützt. (…) JDD-Aktionär Arnaud Lagardère ließ wissen, die Zeitschrift gehe wieder online und komme in Papierform Mitte August in die Kioske. Dafür sorgt ein in der Nacht ausgehandelter Vertrag. Der sieht auch einen Sozialplan für jene Journalisten vor, die gehen wollen. Für das Ende des fast sechswöchigen Streiks haben nun 94 Prozent der Redaktionsmitarbeiter gestimmt. (…) Damit setzt sich ein Rechtsruck in den französischen Medien fort – rechtzeitig vor den Präsidentschaftswahlen 2027. Schon jetzt steht dafür eine Rechtsaußenpolitikerin in den Startlöchern: Marine Le Pen scheint populär wie nie. Das Parlament bereitet indes ein von Le Pens Rassemblement National scharf kritisiertes Gesetz vor, nach dem Fördergelder und Frequenzen nur vergeben werden sollen, wenn die redaktionelle Mitsprache bei der politischen Ausrichtung gewährleistet werde. Für neue Gesetze, die freie Medien garantieren, setzt sich auch die alte JDD-Redaktion ein. Sie will dafür einen Verein gründen…“ Beitrag von Stefanie Markert vom 1. August 2023 bei tagesschau.de externer Link

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Die französische Sonntagszeitung „Journal du Dimanche“ gegen Pressekonzentration und die Einsetzung eines faschistischen Redaktionsleiters seit 4 Wochen im Streik

Bereits seit vier Ausgaben, d.h. vier Wochen im Streik befindet sich die französische Sonntagszeitung JDD, gegen monopolistische Pressekonzentration und die Einsetzung eines faschistischen Redaktionsleiters. Das Haupt von Multimilliardär Vincent Bolloré grinst nun auch über diesem Teil der französischen Presselandschaft

Dereinst gründete Napoléon III. das Unternehmen Compagnié générale des eaux (vgl. https://archiv.labournet.de/internationales/fr/messier.html externer Link), das für die Wasserversorgung in mehreren Großstädten wie Paris und Lyon zuständig wurde und dafür ein Monopol erhielt, im Jahr 1853. Ziemlich Vieles hat sich seitdem verändert.

Nicht nur liegt der Mann, der sich vom Staatspräsidenten (1848 – 1852) zum Kaiser befördern ließ, jedoch infolge der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg von 1870 abdanken musste, längst im Grab. Auch hat die einstige CGE, die ihren heutigen Namen Vivendi – Lateinisch für „Lebensweise, Lebenskunst“ – seit 1997 trägt, nur noch wenig mit ihren ursprünglichen Tätigkeitsfeldern zu tun. Nachdem die Wasserversorgung ihr aufgrund überhöhter Verbraucherpreise und politischer Korruption lange Jahre hindurch lukrative Einnahmequellen gewährte, wandte das Unternehmen sich seit dem Aufkommen von Privatfernsehen sowie Internet und Mobiltelefonen dem Mediengeschäft zu und stieß frühere Aktivitätssparten ab.

Doch der Monarchie blieb Vivendi verbunden, freilich weniger jener von Charles Louis Napoléon Bonaparte als der des Mannes an seiner Spitze. Er trägt zwar nicht den Titel eines Empereur, reagiert jedoch über ein wahres Imperium wirtschaftlicher Art. Vincent Bolloré, übernahm ab 2014 sukzessive die Kontrolle über den Konzern; in jenem Jahr wurde er durch die Aktionäre an die Spitze des Aufsichtsrats gewählt. Im Juni dieses Jahres genehmigte die EU-Kommission in Brüssel die Übernahme der Mediengruppe Lagardère, von der mehrere Radiosender und Printmedien abhängen, durch Vivendi. (Vgl. https://www.capital.fr/entreprises-marches/la-commission-europeenne-confirme-le-rapprochement-du-groupe-vivendi-et-de-lagardere-1470888 externer Link) Diese ist nun in vollem Gange.

Doch daran hängen auch ideologisch Diktatbedingungen. Denn dem in Frankreich überaus prominenten Multimilliardär Bolloré geht es dabei keineswegs nur ums Geldverdienen und die Kapitalvermehrung. Vielmehr mischt er sich auch überaus gerne aktiv in die Politik ein. Im Jahr 2021/22 unterstützte er über die von ihm kontrollierten Privatfernsehkanäle CNews und C8 einen eigenen Präsidentschaftskandidaten, den er zuvor seit Jahren massiv politisch mit aufgebaut hatte – durch seine ständige Präsenz bei dem Sender CNEws, vor seiner massiven Umgestaltung durch die Eigentümer in den Jahren 2016/2017 hieß der Sender noch i-Télé – in Gestalt des rechtsextremen Bewerbers Eric Zemmour. Bei anderen, von ihm kontrollierten Medien trifft dieser durch Bolloré „von oben“ aufgezwungene Kurs jedoch auf massive Widerstände.

In den letzten Wochen explodieren diese Widersprüche nun. Aufgrund einer Personalentscheidung, die in der dritten Juniwoche vom durch Bolloré mittlerweile kontrollierten Lagarde-Medienkonzern getroffen wurde, trat die Redaktion der zu ihm gehörenden Sonntagszeitung JDD nahezu geschlossen in den Streik; die Beschlüsse zu dessen Beginn sowie zu seiner Fortsetzung wurden durch die dort beschäftigten Journalistinnen und Mitarbeiter jeweils mit Mehrheiten zwischen 95 und 97 Prozent angenommen. Seitdem hält der Arbeitskampf der dortigen Redaktion an, zum vierten Mal in Folge erschien das Journal du dimanche am vergangenen Sonntag nicht. Es handelt sich um die einzige überregionale und parteiunabhängige Sonntagspresse im Lande. (Denn L’Humanité du dimanche ist eine KP-nahe Publikation, und Le Parisien dimanche zählt zu einer regionalen Pressegruppe, auch wenn es einen überregionalen Ableger unter dem Namen Aujourd’hui dimanche – nur aus dem Mantelteil bestehend – gibt.)

Auslöser war die, offiziell am 23. Juni dieses Jahres bestätigte Ernennung des früheren Chefredakteurs des 1966 gegründeten rechtsextremen Wochenmagazins Valeurs actuelles (vgl.: https://jungle.world/artikel/2006/50/werthers-rechte externer Link) in Gestalt des 34jährigen Geoffroy Lejeune zum neuen Chefredakteur des JDD. Der junge Mann mit dem betont altfranzösischen Vornamen war Anfang Juni bei Valeurs actuelles gekündigt worden, vordergründig aufgrund eines Konflikts um die Ernennung eines neuen presserechtlich Verantwortlichen und Verlagsleiters – Jean-Louis Valentin – durch die Leitung, welche Lejeune nicht akzeptierte. Als Valentin in den Redaktionsräumen auftauchte, berichtet die Pariser Abendzeitung Le Monde, schrie Lejeune ihn an: „Dies ist meine Redaktion, Du hast hier nichts zu suchen. Raus!“ Dieses Verhalten fand die Unternehmensführung nicht so lustig.

Dahinter steckt aber noch ein weiterer, tieferliegender Konflikt. Die Direktion von Valeurs actuelles wollte zwar weiterhin ein rechtsgerichtetes Wochenmagazin machen, doch dieses an die etablierte konservative Rechte annähern, um Einfluss auf die Diskussionen unter anderem bei der früheren Regierungspartei Les Républicains (LR) zu nehmen. Lejeune hingegen ist nicht nur ein Duzfreund des rechtsextremen Ideologen Eric Zemmour, sondern nahm offen an dessen Präsidentschaftswahlkampf 2021/22 teil, wo er bei Großveranstaltungen mitunter in der ersten Reihe saß.

Einige redaktionelle Entscheidungen v. Lejeune schockierten selbst bei Valeurs actuelles Teile der Mitarbeitenden. Im Hochsommer 2020 erschien unter seiner Verantwortung ein Comicstrip in dem Wochenmagazin, in welchem die in Gabun geborene linke Abgeordnete Danièle Obono bei einem Sklavinnen- und Sklaventransport mit einem Ring um den Hals zu sehen war. Dadurch eckte er an, und das Pariser Berufungsgericht verurteilte die Publikation dafür in zweiter Instanz im November 2022 wegen „rassistischer Beleidigung“ zu 1.000 Euro Geldstrafe und 5.000 Euro Schadensersatz, was symbolisch nicht unwichtig war, wenngleich die Summe wohl aus der Portokasse der Redaktion beglichen werden konnte.

Die bürgerliche Sonntagszeitung, zu der der neue Chefredakteur seine rechtskatholische frühere VA-Redaktionskollegin Charlotte d’Ornellas mitbringen möchte, möchte, jedenfalls für die überdeutliche Mehrheit ihrer Mitarbeitenden, solche Verhältnisse nicht. Ein am 27. Juni d.J. in einem Pariser Theater durch die NGO „Reporter ohne Grenzen“ (fraanzösisch RSF abgekürzt, f. Reporters sans frontières) organisierte Unterstützungsveranstaltung für die streikende Redaktion des JDD – d.Verf. dieser Zeilen war vor Ort – zog 1.000 Menschen an. Die beiden neuen Vorsitzenden der Gewerkschaftsdachverbände CGT und CFDT, Sophie Binet und Maryse Léon, beide traten bei der Veranstaltung selbst als Rednerinnen auf, schrieben ferner an die Regierungschefin Elisabeth Borne (vgl. https://snjcgt.fr/2023/07/03/jdd-lettre-de-marylise-leon-et-sophie-binet-a-elisabeth-borne/ externer Link) und forderten gesetzgeberische Änderungen, die einer Medienkonzentration in den Händen Bollorés entgegen wirken sollen, etwa die Konditionierung der jährlich ausbezahlten staatlichen Pressehilfen – die unter die Bedingung eines Respekts des Medienpluralismus gestellt werden soll – oder die Einführung eines Kündigungsschutzes für die als Sociétés de journalistes bezeichneten Personalvertreter/innen. Im Unterschied zu gewerkschaftlichen Vertrauensleuten in sonstigen Unternehmen sind diese in Zeitungen, juristisch als „Tendenzunternehmen“ geführt, in keiner Weise gegen Kündigung geschützt.

Vorige Woche nun wurde ein fraktionsübergreifender Gesetzesvorschlag aus den Reihen der Opposition veröffentlicht, bei dessen Verabschiedung Redaktionskollektiven ein Vetorecht gegen eine feindliche Übernahme eingeräumt würde; ein solches besteht bislang bei manchen Zeitungen wie etwa Libération qua Redaktionsstatut, ist jedoch nicht im Gesetz verankert. (https://www.liberation.fr/politique/greve-au-jdd-une-proposition-de-loi-transpartisane-pour-renforcer-lindependance-des-redactions-20230717_5XADZDXLCVFJ5CERIT56QRQ5VA/ externer Link) Der Text soll am Mittwoch dieser Woche, den 19. Juli beraten werde. Das Regierungslager hingegen reagierte bislang nicht, obwohl die fachlich zuständige Kulturministerin etwa bei dem oben erwähnten öffentlichen Meeting am 27. Juni d.J. durch viele Redner/innen angerufen wurde.. (Vgl. auch https://www.liberation.fr/economie/medias/face-a-bollore-les-journalistes-du-jdd-sont-plus-courageux-que-la-plupart-des-ministres-20230715_X4YIQFKBLBAIPKI2EGDGWYTAYM/ externer Link) Als indirekte Reaktion kündigte Staatspräsident Emmanuel Macron unterdessen die Abhaltung von „Generalständen zur Informationsfreiheit“ ab, also eines Großkongresses unter Einschluss von Regierungsvertreter/inne/n und solchen der betroffenen Branche, um über deren Zu- und Missstände zu debattieren. (Vgl. https://www.liberation.fr/economie/medias/les-etats-generaux-du-droit-a-linformation-voulus-par-emmanuel-macron-lances-en-septembre-20230713_DYET27BZZVBGBD5PLN2VMZZZSI/?redirected=1 externer Link) Ob dies gegen die Dampfwalze Vincent Bolloré etwas ausrichten wird?

Artikel von Bernard Schmid vom 17.7.2023 – wir danken!

Grundinfos:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=213589
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